Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1957, Seite 110

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 110 (NJ DDR 1957, S. 110); Die. Möglichkeit von Verstößen gegen die Gesetzlichkeit durch fehlerhaftes Anwenden von Strafgesetzen ergibt sich u. a. daraus, daß der gesetzliche Tatbestand notwendigerweise die wesentlichen Merkmale der für strafbar erklärten Handlung abstrakt und verallgemeinert beschreibt, nicht aber die unzählbaren Erscheinungsformen eines bestimmten Verbrechens im einzelnen gesetzlich zu fixieren vermag. Dennoch wird in aller Regel der Forderung nach der gesetzlichen Bestimmtheit des Verbrechens genüge getan* 5 6). Die Verwendung von Abstraktionen kompliziert aber die für die Einhaltung des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Bestrafung unbedingt erforderliche Prüfung, ob die zu untersuchende Handlung dem im gesetzlichen Tatbestand beschriebenen Verbrechen entspricht Zu diesem Zweck sind die Gesetze bzw. die einzelnen gesetzlichen Formulierungen auszulegen5). Das Ziel der Auslegung besteht darin, zum Zweck der richtigen Anwendung der Strafgesetze das Wesen des im Tatbestand in verallgemeinernder Form beschriebenen Verbrechens zu ermitteln. Eine solche Interpretation ist erforderlich, weil die gesetzlichen Abstraktionen nur die gemeinsamen Eigenschaften gleichgearteter Gegenstände oder Erscheinungen erfassen und deshalb in jedem einzelnen Fall zu untersuchen ist, ob ein bestimmter Tatumstand vom gesetzlichen Tatbestand erfaßt wird. Ist z. B. eine vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 StGB) mittels eines festen Gegenstandes begangen worden, so ist zu prüfen, ob dieser Gegenstand eine Waffe i. S. von § 223 a StGB, erste Alternative, darstellt. Selbstverständlich trifft das nicht auf jeden körperlichen Gegenstand zu. Es muß deshalb bei dieser Prüfung beachtet werden, daß das Wesen einer Körperverletzung letzterer Art in einer größeren Gefährlichkeit besteht, die auf die Geeignetheit des Mittels zurückzuführen ist, einen schwereren Schaden zuzufügen, als das sonst unter gleichen Umständen möglich wäre. Niemals aber darf die Auslegung dazu dienen, das Wesen des im gesetzlichen Tatbestand beschriebenen Verbrechens zu verändern und dadurch neues Recht zu schaffen. Das ist allein Aufgabe des Gesetzgebers. Zum Teil sind die Tatbestände so abgefaßt, daß eine Auslegung kaum Schwierigkeiten bereitet (z. B. § 315 Abs. 1 StGB in bezug auf die zu schützenden Transportmittel, oder § 217 StGB in bezug auf das Subjekt des Verbrechens). In nicht wenigen Fällen ist jedoch das Gegenteil der Fall, so daß die Meinungen über den Umfang einzelner Tatbestandsmerkmale in Theorie und Praxis zuweilen weit auseinandergehen. So bestehen z. B. verschiedene Auffassungen über die Frage, wer als „Helfer einer Dienststelle der Wirtschaftsverwaltung“ i. S. von § 7 Abs. 1 Ziff. 2 WStVO anzusehen ist7). Es muß aber betont werden, daß die klare Hinweise für eine derartige Abgrenzung enthalten. Solche nichtssagenden Formulierungen, wie z. B. der in § 7 Abs. 1 der VO vom 1. Juni 1956 über den Verkehr mit radioaktiven Präparaten (GBl. S. 496) gegebene Hinweis, daß in „leichten Fällen“ von Zuwiderhandlungen nach § 6 Abs. 2 eine Ordnungsstrafe bis 500 DM verhängt werden kann, genügen keinesfalls. 5) Zu dieser Frage hat Lekschas in seiner Arbeit „Allgemeine Probleme und Methodik einer Neu-Kodifizierung des Strafrechts“ Stellung genommen (Staat und Recht 1956 S. 356 ff.). Er führt dort aus, daß die einzelnen Regeln des Gesetzbuches bestimmt sein müssen, d. h„ ihren Inhalt und Umfang erkennen lassen müssen, weil bei unbestimmten Begriffen Inhalt und Umfang erst durch die Rechtsprechung konkretisiert werden müssen. Lekschas weist aber auch darauf hin, daß das Strafgesetzbuch keine zu sehr ins einzelne gehende Kasuistik aufweisen darf, weil es dadurch unkonkreter wird, indem es auf diese Weise zufällige Merkmale zu Wesensmerkmalen erhebt und somit das Wesen des besonderen, im Tatbestand zu regelnden Verbrechens entstellt. 6) Unter Auslegung versteht man die Klarstellung des Inhalts und Umfangs einer Rechtsnorm zum Zwecke ihrer richtigen Anwendung auf die mannigfaltigen Sachverhalte. (So auch im Entwurf des Lehrbuches für Strafrecht Allgem. Teil.) 7) Der 4. Strafsenat des Bezirksgerichts Potsdam hat in seinem Urteil vom 6. Januar 1956 II NDs 399/55 die Auf- fassung vertreten, zu diesem Personenkreis müßten alle Geschäftsleiter und Verkaufskräfte gerechnet werden, die gemäß der Anweisung des Ministeriums für Handel und Versorgung über die Schiebersicherung vom 29. April 1954 bei dem Verkauf hochwertiger Waren vom Käufer die Vorlage des Deutschen Personalausweises verlangen müssen und zur Beach- tung der sonstigen in dieser Anweisung enthaltenen Vorschriften verpflichtet sind. Die Begründung, daß diese Per- sonen durch die Befolgung dieser Anweisung wichtige staatliche Aufgaben bei der Bekämpfung des Schiebertums zu erfüllen haben und insoweit als Helfer der Wirtschaftsver- waltung anzusehen sind, vermag nicht zu überzeugen. absolute Grenze für die Auslegung der Wortlaut des Gesetzes bildet8 *). Wird diese überschritten und werden dadurch Handlungen bestraft, die nicht für strafbar erklärt sind, so ist das ein Verstoß gegen das in § 2 Abs. 1 StGB enthaltene Verbot der Analogie0). In den eingangs genannten Beispielen wurden m. E. die Grenzen der Auslegung überschritten, weil die in ihnen vorgenommene „Auslegung“ dem Wortlaut des Gesetzes widerspricht. Solche Unklarheiten über die Fragen der Auslegung lagen auch der von einem Vertreter des Generalstaatsanwaltes auf einer Tagung der Jugendstaatsanwälte geäußerten Ansicht zugrunde, daß § 10 Buchst, b der JSchVO10 *) nicht nur auf Kinder wie im Gesetz ausdrücklich benannt sondern auch auf Jugendliche anwendbar sei11). Zur Begründung und Rechtfertigung derartiger Gesetzesverletzungen wird häufig darauf hingewiesen so wie es auch hinsichtlich des § 10 Buchst, b JSchVO geschah , daß sich die Notwendigkeit einer solchen „Auslegung“/ aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ergebe12). Und die eingangs erwähnten Verkehrsgerichte gelangten deshalb zu der bereits dargelegten Auslegung des Begriffs „Fahrerflucht“, weil durch § 139 a StGB die einwandfreie Feststellung des Unfallvorganges durch die Verkehrspolizei gesichert werden solle, das sei aber nicht gewährleistet, wenn infolge nicht rechtzeitiger Benachrichtigung der Polizei die Spuren verwischt werden könnten. Eine solche Praxis ist in diesen und allen ähnlichen Fällen abzulehnen. In einem Aufsatz zu Fragen der Gesetzlichkeit zitieren die sowjetischen Juristen Bachrach und Marowski folgende zutreffende Ausführungen: Nach der sozialistischen Rechtslehre ist „bei der Anwendung und Auslegung des Gesetzes (in der UdSSR) die Gegenüberstellung von Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit entschieden zu verwerfen, und es ist nicht im mindesten gestattet, die Verletzung der Gesetzmäßigkeit unter dem Vorwand zu dulden, daß die strikte und unbedingte Anwendung des Gesetzes unzweckmäßig sei“13). Diesen Ausführungen ist unbedingt zuzustimmen. Es ist für die richtige Anwendung unserer Gesetze durchaus notwendig, nach ihrem Sinn und Zweck zu fragen, aber für die Auslegung können diese Überlegungen nur im Rahmen des Gesetzeswortlautes maßgebend sein. Wird dieser überschritten, so führt das zur Durchbrechung der Gesetzlichkeit. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich hierbei für die Juristen in der Deutschen Demokratischen Republik, weil sie übernommene und von unserem Staat sanktionierte Gesetze unter den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen anwenden müssen. Hinzu kommt, daß die der Form nach alten Gesetze, die den neuen 8) Vielfach wird gesagt, daß zwischen extensiver und restriktiver Auslegung unterschieden werden muß. Wenn die Auslegung ihre Grenzen am klaren Wortlaut des Gesetzes hat, kann es nicht richtig sein, von extensiver Auslegung zu sprechen. Denkbar ist lediglich eine einschränkende (restriktive) Auslegung. Der zur Öffnung eines Schlosses bestimmte Schlüssel z. B. ist auch in der Hand des Nichtberechtigten kein „falscher Schlüssel“ i. S. von § 243 Abs. 1 Ziff. 3 StGB, wie das unter Hinweis auf die Möglichkeit extensiver Auslegung behauptet werden könnte. 9) Analogie ist nach dem Strafrecht der DDR bekanntlich nur zugunsten des Täters bzw. Teilnehmers an einem Verbrechen gestattet. So ist es z. B. zulässig, die Regelung des § 46 StGB nicht nur auf den Täter anzuwenden, sondern auch auf den Teilnehmer, sofern bei diesem die in den Ziffern 1 bzw. 2 genannten Voraussetzungen vorliegen. In Bulgarien wurde am 3. Februar 1956 durch die Annahme des Gesetzes „Ober die Änderung und Ergänzung des Strafgesetzbuches“ das Verbot der Analogie ausgesprochen (vgl. Geifer, Änderungen und Ergänzungen des Strafgesetzbuches der Volksrepublik Bulgarien, „Sowjetstaat und Sowjetrecht“ 1956 Nr. 4). In der Sowjetunion ist die Mehrzahl der Strafrechtler der Auffassung, daß für eine Beibehaltung der Analogie in einem neuen Strafgesetzbuch keine Notwendigkeit mehr besteht (vgl. Piontkowski, Einige Fragen der allgemeinen Theorie des Staates und des Rechts, RID 1956 Nr. 7 Sp. 183 ff.). 10) VO vom 15. September 1955 zum Schutze der Jugend (JSchVO) (GBl. S. 641). 11) vgl. Erfahrungsaustausch der Jugendstaatsanwälte, NJ 1956 S. 401 ff., und Weber, „Schützt § 10 Buchst, b JSchVO auch Jugendliche?“, NJ 195S S. 634. 12) Inzwischen hat Schmidt in NJ 1956 S. 763 den Nachweis geführt, daß durch Heranziehung des JGG in Verbindung mit der JSchVO die justizpolltisch zweifellos unbefriedigenden Schlußfolgerungen Webers entfallen. 13) Bachrach/Marowski, Zu Fragen der Gesetzlichkeit, RID 1956 Nr. 1 Sp. 23. 110;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 110 (NJ DDR 1957, S. 110) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Seite 110 (NJ DDR 1957, S. 110)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 11. Jahrgang 1957, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1957. Die Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1957 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1957 auf Seite 816. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 11. Jahrgang 1957 (NJ DDR 1957, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1957, S. 1-816).

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