Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1957, Seite 219

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 219 (NJ DDR 1957, S. 219); gehen. Danach war die Frist, innerhalb der sich der Angeklagte zu bewähren hatte, am 1. Januar 1955 beendet. Zu diesem Zeitpunkt hätte das Kreisgericht W., da es die Strafaussetzung nicht schon während der Bewährungszeit nach der zweiten rechtskräftigen Verurteilung gemäß § 347 Abs. 1 StPO widerrufen hatte, ohne besonderen Antrag des Staatsanwalts gemäß § 347 Abs. 2 StPO darüber befinden müssen, ob die Strafe durch Beschluß zu erlassen oder ihre Vollstreckung anzuordnen war. Dies hat das Kreisgericht jedoch nicht getan, sondern die Akten bis zu dem Antrag des Staatsanwalts vom 12. September 1956 also über ein und ein halbes Jahr unbearbeitet gelassen. Die Anordnung der Strafvollstreckung so lange Zeit nach dem Ablauf der Bewährungszeit widerspricht den Grundsätzen des demokratischen Strafprozesses. In § 1 Abs. 2 StPO heißt es, daß die Strafprozeßordnung die „schnelle und gerechte Bestrafung der Schuldigen“ sichert. Dieser Zweck kann im vorliegenden Fall durch die Anordnung der Vollstreckung nicht mehr erreicht werden; mit ihr würde im Gegenteil ein ungünstiger Einfluß auf den Verurteilten ausgeübt, der ein Recht darauf hatte, daß nach dem Ablauf der Bewährungszeit sofort die Vollstreckung der Strafe angeordnet werden würde, falls das Gericht der Annahme war, daß sich der Verurteilte innerhalb der festgesetzten Frist nicht bewährt habe. Das Gesetz selbst schreibt zwar nicht ausdrücklich eine besondere Frist vor, in der gemäß § 347 Abs. 2 StPO die Vollstreckung angeordnet werden kann; jedoch ergibt sich aus dem das gesamte Strafverfahrensrecht der Deutschen Demokratischen Republik durchziehenden Grundsatz der zeitlichen Konzentration des Strafverfahrens, daß die Bestimmung des § 347 Abs. 2 StPO „nach Ablauf der Bewährungszeit wird .“ nur die Bedeutung haben kann, daß derartige Beschlüsse unverzüglich nach Ablauf der Frist ergehen müssen. Aus diesem Grunde müssen die Gerichte die Fristen kontrollieren, damit sie in der Lage sind, rechtzeitig die für die Entscheidung nach § 347 Abs. 2 StPO erforderlichen Unterlagen beizuziehen. Ergeht ein Beschluß nach § 347 Abs. 2 StPO nicht unverzüglich nach Ablauf der Bewährungszeit, so kann er nur den Erlaß der Strafe zum Inhalt haben. Eine andere Entscheidung würde dem in § 1 StPO beschriebenen Zweck der Strafprozeßordnung widersprechen und unvereinbar mit der in § 2 StPO festgelegten erzieherischen Aufgabe des Strafverfahrens sein. Schließlich würde auch die Gefahr bestehen, daß das Verhalten des Verurteilten nach Ablauf der Bewährungszeit bei der Entscheidung mitberücksichtigt wird. Dies aber wäre eine gesetzwidrige Verlängerung der festgesetzten Bewährungszeit. § 2 des Gesetzes betr. die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft vom 14. Juli 1904 (RGBl. S. 321). Voraussetzungen der Zuerkennung eines Entschädigungsanspruchs für unschuldig erlittene Untersuchungshaft. OG, Urt. vom 22. Februar 1957 - 2 Zst II 17/57. Das Bezirksgericht hatte den Angeklagten M. am 16. März 1956 von der Anklage, ein Wirtschaftsverbrechen begangen zu haben, freigesprochen (§ 221 Ziflt. 1 StPO). Den Antrag des M. auf Zuerkennung eines Anspruchs auf Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft hat es am 9. Mai 1956 durch Beschluß abgelehnt. Der Kassationsantrag des Generalstaatsanwalts, der sich gegen diesen Beschluß richtet, hatte Erfolg. Aus den Gründen: Das Bezirksgericht stellt in dem freisprechenden Urteil fest, M. habe zwar die Armierung des Fundaments für die Kugelmühle nicht ordnungsgemäß vorgenommen, dies sei aber nicht ursächlich für den eingetretenen Schaden und die Gefährdung der Durchführung der Wirtschaftsplanung gewesen. Es hat M. freigesprochen, weil der festgestellte Sachverhalt weder ein Verbrechen noch eine Übertretung ist (§ 221 Ziff. 1 StPO), also wegen erwiesener Unschuld. Wenn der Angeklagte wegen erwiesener Unschuld freigesprochen wird, besteht nach dem Gesetz betreffend die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft vom 14. Juli 1904 (RGBl. S. 321) die Verpflichtung des Gerichts, darüber zu entscheiden, ob dem Freigesprochenen ein Anspruch auf Entschädigung zusteht (§ 4 Abs. 1 des Gesetzes). Das Bezirksgericht hat die Zuerkennung eines Anspruchs mit folgender Begründung abgelehnt: „Trotz dieses Freispruchs kann M. für die erlittene Untersuchungshaft jedoch keine Entschädigung fordern, da er durch seine vorsätzlich falsche Arbeitsweise am Kugelmühlenfundament seine Festnahme selbst verschuldete.“ Hieraus ist erkennbar, daß das Bezirksgericht angenommen hat, der Anspruch sei aus den Gründen des § 2 Abs. 1 des Gesetzes von 1904 nicht zuzubilligen. Danach ist aber der Anspruch' nur ausgeschlossen, wenn der Verhaftete die Untersuchungshaft vorsätzlich herbeigeführt oder durch grobe Fahrlässigkeit verschuldet hat. Das ist z. B. dann der Fall, wenn der Beschuldigte sich fälschlich eines so schweren Verbrechens bezichtigt, daß der Fluchtverdacht gesetzlich begründet ist, wenn er alle Hinweise unterläßt, einen gegen ihn bestehenden Verdacht zu zerstreuen, wenn er Vorbereitungen getroffen hat, die darauf schließen lassen, daß er sich der Strafverfolgung durch eine Flucht entziehen will, wenn er Anstalten gemacht hat, Zeugen zu beeinflussen bzw. Sachbeweise zu beseitigen oder in ähnlicher Weise tätig geworden ist. Bei der Entscheidung über die Anerkennung eines Entschädigungsanspruchs sind jedoch Umstände, die allein den Tatverdacht begründet haben, nicht zu berücksichtigen. Mit der Entscheidung über den Anspruch ist nicht zu prüfen, ob die Anordnung der Untersuchungshaft zum Zeitpunkt des Haftbefehls gerechtfertigt war. Auch in Fällen, in denen sie durchaus notwendig war, um Störungen der Ermittlungstätigkeit oder eine etwaige Flucht von vornherein auszuschließen,' ist der Anspruch zuzuerkennen, wenn der Beschuldigte nichts unternommen hat, was geeignet erschien, die Inhaftnahme oder Fortdauer der Haft zu veranlassen (vgl. auch Urteil des OG in NJ 1956 S. 770 ff.). Die Zuerkennung eines Entschädigungsanspruchs könnte auch aus den Gründen des Abs. 2 des § 2 des Gesetzes von 1904 ausgeschlossen sein, wenn das zwar nicht strafbare Verhalten des M. eine grobe Unredlichkeit oder Unsittlichkeit in sich geschlossen hätte. Auch das ist hier nicht der Fall. M. hat eine Anweisung seines Vorgesetzten W. befolgt; dies kann nicht als „grobe Unredlichkeit oder Unsittlichkeit“ betrachtet werden. Da W. als verantwortlicher Steiger den M. anwies, die Arbeit an dem Fundament ’ entgegen den sonstigen Gepflogenheiten vorzunehmen, so wäre für eventuelle Schäden am Fundament nicht M., sondern W. verantwortlich gewesen. Selbst wenn M. Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit der Anweisung hatte, konnte er sie im Hinblick auf die größere Sachkenntnis seines Vorgesetzten zurückstellen. Tatsächlich war im vorliegenden Fall, wie die Hauptverhandlung ergeben hat, auch nicht die Armierung ursächlich für das Zerbröckeln des Fundaments, sondern die Verwendung von Zementkalk anstelle von Zement. ■ Ein Ausschluß des Anspruchs ist auch nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes von 1904 nicht gerechtfertigt, da dessen Voraussetzungen (Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, Polizeiaufsicht usw.) ebenfalls nicht vorliegen. Die Ablehnung des Anspruchs auf Entschädigung ist, unter Beachtung der dargelegten Umstände, weder aus Abs. 1 noch Abs. 2, noch Abs. 3 des § 2 des Gesetzes von 1904 möglich. Das Bezirksgericht hätte M. daher den Anspruch zuerkennen müssen. ■ Im übrigen ist noch darauf hinzuweisen, daß das Bezirksgericht die Entscheidung über den Entschädigungsanspruch ungebührlich verzögert hat. Nach § 4 Abs. 1 des Gesetzes, betreffend Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft, ist über einen Anspruch gleichzeitig mit dem freisprechenden Urteil durch besonderen Beschluß zu entscheiden. Das betrifft nicht nur die Zuerkennung, sondern auch die Ablehnung eines - derartigen Anspruchs. Die Entscheidung des Gerichts hängt nicht von einem Antrag des Freigesprochenen ab. Wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung vorliegen, muß sie ausgesprochen werden, da sonst die Tatsache der Entschädigung von der Kenntnis des Freigesprochenen abhängen würde, daß er einen Anspruch geltend machen kann. Dadurch würden Personen, die ohne Rechtskenntnisse sind oder nicht von einem Rechtskundigen beraten werden, unzulässig benachteiligt werden. 219;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 219 (NJ DDR 1957, S. 219) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 219 (NJ DDR 1957, S. 219)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1957. Die Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1957 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1957 auf Seite 816. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 (NJ DDR 1957, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1957, S. 1-816).

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