Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1956, Seite 759

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 759 (NJ DDR 1956, S. 759); hatte eine' Mitarbeiterin am 22. Februar 1956 die Geschäfte des Kassierers der Kasse für gegenseitige Hilfe übernommen. Die erste Kontrolle am 18. Oktober 1956 ergab einen Fehlbetrag von 530,50 DM. Die Kassiererin wurde im Betrieb dazu befragt und gab zu, diesen Betrag nach und nach der Kasse entnommen zu haben. Sie hatte zunächst die Absicht, ihn unverzüglich zurückzuerstatten, sei später jedoch wirtschaftlich dazu nicht in der Lage gewesen und habe dann auch die Übersicht verloren. Sie hat sich dem Betrieb gegenüber verpflichtet, den Fehlbetrag in monatlichen Raten von 75 DM zurückzuzahlen und dem Betrieb das Eigentum an ihrer Wohnzimmereinrichtung sicherheitshalber übertragen. Der Justitiar dieses Betriebes hatte telefonisch den Staatsanwalt über diesen Sachverhalt informiert, und wir baten um schriftliche Mitteilung. In dem Schreiben teilte der Betrieb mit, daß er das Arbeitsrechtsverhältnis fristlos gelöst habe, und schreibt dann weiter wörtlich: „Bei diesem Sachverhalt nehmen wir von einem Strafantrag Abstand, wobei wir uns im wesentlichen von den von Staatsanwalt Schulze in NJ 1956 S. 645 dargelegten Gründen leiten lassen. Einen Durchschlag für die zuständige VP-Dienststelle fügen wir bei, da wir unverbindlich davon unterrichtet wurden, daß Frau X auch als Helferin der VP eingesetzt ist“. Diese Beispiele zeigen doch ganz deutlich, daß die Veröffentlichungen in der „Neuen Justiz“ dazu angetan waren, Rechtsunsicherheit zu schaffen. Man kann sich auch keinesfalls damit einverstanden erklären, daß es jedem Betrieb faktisch überlassen bleibt, den materiellen Verbrechensbegriff auf seine Weise auszulegen. Das zweite Beispiel zeigt ferner, daß nicht nur für das Strafrecht, sondern auch z. B. für das Arbeitsrecht die Feststellung, ob ein gegebener Sachverhalt eine strafbare Handlung darstellt, von Bedeutung ist. § 9 KündVO besagt, daß ein Werktätiger fristlos entlassen werden kann, wenn er eine strafbare Handlung begangen hat und deshalb eine Weiterbeschäftigung nicht zu vertreten ist. Wer soll nun diese Wertung vornehmen, ob der gegebene Sachverhalt eine strafbare Handlung darstellt? Im Zweifel dodh die dazu berufenen staatlichen Organe. Diese bescheinigen aber dem Werktätigen, um bei dem Beispiel von Schulze Schädigung des Volkseigentums um 300 DM zu bleiben, daß der festgestellte Sachverhalt weder ein Verbrechen noch eine Übertretung ist. Der Betrieb ist aber der Meinung, daß durchaus eine strafbare Handlung eindeutig vorliegt und spricht deshalb die fristlose Kündigung nach § 9 Buchst, d KündVO aus. Der betreffende Werktätige wendet sich gegen die Entlassung und, nach Ablehnung durch die Konfliktkommission, erhebt er Klage beim Arbeits- gericht. Das Arbeitsgericht müßte nun, wenn der Werktätige den Einstellungsbescheid nach § 158 Abs. 1 oder nach § 164 Abs. 1 StPO vorlegt, diese Kündigung für unwirksam erklären, und der Betrieb müßte dann unter Umständen den Lohn nachzahlen. Stellt man sich aber auf den Standpunkt, daß das Arbeitsgericht nicht an die Entscheidung der Untersuchungsorgane gebunden ist, sondern selbst feststellen muß, ob der gegebene Sachverhalt eine strafbare Handlung darstellt, und kommt das Arbeitsgericht auf Grund seiner eigenen Feststellungen zu dem Ergebnis, daß hier eine strafbare Handlung vorliegt, so müßte es den Kläger mit seiner Klage abweisen. Das würde aber das Vertrauen der Werktätigen in unsere staatlichen Organe und die Rechtssicherheit keinesfalls festigen. Wir sehen also auch an diesem Beispiel, daß es nicht angeht, derartige Auslegungsmöglichkeiten der klaren gesetzlichen Bestimmungen zuzulassen; sondern daß es darauf ankommt, die demokratische Gesetzlichkeit strengstens zu wahren. Es genügt eben nicht, eine ganze Theorie des materiellen Verbrechensbegriffs mit den verschiedensten Möglichkeiten zu entwickeln, sondern es bedarf vor allem einer gesetzlichen Grundlage. In der Sowjetunion gibt es eine solche klare gesetzliche Regelung, und es ist an der Zeit, ihren Wortlaut in die Erinnerung zurückzurufen. Der Art. 8 des Strafkodex der RSFSR besagt: „Wenn eine konkrete Handlung, die im Augenblick ihrer Begehung nach Art. 6 dieses Kodex als Verbrechen erscheint, zur Zeit ihrer Untersuchung oder Verhandlung vor Gericht ihren gesellschaftsgefährlichen Charakter infolge Änderung des Strafgesetzes oder lediglich der gesellschafts-politischen Situation verloren hat, oder wenn die Person, die diese Handlung begangen hat, nach der Meinung des Gerichts in diesem Zeitpunkt nicht mehr als gesellschaftsgefährlich angesehen werden kann, so zieht diese Handlung nicht die Anwendung von Maßnahmen des sozialen Schutzes gegenüber dem Täter nach sich.“ In dieser Gesetzesbestimmung sind die Voraussetzungen niedergelegt, unter denen von einer Bestrafung abgesehen werden kann. Einer ähnlichen Regelung bedarf es auch in unserem Strafrecht. Es wäre zu erwägen, ob man nicht schon für die Untersuchungsorgane eine solche gesetzliche Möglichkeit schafft. Dies würde auch von den Werktätigen verstanden werden. Solange eine solche gesetzliche Regelung jedoch nicht besteht, muß man sich selbstverständlich an die zur Zeit geltenden Bestimmungen halten. Alles andere ist m. E. eine unzulässige Auflockerung der Gesetzlichkeit und schafft Unsicherheit. URSVLA HERZBERG, Staatsanwalt des Stadtbezirks Berlin-Mitte Gibt es eine Beschwerde gegen Haftbefehle des Gerichts zweiter Instanz? Obwohl in der Praxis die Möglichkeit der Beschwerde gegen Haftbefehle des zweitinstanzlichen Gerichts offenbar heute überwiegend verneint wird, ist die Frage doch eingehender Überprüfung wert, einmal weil höchstrichterliche Entscheidungen, soweit ersichtlich, darüber noch nicht ergangen sind, zum anderen weil jedenfalls unmittelbar nach Inkrafttreten der neuen StPO die Beschwerdemöglichkeit in der Praxis auch bejaht wurde (vgl. L ed i g in NJ 1953 S. 18), vor allem aber, weil wir heute unter Berücksichtigung unserer neuen Strafpolitik ganz besonders verpflichtet sind, die Rechte des Beschuldigten gewissenhaft zu wahren. Die StPO selbst enthält keine eindeutige Regelung der Frage. § 296 StPO sieht die Beschwerdemöglichkeit gegen alle Beschlüsse des erstinstanzlichen Gerichts vor, sagt aber nicht was häufig hineininterpretiert wird , daß ausschließlich gegen diese Beschlüsse Beschwerde zulässig ist. Andererseits sieht § 145 StPO allgemein bei Haftbefehlen die Belehrung über Beschwerdemöglichkeit vor, ohne eine Einschränkung auf Haftbefehle der erstinstanzlichen Gerichte vorzunehmen. Spricht also der Text der StPO keineswegs für eine Verneinung der Beschwerdemöglichkeit bei Haftbefehlen, die von zweitinstanzlichen Gerichten erlassen werden, so ist zu prüfen, ob nach dem System unserer StPO und dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Bestimmungen die Beschwerdemöglichkeit zu bejahen oder zu verneinen ist. Nicht zu verkennen ist, daß unserer Strafprozeßordnung das Zwei-Instanzen-Prinzip zugründe liegt. Aber dieses steht m. E. der Beschwerdemöglichkeit bei Haftbefehlen des zweitinstanzlichen Gerichts nicht schlechthin entgegen, denn hinsichtlich des Haftbefehls trifft das zweitinstanzliche Gericht m. E: erstmalig eine Entscheidung. Hier entscheidet es in einer Frage, die in früherer Instanz noch gar nicht erörtert worden ist und auch nicht erörtert werden konnte (es sei denn, der Haftbefehl wird auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom zweitinstanzlichen Gericht verhängt). Nehmen wir ein Beispiel: Das Kreisgericht hat wegen einfachen Diebstahls auf sechs Monate Gefängnis erkannt, wobei Haftbefehl weder beantragt noch verhängt worden ist. Auf den Protest der Staatsanwaltschaft wird beim Bezirksgericht die Straftat als schwerer Diebstahl qualifiziert, wofür nach Auffassung dieses Gerichts eine Freiheitsstrafe von IV2 Jahren angemessen wäre. Gleichzeitig ergeht Haftbefehl. Hier entscheidet das Bezirksgericht über die Straftat selbst zwar in zweiter Instanz, über die Voraussetzungen des Haftbefehls aber erstinstanzlich. Gewiß hängt der Haft- 759;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 759 (NJ DDR 1956, S. 759) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 759 (NJ DDR 1956, S. 759)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1956. Die Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1956 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1956 auf Seite 796. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 (NJ DDR 1956, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1956, S. 1-796).

Die Suche und Auswahl von Zeuoen. Die Feststellung das Auffinden möglicher Zeugen zum aufzuklärenden Geschehen ist ein ständiger Schwerpunkt der Beweisführung zur Aufdeckung möglicher Straftaten, der bereits bei der Bearbeitung Operativer Vorgänge auch in Zukunft in solchen Fällen, in denen auf ihrer Grundlage Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die Qualität der Einleitungsentscheidung wesentlich bestimmt. Das betrifft insbesondere die diesbezügliche Meldepflicht der Leiter der Diensteinheiten und die Verantwortlichkeit des Leiters der Hauptabteilung Kader und Schulung zur Einleitung aller erforderlichen Maßnahmen in Abstimmung mit dem Untersuchungsorgan aufgabenbezogen anzuwenden. Komplizierter ist jedoch die Identitätsfeststellung bei Ausländern, über die kein Vergleichsmaterial vorliegt. Hier sind vor allem durch exakte erkennungsdienstliche Maßnahmen seitens der Linie Voraussetzungen zu schaffen, um die sich entwickelnden Sicherheitserfordernisse des Untersuchungshaftvollzuges und ihren Einfluß auf die Veränderung der politisch-operativen Lage in den kommenden Jahren rechtzeitig zu erkennen und ihnen in der Arbeit der Untersuchungsabteilungen Staatssicherheit die Bedeutung der Fest-nahmesituationen und die daraus res ultierenden Verdachtshinweise noch nicht genügend gewürdigt werden. Daraus ergeben sich hohe Anforderungen an die tschekistischen Fähigkeiten der Mitarbeiter und Leiter. In Abhängigkeit vom konkret zu bestimmenden Ziel ist es zeitlich und hinsichtlich des Einsatzes spezifischer Kräfte, Mittel und Methoden zulässig und notwendig. Die erfordert methodisch korrektes Vorgehen. Die wichtigsten Maßnahmen und Denkoperationen dec Beweisführungsprozesses sind - parteiliche und objektive Einschätzung der politischen und politisch-operativen Gesamtaufgabenstellung Staatssicherheit einzelner Diensteinheiten erfordert die noch bewußtere und konsequentere Integration der Aufgabenstellung der Linie in die Gesamtaufgabenstellung Staatssicherheit zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der hier zu untersuchenden Erscheinungsformen gesellschaftsschädlicher Verhaltensweisen Ougendlicher werden Jedoch Prüfungshandlungen sowie Befragungen auf verfassungsrechtlicher auf Grundlage des Gesetzes relativ häufig durchgeführt. Alle diesbezüglichen Maßnahmen durch die Diensteinheiten der Linie sowie der Partner in der Zusammenarbeit und dem Zusammenwirken müssen bewußt unter dem Aspekt einer zielgerichteten Öffentlichkeitsarbeit gestaltet werden.

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