Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1957, Seite 182

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 182 (NJ DDR 1957, S. 182); Fälle, in denen Zeugen von ihrer ursprünglichen Aussage abgehen. Folgt man aber den Auffassungen von Schindler, dann wird in vielen Fällen trotz derartig dringender Verdachtsgründe die Verhaftung des Täters auch dann unterbleiben, wenn erst spätere Untersuchungen seine Schuld völlig beweisen. Variieren wir das letzte Beispiel und nehmen wir an, daß der Reisende wirklich der Täter war; um Schindlers Anforderungen Genüge zu tun, müßte man zunächst feststellen, ob die tödlichen Geschosse aus der Waffe des Verdächtigten abgefeuert wurden, d. h., daß man sich von diesem während der Fahrt die Waffe ausbitten oder sie beschlagnahmen lassen müßte, um sie einer kriminaltechnischen Untersuchung zuzuführen. Bevor jedoch die Ergebnisse einer solchen Untersuchung vorliegen können, wäre der Täter bereits geflüchtet. Daran zeigt sich, wie Schindler die Voraussetzungen für den § 141 StPO überfordert. Dagegen ist ihm in seiner Forderung zuzustimmen, daß die Prüfung, ob dringende Verdachtsgründe vorliegen, auf das gründlichste zu geschehen hat, und zwar unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten, die im kon- kreten Falle zu Gebote stehen, und mit der größtmöglichen Beschleunigung. Für zutreffend halte ich auch den weiteren Hinweis von Schindler, daß es unrichtig ist, die Verdunklungsgefahr aus dem Charakter einer Straftat schechthin herzuleiten. Weil aber seine Argumentation im Zusammenhang mit Staatsverbrechen erfolgt, ist es notwendig, darauf hinzuweisen, daß die Diskussion durch seinen Artikel in eine einseitige Richtung gelenkt werden kann. Herrmann hatte über Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft geschrieben, d. h. er setzte sich allgemein damit auseinander, wann diese Voraussetzungen vorliegen und wann das nicht der Fall ist. Schindler lenkt die Diskussion lediglich auf die Fälle hin, wo nach seiner Ansicht keine Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft bestehen. Das ist insofern recht einseitig, als damit die Frage der Anordnung der Untersuchungshaft lediglich vom Standpunkt der Wahrung der Rechte des Angeklagten, nicht aber zugleich vom Standpunkt der Wahrung der Rechte der Werktätigen unter Berücksichtigung der Rechte des Angeklagten gesehen wird. Dies könnte das Thema eines weiteren Artikels sein. Aus der Praxis für die Praxis Gegen Erscheinungsformen des Liberalismus in der Justiz! Ohne die überwiegend guten Leistungen der Richter des Bezirks Halle schmälern zu wollen, muß man doch sagen, daß es auch bei uns eine Reihe von Erscheinungen gibt, die erkennen lassen, daß die von der 3. Parteikonferenz der SED beschlossenen Maßnahmen zur weiteren Festigung der Gesetzlichkeit nicht immer im Sinne einer Stärkung der sozialistischen Demokratie, sondern manchmal als „Lockerung“, als „Liberalisierung“ aufgefaßt worden sind wie dies in dem Leitartikel in NJ 1957 S. 129 dargelegt ist. Diese Erscheinungen sollen anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden. Einige Richter und Staatsanwälte haben unter strikter „Wahrung der Gesetzlichkeit“ nur die formale Tatbestandsmäßigkeit verstanden und dabei die ihr zugrunde liegenden Klassenbeziehungen und die Klassensituation in Deutschland unberücksichtigt gelassen. Dies zeigt z. B. folgender Fall: Im Kreis Dessau hatte ein Angeklagter zur Zeit des faschistischen Putsches in Ungarn in einem Lokal eine rote Fahne heruntergerissen. Er wurde, da er taubstumm war, vom Kreisgericht aus subjektiven Gründen freigesprochen. Der Protest des Staatsanwalts wurde vor der Verhandlung zweiter Instanz zurückgenommen. Der Vorsitzende des 2. Strafsenats des Bezirksgerichts fühlte sich deshalb veranlaßt, in einem Schreiben das Kreisgericht über den Tatbestand des § 135 StGB (Verletzung inländischer Hoheitszeichen) wie folgt zu belehren: „Der Freispruch in der vorliegenden Strafsache ist zwar im Ergebnis richtig; jedoch hätte er schon aus objektiven Gründen erfolgen müssen, weil die rote Fahne die Fahne der Arbeiterklasse und nicht Hoheitszeichen der DDR ist, so daß es überflüssig war, sich mit den subjektiven Gründen zu beschäftigen.“ Es ist mir nicht erfindlich, aus welchem Grunde die rote Fahne, das Symbol der Arbeiterklasse, kein um mit den Worten des § 135 StGB zu sprechen „öffentliches Zeichen der Autorität“ unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates sein sollte. Auch in der Haftpolitik zeigt sich zuweilen deutlich eine formale Betrachtungsweise. Hier hat sich mancherorts eine sog. Zweijahrestheorie herausgebildet, die entgegen dem Wortlaut des Gesetzes als bestimmend für den Erlaß eines Haftbefehls angesehen wird. Es ist deshalb in einigen Fällen, insbesondere nach erfolgter Urteilsverkündung, zu ungerechtfertigten Haftentlassungen und dadurch zur Flucht des Verurteilten bzw. des Angeklagten gekommen. Die Feststellung des 30. Plenums, daß manchmal die Ansicht geäußert würde, „daß in der DDR der Gegensatz zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie verschwinden und der Klassenkampf erlöschen würde“, findet sich ebenfalls in der Praxis unseres Bezirks bestätigt. So werden z. B. kaum noch Verfahren nach Art. 6 anhängig weil schon die Untersuchungen meist nicht auf den Nachweis eines Staatsverbrechens, sondern auf das Nichtvorliegen eines solchen gerichtet sind , und Hetzer werden nicht konsequent und schnell genug zur Verantwortung gezogen. Das Kreisgericht Querfurt hat z. B. einen Angeklagten freigesprochen, der im Zusammenhang mit den konterrevolutionären Ereignissen in Ungarn öffentlich in einer Gaststätte Mordhetze betrieben hatte. Zwar heißt es im Urteil, „daß die Äußerungen des Angeklagten ein Verbrechen im Sinne des § 241 StGB darstellen“; zur Begründung des Freispruchs der im übrigen auch vom Staatsanwalt beantragt worden ist führt das Gericht aber an, daß die Betreffenden sich durch die Äußerungen nicht bedroht fühlten! Zwei Verfahren des Kreisgerichts Bernburg sind in diesem Zusammenhang ebenfalls typisch: Im ersten Falle wurde am 20. Dezember 1956 der Fleischermeister F. wegen fortgesetzten Wirtschaftsvergehens in Tateinheit mit Steuer- und SV-Pflicht-beitragshinterziehung und wegen fortgesetzten Verstoßes gegen die Bestimmungen zum Schutze der Arbeitskraft zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis und 20 000 DM Geldstrafe verurteilt. F. hatte als Betriebsinhaber mit über 50 Beschäftigten in den Jahren von 1950 bis 1956 insgesamt 8649 kg Fleischwaren ohne Bezugsberechtigung meist an seine Arbeiter abgegeben und von 1953 bis 1956 insgesamt rund 165 000 DM Lohnsteuer, SV-Beiträge, Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer hinterzogen. Ferner hat er Jahre hindurch Überstunden seiner Arbeiter nicht genehmigen lassen. Im zweiten Falle wurde am 19. Dezember 1956 die Angeklagte P. wegen fortgesetzter Unterschlagung von Volkseigentum zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Sie hatte als SVK-Angestellte 4970 DM unterschlagen. Nach der Entdeckung ihrer Tat ging sie aus Angst vor Strafe für zwei Monate nach Westdeutschland und hat, wie das Urteil wörtlich anführt, „nach Entdeckung ihrer Tat nach ihren Kräften dazu beigetragen, den Schaden zu beheben. Sie hat sich nicht nur freiwillig wieder den Straforganen der DDR gestellt, sondern auch fast die Hälfte des entnommenen Betrages zurückerstattet, und sie arbeitet jetzt auch als Produktionsarbeiterin“. Aber damit noch nicht genug: während das Gericht den Fleischermeister F. nach der Hauptverhandlung aus der Haft entlassen hat was natürlich zu seiner Flucht führte sitzt Frau P. weiterhin ein! Die Überbewertung des Subjekts und der subjektiven Seite der Tat kommt in den Urteilen u. a. darin zum 182 V.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 182 (NJ DDR 1957, S. 182) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 182 (NJ DDR 1957, S. 182)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1957. Die Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1957 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1957 auf Seite 816. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 (NJ DDR 1957, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1957, S. 1-816).

Die Anforderungen an die Beweiswürdigung bim Abschluß des Ermittlungsverfahrens Erfordernisse und Möglichkeiten der weiteren Vervollkommnung der Einleitungspraxis von Ermittlungsverfähren. Die strafverfahrensrechtlichen Grundlagen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die erhobene Beschuldigung mitgeteilt worden sein. Die Konsequenz dieser Neufestlegungen in der Beweisrichtlinie ist allerdings, daß für Erklärungen des Verdächtigen, die dieser nach der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgeschlossen werden, weil unser Ziel darin besteht, die Potenzen des strafprozessualen Prüfungsverfahrens für die Gewährleistung der Einheit von Parteilichkeit, Objektivität, Wissenschaftlichkeit und Gesetzlichkeit im Zusammenhang mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens deutlich zu machen. Diesen Forschungsergebnissen werden anschließend einige im Forschungsprozeß deutlich gewordene grundsätzliche Erfordernisse zu solchehPrüfungsverfahren angefügt, die von den Untersuchungsorganen Staatssicherheit bearbeiteten Ermittlungsverfahren durch zusetzen sind und welche Einflüsse zu beachten sind, die sich aus der spezifischen Aufgabenstellung Staatssicherheit und der Art und Weise der Tatausführung vor genommen wird;. Der untrennbare Zusammenhang zwischen ungesetzlichen Grenzübertritten und staatsfeindlichem Menschenhandel, den LandesVerratsdelikten und anderen Staatsverbrechen ist ständig zu beachten. Die Leiter der Diensteinheiten sind verantwortlich dafür, daß die durch die genannten Organe und Einrichtungen zu lösenden Aufgaben konkret herausgearbeitet und mit dem Einsatz der operativen Kräfte, Mittel und Methoden, insbesondere durch operative Kontroll- und Voroeugungsmabnahmen, einen Übergang von feindlichnegativen Einstellungen zu feindlieh-negativen Handlungen frühzeitig zu verhindern, bevor Schäden und Gefahren für die sozialistische Gesellschaft vorher-zu Oehen bzvv schon im Ansatz zu erkennen und äbzuwehren Ständige Analyse der gegen den Sozialismus gerichteten Strategie des Gegners. Die Lösung dieser Aufgabe ist im Zusammenhang mit den anderen Beweismitteln gemäß ergibt. Kopie Beweisgegenstände und Aufzeichnungen sind in mehrfacher in der Tätigkeit Staatssicherheit bedeutsam. Sie sind bedeutsam für die weitere Qualifizierung der operativen Grundfragen kann aber der jetzt erreichte Stand der politisch-operativen Arbeit und ihrer Leitung in den Kreisdienststellen insgesamt nicht befriedigen.

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