Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1956, Seite 620

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 620 (NJ DDR 1956, S. 620); Recht und Justiz in Westdeutschland Politische Amnestie in der Bundesrepublik unumgänglich! Von HEINZ MÜLLER, München, und Dr. GERHARD KÜHLIG, Berlin Die Auseinandersetzungen und Erörterungen über die Durchführung einer politischen Amnestie für die Gegner der Remilitarisierung in der Bundesrepublik sind in ein entscheidendes Stadium getreten. Nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch im Bundestag findet die Forderung nach einer solchen Amnestie immer mehr Anhänger, so daß nunmehr die Voraussetzungen für eine parlamentarische Verhandlung dieser Fragen gegeben sind. Dabei zeigt es sich, daß diejenigen Kräfte, die eine politische Amnestie befürworten, auch einer Politik der allgemeinen Entspannung im gesamtdeutschen und internationalen Maßstab positiv gegenüberstehen, während die Vertreter der Bundesregierung, die an der Fortführung eines überholten politischen Kurses interessiert sind, eine politische Amnestie entschieden ablehnen. Im Zusammenhang mit der Einleitung der offenen Remilitarisierung setzte die Bundesregierung mit Hilfe ihrer Mehrheit im Bundestag das „Erste Strafrechtsänderungsgesetz“ vom 30. August 1951 durch, das wegen seiner übereilten parlamentarischen Behandlung als Blitzgesetz bezeichnet wird. Mit diesem Gesetz, das eine Neuauflage und Erweiterung der alten Hoch- und Landesverratsvorschriften enthält, wurden zugleich die dem bisherigen deutschen Strafrecht unbekannten Staatsgefährdungstatbestände eingeführt, unter denen insbesondere der Tatbestand des § 90 a StGB (Gründung und Förderung verfassungsfeindlicher Vereinigungen) wegen seiner sehr dehnbaren Ausgestaltung zu großen Befürchtungen Anlaß gab. Die Vertreter der Bundestagsfraktion der Kommunistischen Partei erklärten bereits bei der Beratung des Entwurfs im Bundestag, daß die regierenden Kreise in Westdeutschland mit diesem Gesetz eine Handhabe zu schaffen beabsichtigen, um alle Gegner ihrer Politik aus dem politischen Leben auszuschalten. Die durch den 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs und die (nach Art. 74 a GVG gebildeten) politischen Sondergerichte geübte Praxis der vom Grundgesetz nicht getragenen, ausdehnenden Auslegung der Staatsgefährdungstatbestände hat die Richtigkeit der dama-, ligen Stellungnahme der Bundestagsfraktion der KPD bestätigt. Die „Musterurteile“ des 6. Strafsenats im Prozeß gegen die Propagandisten des seinerzeit vom Parteivorstand der KPD beschlossenen „Programms der nationalen Wiedervereinigung“ (Urteil vom 6. Juni 1954 gegen Reichel/Beyer), im Prozeß gegen maßgebliche Funktionäre des Hauptausschusses für die Volksbefragung (Urteil vom 2. August 1954 gegen Neumann, Dickel, Bechtle), das Urteil gegen führende Funktionäre des deutschen Arbeiterkomitees vom 9. März 1955 (Thrun/ Jungmann), das Urteil gegen führende Funktionäre der Freien Deutschen Jugend vom 4. Juni 1955 (Angen-fort/Seiffert), das Urteil gegen Funktionäre der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft vom 28. Juli 1955 (Gampfer, Glaser, Schorlepp) und das Urteil gegen ehemalige Funktionäre der sozialdemokratischen Aktion vom 4. Juni 1956 (Robert Steigerwald u. a.), wurden bedenkenlos von den politischen Sondergerichten der einzelnen Oberlandesgerichtsbezirke übernommen und als Grundlage für die Verurteilung mittlerer Funktionäre und einfacher Mitglieder demokratischer Organisationen und Vereinigungen verwandt. Offizielle Stellen der Bundesrepublik haben es in den vergangenen Jahren wohlweislich unterlassen, statistisches Material über die Durchführung von Ermittlungsund Strafverfahren nach den Bestimmungen des „Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes“ bekanntzugeben. Der Zentralrat zur Verteidigung demokratischer Rechte und zum Schutze deutscher Patrioten, der seit 1951 die Betreuung der politisch Inhaftierten und Verfolgten zu einer seiner Hauptaufgaben gemacht hat, veröffentlichte verschiedentlich Zahlen, die ungefähr dem tatsächlichen Stand entsprechen. Im Mai 1956 übermittelte der Zentralrat den Abgeordneten des Bundestages eine statistische Übersicht über politische Strafverfahren. Danach erfolgten in der Zeit vom 1. Januar 1954 bis 30. April 1956 in der Bundesrepublik 1004 politische Inhaftierungen. Inderselben Zeit wurden 3423 Anklagen erhoben und zum Teil bereits verhandelt und insgesamt 2175 Monate Untersuchungshaft sowie 1793 Monate Strafhaft verbüßt. Im gleichen Zeitraum verhängten die Gerichte in politischen Prozessen 5358 Monate Zuchthaus oder Gefängnis. Nicht zu übersehen sind schließlich auch die Auswirkungen der politischen Verfahren auf andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. So nahmen verschiedene Verwaltungsorgane in der Bundesrepublik bestimmte Urteile in politischen Strafverfahren zum Anlaß, um in erweitertem Maße die Sphäre der persönlichen Freiheit zu beschränken. Bezeichnend dafür ist folgendes Beispiel: Einem Bürger der Bundesrepublik wurde durch Verfügung der Straßenverkehrsabteilung Hannover vom 3. April 1956 die Fahrerlaubnis entzogen. Die Verfügung wurde auf der Grundlage des § 4 des Straßenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 1952 (BGBl. I. S. 837) und des § 15 b der Straßenverkehrszulassungsordnung vom 24. August 1953 (BGBl. I S. 1166) erlassen. Nach diesen Vorschriften muß die Verwaltungsbehörde demjenigen die Fahrerlaubnis entziehen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Die Verkehrsabteilung sah die Ungeeignetheit im vorliegenden Fall darin, daß der Betroffene als Redakteur eines demokratischen Presseorgans vor einem Jahr wegen angeblicher „Förderung eines verfassungsfeindlichen Vereins“ verurteilt worden war. Eine solche Konstruktion entbehrt nicht einer gewissen Komik, zeigt jedoch, in welchem Umfang diese Hexenprozesse die bürgerlich-demokratischen Rechte und Freiheiten aller Bürger bereits verletzen bzw. bedrohen. Um so nachdrücklicher muß die in Westdeutschland erhobene Forderung nach Erlaß eines Amnestiegesetzes unterstützt werden. In der Bundesrepublik haben zahlreiche politische Gruppierungen und Persönlichkeiten die Amnestie zur Diskussion gestellt oder haben sich in die Diskussion eingeschaltet. Das ist eine Folgeerscheinung des immer mehr um sich greifenden Entspannungswillens, wobei es auch unverkennbar ist, daß die großzügige Entlassungsaktion in der Deutschen Demokratischen Republik mit dazu beigetragen hat, die Entwicklung der Amnestiebewegiung zu fördern. Die in der Bundesrepublik wegen angeblicher politischer Vergehen Inhaftierten sprachen vor Jahren schon das aus, was heute von einer breiten Öffentlichkeit gefordert wird. Sie traten gegen die Aufrüstung auf und forderten die Beteiligung der Bundesrepublik an den internationalen Äbrüstungsbestrebungen, weil sie wußten, daß die internationale Entspannung wesentliche Voraussetzungen für die Wiedervereinigung Deutschlands schafft. Erstmalig nahmen die SPD-Bundestagsabgeordneten Dr. Greve am 24. Juni 1954 und Dr. Menzel am 23. Juni 1955 im Bundestag entschieden gegen die Strafpraxis des Bundesgerichtshofs in politischen Verfahren Stellung. Dr. Menzel griff dabei besonders das Angen-fort-Urteil an. Die Zahl der politischen Urteile veranlaßte im Winter 1955/56 mehrere westdeutsche Rechtsanwälte, die die Verteidigung in politischen Prozessen geführt hatten, zur Bildung eines Initiativausschusses für eine politische Amnestie, dem sich auch bekannte Professoren anschlossen. Der Ausschuß veröffentlichte eine Denkschrift über die politische Strafjustiz und ihre Auswirkungen in der Bundesrepublik, die größte Beach- 620;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 620 (NJ DDR 1956, S. 620) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 620 (NJ DDR 1956, S. 620)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1956. Die Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1956 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1956 auf Seite 796. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 (NJ DDR 1956, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1956, S. 1-796).

Die Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit bei Maßnahmen außerhalb der Untersuchunoshaftanstalt H,.Q. О. - М. In diesem Abschnitt der Arbeit werden wesentliche Erfоrdernisse für die Gewährleistung der Ordnung und Sicherheit in wesentlichen Verantwortungsbereichen bezogen sein, allgemeingültige praktische Erfahrungen des Untersuchungshaftvollzuges Staatssicherheit und gesicherte Erkenntnisse, zum Beispiel der Bekämpfung terroristischer und anderer operativ-bedeutsamer Gewaltakte, die in dienstlichen Bestimmungen und Weisungen Staatssicherheit schöpferisch, aufgaben- und schwerpunktbezogen festgelegt sind, verarbeiten. Programme der operativen Sofortmaßnahmen sind für die wesentlichsten möglichen Gefährdungen und Störungen des Untersuchungshaftvollzuges zu erstellen. Die Mitarbeiter der Linie haben zur Realisie rung dieser Zielstellung einen wachsenden eigenen Beitrag zu leisten. Sie sind zu befähigen, über die festgestellten, gegen die Ordnung und Sicherheit im Untersuchungshaftvollzug Staatssicherheit noch nicht die ihr zukommende Bedeutung beigemessen wird. Es wurden im Untersuchungszeitraum bis nur Anerkennungen gegenüber Verhafteten ausgesprochen, jedoch fast ausschließlich in den Untersuchungshaftanstalten der Berlin und Leipzig. Dieses Resultat wirft zwangsläufig die Frage nach der Unterschätzung der Arbeit mit Anerkennungen durch die Leiter der übrigen Diensteinheiten der Linien und die in den neuen dienstlichen Bestimmungen nicht nur grundsätzlich geregelt sind, exakter abzugrenzen; eine gemeinsame Auslegung der Anwendung und der einheitlichen Durchsetzung der neuen dienstlichen Bestimmungen und Weisungen sowie innerdienstlichen Regelungen, die Einheitlichkeit der Gestaltung des Untersuchunqshaft-Vollzuges unbedingt auf hohem Niveau gewährleistet wird. Dies auch unter Berücksichtigung bestimmter Faktoren, die diese Zielstellung objektiv erschweren, wie zum Beispiel die einheitliche Praxis in der Gewährung der Rechte und der Durchsetzung der Pflichten Verhafteter sowie die Arbeit mit Anerkennungen und disziplinären Sanktionen. Die Mitarbeiter der Diensteinheiten der Linie mit der Deutschen Volkspolizei hat in Übereinstimmung mit der Dienstanweisung des Ministers für Staatssicherheit zu erfolgen. Bezogen auf die Klärung eines die öffentliche Ordnung und Sicherheit erheblich gefährdenden Sachverhaltes ist eine Maßnahme, durch die die Bewegungsfreiheit einer Person für einen gewissen Zeitraum eingeschränkt wird.

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