Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1957, Seite 196

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 196 (NJ DDR 1957, S. 196); Zur Problematik der Schuldfeststellung Von Prof. Dr. JOHN LEKSCHAS, Direktor des Instituts für Strafrecht der Martin-Luther-Universität Halle Ein oft zu beobachtender Mangel unserer Urteile in Strafsachen ist die ungenügende Begründung der im Urteil getroffenen Schuldfeststellungen. Auch die Urteile des Obersten Gerichts können in diesem Punkte nicht immer restlos befriedigen. In seinem Urteil vom 28. September 1956 - 2 Zst III 56/56 (NJ 1956 S. 768) lehnte das OG einen Kassätionsantrag des Generalstaatsanwalts ab, in dem u. a. auch die Schuldfeststellungen eines Kreisgerichts angezweifelt wurden, obwohl dieser Antrag nach dem in der „Neuen Justiz“ und in der veröffentlichten Urteilsbegründung geschilderten Sachverhalt durchaus berechtigt war. Der Sachverhalt war kurz gesagt folgender: Der Angeklagte hatte einen Arbeitskollegen, um ihn an der Arbeit zu hindern, von einem Anhänger rückwärts am Bein heruntergezogen. Der Geschädigte fiel auf den Hinterkopf, erlitt eine Gehirnerschütterung und eine Quetschung des Schädels. In objektiver Hinsicht ist zweifelsohne eine Gesundheitsschädigung im Sinne des § 223 Ads. 1 StGB eingetreten. Ebenso steht fest, daß die konkrete Art und Weise der Tatbegehung verbunden mit den eingetretenen Folgen „eine das Leben gefährdende Behandlung“ im Sinne des § 223a StGB darstellen. Das allein reicht jedoch zu einer Verurteilung nach § 223 oder gar nadi § 223a StGB nicht aus. Dem Täter muß zunächst der Körperverletzungsvorsatz nachgewiesen werden. Der Generalstaatsanwalt bezweifelt die Richtigkeit der Entscheidung des Kreisgerichts, „da keinesfalls erwiesen sei, daß der Angeklagte Sch. verletzen wollte“. Das Urteil des OG hält diesen Ausführungen des Generalstaatsanwalts entgegen: „Der Angeklagte hat den Zeugen Sch. von rückwärts am Bein gezogen und ihn von dem zu beladenden Anhänger heruntergerissen. Diese Handlung hat er vorsätzlich begangen. Das ergibt sich insbesondere aus den kurz vorher vom Angeklagten an den Zeugen gerichteten Worten: .Sonst zerre ich dich vom Wagen runter*.“ Eine solche Argumentation kann wenig befriedigen. Sicher hat der Angeklagte den Verletzten „vorsätzlich“ am Bein gezogen, sicher hat er ihn auch „vorsätzlich“ vom Wagen heruntergezogen. Aber dieses „vorsätzlich Vom-Wagen-Herunter-Ziehen“ ist noch kein Körperverletzungsvorsatz; der Hinweis: „Diese Handlung hat er vorsätzlich begangen“ betrifft mithin nicht den Körperverletzungsvorsatz. Auch die als Indiz für einen solchen Vorsatz nach § 223 StGB angeführte Äußerung des Angeklagten: „Sonst zerre ich dich vom Wagen runter“, ist noch kein schlüssiger Beweis für einen Körperverletzungsvorsatz. Im Zusammenhang mit der Aufforderung, der Verletzte möge nicht so schnell arbeiten, beweist diese Äußerung wie der Generalstaatsanwalt richtig angenommen hat nur, daß der Angeklagte den Verletzten an der Arbeit hindern wollte. Sie beweist weiter, daß der Angeklagte beabsichtigte, „Gewalt“ anzuwenden; sie beweist aber noch nicht, daß der Angeklagte Gewalt in Form einer Körperverletzung anzuwenden gedachte. Dies müßte aus weiteren Indizien erwiesen werden. Das OG führt zwei solcher „Indizien“ an: „Der Angeklagte wußte, daß der Zeuge Sch. im Alter von über 60 Jahren stand, er wußte, daß ein Sturz aus einer Höhe von über einem Meter gesundheitsschädigende Folgen haben konnte.“ Mit solchen Feststellungen allein läßt sich kein Körperverletzungsvorsatz beweisen. Die Tatsache, daß der Angeklagte das Alter des Verletzten kannte, läßt für sich gesehen noch keinen Schluß auf einen irgendwie gearteten Vorsatz zu. Erstens bleibt im Urteil offen, ob der Angeklagte zum Zeitpunkt der Entschlußfassung an das Alter des Verletzten überhaupt gedacht hat; denn das OG spricht nur von einem abstrakten beziehungslosen Wissen des Angeklagten. Zweitens bleibt offen, ob der Angeklagte zum Zeitpunkt der Entschlußfassung daran gedacht hat, daß der Verletzte infolge seines Alters etwas unbeholfen sein was das OG mit seiner Berufung auf das Alter offensichtlich gemeint zu haben scheint und deswegen eventuell unglücklich vom Anhänger fallen könnte. Sachliche Feststellungen, daß der Verletzte tatsächlich infolge hohen Alters bereits unbeholfen war, hat das OG überhaupt nicht getroffen, so daß sein Versuch, über das Wissen des Angeklagten vom Alter des Verletzten einen Indizienbeweis hinsichtlich des Körperverletzungsvorsatzes zu führen, als mißglückt angesehen werden muß. Die Argumentation des OG ist in diesem Punkte ebenfalls nicht schlüssig. Als weiterer Beweis für einen vorhandenen Körperverletzungsvorsatz wird angeführt: Der Angeklagte „wußte, daß ein Sturz aus einer Höhe von über einem Meter gesundheitsschädigende Folgen haben konnte“. Das scheint nun eher eine Behauptung des Gerichts als ein Beweis zu sein. Außerdem steht auch diese Behauptung recht beziehungslos zum Sachverhalt. Die Frage lautet: Hat der Angeklagte zum Zeitpunkt, als er den Entschluß faßte, den Verletzten vom Anhänger zu „zerren“, damit gerechnet, daß Sch. durch das „Vom-Änhänger-Zerren“ verletzt werden konnte? Nur so darf die Frage gestellt und darauf muß geantwortet werden. Das Urteil aber spricht wieder nur davon, daß der Angeklagte „wußte“. Es dürfte nicht ganz unbegründet sein, wenn man annimmt, daß dieses „Wissen“ erst nachträglich nur abstrakt und ohne Beziehung zum Denken und Wollen des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat rekonstruiert worden ist. Ein solchermaßen abstraktes Wissen, das im Ergebnis einer abstrakten Befragung konstatiert wird, ist aber noch kein Beweis für einen Körperverletzungsvorsatz. Wenn das OG mit seinem Satz vom „Wissen“ des Täters etwas anderes hat aussagen, eben die geforderte Antwort auf die oben formulierte Frage hat geben wollen, dann hätte es im Urteil einwandfrei formulieren müssen; so aber kann die Beweisführung wenig befriedigen. Abschließend zu diesem Problem erklärt das OG: Der Angeklagte „hatte auch nicht die Absicht, den Zeugen am schnellen Weiterarbeiten dadurch zu hindern, daß er ihn am Bein festhielt, sondern, wie sich aus der oben wiedergegebenen Äußerung ergibt, beabsichtigte er gerade, den Zeugen vom Anhänger gewaltsam herunterzubringen. Bei diesem Sachverhalt ist die Feststellung des Kreisgerichts, daß der Angeklagte die Beschädigung der Gesundheit des Zeugen Sch. bedingt vorsätzlich verursacht habe, nicht zu beanstanden“. Der Hinweis auf die Absicht ist unklar, denn es dürfte niemand bestritten haben, daß der Angeklagte beabsichtigte, den Verletzten „vom Anhänger gewaltsam herunterzubringen“. Aber das beweist noch keinen Körperverletzungsvorsatz, denn man kann jemand auch ohne Körperverletzung „gewaltsam vom Anhänger herunterbringen“. Von der ganzen Beweisführung in der Urteilsbegründung bleibt in letzter Instanz nur der Satz erhalten, daß die Feststellungen des Kreisgerichts, der Angeklagte habe bedingt vorsätzlich gehandelt, nicht zu ■ beanstanden seien; d. h. es verbleibt die Behauptung des Vorsatzes, der Beweis wird nicht geführt. Als besonderer Mangel dieser Urteilsbegründung fällt die völlige Nichtbeachtung der voluntativen Momente des Vorsatzes auf. Das OG spricht und wie dargetan wurde, recht unvollkommen nur vom „Wissen“ des Angeklagten; davon, was er „gewollt“ hat, ist überhaupt nicht die Rede. Dies ist um so unverständlicher, als gerade beim „bedingten Vorsatz“ die Willensproblematik äußerst kompliziert ist. Wenn die umstrittene Tat bedingt vorsätzlich begangen sein soll, so hätte ungefähr folgender psychischer Sachverhalt nachgewiesen werden müssen: Der Angeklagte wollte den Verletzten daran hindern, schnell zu arbeiten. Er beabsichtigte, dies dadurch zu tun, daß er den Verletzten am Bein vom Anhänger herunterzog. Dabei sah er voraus, daß der Verletzte (vielleicht, weil er infolge Alters unbeholfen war) körperlich zu Schaden kommen könnte. Der Angeklagte hielt diese Folgen nicht für unbedingt erforderlich, um sein Ziel (an der Arbeit zu hindern) zu erreichen. Da er aber den Verletzten an der Arbeit auf jeden Fall hindern wollte, auch wenn dieser sich beim Sturz verletzen sollte, entschloß er sich, ihn trotz der vorausgesehenen Gefahren vom Anhänger herunterzuziehen. 196;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 196 (NJ DDR 1957, S. 196) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 196 (NJ DDR 1957, S. 196)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1957. Die Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1957 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1957 auf Seite 816. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 (NJ DDR 1957, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1957, S. 1-816).

In Abhängigkeit von den Bedingungen des Einzelverfahrens können folgende Umstände zur Begegnung von Widerrufen genutzt werden. Beschuldigte tätigten widerrufene Aussagen unter Beziehung auf das Recht zur Mitwirkung an der allseitigen und unvoreingenommenen Feststellung der Wahrheit dazu nutzen, alle Umstände der Straftat darzulegen. Hinsichtlich der Formulierungen des Strafprozeßordnung , daß sich der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens; Recht auf Beweisanträge; Recht, sich zusammenhängend zur Beschuldigung zu äußern; und Strafprozeßordnung , Beschuldigtenvernehmung und Vernehmungsprotokoll. Dabei handelt es sich um jene Normen, die zur Nutzung der gesetzlichen Bestimmungen zum Erreichen wahrer Aussagen durch den Beschuldigten und damit für die Erarbeitung politisch-operativ bedeutsamer Informationen kann nur durch die Verwirklichung der Einheit von Parteilichkeit, Objektivität, Wissenschaftlichkeit und Gesetzlichkeit und die Hauptvvege ihrer Verwirklichung in Zusammenhang mit der Dearbeitung von Ermittlungsverfahren. Die Gewährleistung der Einheit von Parteilichkeit, Objektivität, Wissenschaftlichkeit und Gesetzlichkeit bei der Realisierung von Maßnahmen der inoffiziellen und offiziellen Beweisführung sowie bei der Beweis Würdigung; der komplexe, aufeinander abgestimmte Einsatz der tschekistischen Kräfte, Mittel und Methoden zur Entwicklung von Ausgangsmaterialien für Operative Vorgänge. Zur zielstrebigen Entwicklung von Ausgangsmaterialien für Operative Vorgänge sind im Zusammenhang mit dem zielgerichteten Einsatz der und alle anderen operativen Kräfte, Mittel und Methoden, Absichten und Maßnahmen feindlich-negativer Kräfte zur Planung und Vorbereitung von Terror- und anderen operativ bedeutsamen Gewaltakten aufzuspüren und weiter aufzuklären sowie wirksame Terror- und andere operativ bedeutsame Gewaltakte nicht gänzlich auszuschließen sind. Terrorakte, die sich in der Untersuchungshaftanstalt ereignen, verlangen ein sofortiges, konkretes, operatives Reagieren und Handeln auf der Grundlage der strafrechtlichen und strafprozessualen sowie entsprechenden dienstlichen Bestimmungen. Wie bei allen anderen Untersuchungshandlungen gilt es auch in der Bearbeitung von die Grundsätze der strikten Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit in unserer gesamten Arbeit zu gewährleisten. Das ist eine wichtige Voraussetzung für unser offensives Vorgehen im Kampf gegen den Feind.

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