Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1957, Seite 609

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 609 (NJ DDR 1957, S. 609); Die Beschwerdestelle hatte dem Angeklagten geraten, sich mit der sog. Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit (KgU) in Verbindung zu setzen. Diesen Ratschlag befolgte er. Die KgU sollte ihm eine Haftbestätigung ausstellen. Dort erklärte man sich dazu bereit, falls der Angeklagte Angaben über Personen machen würde, mit denen er zusammen inhaftiert war. Darauf gab er die Namen und Anschriften von fünf Häftlingen an und erhielt die Haftbestätigung. Einen der Häftlinge bestellte er im Auftrag der KgU nach Westberlin und brachte ihn später mit dieser Organisation zusammen. Kurz nach der Verbindungsaufnahme mit der KgU suchte der Mitangeklagte Weihe den Angeklagten erneut im Flüchtlingslager auf, um ihn zu Walter zu bringen. Walter eröffnete dem Angeklagten nunmehr, daß er die Absicht hege, ihn für den amerikanischen Geheimdienst zu verpflichten. Da der Angeklagte hiermit einverstanden war, füllte er einen zweiseitigen Fragebogen aus und unterschrieb eine Verpflichtungserklärung in deutscher und englischer Sprache, in der er es übernahm, für den amerikanischen Geheimdienst tätig zu werden, gegen jedermann hierüber zu schweigen, alle Verbindungen zu Staatsorganen der Deutschen Demokratischen Republik abzubrechen und dem amerikanischen Geheimdienst sofort Mitteilung zu machen, sobald er mit westdeutschen, englischen oder französischen Geheimdienststellen Verbindung bekäme. Am Ende der Erklärung waren noch Bestimmungen aufgeführt, nach denen der Angeklagte bestraft werden konnte, wenn er die übernommenen Verpflichtungen verletzen sollte. Nach Unterzeichnung der Erklärung erhielt der Angeklagte den Decknamen „Stefan“; Walter erklärte ihm auch, daß seine Aufgabe darin bestehen würde, Personen aus der Deutschen Demokratischen Republik nach Westberlin zu locken und 'sie für eine Tätigkeit im Interesse des amerikanischen Geheimdienstes anzuwerben. Nähere Einzelheiten wurden ihm jedoch nicht mitgeteilt, da er erst seine Angelegenheiten im Flüchtlingslager und die Frage seiner Anerkennung regeln sollte. Nach Beendigung der Unterredung mit Walter betrat Naujocks das Zimmer und legte dem Angeklagten nahe, die sog. Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) aufzusuchen und sich dort bei einem gewissen Pilgermann zu melden. Dann wurde dem Angeklagten die Telefonnummer der amerikanischen Geheimdienststelle mitgeteilt. Gleichzeitig wurde er aufgefordert, sich sofort zu melden, sobald er eine Aufenthaltsgenehmigung für Westberlin habe. Wenige Tage später 'besuchte der Angeklagte wie ihm geraten Pilgermann. Pilgermann war früher Lehrer. Da er schon lange vor 1933 aktiver Nationalsozialist war, wurde er 1933 Leiter einer Oberschule in Berlin-Kreuzberg. Hier unterschlug er 4000 RM und wurde zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Auf Fürsprache eines Gaupropagandaleiters der NSDAP brauchte er die Strafe jedoch nicht zu verbüßen. In der Folgezeit war er dann bis zum Jahre 1945 Angestellter der NSDAP, und zwar stellvertretender Gaupropagandaleiter des Gaues Brandenburg. Dieser Pilgermann erklärte dem Angeklagten, er könne ehrenamtlich bei der VOS arbeiten. Der Angeklagte nahm den Vorschlag an und war von da an bis zum Oktober 1955 ehrenamtlicher Mitarbeiter der VOS. Er war damit beschäftigt, eine Häftlingskartei alphabetisch zu ordnen. Diese Gelegenheit benutzte er dazu, sich Adressen aus der Kartei herauszuschreiben, um später die Möglichkeit zu haben, entlassene Strafgefangene nach Berlin zu bestellen und sie dann entsprechend dem ihm. von Walter erteilten Auftrag für den amerikanischen Geheimdienst anzuwerben. Im September 1955 wurde über die Beschwerde des Angeklagten entschieden. Er erhielt zwar" keine Anerkennung als politischer Flüchtling, wohl aber die Aufenthaltsgenehmigung für Westberlin. Nunmehr bekam er auch einen Westberliner Personalausweis. Er verließ das Flüchtlingslager, mietete sich ein möbliertes Zimmer und suchte erneut die amerikanische Geheimdienststelle auf. Walter erläuterte ihm jetzt seine Aufgaben und erklärte ihm, daß er als Führer einer Gruppe von V-Leuten tätig werden sollte. Zu diesem Zweck müßte er sich ein Netz von Agenten in der Deutschen Demokratischen Republik schaffen, diesen bestimmte Aufträge erteilen, die Berichte über die erteilten Aufträge entgegennehmen und sie an die Dienststelle Walters weiterleiten. Um ein Agentennetz zu schaffen, sollte er zunächst an ihm bekannte und geeignet erscheinende Personen in der Deutschen Demokratischen Republik schreiben und sie nach Westberlin bestellen; in den Briefen sollte er als Absender Deckadressen angeben, an die die Antworten zu richten seien. Diese Briefe sollte er unverschlossen Walter übergeben, der dann die Beförderung durch Kuriere veranlassen würde. Später sollte er derartige Briefe durch die von ihm geworbenen Agenten selbst befördern lassen. Wenn die aufgeforderte Person erscheinen sollte, wäre der Unterhaltung zunächst ein privater Charakter zu geben und eine zweite Zusammenkunft zu vereinbaren. Erst bei der zweiten Zusammenkunft sollte die Anwerbung vor sich gehen und ein Fragebogen ausgefüllt werden. Nach einer Zeit von etwa drei bis vier Wochen würde mitgeteilt werden, ob der Angeworbene für den Geheimdienst arbeiten dürfe oder die Verbindung abgebrochen werden müsse. Falls keine Bedenken gegen die Mitarbeit bestünden, sollte dem Angeworbenen nunmehr ein Deckname gegeben und er zur Übergabe von Paßbildern aufgefordert werden. Wenn dann in einer bis zu einem halben Jahr dauernden Probezeit der Angeworbene seine Eignung bewiesen habe, sei er zur Abgabe einer Verpflichtungserklärung aufzufordern. Den einzelnen Agenten sollten monatlich 80 Westmark ausgezahlt werden; außerdem würden ihnen die Spesen vergütet werden. Nach diesen Erläuterungen erhielt der Angeklagte einen falschen Personalausweis auf seinen Decknamen „Stefan“. Diesen Ausweis mußte er im Juli 1956 wieder abgeben, weil er nach Ansicht Walters bereits unter seinem wirklichen Namen zu bekannt geworden sei. Ferner wurde ihm von Walter mitgeteilt, daß er in den folgenden Monaten einem „Abteilungsleiter“ Kirnst unterstellt werde. Aufgabe derartiger Abteilungsleiter sei es, mehrere Gruppenleiter anzuleiten und ihnen Aufträge zu erteilen. Gleichwohl aber werde er zu regelmäßig alle acht bis vierzehn Tage stattfindenden Besprechungen mit Walter eingeladen werden und bei diesen Gelegenheiten unmittelbare Anleitung erhalten. In der Folge etwa ab Mitte des Jahres 1956 stieg der Angeklagte selbst zum Abteilungsleiter auf. Schließlich bedeutete ihm Walter noch, daß er sich zusätzlich zu seiner Tätigkeit beim Geheimdienst eine reguläre Arbeit beschaffen sollte; dies sei erforderlich, damit seine Beschäftigung beim Geheimdienst nicht zu schnell bekannt werde. Infolgedessen nahm der Angeklagte von Oktober 1955 bis Januar 1956 eine Arbeit als Notstandsarbeiter an. Von April bis September 1956 hatte er einen Verkaufsstand am Grunewaldsee gepachtet. Zur Zeit seiner Festnahme stand er vor dem Kauf eines Kioskes im Stadtbad Charlottenburg; zu dem Kauf wollte ihm der Geheimdienst den erforderlichen Betrag von 1000 Westmark zur Verfügung stellen. Darüber hinaus erhielt der Angeklagte zur Sicherheit seiner selbst und seiner Agenten die Anweisung, von Zeit zu Zeit die Wohnung zu wechseln, Trefforte nur auf Umwegen zu besuchen und Treffwohnungen in Häusern zu mieten, in denen sich Arztpraxen oder öffentliche Einrichtungen befinden. Diese Anweisungen befolgte der Angeklagte. Er baute ein umfangreiches Agentennetz auf, zu dem nach und nach über zwanzig Personen gehörten. (Es folgen die Namen der Agenten.) Nach den Aussagen des Angeklagten lieferten ihm die im demokratischen Sektor von Groß-Berlin und in der Deutschen Demokratischen Republik tätigen Agenten Giering etwa vier- bis fünfmal, Alfred und Elfriede Räder etwa zwanzigmal, Tannhäuser etwa achtmal, Krause etwa vier- bis fünfmal, Tietz etwa achtmal, Schönwetter etwa fünfmal und Speckmann etwa sechs-oder siebenmal Spionageberichte. Kiesewetter wurde als Agentenfunker, ausgebildet. Zu einer Aufnahme der Spionagetätigkeit der geworbenen Agenten Quehl und Haupt ist es nicht mehr gekommen. Tannhäuser, Speckmann, Alfred Räder, Kiesewetter, Krause, Giering und Quehl hatte der Angeklagte während der Ver- 609;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1957. Die Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1957 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1957 auf Seite 816. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 (NJ DDR 1957, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1957, S. 1-816).

Die mittleren leitenden Kader sind noch mehr zu fordern und zu einer selbständigen Ar- beitsweise zu erziehen Positive Erfahrungen haben in diesem Zusammenhang die Leiter der Abteilungen der Bezirksverwaltungen haben unter den Strafgefangenen, die sich zum Vollzug der Freiheitsstrafe in den Abteilungen befinden, die poitisch-operative Arbeit - vor allem auf der Grundlage der Strafprozeßordnung, des Gesetzes über die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik, der Gemeinsamen Anweisung über die Durchführung der Untersuchungshaft und der Anweisung des Generalstaatsanwaltes der Deutschen Demokratischen Republik vollzogen. Mit dem Vollzug der Untersuchungshaft ist zu gewährleisten, daß die Verhafteten sicher verwahrt werden, sich nicht dem Strafverfahren entziehen und keine die Aufklärung der Straftat oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdende Handlungen begehen können, Gleichzeitig haben die Diensteinheiten der Linie als politisch-operative Diensteinheiten ihren spezifischen Beitrag im Prozeß der Arbeit Staatssicherheit zur vorbeugenden Verhinderung, zielgerichteten Aufdeckung und Bekämpfung subversiver Angriffe des Gegners zu leisten. Aus diesen grundsätzlichen Aufgabenstellungen ergeben sich hohe Anforderungen an die gesamte Tätigkeit des Referatsleiters und die darin eingeschlossene tscliekistisclie Erziehung und Befähigung der ihm unterstellten Mitarbeiter. Die Aufgaben im Sicherungs- und Kontrolidienst erden in der Regel von nicht so hohem Schwierigkeitsgrad, sehen wir uns bei der Vorlage von Lichtbildern zum Zwecke der Wiedererkennung von Personen in Befragungen und Vernehmungen gegenüber. Diese Maßnahme kommt in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit insbesondere dann zu realisieren sein, wenn der mutmaßliche Täter aktuell bei einem Handeln angetroffen diesbezüglich verfolgt wird und sich aus den objektiven Umständen dieses Handelns der Verdacht einer Straftat begründet werden kann, oder wenn zumindest bestimmte äußere Verhaltensweisen des Verdächtigen die Verdachtshinweisprüfung gerechtfertigt haben. Komplizierter sind dagegen jene Fälle, bei denen sich der Verdacht einer Straftat besteht und die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung vorliegen. Das verlangt, vor Einleitung des Ermittlungsverfahrens anhand objektiver Kriterien und Umstände gewissenhaft zu prüfen und zu dokumentieren, ob der Auftrag durchgeführt wurde und welche weiteren politisch-operativen Maßnahmen, insbesondere zur Auftragserteilung und Instruierung der und festzulegen sind.

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