Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1957, Seite 616

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 616 (NJ DDR 1957, S. 616); die Schule, die ihnen mehr zu geben vermochte, als dies westdeutsche Schulen können. Sie sehen den ganzen Schmutz, wie er in den Durchgangslagern vorhanden ist. Die Erwachsenen werden durch Dutzende von Agentenzentralen geschleift und zu unwürdigen Lebensbedingungen verurteilt, bis sie in den meisten Fällen dazu bereit sind, zu Bedingungen zu arbeiten, die von der einheimischen Bevölkerung abgelehnt werden. Das aber erschwert zugleich den wirtschaftlichen Kampf der westdeutschen Arbeiter gegen ihre Ausbeuter, und die dadurch gestörten Beziehungen zwischen den einheimischen Arbeitern und den Flüchtlingen kommen wiederum den Ausbeutern zugute. Zusammenfassend kann man feststellen, daß in den Gründen des Urteils eine gründliche Untersuchung über das durch das Verbrechen des S. angegriffene Objekt fehlt. Weil beim Senat keine Vorstellungen über die Gefährlichkeit des Verleitens zur Republikflucht vorhanden waren, gelangt er trotz folgender klarer Feststellungen: „Wenn auch keiner der Arbeitskollegen, mit denen der Angeklagte über die westdeutschen Verkehrsbetriebe gesprochen hat, die Deutsche Demokratische Republik verlassen hat, so waren seine Bemerkungen durchaus geeignet, in diesen den Entschluß zur Republikflucht hervorzurufen“, im nächsten Satz zu der Schlußfolgerung, daß „diesen Gesprächen keine eindeutige staatsfeindliche Zielsetzung des Angeklagten entnommen werden“ kann. Hier wird das ganze Problem offenkundig. Obwohl der Tatbestand des Art. 6, wie ihn Wissenschaft und Rechtsprechung zum Begriff der Abwerbung entwickelt haben, offensichtlich verwirklicht war, verneint das Oberste Gericht die Tatbestandsmäßigkeit der Handlung, weil es an einem gar nicht erforderlichen, sondern unzulässigerweise von ihm hinzugefügten „Tatbestandsmerkmal“, der „staatsfeindlichen Zielsetzung“, fehle3. Zu den weiteren Erwägungen des Senats, die den Freispruch begründen, gehört auch die Feststellung, daß der Angeklagte nicht planmäßig gehandelt hat: „Es ist nicht festgestellt worden, daß der Angeklagte systematisch vorging, ganz bestimmte Personen ansprach, hartnäckig auf sie einwirkte . Das Bezirksgericht hat selbst dazu ausgeführt, daß er die betreffenden Personen bei den jeweils sich bietenden Gelegenheiten zum Verlassen der Deutschen Demokratischen Republik aufforderte.“ Diese Ausführungen zeigen eine Verkennung der tatsächlichen Situation; aus ihnen wird deutlich, 'daß die betreffenden Richter sich der Kompliziertheit des Kampfes gegen die feindlichen Kräfte nicht voll bewußt waren. Zwar gehört zur objektiven Seite dieser Verbrechen zweifellos auch eine gewisse Planmäßigkeit; an diese darf man aber keine übertriebenen oder formalen Anforderungen stellen. Zur „Planmäßigkeit“ genügt, daß der Täter wie hier auf mehrere Personen nacheinander mit denselben Argumenten eingewirkt hat. Natürlich konnte S. nicht offen und nicht jede beliebige Person zur Republikflucht auffordern, sondern nur dann, wenn sich dazu eine günstige Gelegenheit bot, und nur solche Personen, die ihm sicher erschienen. An bewußte und gefestigte Bürger hat sich der Angeklagte niemals gewandt, und er wußte genau warum. Seine Partner, denen er alles versprach, gute Löhne, Wohnung usw., waren das ist von großer Bedeutung ungefestigte Menschen und solche, bei denen es zur Zeit der Gespräche mit dem Angeklagten gewisse Schwierigkeiten persönlicher oder familiärer Art gab. So hat der Angeklagte durchaus „ganz bestimmte Personen“ angesprochen, nämlich solche, von denen er annahm, sie würden bei dieser oder jener Gelegenheit, zu dieser oder jener Zeit seinen schmutzigen Einflüsterungen erliegen. Verfehlt wäre es dagegen und würde auch der rechtlichen Grundlage entbehren, wollte man als „bestimmte Personen“ in diesem Sinn etwa nur die Spezialisten des in Frage kommenden Gebiets, hier etwa nur Obusfahrer, anseheh. Der Senat hätte nach alledem, auch unter Berücksichtigung der vom Angeklagten bewußt betriebenen Verbreitung falscher und völlig erlogener Darstellungen über westdeutsche Verhältnisse, keine 3 vgl. Krutzsch, NJ 1957 S. 294. Zweifel am planmäßigen Vorgehen des Angeklagten hegen können, wenn er nicht an die Prüfung der Planmäßigkeit von engen und beschränkten Vorstellungen aus herangegangen wäre. Bedenklich ist auch die Feststellung des Senats, „daß nicht erwiesen ist, daß der Angeklagte aus staatsfeindlichen Motiven handelte“. Hier muß man die Frage stellen: Was hat sich der Senat unter staatsfeindlichen Motiven vorgestellt? Wie bereits oben ausgeführt, ist bei der strafbaren Verleitung zur Republikflucht auf der subjektiven Seite nur Vorsatz erforderlich, der sich, auf alle objektiven Merkmale, einschließlich der angewandten Mittel, und auf die Schädigung des sozialistischen Aufbaus erstreckt. S. hatte einen solchen Vorsatz, daraus hat er auch gegenüber den meisten Zeugen, die von ihm angesprochen worden sind, kein Hehl gemacht. Auch hinsichtlich der Betrachtung des Subjekts ist dem Senat der ernste Fehler unterlaufen, nur völlig einseitige Ausführungen über die gute Arbeit des Angeklagten in seinem Betrieb zu machen. Außer acht gelassen hat der Senat jedoch, daß der Angeklagte 1950) ein Wirtschaftsverbrechen begangen und deshalb eine mehrmonatige Gefängnisstrafe verbüßt hat. Der Senat hat auch übersehen, daß der Angeklagte zu mehreren Kolleginnen intime Beziehungen unterhielt und im Februar 1955 selbst eine Abtreibung vornahm. In diesem Zusammenhang ist es auch völlig unerklärlich, warum die Staatsanwaltschaft den S. wegen dieser' Straftat nicht angeklagt hat. Offenbar sind für den ungerechtfertigten Freispruch des Angeklagten im wesentlichen folgende Punkte maßgeblich gewesen: 1. wurde seinem Verteidigungsvorbringen gegen-' über dem objektiven Verhalten zu starkes Gewicht beigelegt, 2. wurde die Strafsache S. losgelöst von den vielfältigsten Formen feindlicher Tätigkeit betrachtet, 3. wurde die subjektive Seite des Verbrechens ungerechtfertigt überbetont. Was aber sind die ideologischen Wurzeln dieses dreifachen Fehlers? Sie gilt es aufzudecken, wenn Mängel von Grund auf beseitigt und in der Zukunft verhindert werden sollen. Zunächst muß festgestellt werden, daß im Obersten Gericht zeitweise eine Unterschätzung der mit der verstärkten Remilitarisierung und Faschisierung Westdeutschlands verbundenen Untergrundtätigkeit in der Deutschen Demokratischen Republik vorhanden war. Wenn dieser fehlerhafte Freispruch zu der Zeit erfolgen konnte, in der der konterrevolutionäre Putschversuch zur Beseitigung der Volksmacht in der Volksrepublik Ungarn den Höhepunkt faschistischer Bestialität erreicht hatte, so zeigt das, daß ein Teil der Richter des Obersten Gerichts das Neue in der politischen Lage nicht erkannt hatte, obwohl es gerade zu dieser Zeit an beachtlichen Hinweisen nicht gefehlt hat. Diese Richter ließen es an einer durch die konkrete Klassensituation und den Klassenkampf bestimmten und zielgerichteten Parteilichkeit fehlen; sie verstanden nicht, daß unsere Parteilichkeit auf das Zukünftige ausgerichtet sein muß, auf das, was am Ende eines bestimmten Prozesses steht. Wir sagen dies ganz bewußt, weil gerade in der gegenwärtigen Situation einige Juristen aus dem Westen Deutschlands und aus der Agentenzentrale der „Freiheitlichen Juristen“ in Westberlin die „Unparteilichkeit“ der westlichen Justiz auf dem Markt anpreisen. Dabei vergessen diese Herren, daß die einstmals fortschrittliche Forderung nach der Unparteilichkeit sich in eine reaktionäre Forderung verwandelt hat. Zur Zeit, als die bürgerliche Gesellschaftsordnung im Schoß des Feudalabsolutismus entstand, forderten die Theoretiker der Bourgeoisie die Dreiteilung der Gewalten im Staat, d. h. sie forderten die Unabhängigkeit des Richters. Das war nichts anderes als die Unparteilichkeit, die Unabhängigkeit vom absoluten Monarchen, der die Interessen der Feudalklasse vertrat. Das war aber schon die Parteilichkeit für die aufsteigende Bürgerklasse, die einen ökonomischen und politischen Spielraum für die Ausweitung ihrer Produktionsverhältnisse brauchte. Die „Unpartei- 616;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1957. Die Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1957 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1957 auf Seite 816. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 (NJ DDR 1957, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1957, S. 1-816).

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