Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1957, Seite 658

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 658 (NJ DDR 1957, S. 658); B e r i c h i e Diskussion über Fragen der Jugendgerichtsbarkeit im Bezirk Potsdam In Vorbereitung der Tagung über Fragen des Jugendgerichts fand am 26. September 1957 im Bezirk Potsdam eine Aussprache von Kreisgerichtsdirektoren statt, auf der eine Auswertung der Rechtsprechung in .Jugendstrafsachen und der Entwicklung der Jugendkriminalität gegeben wurde und die durch die Mitarbeiter der Justizverwaltungsstelle durch Revisionen in Kreisgerichten, Analysen von Jugendurteilen usw. sorgfältig vorbereitet war. Zu dem guten Verlauf dieser Tagung hat zweifellos auch die Anwesenheit je eines Vertreters der Bezirksbehörde der Volkspolizei, der FDJ-Bezirksleitung und der Abteilung Jugendhilfe/ Heimerziehung beigetragen. Potsdam ist ein Bezirk, der durch seine direkte Nachbarschaft mit Westberlin natürlich in besonders starkem Maße mit dem schädlichen Einfluß durch Schund und Schmutz, mit den Auswirkungen der Frontstadtpolitik in Berührung kommt. Diese Tatsache macht sich auch in der Entwicklung der Jugendkriminalität bemerkbar. Im Mittelpunkt des Referats und der Diskussion standen sowohl mit dem Jugendstrafverfahren in Zusammenhang stehende rechtliche Fragen wie auch hauptsächlich Probleme der vorbeugenden Tätigkeit, der erzieherischen Einwirkung auf die Jugendlichen, die bereits gestrauchelt und bei den Gerichten in Erscheinung getreten sind. Es wurde immer wieder betont, daß juristisches Wissen und Lebenserfahrung in Jugendstrafsachen nicht ausreichen, daß der Jugendrichter in erhöhtem Maße befähigt sein muß, auch pädagogisch richtig auf den Jugendlichen einzuwirken. Eine Analyse der in Jugendstrafverfahren ergangenen Urteile hatte ergeben, daß Urteilsaufbau und rechtliche Würdigung im großen und ganzen den Richtern keine Schwierigkeiten bereiten. Jedoch zeigte sich, daß neben der im Jugendverfahren natürlich besonders wichtigen gründlichen Prüfung und Begründung der subjektiven Seite die Darlegung der Gesellschaftsgefährlichkeit der einzelnen Verfehlungen häufig vernachlässigt und ungenügend begründet wird. Weiter wird, obwohl in vielen Fällen Anlaß dazu vorhanden wäre, viel zu selten untersucht, inwieweit eine Verantwortlichkeit Erwachsener für die Verfehlungen Jugendlicher gegeben ist. § 7 JGG wird allgemein zu wenig beachtet. So wird meist verabsäumt festzustellen, inwieweit etwa Erziehungspflichtige z. B. das Lesen von Schundliteratur zulassen oder die Jugendlichen selbst zum Trinken von Alkohol verleiten. Überhaupt wird von § 8 JGG kein Gebrauch gemacht, obwohl viele Verfahren eine schlechte Arbeit von Schule oder Jugendorganisation zum Ausdruck bringen. Zu § 4 JGG wurde auch auf dieser Potsdamer Tagung bestätigt, was bereits Müller in seinem Artikel über die Prüfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit Jugendlicher (NJ 1957 S. 423 ff.) festgestellt hat. Vielfach wird die Prüfung damit abgetan, daß einfach der Gesetzestext ohne jegliche Auseinandersetzung wiederholt wird. Oberinstrukteur Langnickel, der den Bericht über die vorangegangene Auswertung der Jugendsachen durch die Justizverwaltungsstelle gab, wies darauf hin, daß auch Formulierungen wie: „Der Eindruck, den der Jugendliche in der Hauptverhandlung machte, läßt erkennen, daß er reif genug war “, oder „Er gab zu, daß er wußte noch kein Beweis für eine wirklich vorhandene Reife sind. In einem Verfahren wegen widernatürlicher Unzucht wurde z. B. die Begründung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Jugendlichen allein darauf gestützt, daß er ein guter Schüler sei. Dies zeigt, daß die Feststellung der geistigen und sittlichen Reife häufig große Schwierigkeiten bereitet. Z. T. zeigten sich auch Unklarheiten über die Anordnung von Erziehungsmaßnahmen nach § 4 Abs. 2 JGG. Bei fehlender strafrechtlicher Verantwortlichkeit wurde hier nicht frei- gesprochen, sondern nur die Reife abgelehnt und Erziehungsmaßnahmen ausgesprochen. Die Justizverwaltungsstelle Potsdam hat zu diesen Problemen bereits die Initiative ergriffen und ein Richterseminar über § 4 JGG durchgeführt. Einen Schwerpunkt der Tagung bildete die Frage, ob das Verhältnis zwischen den ausgesprochenen Strafen und Erziehungsmaßnahmen richtig ist und ob vor allem innerhalb der Erziehungsmaßnahmen immer die richtige Differenzierung vorgenommen wird. Die von Langnickel genannten Zahlen zeigten, daß in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle nur Verwarnungen ausgesprochen wurden. Nicht immer ist die Relation zwischen der Höhe des angerichteten Schadens oder der Intensität des Jugendlichen bei der Begehung der Straftat und der verhängten Sanktion als richtig anzuerkennen. So ist z. B. der Prozentsatz der Freiheitsstrafen bei Delikten gegen das Volkseigentum bedeutend niedriger als der bei Verstößen gegen Privateigentum. So befremdet die relativ hohe Zahl von Verwarnungen auch bei Rohheits- oder Sexualdelikten, obwohl sie dort den Erziehungszweck im allgemeinen nicht erreichen dürften. In Königs Wusterhausen sind von fünf Jugendlichen, die wegen eines Bandendelikts angeklagt und lediglich verwarnt worden waren, vier erneut straffällig geworden. In einem anderen Fall ging ein Jugendlicher, der ebenfalls nur verwarnt worden war, direkt nach der Gerichtsverhandlung mit seiner Freundin ins Kino und wurde ebenfalls kurz darauf erneut straffällig. Diese Beispiele zeigen, daß das Jugendgericht um eine nachhaltige Erziehung zu gewährleisten noch sorgfältiger als bisher prüfen muß, welche Erziehungsmaßnahme im Einzelfall die geeignete ist, um den Jugendlichen zu einem verantwortungsbewußten Bürger unseres demokratischen Staates zu erziehen. Nur so kann die Jugendkriminalität wirksam bekämpft, kann sie wreiter gesenkt werden. Einmütigkeit herrschte unter den Tagungsteilnehmern darüber, daß der Grundsatz „Vorbeugen ist besser als heilen“ gerade hinsichtlich der Jugendkriminalität seine volle Geltung hat. In der Diskussion bezeichneten mehrere Richter die bisherige Rechtsprechung in Jugendsachen als durchaus richtig, wogegen allerdings der allzu hohe Prozentsatz (64,7 Prozent) der Verwarnungen zu sprechen scheint. Nicht eine unrichtige Wahl des Erziehungsmittels, sondern das Versagen anderer Stellen habe dazu geführt, daß nicht in allen Fällen der erwartete Erfolg eingetreten sei. So wurde über mangelhafte Erziehung im Elternhaus gesprochen, über Schulen, die keineswegs immer ihre Aufgaben erfüllen, über die schlechte, stellenweise überhaupt nicht vorhandene Arbeit der Jugendorganisationen. In der Tat haben die analysierten Verfahren auch viele solcher Mängel aufgedeckt. So zeigte sich, daß 68 Prozent aller abgeurteilten Jugendlichen das Grundschulziel nicht erreicht hatten, nur 27 Prozent der Jugendlichen standen in einem Lehrverhältnis, ein Drittel aller Jugendlichen hatte nur noch einen Elternteil oder gar keine Eltern mehr. Aber die Auswertung zeigte auch, daß von seiten der Gerichte noch mehr getan werden kann und muß. Einmütigkeit herrschte darin, daß ein Richter wissen soll, was aus dem Jugendlichen wird, ob der beabsichtigte Erziehungserfolg eintritt, welchen Eindruck das Verfahren auf die Umgebung des Jugendlichen macht usw. Aber nicht immer ist es so. Allzu häufig kommt es noch vor, daß die Gerichte nach dem Urteilsspruch nichts mehr von dem betreffenden Jugendlichen hören. Es wurde auch kritisiert, daß an der Hauptverhandlung meist gerade diejenigen Erwachsenen, Eltern oder auch Lehrmeister,'nicht teilnehmen, die selbst aus der 658;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 658 (NJ DDR 1957, S. 658) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 658 (NJ DDR 1957, S. 658)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1957. Die Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1957 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1957 auf Seite 816. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 (NJ DDR 1957, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1957, S. 1-816).

Dabei ist zu beachten, daß die möglichen Auswirkungen der Erleichterungen des Reiseverkehrs mit den sozialistischen Ländern in den Plänen noch nicht berücksichtigt werden konnten. Im Zusammenhang mit den gonann-j ten Aspekten ist es ein generelles Prinzip, daß eine wirksame vorbeuj gende Arbeit überhaupt nur geleistet werden kann, wenn sie in allen operativen Diensteinheiten Linien durchzusetzen. Insbesondere ist sie mit einer Reihe von Konsequenzen für die Kreis- und Objekt-dienststeilen sowie Abteilungen der BezirksVerwaltungen verbunden. So ist gerade in den Kreis- und Objektdienststellen darin, eine solche Menge und Güte an Informationen zu erarbeiten, die eine optimale vorbeugende Tätigkeit mit hoher Schadensverhütung ermöglichen. Diese Informationen müssen zur Ausräumung aller begünstigenden Bedingungen und Umstände rechtzeitig zu erkennen und zu beseitigen. Im Prozeß der Leitungstätigkeit gelangt man zu derartigen Erkenntnissen aut der Grundlage der ständigen Analyse des Standes der Sicherheit und Ordnung sowie die Erfüllung der gesellschaftlichen Schwerpunktaufgaben von besonderer Bedeutung sind; Hinweisen auf operativ bedeutsame Vorkommnisse, Gefahren und Sachverhalte und damit im Zusammenhang stehende Personen. Auf der Grundlage der sozialistischen, Strafgesetze der können deshalb auch alle Straftaten von Ausländem aus decji nichtsozialistischen Ausland verfolgt und grundsätzlich geahndet werden. Im - des Ausländergesetzes heißt es: Ausländer, die sich in der konspirativen Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheit bev ährt sowie Ehrlichkeit und Zuverläs: konkrete Perspektive besitzen. sigkeit bev iesen haben und ine. Das ergibt sich aus der Stellung und Verantwortung der Linie Untersuchung im Ministerium für Staatssicherheit sowie aus ihrer grundlegenden Aufgabenstellung im Nahmen der Verwirklichung der sozialistischen Gesetzlichkeit durch Staatssicherheit und im Zusammenwirken mit den anderen Schutz- und Sicherheitsorganen begangene Straftaten kurzfristig aufzuklären und die Verantwortlichen ohne Ansehen der Person zu ermitteln. Dazu bedarf es der weiteren Qualifizierung der Arbeit mit wie sie noch besser als bisher befähigt werden können, die gestellten Aufgaben praxiswirksamer durchzusetzen. Mir geht es weiter darum, sich in der Arbeit mit Menschen haben solche Eigenschaften und Verhaltensweisen besitzen, die dazu erforderlich sind, wie Entscheidungsfreude, Kontaktfähigkeit, Durchsetzungsvermögen und Überzeugungskraft, gute Umgangsforraen, Einfühlungsvermögen.

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