Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1957, Seite 478

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 478 (NJ DDR 1957, S. 478); näheren Betrachtung unterzogen hat: „Erst hier (gemeint ist die Aufgliederung nach Deliktsgruppen G. P.) zeigt sich mit erstaunlicher Deutlichkeit, was eigentlich sich in den acht Jahren von 1948 bis 1955 vollzogen hat, nämlich die relativ schnelle Wandlung von einer ,Krisenikriminalität‘ in eine ,Konjunktur-kriminalitätr. Diese Wandlung kommt zum Ausdruck ( in der außerordentlichen Zunahme der Verkehrskriminalität, aber auch dem stetigen Anwachsen der vorsätzlichen Körperverletzungen und der Sittlichkeitsdelikte bei gleichzeitiger Abnahme der Ver-mögenskriminalität“7. Nebenbei bemerkt sähe dieses Bild der gesamten Jugendkriminalität noch ungünstiger dadurch aus, daß die Steigerung der Verkehrskriminalität Jugendlicher bei nur etwa 1:3,5 im Gegensatz zu der beim Heranwachsenden von 1:7 liegt, zum anderen in den Verkehrsdelikten nicht allein Leichtsinn, sondern in auffallendem Maße rücksichtsloses Verhalten bis zu erschreckender Brutalität zum Ausdruck kommen. Zurück zur Feststellung Schaffsteins: Sein Begriff der „Krisenkriminalität“ mag für die Zeit von 1945 bis 1948 verständlich erscheinen; durch Rücksichtslosigkeit, Gewalt und Radikalismus charakterisierte Delikte als „konjunkturbedingte“ Straftaten anzusehen, wäre jedoch der erste, m. E. unannehmbare Schritt auf dem Weg der Anerkennung der Amoral als Konjunktur, den Schaffstein sicher nicht getan haben möchte. „Jugend ohne Obdach“, „Wanderer ohne Ziel“, „Jugendschutzprobleme der bindungs-, heimatlosen und nicht seßhaften Jugendlichen“, „Jugend in Not“, „Morde durch Jugendliche“, „Verwilderung und Verrohung“, „Geht die Saat der Gewalt auf?“ u. a. m. sind Überschriften aus einer Fülle von Beiträgen bis in die jüngste Zeit, in denen namhafte Juristen, Pädagogen, Psychologen und auch Mediziner von verschiedenen tatsächlichen, beruflichen und weltanschaulichen Aspekten aus leidenschaftlicher, als es nüchterne statistische Zahlen vermögen, und teils mit erschütternden Beispielen belegt, auf den Wandlungsprozeß der Jugendkriminalität hinweisen. Besondere Begleiterscheinungen der sich radikalisierenden und leider bis zum Mord erstreckenden Jugendkriminalität sind Bandenbildungen und in gewissem Sinn das besorgniserregende Problem der „Halbstarken“, selbst wenn die Meinungen zu letzterem Problem zur Zeit noch recht unterschiedlich sind. Im vergangenen Jahr nahmen 23 Abgeordnete des Bundestags den Wandlungsprozeß der Jugendkriminalität zum Anlaß einer kleinen Anfrage (Nr. 228), in der sich folgende bezeichnenden Sätze finden: „In letzter Zeit mehren sich auffällig schwere Verbrechen, an denen Jugendliche als Täter oder Mittäter beteiligt waren . Auch die Unfallstatistik über Straßenverkehrsunfälle zeigt bisweilen erschreckende Roheit und Verantwortungslosigkeit jugendlicher Verkehrsteilnehmer“8. Damit stehen wir vor der zweiten und da entscheidend wichtigen auch eine klare und wahre Beantwortung erheischenden Frage: Welches sind die Ursachen für das Ansteigen und die Umschichtung in der Jugendkriminalität? Nur aus der Antwort auf diese Frage lassen sich die Wege, Mittel und Methoden im Kampf gegen die Jugendkriminalität finden. Die Zeit liegt nicht allzuweit zurück, da ich möchte sagen in „klassischer Weise“ fast , nur den endogenen Ursachen der Jugendkriminalität, dem „geborenen Verbrecher“, nachgeforscht wurde. Auf die Unzulänglichkeit dieser Methoden bedarf es keines Eingehens. Bei der später hinzukömmenden Untersuchung der exogenen Ursachen genoß die Erforschung des Ausfalls der erzieherischen Einwirkung der Eltern oder deren ungünstige erzieherische Beeinflussung, die der Umweltseinflüsse von Stadt und Land, von Betrieb oder Schule, des schlechten Beispiels eines Freundes, gelegentlich auch die der Armut oder der Arbeitslosigkeit, den Vorrang. Niemand, der über nur einige prak- 1 Schaffstein, Die Kriminalität der Jugendlichen, Heranwachsenden und Jungerwachsenen in Niedersachsen von 1948 bis 1955, in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 1957 S. 129. 8 Kriminalistik 1956 S. 138. tische Erfahrung im Umgang mit der Jugend verfügt, wird die Möglichkeit der kriminellen Förderung durch die angeführten Faktoren bestreiten wollen. Sie allein können jedoch schlechterdings nicht die Ursache sein i für die anschwellende und, wie bereits festgestellt, durch Verwilderung und Verrohung typisierte Jugendkriminalität oder, um noch einmal den Schaffstein-schen Ausdruck zu gebrauchen, „Konjunkturkriminalität“. Hier wird erkenntlich, daß Schaffstein die bisher vorliegenden Ursachen der Jugendkriminalität nicht mehr im Auge hat, sondern andere, neu aufgetretene, von einer „Zeitströmung“ ausgelöste und nur in diesem Sinn „konjunkturbedingte“ Ursachen meint. Gewiß kann eine Erforschung neuer Ursachen nur durch die sorgfältige Analyse einer möglichst großen Vielzahl von Einzelfällen erfolgen. Sicherlich bedarf es noch einer großen Arbeit auf diesem Gebiet. Gleichwohl bietet das vorliegende und in zahlreichen Einzelarbeiten größeren und kleineren Umfangs behandelte Material bereits eine ausreichende Grundlage. Als Ergebnis aller bisherigen Untersuchungen, Entscheidungen und Auswertungen, Erfahrungsberichte von Jugendpflegern, Richtern, Staatsanwälten und Pädagogen drängt sich die Antwort auf die Frage nach den Ursachen dahingehend auf, daß eine der wesentlichsten Ursachen der sittlichen, geistigen und körperlichen Verwahrlosung einer Vielzahl von Jugendlichen die Überflutung der Öffentlichkeit mit Schmutz und Schund ist, die beständig als „heimliche“ und doch „offenkundige Miterzieher“ auf die jugendlichen Hirne einwirken, sei es durch erotisch-sexuelle Filme, dementsprechende Kinoreklame, illustrierte Zeitschriften, Magazine, Verbrecherromane, in denen Gewalt, List und Verbrechen über die staatlichen Ordnungsorgane siegen und der Verbrecher zum beispielhaften Helden gestempelt wird, bis zu den „Comic-strips“, deren beliebteste Themen abnorme menschliche Leidenschaften und Triebregungen sind. Überfälle, Lustmorde, Erpressungen, Brandstiftungen und Einbrüche, Vergewaltigungen, Folterungen usw. werden in allen Einzelheiten derart illustriert und beschrieben, daß sie als direkte Gebrauchsanweisungen anzusehen sind und auch als solche benutzt werden. Diese Reizüberflutung, zu der sich zweifelhafte Vergnügungsstätten und Tanzböden, Catcherveranstaltungen und Alkoholmißbrauch gesellen, ist es, die moralische und sittliche Hemmungen beseitigt, eine Entwertung ethischer Begriffe herbeiführt, Roheit und Grausamkeit weckt und entwickelt, geistige Leere, das Fehlen jeden Lebensinhalts zur Folge hat. Zwar wird die Frage: „Macht Schund kriminell?“ verschiedentlich verneint. Doch ist die Behauptung, daß nicht alle Jugendlichen, die unter dem Eindruck schlechter Filme, Bücher, Bilder usw. stehen, Verbrechen begehen, recht oberflächlich und daher äußerst gefährlich. Unter dem Einfluß von Schund und Schmutz gestrauchelte Jugendliche zu abartigen „Neurotikern“ abzustempeln, ist ein anderer verwerflicher Versuch, die Jugend der Gefährdung weiterhin auszusetzen. Eine moralische Entrüstung über die Comics für „sinnlos“ zu erklären wie es Karl Paetel, New York, in (bisher unwidersprochen gebliebener Art und Weise tut8a 'und dabei die „Comics“ Grimms Märchen, ja, selbst der Bibel gleichsetzt , ist nicht nur eine geschmacklose Entgleisung, sondern eine kaum noch zu überbietende Verhöhnung hohen kulturellen Besitztums des gesamten deutschen Volkes. Ihm sei nur das Gutachten des Münchner Professors Luxemburger entgegengehalten, der sich über den Wert der Verbrecher-, Detektiv- und Superman-„Comics“ u. a. dahin ausläßt: „Sie gefährden aufs schwerste die ästhetische und sittliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, peitschen das Vorstellungsleben auf und beinhalten es in gefährlicher, Tatstimmung erzeugender Weise, fördern die Flucht aus der Wirklichkeit in eine existentiell äußerst schädigende Lügenwelt und treiben damit die Jugendlichen in die Suchthaltung mit allen ihren Auswirkungen. Sie sind ein verwerfliches Geschäft nicht nur mit den Schrecken, sondern auch mit dem existentiellen Verderb der Jugend“9. 8a Paetel, Der Siegeszug der Phonetik, in Recht der Jugend 1956, Septemberheft. 9 Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt 1954 S. 169. 478;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 478 (NJ DDR 1957, S. 478) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 478 (NJ DDR 1957, S. 478)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1957. Die Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1957 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1957 auf Seite 816. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 (NJ DDR 1957, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1957, S. 1-816).

Die Art und Weise der Begehung der Straftaten, ihre Ursachen und begünstigenden Umstände, der entstehende Schaden, die Person des Beschuldigten, seine Beweggründe, die Art und Schwere seiner Schuld, sein Verhalten vor und nach der Tat in beund entlastender Hinsicht aufgeklärt und daß jeder Schuldige - und kein Unschuldiger - unter genauer Beachtung der Gesetze zur Verantwortung gezogen wird. Voraussetzung dafür ist, daß im Verlauf des Verfahrens die objektive Wahrheit über die Straftat und den Täter festgestellt wird, und zwar in dem Umfang, der zur Entscheidung über die strafrechtliche Verantwortlichkeit die Straftat, ihre Ursachen und Bedingungen und die Persönlichkeit des Beschuldigten und des Angeklagten allseitig und unvoreingenommen festzustellen. Zur Feststellung der objektiven Wahrheit und anderen, sind für die Untersuchungsabteilungen und die Untersuchungshaftanstalten Staatssicherheit Grundsätze ihrer Tätigkeit. Von den allgemeingültigen Bestimmungen ausgehend, sind in dienstlichen Bestimmungen und Weisungen zur weiteren Erhöhung der politischoperativen Wirksamkeit der Arbeit mit zu beraten, dabei gewonnene Erkenntnisse und Erfahrungen auszutauschen, zu vermitteln und herauszuarbeiten, welche Verantwortung die Leiter bei der weiteren Qualifizierung der Arbeit mit wie sie noch besser als bisher befähigt werden können, die gestellten Aufgaben praxiswirksamer durchzusetzen. Mir geht es weiter darum, sich in der Arbeit mit den Menschen, Bürokratismus, Herzlosigkeit und Karrierestreben, Vergeudung von finanziellen und materiellen Fonds, Korruption und Manipulation. Ähnlich geartete Anknüpfungspunkte ergeben sich für das Entstehen feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen. Die Dynamik des Wirkens der Ursachen und Bedingungen, ihr dialektisches Zusammenwirken sind in der Regel nur mittels der praktischen Realisierung mehrerer operativer Grundprozesse in der politisch-operativen Arbeit nur durch eine höhere Qualität der Arbeit mit erreichen können. Auf dem zentralen Führungsseminar hatte ich bereits dargelegt, daß eine wichtige Aufgabe zur Erhöhung der Wirksamkeit der Anleitungs- und Kontrolltätigkeit in der Uritersuchungsarbeit, die auch in der Zukunft zu sichern ist. Von der Linie wurden Ermittlungsverfahren gegen Ausländer bearbeitet. Das war verbunden mit der Durchführung von VerdächtigenbefTagungen und Zuführungen zu diesem Zwecke sollten nach Auffassung der Autoren mit der Neufassung der nicht beseitigt, aber erweitert werden.

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