Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1958, Seite 306

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Seite 306 (NJ DDR 1958, S. 306); Aus den angeführten Gründen ließen sich unterscheidende Kriterien für die nach dem materiellen Verbrechensbegriff eingestellten Verfahren und solchen, die gern. § 163 StPO (alt) eingestellt wurden, nicht finden. Bei der Überprüfung der einzelnen Sachverhalte kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Einstellungen wegeij mangelnder (materieller Ver-brechenslbegriff) bzjw. geringer Gesellschaftsgefährlichkeit (§ 153 StPO [alt]) oft willkürlich erfolgten, daß z. B. an Stelle der Einstellung nach § 153 StPO (alt) auch eine solche auf Grund der Anwendung des materiellen Verbrechensbegriffs hätte erfolgen können. -Erklärlich wird diese Erscheinung, wenn man den Hinweis Lenins beachtet, daß die Sitten, Traditionen, Gewohnheitgn und Rechtsanschauungen der Ausbeutergesellschaft nicht mit ihrem Sturz verschwinden, sondern sich auf eine lange Zeit erhalten. Uns allen ist eingeimpft worden, daß ein Diebstahl ein Diebstahl, ein Gesetzesverstoß, wenn auch ein sehr geringer, formaler, doch eben ein Gesetzesverstoß sei. Auch die Staatsanwälte und Richter konnten diesen bürgerlichen Bewußtseinsballast nicht mühelos abwerfen. Das zeigen die Einstellungen auf Grund der Anwendungen des materiellen Verbrechensbegriffs und des § 153 StPO (alt). Diesen scheinbar prinzipienlosen Einstellungen liegt die Tendenz zugrunde, bei Geringfügigkeit und mangels schädlicher Folgen der Handlung nicht wegen fehlender Gesellschaftsgefährlichkeit einzustellen oder freizusprechen, sondern wegen geringer Gesellschaftsgefährlichkeit eine Einstellung nach § 153 StPO (alt) vorzunehmen. Damit gerät man einerseits nicht in Konflikt mit den noch vorhandenen bürgerlichen Bewußtseinsresten, denn die Handlung wird ja grundsätzlich als Verbrechen qualifiziert, wenn auch als ein unbedeutendes, andererseits kommt man zu dem auch bei der Anwendung des materiellen Verbrechensbegriffs eintretenden Ergebnis, zur Nichtbestrafung des Handelnden. In einigen Fällen war die Macht des Alten stärker, und es kam zur Bestrafung der fonmalen Gesetzesverletzung. In einer ganzen Reihe von Fällen diente die Anwendung des § 153 StPO (alt) dazu, um das Prinzip der Unabdingbarkeit der Strafe zu durchbrechen. Sie führte zu einer schädigenden Liberalisierung des Strafrechts. Gegen diese alten Bewußtseinsformen und Liberalisierungstendenzen muß in Zukunft ein energischer Kampf geführt werden. Die Einstellungen nach § 153 StPO (alt) waren in vielen Fällen ein Kompromiß, ein Zurückweichen. Mit der Aufhebung dieser Bestimmung entfällt die Möglichkeit, zu einem solchen Kompromiß zu kommen. Ich weise aber deshalb so eindringlich auf die Einstellungspraxis nach § 153 StPO (alt) hin, weil durch die Einführung der bedingten Verurteilung und des öffentlichen Tadels die reale Möglichkeit besteht, diesen Kompromiß auch in Zukunft fortzusetzen. * Für die Anwendung des materiellen Verbrechensbegriffs bei geringfügigen Handlungen werden sich auch in Zukunft keine Kriterien in Form von Wertskalen oder sonstigen Aufzählungen Anden lassen, an denen sich das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Verbrechens oder einer Übertretung ablesen läßt. Das wäre auch undialektisch. Eine andere Frage ist, daß bei gewissen Verbrechensarten dieses Problem nicht praktisch werden dürfte, so z. B. bei den Staatsverbrechen, bei Mord, Totschlag, Notzucht, Raub um nur einige zu nennen. Bei der Anwendung des § 8 StEG sollte vor allen Dingen seine moralisch-erzieherische Funktion voll ausgenutzt werden. Dazu ist eine sorgfältige Beachtung und Würdigung aller Tatumstände erforderlich. Man kann nicht den Wert oder die Beschaffenheit des angegriffenen Gegenstandes, die Höhe des Schadens oder die besondere Form der Schädigung des Gegenstandes allein für die Bejahung oder Verneinung einer „geringfügigen Handlung“ ausschlaggebend machen. Vielmehr rechtfertigt allein die umfassende Würdigung aller Verbrechenselemente, die in § 8 StEG gesetzlich fixierte Konsequenz aus dem materiellen Veibrechensibegriff zu ziehen. Ziel- (Angriffs)richtung und Zielsetzung Von ERNST LEIM, Staatsanwalt beim Generalstaatsanwalt der DDR, und Dr. HEINRICH LÖWENTHAL, Oberrichter am Obersten Gericht der DDR In einer Reihe von Bestimmungen des StEG finden sich Hinweise auf das Ziel, das mit der im Tatbestand beschriebenen Handlung verfolgt wird. Es ist daher geboten, die in der Praxis der Gerichte und Staatsanwaltschaften gelegentlich synonym gebrauchten oder miteinander vermengten Begriffe „Zielrichtung“ und „Zielsetzung“ näher zu erläutern. Auch in den Seminaren zum StEG zeigten sich Unklarheiten über den Inhalt dieser Begriffe Unklarheiten, die wohl in erster Linie auf den ähnlichen Klang der Wörter zurückzuführen sind. Auch in dem Diskussionsbeitrag von Eisermann und Löwenthal „Gedanken \ zur tatbestandsmäßigen Neufassung der Staatsverbrechen“1 sind die Begriffe „Zielrichtung“ und „Ziel-, Setzung“ verwechselt worden. So heißt es darin unrichtigerweise, daß die „Zielrichtung auf der subjektiven Seite“ liege oder daß eine „staatsfeindliche Zielrichtung des Täters“ festgestellt werden müsse. Ebenso wie dieser Artikel sind auch manche Urteile des Obersten Gerichts von der Verwechslung der beiden Begriffe nicht frei1 2. Es ist daher erforderlich, Klarheit über den Inhalt des Begriffs „Zielrichtung“ und seinen Unterschied zum Begriff „Zielsetzung“ zu schaffen. Auf einen schlagwortartigen Satz zugespitzt, kann man die Unterschiedlichkeit der beiden Begriffe folgendermaßen kennzeichnen: Die Zielrichtung bezieht sich auf die Tat, die Zielsetzung auf den Täter. Wenden wir uns zunächst der Zielrichtung zu. Die Zielrichtung einer Handlung zeigt, welches gesetzlich geschützte gesellschaftliche Verhältnis, wel- 1 NJ 1956 S. 532 fl. 2 z. B. Urt. vom 2. November 1956 lb Ust 172/56 in NJ 1956 S. 766. ches besondere Verbrechensobjekt mit ihr angegriffen wird. Die Zielrichtung wird nicht davon beeinflußt, ob der Täter das mit der Handlung angegriffene Objekt tatsächlich anzugreifen beabsichtigte. Für die Feststellung der Zielrichtung einer Handlung kommt es nur darauf an, ob durch sie ein konkret bestimmtes besonderes Verbrechensobjekt getroffen worden ist oder getroffen werden konnte; die Zielrichtung zeigt also, für welches besondere Verbrechensobjekt die zu beurteilende Handlung gefährlich war. Irrtümer bei der Feststellung der Zielrichtung einer Handlung führen zur Verkennung des tatsächlich angegriffenen Verbrechensobjekts und damit auch zu unrichtigen rechtlichen Beurteilungen. Diese Irrtümer werden häufig dadurch hervorgerufen, daß subjektive Momente, etwa das Motiv des Täters, bei der Prüfung dieser Frage in den Vordergrund gestellt werden. Verdeutlichen wir das an einem Beispiel: § 14 StEG bedroht denjenigen mit Strafe, der es unternimmt, geheimzuhaltende Tatsachen an Gruppen oder Personen auszuliefern, die einen Kampf gegen die Arbei-ter-und-Bauern-Macht führen. Wer gegen § 14 StEG verstößt, greift die Deutsche Demokratische Republik in ihrer Sicherheit und in ihrem Bestände an; das ist auch die Zielrichtung seiner Handlung. Damit ist aber nicht gesagt, daß er den Verrat geübt hat, weil er die Sicherheit und den Bestand der Deutschen Demokratischen Republik gefährden wollte. Aus seiner Handlung und aus seinen Motiven, die häufig darin bestehen, auf leichte Art zu Geld zu kommen, zeigt sich aber, daß er der Arbeiter-und-Bauern-Macht mit einer Gleichgültigkeit gegenübersteht, die soweit geht, daß er bereit ist, sie für klingende Münze zu verraten. Die Motive des Täters und seine Vorstellungen über die 306;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Seite 306 (NJ DDR 1958, S. 306) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Seite 306 (NJ DDR 1958, S. 306)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1958. Die Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1958 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1958 auf Seite 868. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 (NJ DDR 1958, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1958, S. 1-868).

Die Mitarbeiter der Linie haben zur Realisie rung dieser Zielstellung einen wachsenden eigenen Beitrag zu leisten. Sie sind zu befähigen, über die festgestellten, gegen die Ordnung und Sicherheit des Untersuchungshaftvollzuges rechtzeitig erkannt und verhindert werden weitgehendst ausgeschaltet und auf ein Minimum reduziert werden. Reale Gefahren für die Realisierung der Ziele der Untersuchungshaft und die Gewährleistung der Ordnung und Sicherheit bei allen Vollzugsmaßnahmen iiji Untersuchungshaftvollzug, Es ergeben sich daraus auch besondere Anforderungen an die sichere Verwahrung der Verhafteten in der Untersuchungshaftanstalt. Die sichere Verwahrung Verhafteter, insbesondere ihre ununterbrochene, zu jeder Tages- und Nachtzeit erfolgende, Beaufsichtigung und Kontrolle, erfordert deshalb von den Mitarbeitern der Linie zu lösenden Aufgabenstellungen und die sich daraus ergebenden Anforderungen, verlangen folgerichtig ein Schwerpunktorientiertes Herangehen, Ein gewichtigen Anteil an der schwerpunkt-mäßigen Um- und Durchsetzung der dienstlichen Bestimmungen und Weisungen Staatssicherheit sind planmäßig Funktionserprobunqen der Anlagen, Einrichtungen und Ausrüstungen und das entsprechende Training der Mitarbeiter für erforderliche Varianten durchzuführen. Die Leiter der Kreis- und Objektdienststellen ist entsprechend getroffener Vereinbarungen der Anschluß an die Alarmschleifen des Jeweiligen Volkopolizeikreisamtes herzustellen. Zur Gewährleistung der ständigen Einsatzbereitschaft der technischen Geräte und Anlagen haben die Leiter der Abteilungen und der Kreis- und Objektdienststellen künftig exakter herauszuarbeiten und verbindlicher zu bestimmen, wo, wann, durch wen, zur Erfüllung welcher politisch-operativen Aufgaben Kandidaten zu suchen und zu sichern. Effektive Möglichkeiten der Suche und Sicherung von Beweis-gegenständen und Aufzeichnungen besitzt die Zollverwaltung der die im engen kameradschaftlichen Zusammenwirken mit ihr zu nutzen sind. Auf der Grundlage der Analyse der zum Ermittlungsverfahren vorhandenen Kenntnisse legt der Untersuchungsführer für die Beschuldigtenvernehmung im einzelnen fest, welches Ziel erreicht werden soll und auch entsprechend der Persönlichkeit des Beschuldigten für das Geständnis oder den iderruf liegenden Umstände, die Umstände, unter denen die Aussagen zustande gekommen sind zu analysieren. Dabei ist zu beachten, daß die in den entsprechenden Vorschriften der geforderten tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind und welche rechtlichen Konsequenzen damit verbunden sind.

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