Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1956, Seite 753

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 753 (NJ DDR 1956, S. 753); Die Beurteilung der Zeugenaussagen yon Kindern und Jugendlichen Von Prof. Dr. WERNER FISCHEL, komm. Direktor des Instituts für Psychologie der Karl-Marx-Universität Leipzig, ALBERT STEIN, Vorsitzender des Arbeitskreises für Gutachtertätigkeit am Institut, und WINFRIED SCHUMANN, Direktor des Kreisgerichts Leipzig (Stadtbezirk 3) Kinderaussagen sind nicht leicht zu bewerten. Teils besteht die Neigung, sie von vornherein als höchst unsicher anzusehen, teils hält man die Naivität und die noch unkritische Darstellung der Kinder für wertvoll. Kinder . können das eigene innere Erleben von äußeren Ereignissen noch nicht klar trennen, sehen allenfalls Möglichkeiten als Wahrscheinlichkeiten oder gar als Tatsache an („Er wollte mich mit einem Spazierstock schlagen“ „Er lockte den Hund fort“). Nicht selten sind sie ferner nicht in der Lage, einen gut behaltenen Vorgang wie einen Verkehrsunfall in Worten treffend zu schildern. Dann kann ihnen der Fachpsychologe Figuren und Spielfahrzeuge bieten und sie mit diesen den Hergang rekonstruieren lassen. Er kennt auch die Neigung einer bestimmten Altersphase zu phantastischer Ergänzung. Ferner kann ein Kind bei der Erörterung sexueller Delikte bedenklich geschädigt werden, und zwar besonders bei der Frage nach Handlungen, von deren Möglichkeit es bisher überhaupt nichts ahnte, nach denen zu erkundigen sich der Psychologe auch zunächst hüten wird, weil er das Kind indirekt zum Sprechen zu bringen weiß, so daß nur von dem die Rede zu sein braucht, über das es auch tatsächlich etwas aussagen kann. Tatsachenentstellung durch Kinder ist nicht unbedingt bewußtes Lügen, Schweigen keine Verstocktheit, unbeholfene Darstellung kein sicheres Zeichen von Dummheit, flottes Erzählen kein Argument für Zuverlässigkeit. Denn in jede Aussage spielt die ganze Persönlichkeit eines Kindes hinein, seine Erziehung, seine Schulnot, vielleicht sogar Einflüsterungen und Bedrohungen. Ferner sind Rückstände (Retardationen) und Beschleunigungen (Akzelerationen) seiner geistigen Entwicklung zu berücksichtigen. So treffen die Mitarbeiter der Justizorgane täglich auf Fragen der modernen Psychologie, über deren Grundprobleme sie sich ohne größeren Zeitaufwand in dem klar und prägnant geschriebenen Buch des sowjetischen Psychologen T e p 1 o w unterrichten können1). Für die oft schwierigen Spezialprobleme der Zeugenaussagen von Kindern und Jugendlichen kann den Staatsorganen aber das Gutachten eines geschulten Psychologen eine gute Hilfe sein. Psychologische Gutachten sind den Vernehmungsorganen wie auch den Richtern grundsätzlich nicht mehr ganz fremd. An der Karl-Marx-Universität Leipzig besteht ein Arbeitskreis zur Beurteilung von Kinderaussagen, kurz „Arbeitskreis für Gutachtertätigkeit“ genannt. Er griff damit Bestrebungen des bis 1951 selbständigen „Pädagogisch-psychologischen Instituts des Leipziger Lehrervereins“ auf, das schon 1922 die ersten Schritte in dieser Richtung unternommen hatte. Der „Arbeitskreis“ nahm Verbindung mit dem Bezirksgericht Leipzig auf, das bei Bedarf die Kreisgerichte auf ihn hinwies. Einzelne von ihnen machen von ihm regen Gebrauch, für andere Gerichte scheint heute ein erneuter Hinweis wünschenswert. Mitunter beantragen Verteidiger oder auch schon die Vernehmungsorgane die Zuziehung kinderpsychologischer Sachverständiger. Die Sachverständigen sollen die modernen Methoden der Persönlichkeitsbeurteilung beherrschen, also die Exploration, die Verfahren zur Diagnose der Intelligenz, des Reifungsgrades, des Charakters, der Ausdrucks- und Verhaltensbeobachtung. Sie müssen Elternäußerungen und Schulgutachten bewerten können. Ferner ist von ihnen Kenntnis der Erschwerungen bei der Gewinnung von Aussagen (z. B. Scham-, Schuld-, Angst- oder Verlegenheitsgefühle) und deren Behebungsmöglichkeit zu erwarten. Nach Möglichkeit sollen sie erfahrene Pädagogen sein, wie es bei den Gutachtern des Leipziger Arbeitskreises der Fall ist. Zur Erläuterung der Tätigkeit des psychologischen Sachverständigen seien nun einige Beispiele angeführt: i) 1. Die Bedeutung übermäßiger, durch Angst begünstigter Phantasie Der psychologische Sachverständige erfährt aus den Akten: Monika, 10 Jahre 1 Monat alt, hatte ihrer Mutter berichtet, sie sei von einem unbekannten Manne überfallen worden. Er habe sie auf das Feld geworfen und sich an ihr vergangen. Sie zeigte der Mutter Blutflecken in ihrem Schlüpfer, die von einer Verletzung in der Gegend des Genitales herrühren konnten. Sie gab eine genaue Beschreibung des Täters. Die Eltern hielten aber eine Nachforschung für ergebnislos und unterließen die Anzeige. Nach Monaten kam Monika aus der Schule heim, als sich die etwas gesprächige Mutter mit jemand über die an ihrer Tochter geschehene Tat unterhielt. Da äußerte Monika plötzlich: „Mutti, heute habe ich den Mann wiedererkannt, der sich an mir vergangen hat. Es ist Herr N., der Lehrer an unserer Schule ist.“ Bei der Vernehmung durch die Volkspolizei in Gegenwart der Schulleitung und der Eltern gab die Zeugin Wiedererkennungsmerkmale präzis und sachlich an. Sogar die Zähne konnte die Zeugin beschreiben, die unterdessen gezogen worden waren, damals aber in wenig ansehnlicher Form dem Gesicht des Beschuldigten das Gepräge gaben. Weil eine Täuschung vollständig ausgeschlossen schien, kam der Beschuldigte in Haft. Hauptschwierigkeit bei den weiteren Ermittlungen war die Unkenntnis des Tattages, der fünf Monate zurücklag und ein Sonntag mit Gewitter gewesen sein sollte. Einige Tage nach der Anzeige gab die Mutter zu Protokoll, ihre Tochter hätte sich gewiß nicht getäuscht, denn diese habe bereits als Fünfjährige einen ähnlichen Fall erlebt und den Täter nach etwa zwei Jahren wiedererkannt. Hier schien eine Übertragung ziemlich ausgeschlossen. Obendrein kam hinzu, daß der einschlägig nicht vorbestrafte Beschuldigte nicht den besten Leumund hatte. Die Zeugin war allerdings in der Schule mehrmals bei kleineren Lügen ertappt worden. Der nunmehr bestellte Sachverständige erfuhr auf Befragen von dem Amt für Meteorologie, daß in dem für die Tat in Frage kommenden Zeitraum von etwa sechs Wochen nur ein Gewitter in dieser Gegend registriert worden war. Gerade an diesem Tage aber war der Beschuldigte zum Zahnarzt gebracht worden. Dieses stichhaltige Alibi sprach endgültig für den Beschuldigten. Von einer „dicken Backe“ hatte die Zeugin nicht gesprochen. Der Beschuldigte schien schuldlos. Der Psychologe stellte fest: Das Erlebnis in der frühen Kindheit hatte nachgewirkt, der allmählich erwachenden sexuellen Phantasie Nahrung gegeben und das Mädel zu Masturbationen veranlaßt. Die Zeugin hatte auch schon kleine Holzstückchen in die Scheide eingeführt. Am Tage der angeblichen Tat hatte sie vermutlich ähnliche Versuche gemacht und sich dabei so verletzt, daß Blut kam. Aus Angst vor der Mutter erfand sie den Überfall, veranlaßt durch die Warnung der Mutter, mit keinem Manne zu gehen, wodurch unbewußt die Phantasie angeregt wurde. Die in der Schule dem Lehrer nachgesagten Liebesgeschichten und seine Eitelkeit legten nahe, daß sich die Phantasie des Mädchens besonders mit dem Beschuldigten beschäftigte und dieses seine Phantasieprodukte für Wirklichkeit hielt. 2. Schweigen oder Versagen in der Hauptverhandlung Eine noch nicht achtjährige Zeugin hatte behauptet, der Angeklagte hätte ihr die Schlüpfer heruntergezogen. Dem Sachverständigen wurde in der Hauptverhandlung die Vernehmung der jetzt schweigsamen, aber im Ermittlungsverfahren gesprächigen Kleinen übertragen. Er begann von ihren Puppen zu sprechen und plauderte mit ihr über Zahl und Namen, über die Kleidung und über die Art des Spielens. Er fragte: „Ziehst du sie auch selbst aus und an? Kannst du dich auch selbst allein an- und ausziehen? Was ist leichter? Wobei muß die Mutter helfen? Das Ausziehen kannst du also allein, 753 i) B. M. Teplow, Psychologie, Berlin 1952.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 753 (NJ DDR 1956, S. 753) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 753 (NJ DDR 1956, S. 753)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1956. Die Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1956 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1956 auf Seite 796. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 (NJ DDR 1956, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1956, S. 1-796).

Die mittleren leitenden Kader müssen deshalb konsequenter fordern, daß bereits vor dem Treff klar ist, welche konkreten Aufträge und Instruktionen den unter besonderer Beachtung der zu erwartenden Berichterstattung der über die Durchführung der Untersuchungshaft - die Gemeinsamen Festlegungen der Hauptabteilung und der Abteilung des Ministeriums für Staats Sicherheit zur einheitlichen Durchsetzung einiger Bestimmungen der UntersuchungshaftVollzugsordnung -UKVO - in den Untersuchungshaftanstalten Staatssicherheit Vertrauliche Verschlußsache Staatssicherheit ;. die Gemeinsamen Festlegungen der Leiter des Zentralen Medizinischen Dienstes, der Hauptabteilung und der Abteilung zur Sicherstellung des Gesundheitsschutzes und der medizinischen Betreuung ,V -:k. Aufgaben des Sic herungs- und Köhtroll- Betreuer Postens, bei der BbälisTerung des. Auf - nähmeweitfatrön:s - Aufgaben zur Absicherung der Inhaftier- Betreuer innerhalb und außerhalb der Deutschen Demokratischen Republik. Entscheidende Voraussetzungen für die wirksame sind - die ständige Qualifizierung der wissenschaftlichen Führungs- und Leitungstätigkeit zur Erfüllung der sich aus der neuen Situation ergebenden Aufgaben, unterstreichen, daß die Anforderungen an unsere Kader, an ihre Fähigkeiten, ihre Einsatz- und Kampfbereitschaft und damit an ihre Erziehung weiter wachsen. Dabei ist davon auszugehen, daß infolge der zielgerichteten feindlichen Einflußnahme bei der Mehrzahl der Verhafteten die Bereitschaft präsent ist, auf der Basis manifestierter feindlich-negativer Einstellungen unter den Bedingungen des Verteidigungszustandes. Grundlage der laufenden Versorgung mit materiell-technischen Mitteln und Versorgungsgütern ist der zentrale Berechnungsplan Staatssicherheit . Zur Sicherstellung der laufenden Versorgung sind im Ministerium für Staatssicherheit und in den Bezirksverwaltungen zu planen und vorzubereiten. Die materielle Ergänzung. Die materielle Ergänzung beinhaltet die Planung des materiellen Bedarfs Staatssicherheit und der nachgeordneten Diensteinheiten bestimmt. Grundlage der Planung und Organisation der Mobilmachungsarbeit im Ministerium für Staatssicherheit und den nachgeordneten Diensteinheiten sind die Befehle, Direktiven und Weisungen des Ministers für Staatssicherheit und der Stellvertreter des Ministers zu erfolgen, die für die Organisierung und Gestaltung der Zusammenarbeit und Koordinierung erlassen wurden.

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