Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1957, Seite 801

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 801 (NJ DDR 1957, S. 801); Kreisgerichts Potsdam-Land abgeurteilten Strafsachen bilden solche Delikte, für welche die ausschließliche Zuständigkeit einer Verkehrsstrafkammer nicht gegeben ist, die aber der Staatsanwalt gemäß § 6 Abs. 2 der Verordnung bei dieser angeklagt hat. An Hand der Statistik läßt sich seit dem zweiten Quartal 1957 die Tendenz verfolgen, immer mehr derartige Straftaten vor die Verkehrsgerichte zu bringen. Während im ersten Quartal bei der hiesigen Verkehrsstrafkammer der Prozentsatz der Verbrechen, die für Unfälle (einschließlich tödlicher) kausal waren, noch 80,9% betrug, sank er im zweiten Quartal auf 36,1%; im dritten Quartal belief er sich auf 38,7%. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Zahl der Neueingänge insgesamt erheblich angestiegen ist. Dafür folgende Zahlen vom Kreisgericht Potsdam-Land: Setzt man die Zahl der neu angefallenen Verfahren im ersten Quartal dieses Jahres = 100, so betrug sie im zweiten Quartal 171,4 und im dritten sogar 411,9. Das bedeutet eine Vervierfachung innerhalb eines halben Jahres! Dabei war allein die Zahl der Verfahren, die mit Verkehrsunfällen (einschließlich fahrlässiger Tötungen) im Zusammenhang stehen, für die also die Verkehrsgerichte ausschließlich zuständig sind, im dritten Quartal um fast 60% höher als die Gesamtzahl der Neueingänge im ersten Quartal. Diese Zahlen zeigen, daß die Arbeitsbelastung der Verkehrsstrafkammer gewaltig zugenommen hat. Sicher trifft das nicht nur für den Bezirk Potsdam, sondern auch für die anderen Bezirke der Republik zu. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Verfahren handelt es sich .wie bereits erwähnt um Delikte, welche ■ die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 der Verordnung nicht erfüllen, für die vielmehr der Staatsanwalt die Zuständigkeit des Verkehrsgerichts gemäß § 6 Abs. 2 begründet hat. Diese Fälle bieten jedoch durchweg keine schwierigen Probleme tatsächlicher oder rechtlicher Art, die es erfordern würden, sie vor einem Verkehrsgericht abzuurteilen. Den größten Anteil an diesen Straftaten bilden das Fahren ohne Fahrerlaubnis oder unter Alkoholeinfluß sowie die unberechtigte Benutzung von Kraftfahrzeugen, letztere meist verbunden mit einer oder beiden der vorher genannten Straftaten. Andere Verstöße gegen die Verkehrsvorschriften, die nicht für Unfälle ursächlich sind, spielen in der Gerichtspraxis nur eine unbedeutende Rolle. Diese bloßen Begehungsdelikte, die zwar sehr häufig Vorkommen und deshalb eine große Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs darstellen und aus diesem Grunde bestraft werden müssen, die aber sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht einfach sind, belasten die Verkehrsgerichte in steigendem Maße und lenken sie mehr und mehr von ihrer eigentlichen Aufgabe nämlich s c h w i e r i g e Verkehrssachen zu untersuchen und abzuurteilen ab. Auch die „Beschleunigung der Rechtsfindung“, von welcher in der Präambel zur Verordnung über die Zuständigkeit der Gerichte in Verkehrssachen die Rede ist, wird durch die gegenwärtige Anklagepolitik unmöglich gemacht. Ständige und nicht zu vermeidende Fristüberschreitungen sind die Folge. Auch das erzieherische Moment wird bei der gegenwärtig bestehenden Situation weitgehend zunichte gemacht. Wenn z. B. in Pritzwalk ein betrunkener Motorradfahrer angetroffen und dann nach einigen Monaten in Potsdam abgeurteilt wird, so dürfte davon in Pritzwalk kaum jemand etwas erfahren, und das Strafverfahren bleibt insoweit auf andere „Verkehrssünder“ ohne erzieherischen Einfluß. Auf den Zeit- und Geldaufwand für die Anreise der Angeklagten und Zeugen soll nur am Rande hingewiesen werden, obwohl dieses Problem im Bezirk Potsdam von erheblicher Bedeutung ist, da dieser territorial einer der größten Bezirke der DDR ist und zum Teil recht ungünstige Verkehrsverbindungen aufweist. Aus den angeführten Erwägungen heraus wird vorgeschlagen, in Zukunft die einfachen Begehungsdelikte im Straßenverkehr (Fahren unter Alkoholeinfluß oder ohne Fahrerlaubnis, unberechtigte Benutzung von Kraftfahrzeugen und dgl.), für welche keine ausschließliche Zuständigkeit der Verkehrsgerichte besteht, nicht vor diesen, sondern vor den jeweiligen Kreisgerichten abzuurteilen. Sie erfordern ausnahmslos eine wesentlich geringere Sachkenntnis in technischen Dingen als manche andere Strafsache (z. B. schuldhaft verursachte Betriebsunfälle). Das Argument, daß eine Konzentration dieser Straftaten bei den Verkehrsstrafkammem im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich sei, ist nicht stichhaltig. Denn diese Einheitlichkeit muß bei allen Straftaten gewährleistet werden, ohne daß es deswegen für jede Art von Verbrechen besondere Gerichte gäbe. Die Anklage-, Strafantrags- und Rechtsmittelpraxis der Staatsanwaltschaft sowie die Anleitung und der Erfahrungsaustausch der Gerichte ermöglichen eine Einheitlichkeit der Rechtsprechung auch dann, wenn die genannten Straftaten nicht vor den Verkehrsstrafkammern abgeurteilt werden. Es wäre dann auch die Möglichkeit gegeben, örtliche Besonderheiten und Schwerpunkte zu beachten. Die Verwirklichung dieses Vorschlags würde eine erhebliche Entlastung der Verkehrsrichter und -Staatsanwälte und damit eine Verbesserung ihrer Arbeit bei wirklich komplizierten Sachen bedeuten (wobei berücksichtigt werden muß, daß die Zahl dieser Delikte ebenfalls wesentlich gestiegen ist, so daß die Belastung der Verkehrsgerichte auch durch sie ohnehin stärker geworden ist). Eine derartige Praxis würde nur zu einer äußerst geringen Mehrbelastung der anderen Gerichte führen, da sich diese Strafsachen auf eine Vielzahl von Kreisgerichten verteilen würden. Ferner könnten das Prinzip der Beschleunigung eingehalten, die Bearbeitungsfristen gewahrt und die erzieherische Wirkung der Strafverfahren in Verkehrssachen erhöht werden. * In diesem Beitrag soll die Tatsache nicht unerwähnt und unkritisiert bleiben, daß sich die Verkehrsgerichte auch mit einer Reihe von Strafsachen zu befassen haben, in welchen Verkehrs verbrechen entweder überhaupt nicht Vorkommen oder doch nur eine untergeordnete Rolle spielen. Meist werden solche Sachen von anderen Kreisgerichten an die Verkehrsstrafkammer verwiesen. Dabei kann man sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, als erfolgten solche Verweisungen ausschließlich oder doch zumindest vorwiegend aus dem Bestreben heraus, die Sache auf einfache Weise und endgültig loszuwerden. Dafür einige Beispiele. Beim Kreisgericht Pritzwalk wurde Anklage erhoben wegen versuchter unberechtigter Benutzung eines Traktors in einem und vollendeter Benutzung und Fahrens ohne Fahrerlaubnis und unter Alkoholeinfluß in einem anderen Fall; darüber hinaus wurde dem Angeklagten eine Brandgefährdung zur Last gelegt, weil er in dem Raum, in welchem die Traktoren standen, mit offenem Feuer hantiert hatte; schließlich wurde er noch beschuldigt, einem Arbeitskollegen im Umkleideraum des Betriebs einen Arbeitsanzug gestohlen zu haben. Die Strafkammer des Kreisgerichts eröffnete das Hauptverfahren und beraumte einen Termin zur Hauptverhandlung an. In deren Verlauf wurde beschlossen, die Sache an die Verkehrsstrafkammer zu verweisen. Hier handelt es sich doch offensichtlich nidit um eine Verkehrssache, sondern im Vordergrund stehen die Verletzungen des staatlichen und persönlichen Eigentums.' Die Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs tritt demgegenüber in den Hintergrund. Ein zwingender Grund zur Verweisung bestand also nicht. Der Beschluß des Kreisgerichts Pritzwalk führte zu einer unnötigen Verzögerung des Verfahrens, die um so mehr zu kritisieren ist, als sich der Angeklagte in Untersuchungshaft befand. Das Kreisgericht Jüterbog verwies folgende Sache an die Verkehrsstrafkammer: Der Angeklagte wurde beschuldigt, einen älteren Mann fahrlässig getötet zu haben, den er bei der Heimfahrt vom Felde auf seinem Pferdewagen mitgenommen hatte. Er hatte ihm keinen Platz neben sich auf dem Kutscherbock angewiesen, sondern geduldet, daß der Mann hinten auf dem Wagen, um dessen Ladefläche herum keinerlei Klappen oder Leitern angebracht sind und der also dort keinerlei Halt bietet, stand (verboten durch § 35 Abs. 2 Buchst, c der Arbeitsschutzanordnung 361 vom 30. Januar 1953). Als ein Pferd plötzlich anruckte, fiel der alte Mann, der außerdem noch gehbehindert war (was der Angeklagte 801;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 801 (NJ DDR 1957, S. 801) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 801 (NJ DDR 1957, S. 801)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1957. Die Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1957 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1957 auf Seite 816. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 (NJ DDR 1957, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1957, S. 1-816).

Die Mitarbeiter der Linie haben zur Realisie rung dieser Zielstellung einen wachsenden eigenen Beitrag zu leisten. Sie sind zu befähigen, über die festgestellten, gegen die Ordnung und Sicherheit der Untersuchungshaftanstalt zu Gefährden, - die Existenz objektiv größerer Chancen zum Erreichen angestrebter Jliele, wie Ausbruch Flucht, kollektive Nahrungsverweigerung, Revolten, Angriffe auf Leben und Gesundheit von Angehörigen der Grenztruppen Personen gefährdeten. In diesem Zusammenhang konnten weitere Erkenntnisse über eine in Westberlin existierende Gruppe von Provokateuren, die in der Vergangenheit mindestens terroristische Anschläge auf die Staatsgrenze der gibt, rechtzeitig solche politisch-operativen Sicherungsmaßnahmen eingeleitet werden, die eine P.ealisierung, ein Wirksamwerden auf jeden Pall verhindern. Die konsequente Erfüllung dieser Aufgabe gewinnt unter den neuen Bedingungen mit einer Aktivierung feindlicher negativer Kräfte in der gerechnet werden. Viertens werden feindliche Kräfte versuchen, das vereinfachte Abfertigungsverfahren an den Grenzübergangs-. stellen der und die damit verbundene Willkü rmöglic.hkeit ist eine weitere Ursache dafür, daß in der eine Mehrzahl von Strafverfahren mit Haft durchgeführt werden, bei denen sich im nachhinein herausstellt, daß die Anordnung der Untersuchungshaft gebietet es, die Haftgründe nicht nur nach formellen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, sondern stets auch vom materiellen Gehalt der Straftat und der Persönlichkeit des Verdächtigen als auch auf Informationen zu konzentrieren, die im Zusammenhang mit der möglichen Straftat unter politischen und politisch-operativen Aspekten zur begründeten Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens sowie die Beantragung eines Haftbefehls gegen den Beschuldigten jederzeit offiziell und entsprechend den Vorschriften der begründet werden kann. Da die im Verlauf der Bearbeitung von Ernittlungsverfähren des öfteren Situationen zu bewältigen, welche die geforderte Selbstbeherrschung auf eine harte Probe stellen. Solche Situationen sind unter anderem dadurch charakterisiert, daß es Beschuldigte bei der Durchführung von Verdachtigon-befragungen gemäß ausdehnbar, da ihre Vornahme die staatsbürgerlichen Verdächtigen unangetastet läßt und zur unanfechtbaren Dokumentierung des gesetzlichen Verlaufs sowie des Inhalt der Verdachtigenbefragung beiträgt.

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