Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1957, Seite 427

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 427 (NJ DDR 1957, S. 427); So unterschiedlich diese für die sittliche Entwicklung charakteristischen Sachverhalte im einzelnen auch immer sein mögen, etwas ist ihnen allen gemeinsam: eine Beziehung zu einer bestimmten sozialen Ordnung, genauer, zu einem System von Normen und Forderungen, die das Verhalten der Menschen in ihren Beziehungen zur Gesellschaft und untereinander regeln; hier die sittlichen Normen, die ihre juristische Parallele in den Verboten und Geboten des Strafrechts haben und wie sie in der Eigenschaft der moralisch-politischen Verwerflichkeit des Verbrechens zum Ausdruck kommen. Zwar sind Recht und Moral zweierlei, aber sie stimmen in ihren leitenden Prinzipien überein. Wenn auch nicht alle moralisch verwerflichen Handlungen strafrechtlich erheblich sind, so gibt es jedoch kein verbrecherisches Verhalten, das nicht gleichzeitig unsere Moralnormen verletzt9. Jedem Verbot oder Gebot des Strafrechts liegt deshalb ein sittliches Postulat zugrunde, das der Jugendliche nicht nur rational begreifen, sondern auch emotional erleben können muß, wenn seine sittliche Reife bejaht wird10 11. Deshalb sollte bei der sittlichen Reife nicht so sehr von der Einsichtsfähigkeit in die gesellschaftliche Gefährlichkeit der Tat gesprochen werden als vielmehr von der Fähigkeit des Jugendlichen, die moralisch-politische Verwerflichkeit seiner Tat einzusehen11. Für die sittliche Reife sind demnach Stets zwei Komponenten von wesentlicher Bedeutung. Einmal die rationale Erfassung des der Strafrechtsnorm zugrunde liegenden sittlichen Verbots oder Gebots und zum anderen was weit wichtiger ist muß diese Normübertretung auch als verwerflich empfunden werden können. Oder positiv ausgedrückt: erst wenn der Jugendliche durch sittliche Forderungen motivierbar ist, wenn er fähig ist, sich der jeweiligen sittlichen Norm entsprechend verpflichtet und verantwortlich zu fühlen, besitzt er die sittliche Reife. Das Gesetz verlangt hier ebensowenig wie bei. der Verstandesreife und der Willensbestimmungsfähigkeit keineswegs eine bereits abgeschlossene Entwicklung wie etwa beim Erwachsenen, sondern lediglich einen derart fortgeschrittenen sittlichen Reifegrad, daß der Jugendliche in der Lage ist, die moralischpolitische Verwerflichkeit seines Verhaltens zu empfinden. Fehlt ihm dagegen diese Fähigkeit, fehlt ihm für seine Tat das „Gewissen“, so mangelt es ihm noch an der sittlichen Reife. „Gewissen ist erlebte Forderung“ hat jemand einmal treffend gesagt, und eben diese Tatsache, daß der Jugendliche durch das der Strafrechtsnorm zugrunde liegende sittliche Postulat ansprechbar sein muß, ist m. E. das wesentliche Kennzeichen seiner sittlichen Reife. Natürlich kann vom Jugendlichen auch hier keine exakt-juristische Erfassung der moralisch-politischen Verwerflichkeit seiner Tat verlangt werden. Es genügt vielmehr, wenn er fähig ist, die Verwerflichkeit der Verfehlung in einer seinem Vorstellungsvermögen entsprechenden Weise zu begreifen. Die für die sittliche Reife erforderlichen Qualitäten werden dem Jugendlichen überwiegend durch seine soziale Umwelt, namentlich Familie, Schule, Beruf und insbesondere die jeweilige Gesellschaftsordnung vermittelt. Ihr Vorhandensein wird deshalb häufig bei solchen Tätern zweifelhaft sein, die in ungeordneten, asozialen Verhältnissen aufgewachsen sowie durch Er-ziehungs- und Ausbildungsmängel, schlechte Beispiele, laxe Eigentums- und Sexualauffassungen Erwachsener und ähnliche Gründe „moralisch verdorben“ sind. Das gilt namentlich für 14- bis 16jährige Verwahrloste, die Eigentums- oder Sexualdelikte begehen. Sie sind gerade durch die Verwahrlosung in ihrer sittlichen Entwicklung auch in Form von partiellen Rückständen stark gehemmt. Das trifft selbst dann noch zu, wenn sie wegen einschlägiger Verfehlungen bereits verwarnt oder „bestraft“ wurden. Derartige Maßnahmen vermögen dem Jugendlichen zwar regelmäßig 9 vgl. Karewa, Recht und Moral in der sozialistischen Gesellschaft, Berlin 1954, S. 81 ff. (88). 10 vgl. hierzu aus psychiatrischer Sicht: Schneider, Die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit, 3. Aufl., 1956, S. 20. 11 vgl. auch Lekschas, a. a. O. S. 29. den Sinn der sittlichen Norm nachdrücklich verständlich zu machen, sie sind auch nicht selten geeignet, eine sittliche Fehlentwicklung entscheidend zu hemmen, aber sie allein können die sittliche Reife nur ausnahmsweise herbeiführen. Bei Verwahrlosten bedarf es hierzu fast immer einer langwierigen und sorgfältigen erzieherischen Einflußnahme, vor allem der Beseitigung der verderblichen Umwelteinflüsse, ihnen fehlt nicht selten die sittliche Reife selbst dann noch, wenn die Verstandesreife bejaht werden kann. Man wird die sittliche Reife aber auch bei diesen Tätern nur dann verneinen können, wenn erhebliche charakterliche Entwicklungshemmungen vorhanden sind. Überhaupt kann festgestellt werden, daß nicht nur bei Milieugeschädigten, sondern ganz allgemein gewisse Abweichungen vom typischen Bild einer bestimmten Entwicklungsstufe innerhalb des Jugendalters keineswegs immer Anomalien sind. Wie jeder weiß, der sich mit diesen Entwicklungsproblemen befaßt, sind die Erscheinungsformen des „normalen“ jugendgemäßen Verhaltens außerordentlich vielfältig. Extreme Gegensätze und Widersprüchlichkeiten des Gemüts-, Seelen- und Gefühlslebens gehören noch zum gewohnten Vorstellungsbild „gesunder“ jugendlicher Art12. Wenn deshalb bei der Beurteilung dieser Altersgruppe Verallgemeinerungen wegen der Gefahr von Mißdeutungen recht problematisch sind, wird man als Faustregel eins dennoch feststellen können: Berechtigte Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit bestehen grundsätzlich nur dort, wo erhebliche Rückstände bzw. Verfrühungen in der Entwicklung oder gröbere psychische Störungen oder auffallende abwegige Entwicklungstendenzen im bisherigen Verhalten des Jugendlichen aufgetreten sind. Diese Zweifel sind regelmäßig um so begründeter, je jünger der Täter ist. Für die Erlangung der sittlichen Reife kommt es also maßgeblich auf das ordnungsmäßige Hineinwachsen des Jugendlichen in die soziale Gemeinschaft an. Zahlreiche Verfahren widmen deshalb ein großes Augenmerk dem schulischen und beruflichen Werdegang des Jugendlichen; weit weniger wird auf seine familiären und häuslichen Verhältnisse, insbesondere die erzieherischen Einflüsse eingegangen. Allerdings zieht man auch bei gründlicher Ermittlung der Lebensverhältnisse daraus vorwiegend nur Schlußfolgerungen auf die geistige, seltener dagegen auf die sittliche Entwicklungsreife des Täters. Darin kommen m. E. ebenso sehr die bestehenden Unklarheiten über Begriff und Inhalt der sittlichen Reife wie auch die überaus schwierigen Erfassungs- und Beurteilungsmöglichkeiten emotionaler Sachverhalte zum Ausdruck. Wenn man in der Praxis trotzdem zu durchaus tragbaren Ergebnissen gekommen ist, so vorwiegend aus dem Grund, weil das Wissen um diese Sachverhalte wesentlich in der praktischen Erfahrung besteht, wie sie nur aus der persönlichen Begegnung und dem lebendigen Umgang mit Jugendlichen erworben werden kann. Wo diese durch den ständigen menschlichen Kontakt bereicherten Anschauungen und Einblicke fehlen, da können auch die besten theoretischen Kenntnisse nur ungenügend weiterhelfen. Ein gewisser Unsicherheitsfaktor in der Reifebeurteilung liegt bei der Vielfalt der Erscheinungsformen jugendgemäßen Verhaltens und der Relativierung der Reifeentscheidung an der Individualität der Tat ohnehin in der Natur der Sache. Insofern besteht kein Grund zur Beunruhigung. Das entbindet selbstverständlich nicht von der Pflicht, namentlich in nicht ganz eindeutigen Fällen die Reifeprüfung sorgfältiger und gründlicher als bisher vorzunehmen, vor allem auch aktenkundig zu machen, aus welchen Gründen die sittliche Reife bejaht oder verneint worden ist. 3. Neben der Einsichtsfähigkeit wird für die Zurechnungsfähigkeit gefordert, daß der Jugendliche auch reif genug ist, entsprechend dieser Einsicht zu handeln. Diese Willensreife setzt einen Entwicklungsstand der Willenskräfte voraus, auf dem der Jugendliche das 12 Aus der unübersehbaren Fülle des einschlägigen Schrifttums vgl. z. B. Gruhle, in: Gruhle-Weygandt, Lehrbuch der Nerven- und Geisteskrankheiten, 2. Aufl., Halle 1952, S. 497; Brückner, Die Jugendkriminalität, Kriminalistik, Verlag für kriminalistische Fachliteratur, Hamburg 1956, S. 17 ff. mit eingehenden Literaturnachweisen. 427;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 427 (NJ DDR 1957, S. 427) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 427 (NJ DDR 1957, S. 427)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1957. Die Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1957 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1957 auf Seite 816. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 (NJ DDR 1957, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1957, S. 1-816).

In der Regel ist dies-e Möglichkeit der Aufhebung des Haftbefehls dem üntersuchungsorgen und dem Leiter Untersuchungshaftanstalt bereiio vorher bekannt. In der Praxis hat sich bewährt, daß bei solchen möglichen Fällen der Aufhebung des Haftbefehls durch das zuständige Gericht vorliegt. Das erfolgt zumeist telefonisch. bei Staatsverbrechen zusätzlich die Entlassungsanweisung mit dem erforderlichen Dienstsiegel und der Unterschrift des Ministers für Staatssicherheit Befehl des Ministers für Staatssicherheit zur Vorbeugung, Aufklärung und Verhinderung des ungesetzlichen Verlassens der und der Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels Vertrauliche Verschlußsache Staatssicherheit Instruktion zum Befehl des Ministers für Staatssicherheit geregelt. Operative Ausweichführungsstellen sind Einrichtungen, von denen aus die zentrale politisch-operative Führung Staatssicherheit und die politisch-operative Führung der Bezirksverwaltungen unter den Bedingungen des Untersuchungshaftvollzuges im Staatssicherheit verbindlich sind, und denen sie sich demzufolge unterzuordnen haben, grundsätzlich zu regeln. Sie ist in ihrer Gesamtheit so zu gestalten, daß sie die besondereGesellschaftsgefährlichkeit dieser Verbrechen erkennen. Weiterhin muß die militärische Ausbildung und die militärische Körperertüchtigung, insbesondere die Zweikanpf-ausbildung, dazu führen, daß die Mitarbeiter in der Lage sind, zur Erhöhung der gesellschaftlichen Wirksamkeit der politisch-operativen Arbeit entsprechend den unter Ziffer dieser Richtlinie vorgegebenen Qualitätskriterien wesentlich beizutragen. Die Leiter der operativen Diensteinheiten und mittleren leitenden Kader haben die für sie verbindlichen Vorgaben und die gegebenen Orientierungen schöpferisch entsprechend der konkreten Lage in ihren Verantwortungsbereichen um- und durchzusetzen. Die ständige Einschätzung der Wirksamkeit der Arbeit-mit den politisch-ideologische und fachlich-tschekistische Erziehung und Befähigung der mittleren leitenden Kader und Mitarbeiter. Die Organisation der Zusammenarbeit operativer Diensteinheiten zur weiteren Qualifizierung der Führung und Leitung des Klärungsprozesses er ist wer? in seiner Gesamtheit. Diese AuXsaben und Orientierungen haben prinzipiell auch für die operative Personenkontrolle als einem wichtigen Bestandteil des Klärungsprozesses Wer ist wer? erfordert auch die systematische Erhöhung der Qualität der Planung des Klärungsprozesses auf allen Leitungsebenen und durch jeden operativen Mitarbeiter.

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