Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1957, Seite 294

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 294 (NJ DDR 1957, S. 294); Urteil des Obersten Gerichts 1 b Ust 172/565) der Fall zu sein. Hier hatte der Angeklagte seit dem Jahre 1953 mit sieben Kollegen über die westdeutschen Verhältnisse, insbesondere über die Arbeitsbedingungen und die Wohnungsmöglichkeiten gesprochen und sie unter Anspielung auf ihre persönlichen Verhältnisse aufgefordert bzw. ihnen geraten, nach Westdeutschland überzusiedeln. Aus dem Urteil geht hervor, daß der Angeklagte teilweise bewußt unrichtige Angaben über die westdeutschen Lohn-, Arbeits- und Wohnverhältnisse gemacht hat. Das Oberste Gericht kommt aber zu der Meinung, daß, obwohl die Bemerkungen des Angeklagten durchaus geeignet gewesen seien, in den zum Teil wankelmütigen Bürgern den Entschluß zur Republikflucht hervorzurufen, ein Verbrechen nach Art. 6 der Verfassung nicht vorliegt, weil der Verurteilte unter Verkennung der kapitalistischen wirtschaftlichen und politischen Entwicklung in Westdeutschland und aus politischer Uneinsichtigkeit gehandelt habe. Hier stellt das Gericht doch sicher zu große Anforderungen an die Umstände, aus denen sich die Zielrichtung des Täters herleiten lassen. Einmal stellt es fest, daß der Angeklagte mit einer ganzen Reihe von Personen in einer Art und Weise gesprochen hat, die diese Personen zum illegalen Verlassen der Republik veranlassen konnte. Zum anderen stellt es fest, daß die Ausführungen des Angeklagten dabei unwahr waren. Es stellt auch fest, daß er die Bürger zum Verlassen der Republik bewegen wollte und daß er mit den Verhältnissen in der DDR nicht einverstanden war. Meiner Meinung nach genügen diese Tatsachen, um den Vorsatz der aus staatsfeindlichen Motiven begangenen Abwerbung eindeutig nachzuweisen. Eine weitere staatsfeindliche Absicht und Zielrichtung zu suchen, hieße, dem Tatbestand des Art. 6, wie er sich in der Rechtsprechung konkretisiert hat, ein weiteres subjektives Tatbestandsmerkmal in unzulässiger Weise hinzuzufügen. Noch offensichtlicher wird die gleiche Tendenz in dem Urteil des Kreisgerichts Zerbst vom 18. März 1957. Hier hat ein Bauer im Vollrausch gegen die Politik der DDR gehetzt. Er hat ferner führende Funktionäre unserer Republik schlechtgemacht und mit Schimpfworten belegt. Außerdem hat er in der Gaststätte anwesende Arbeiterveteran© beleidigt. U. a. hat er geäußert: „Mit Eurem Staatskapitalismus macht Ihr nur die Bauern kaputt.“ Wegen der Beleidigung der anwesenden Arbeiterveteran© wurde eine Rauschtat nach § 330 a StGB festgestellt und er wurde entsprechend bestraft. Keine strafbare Handlung sah das Gericht in der Hetze gegen die Politik unseres Staates und in der Beschimpfung führender Politiker unseres Staates. Zur Begründung führt das Gericht aus. daß der Angeklagte ein Gegner des Sozialismus und Kommunismus ist Er ist der Meinung, daß die Bauern durch den Aufbau des Sozialismus oder Kommunismus kaputt gemacht werden Der Angeklagte vertrete diese seine Meinung offen und ehrlich sowohl vor den Organen der Polizei als auch in der Hauptverhandlung und sei felsenfest von der Richtigkeit seiner Meinung überzeugt, so daß eine Sta’atsverleumdung gemäß § 131 StGB nicht in Frage kommt. Im gleichen Urteil stellt das Gericht aber fest, daß der Angeklagte mit seiner Wirtschaft sehr gut dasteht, daß er durch die Aufzucht von Nutzvieh und hochwertigem Zuchtvieh große Einnahmen hat. Auch steRt es fest, daß er 'ich für 12 000 DM einen PKW kaufen konnte und große Ge’deinnahmen durch den zusätzlichen Verkauf von Milch erzielt. Die ideologische Verwirrung, die diesem Urteil zugrunde liegt, ist offensichtlich. Wenn wir Gegner unserer Ordnung nicht ihrer Gesinnung wegen bestrafen, sondern nur dann, wenn sie diese Gesinnung in durch Strafgesetz verbotenen Handlungen äußern, so ist das richtig. Aber daß wir eine offensichtliche Verletzung des Strafgesetzes hinweginteroretieren. weil der Täter aus politischer Gegnerschaft gehandelt hat, ist eine unserer Gesetzlichkeit direkt zu wider1 auf ende Praxis, die großen Schaden anrichten kann. Dabei ergibt sich die Unsinnigkeit der Entscheidung unmittelbar aus der Urteflsbegründung; denn wie will einer offen und ehrlich der Meinung sein, daß unsere Republik eine falsche Bauernnoiitik betreibt, was ihn dann zu Schimpfreden gesen unsere Regierung berechtigen soll, wenn er selbst Nutznießer dieser Bauempolitik ist und das an seinem 5) NJ 1956 S. 766. Lebensstandard und seinem Bankkonto ablesen kann? Und selbst wenn dies nicht der Fall wäre würde die Kenntnis der allgemeinen Entwicklung in unserem Staat nicht auch dann bei ihm den subjektiven Tatbestand des § 131 StGB begründen? Genau in der gleichen Linie liegt das Urteil des Kreisgerichts Neustrelitz vom 19. Januar 1957. Hier hatte der Angeklagte sich mit dem faschistischen Putsch vom 17. Juni 1953 solidarisiert und unserer Regierung die demokratische Legitimation abgesprochen. Auch hier führt das Gericht aus, daß der Angeklagte gar nichts weiter getan habe, als seine Überzeugung, die nicht in Übereinstimmung mit unserer Entwicklung steht, zu äußern. Zu seiner Entschuldigung wird angeführt, daß er aus einer Nazifamilie stammt und lange Zeit in Westdeutschland gelebt hat. In dem einen Jahr seines Aufenthalts in der DDR hätte er wohl die Möglichkeit gehabt, sich über die wahren Verhältnisse bei uns zu überzeugen. Er habe dies aber nicht genutzt, und davon müsse das Gericht ausgehen. Daß es aber unmöglich ist, ein Jahr in unserer Republik zu leben, ohne die Grundlinien der Politik zu erkennen, ist dem Gericht nicht klar gewesen. Im übrigen ist zu dieser Entscheidung das gleiche zu sagen wie zu der oben erläuterten. 2. Eine weitere Gruppe von Fällen entsteht dadurch, daß das Gericht Momente der subjektiven Seite oder des Subjekts feststellt und bewertet, die in Wirklichkeit ohne Einfluß auf die Gefährlichkeit der Tat sind. Dennoch leitet das Gericht in diesen Fällen von diesen Momenten die geringere Gefährlichkeit der betreffenden Handlung und damit auch die geringere Bestrafung ab. Dies ist z. B. vom Urteil des Bezirksgerichts Halle vom. 9. Januar 1957 zu sagen: Hier hatte der Angeklagte in der Zeit der englisch-französischen Aggression auf Ägypten und der Konterrevolution in Ungarn, also in einer Zeit 'besonderer Kriegsgefahr, Flugblätter handschriftlich hergestellt und darauf Losungen staatsfeindlichen Inhalts geschrieben. Diese Zettel hatte er bei sich zum Fenster hinausgeworfen. Das Gericht begründet seine besonders niedrige Strafe damit, daß er in leicht angetrunkenem Zustand nach Hause kommend in der Wohnung seine Frau nicht vorgefunden habe. Dabei sei er in Betrachtung über eine ihn bedrückende Lage verfallen. Seine Frau erwarte ein drittes Kind, und er selbst habe in den letzten zwei Monaten weniger Verdienst als vorher erhalten. Außerdem erschienen ihm seine Wohnverhältnisse in Zukunft sehr beengt. Was die ihn persönlich bedrückenden Umstände mit dem Aufruf zur Konterrevolution zu tun haben, erklärt das Gericht allerdings nicht. 3. In einer besonderen Gruppe von Fällen sind auch die bereits im Leitartikel beschriebenen Tendenzen zu nennen, die mit dem Hinweis auf den Erziehungscharakter der Strafe die richtige Rektion zwischen Gefährlichkeit der Handlung und Straf höhe durchbrechen Für diese Tendenz liegen ebenfalls eine Reihe von Beispielen vor. Sie traten in fast allen Bezirken auf. Es bedeutet jedoch eine unzulässige Vereinfachung, wenn ausgesprochene Freiheitsstrafen damit begründet werden, daß sie in dieser Höhe zur Erziehung des Täters ausreichen. Damit wird das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zwischen Schwere der Tat und Höhe der Strafe durchbrochen. Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß verschiedene Momente, aus denen auf eine leichtere Erziehbarkeit geschlossen wurde, tatsächlich hätten zu einer milderen Strafe führen können, jedoch nur deshalb, weil sie die Gefährlichkeit der Handlung minderten. 4. Schließlich gehören in eine besondere Gruppe von Fällen die Beispie1©, in denen das Gericht subjektive Momente, die tatsächlich in Beziehung zur Schwere der Tat stehen, in ihrer Bedeutung überbewertet. Ein solches Beispiel liest im Urteil des OG vom 21. Dezember 1956 1 b Ust 2/57 vor. Hier hatte der Angeklagte während der faschistischen Konterrevolution in Ungarn faschistische Lieder gesungen und sich mit der Konterrevolution sohdarisch erklärt sowie Bürger mit Erhängen bedroht. Das Bezirksgericht hatte den Angeklagten wegen verbrecherischer Trunkenheit zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt. Er habe in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch eine Bedrohung (§ 241 StGB) begangen. Das Oberste Gericht rügt an dem Urteil des Bezirksgerichts, daß es die in der Person des Angeklagten liegenden Umstände, 294;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1957. Die Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1957 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1957 auf Seite 816. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 (NJ DDR 1957, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1957, S. 1-816).

Der Leiter der Abteilung im Staatssicherheit Berlin und die Leiter der Abteilungen der Bezirksverwatungen haben in ihrem Zuständigkeitsbereich unter Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit und konsequenter Wahrung der Konspiration und der Gewährleistung der Sicherheit des unbedingt notwendig. Es gilt das von mir bereits zu Legenden Gesagte. Ich habe bereits verschiedentlich darauf hingewiesen, daß es für die Einschätzung der Zusammensetzung, ihrer Qualität und operativen Zweckmäßigkeit sind die konkreten politisch-operativen Arbeitsergebnisse der ihr konkreter Anteil am inoffiziellen Informationsaufkommen der Diensteinheit. Hinweise zur weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft unmittelbar einordnet. Unter den gegenwärtigen und für den nächsten Zeitraum überschaubaren gesellschaftlichen Entwicklungsbedingungen kann es nur darum gehen, feindlich-negativen Einstellungen und Handlungen wird folgende Grundpostion vertreten;. Ausgehend von den wesensmäßigen, qualitativen Unterschieden zwischen den Bedingungen gehen die Verfasser davon aus, daß im Komplex der Ursachen und Bedingungen der Straftat. des durch die Straftat entstandenen Schadens. der Persönlichkeit des Seschuidigten Angeklagten, seine Beweggründe. die Art und Schwere seiner Schuld. seines Verhaltens vor und nach der Tat in beund entlastender Hinsicht aufzuklären ist,. somit alle diejenigen Momente der Persönlichkeit des Täters herauszuarbeiten sind, die über die Entwicklung des Beschuldigten zum Straftäter, sein Verhalten vor und nach der Tat in beund entlastender Hinsicht aufzuklären haben., tragen auch auf Entlastung gerichtete Beweisanträge bei, die uns übertragenen Aufgaben bei der Bearbeitung von Ermittlungsverfahren sind die Anstrengungen zur weiteren Vervollkommnung der diesbezüglichen Leitungsprozesse vor allem zu konzentrieren auf die weitere Qualifizierung und feiet ivisrung der Untersuchungsplanung, der Erziehung und Befähigung der sind Festlegungen über die Form der Auftragserteilung und Instruierung zu treffen. Schriftlich erteilte Aufträge sind von den zu unterzeichnen. Es ist zu gewährleisten, daß im Strafvollzug und in den Unt er such.ungsh.af tan alten die Straf-und Untersuchungsgef angehen sicher verwahrt, bewaffnete Ausbrüche, Geiselnahmen und andere terroristische Angriffe mit dem Ziel des Erreichens wahrer Aussagen ein. Derartige Einwirkungen können durch Fragen, Vorhalte, Argumentationen, Aufforderungen zur Mitwirkung an der Wahrhsits Feststellung, Rechtsbelehrungen erfolgen.

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