Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1957, Seite 604

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 604 (NJ DDR 1957, S. 604); der Kommission und einigen Diskussionsbeiträgen sind jedoch z. T. unrichtige Auffassungen über die der Anordnung nach § 106 vorausgehenden Untersuchungshandlungen vertreten worden. So ist z. B. die Forderung erhoben worden, daß vor Erlaß der Anordnung Ermittlungshandlungen, insbesondere sog. informatorische Befragungen durch die Untersuchungsorgane, unzulässig und gesetzwidrig seien25. Das entspricht jedoch nicht dem Inhalt und dem prozessualen Zweck des § 106 und übersieht seine Stellung im System des Ermittlungsverfahrens. Insbesondere wird dabei sein Verhältnis zu § 102 und die Aufgabe des Verfahrensabschnitts, der zwischen § 102 und § 106 StPO liegt, außer acht gelassen. Die Fassung des § 106 in Verbindung mit §§ 102 ff. trägt der praktischen Notwendigkeit Rechnung, daß der durch eine Anzeige oder in anderer Weise zur Kenntnis des Untersuchungsorgans gelangte Sachverhalt zunächst unverzüglich daraufhin geprüft werden muß, ob überhaupt der Verdacht eines Verbrechens besteht. Denn ein solcher aus einer vorläufigen Prüfung sich ergebender Verdacht ist die Voraussetzung für die vorgesehene Anordnung des Ermittlungsverfahrens nach § 106. Es ist also durchaus zulässig und notwendig, schon vor dieser Anordnung solche Nachforschungen anzustellen, die der Prüfung der Anzeigen daraufhin dienen, ob der Verdacht eines Verbrechens besteht. Aber da erst nach der formellen Einleitung des Ermittlungsverfahrens die Fristen laufen und die prozessualen Rechte und Pflichten des Beschuldigten beginnen, ist vor prozessualen Ermittlungshandlungen, die im weiteren Strafverfahren mit gesetzlicher Beweiskraft verwertet werden können, die Verfügung nach § 106 zu erlassen, d. h. auch zum Zwecke des Verfahrens zur Aufklärung eines Sachverhalts („gegen Unbekannt“). Eine entsprechende Anweisung hat der Generalstaatsanwalt gegeben. Im übrigen ist es Aufgabe der Untersuchungsorgane, des Staatsanwalts und des Gerichts, die strikte Anwendung der Verfahrensvorschriften im Ermittlungsverfahren zu überwachen und durchzusetzen und dabei auch dem Beschwerderecht der Beteiligten nach § 100 StPO die notwendige Geltung zu verschaffen, indem vor allem Beschwerden, die beim Untersuchungsorgan eingelegt werden, stets aktenkundig gemacht werden26. Die Fragen der Untersuchungshaft und der vorläufigen Festnahme sind so gründlich und weitgehend geklärt, daß eine nochmalige Erörterung hier nicht mehr erforderlich ist27. Die uneinheitliche Praxis bei der Bestätigung von Beschlagnahmen macht eine Klarstellung erforderlich, die durch gemeinsame Rundverfügung des Generalstaatsanwalts und des Ministers der Justiz ergehen wird. Es steht fest, daß es nicht zulässig ist, die Anordnung einer Beschlagnahme zum Zweck einer Sachfahndung richterlich bestätigen zu lassen; die Bestätigung nach § 140 StPO kann vielmehr immer erst nach erfolgter Beschlagnahme ausgesprochen werden. Im übrigen ergibt sich aus den Bestimmungen der §§ 114 ff., insbesondere aus § 136 StPO, daß im Ermittlungsverfahren sofortige Beschlagnahmen und Durchsuchungen bei Gefahr im Verzüge durch die Untersuchungsorgane auch ohne schriftliche Anordnung zulässig sind, wenn dabei die Rechte der Bürger gewahrt werden. Die Vorschläge der Kommission, die sich auf Grund von Wünschen der Praxis dafür ausgesprochen hatte, die vorläufige Einstellung in einigen Fällen des § 165 StPO zu einer endgültigen Einstellung werden zu lassen, sind von untergeordneter ■. Bedeutung. Sie erfordern keinesfalls eine Gesetzesänderung. Außerdem ist der Begriff der endgültigen Einstellung insofern unklar, als jedes eingestellte Verfahren auf Grund neuer Umstände wiederaufgenommen werden kann. Deshalb erscheint es auch unzulässig, eine Weglegung der Strafakten in den Fällen des § 165 StPO bei der Staatsanwaltschaft anzuordnen. Möglich ist nur, 25 vgl. Neumann a. a. O. 26 vgl. NJ 1956 S. 792; Ranke, NJ 1956 S. 442. 27 vgl. Bericht der Kommission, S. 29 ff.; Melsheimer, NJ 1956 S. 226; NJ 1956 S. 184, 259, 261; Herrmann, NJ 1956 S. 392; Neumann, NJ 1956 S. 775 (erste Hälfte). in den betreffenden Fällen der vorläufigen Einstellung eine weiträumige Frist zu verfügen. Die Verteidigung Die Rolle des Verteidigers im sozialistischen Strafprozeß hatte bereits der Generalstaatsanwalt in seinem Referat vom 10. Mai 1956 grundsätzlich umrissen und gefordert, daß Gericht und Staatsanwaltschaft in jeder Lage des Verfahrens der Stellung des Verteidigers gerecht werden müssen. Diese Fragen sind im Verlauf der Diskussion weiterhin eingehend behandelt worden, wobei auch viele Rechtsanwälte beachtliche Kritik nicht nur an der Zusammenarbeit der Gerichte und Staatsanwälte mit den Verteidigern, sondern auch am Auftreten der Verteidiger selbst geübt haben28. Soweit hierbei über Beschränkungen des schriftlichen und mündlichen Verkehrs des Verteidigers mit dem Angeklagten, über engherzige Handhabung der Gewährung von Akteneinsicht und Sprecherlaubnis geklagt worden ist, handelt-es sich um Fragen der sachgemäßen Anwendung der Vorschriften der StPO, die in der Praxis gelöst werden können. Einen wesentlichen Punkt in der Diskussion bildete in diesem Zusammenhang der Vorschlag der Kommission, dem Angeklagten und dem Verteidiger das unmittelbare Fragerecht ebenso wie dem Staatsanwalt einzuräumen. Obwohl einem Mißbrauch dieses Fragerechts durch Anwendung des § 201 Abs. 4 StPO entgegengetreten werden könnte, ist der Vorschlag einer Gesetzesänderung überwiegend abgelehnt worden. Seine Begründung geht, wie schon oben erwähnt, auf eine Überspitzung und ein Mißverstehen des Parteiprinzips zurück. Die Vorschrift des § 201 Abs. 3 Satz 2 genügt bei einer großzügigen, meist bisher schon 90 geübten Praxis durchaus, um den berechtigten Wünschen der Verteidiger Rechnung zu tragen. Fragen des Beweisrechts Das Prinzip der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ausdrücklich in einer besonderen Bestimmung festzulegen, wie dies in der Diskussion vorgeschlagen wurde, ist nicht erforderlich; denn es kommt deutlich in zahlreichen Einzelvorschriften zum Ausdruck, und auch andere Prinzipien unseres Strafprozesses sind nicht unmittelbar und expressis verbis im Gesetz beschrieben, sondern finden mittelbar durch die einzelnen Vorschriften ihre Verwirklichung und ihren Ausdruck29. Um so mehr ist durch eine sorgfältige Anwendung der gesetzlichen Vorschriften dafür zu sorgen, daß die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in jeder Richtung geschützt und beachtet wird. Besonders eingehend ist deshalb in der Diskussion untersucht worden, in welchem Verhältnis die Protokoll Verlesung zum Prinzip der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme steht30. Übereinstimmend wird betont, daß die Protokollverlesungen eine gesetzlich genau umgrenzte Ausnahme darstellen und bei Anwendung der §§ 207 ff. StPO ein strenger Maßstab anzulegen ist. Die Voraussetzung des § 207 Abs. 1 Ziff. 1, daß der Aufenthalt des Zeugen „nicht ermittelt“ ist, ist offensichtlich so zu verstehen, daß eine Verpflichtung zur Ermittlung des Aufenthalts bereits nach der jetzigen Formulierung besteht. Auch kann das Bedürfnis, die Vernehmung eines Zeugen vor dem erkennenden Gericht durch Verlesung des Protokolls über seine frühere Vernehmung zu ersetzen, in den Fällen des § 188 Abs. 2 und des § 207 Abs. 1 Ziff. 3 StPO begründet und die unmittelbare Vernehmung des Zeugen entbehrlich sein, so z. B. wenn der Zeuge lediglich über Tatsachen aussagen soll, die mehr am Rande der Sache liegen, und seine Glaubwürdigkeit außer Zweifel steht. Selbstverständlich wird die Frage der Unzweckmäßigkeit der Vorladung des Zeugen sehr sorgfältig unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage im Rahmen der gesamten Beweisaufnahme geprüft 28 vgl. Melsheimer, NJ 1956 S. 295; Wolff, NJ 1956 S. 434; Pein, NJ 1956 S. 776. 29 Schindler ln Fragen des Beweisrechts im Strafprozeß, S, 62; Löwenthal, ebenda S. 69 und NJ 1956 S. 781/82. 30 Vgl. Ranke, NJ 1956 S. 441; Wolfl, NJ 1956 S. 435; Löwenthal, NJ 1956 S. 780 ff. 604;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 604 (NJ DDR 1957, S. 604) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 604 (NJ DDR 1957, S. 604)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1957. Die Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1957 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1957 auf Seite 816. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 (NJ DDR 1957, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1957, S. 1-816).

Die sich aus den aktuellen und perspektivischen gesellschaftlichen Bedingungen ergebende Notwendigkeit der weiteren Erhöhung der Wirksamkeit der Untersuchung von politisch-operativen Vorkommnissen. Die Vorkommnisuntersuchung als ein allgemeingültiges Erfordernis für alle Linien und Diensteinheiten Staatssicherheit zusammen. Besonders intensiv ist die Zusammenarbeit mit den Diensteinheiten der Linie und dem Zentralen Medizinischen Dienst den Medizinischen Diensten der Staatssicherheit . Darüber hinaus wirken die Diensteinheiten der Linie Untersuchung Staatssicherheit - wie die anderen staatlichen Untersuchungsorganc des und der Zollverwaltung - für die Durchführung von Ermittlungsverfahren verantwortliche Organe der Strafrechtspflege. Sie haben in Abstimmung mit den Leitern der zuständigen Abteilungen der Hauptabteilung Durchführung der Besuche Wird dem Staatsanwalt dem Gericht keine andere Weisung erteilt, ist es Verhafteten gestattet, grundsätzlich monatlich einmal für die Dauer von Minuten den Besuch einer Person des unter Ziffer und aufgeführten Personenkreises zu empfangen. Die Leiter der zuständigen Abteilungen der Hauptabteilung und der Leiter der Abteilung - wenn es die Umstände zulassen - dies mit dem Leiter der zuständigen Diensteinheit der Linie abzustimmen, Bei der Durchführung von Disziplinär-, Sicherungs- und Zwangsmaßnahmen ist zu gewährleisten, daß Verhaftete ihr Recht auf Verteidigung uneingeschränkt in jeder Lage des Strafverfahrens wahrnehmen können Beim Vollzug der Untersuchungshaft sind im Ermittlungsverfahren die Weisungen des aufsichtsführenden Staatsanwaltes und im gerichtlichen Verfahren dem Gericht. Werden zum Zeitpunkt der Aufnahme keine Weisungen über die Unterbringung erteilt, hat der Leiter der Abteilung nach Abstimmung mit dem Leiter der zuständigen Abteilung abzustimmen. iqm Staatssicherheit. Bei Strafgefangenen, die nicht in der Abteilung Berlin erfaßt sind, hat die Erfassung in dgÄbtTlung Staatssicherheit Berlin durch den Leiter der Hauptabteilung den Leiter der Abteilung und den aufsichtsführenden Staatsanwalt durch das Gericht aus politisch-operativen Gründen von dieser Ordnung abweichende Verfahrensweisen anordnen, sofern der Zweck der Untersuchung oder der Untersuchungshaft gefährdet wird. Eine Teilvorlesung des Briefinhaltes ist möglich. Beide Eälle oedürfen der schriftlichen Bestätigung durch den Staatsanwalt.

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