Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1956, Seite 578

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 578 (NJ DDR 1956, S. 578); Aus den Gründen: Bei seiner Entscheidung hat das Kreisgericht nicht erkannt, daß als Problem dieses Verfahrens die Frage der Abgrenzung zwischen Kritik und Beleidigung zu prüfen war, und es hat verabsäumt, sich eingehend mit diesem Problem auseinanderzusetzen. Auszugehen ist davon, daß zu den Prinzipien der Entwicklung und der Tätigkeit unseres Staates der Arbeiter und Bauern das demokratische Prinzip der aktiven Teilnahme der Werktätigen ah der Leitung und Verwaltung des Staates gehört sowie, die bewußte Erziehung der Bevölkerung zu einer offenen, helfenden Kritik an den Maßnahmen unserer Staatsorgane und an dem Verhalten der Staatsfunktionäre. Eine derartige Mitwirkung der Werktätigen und ihre Erziehung zur Ausübung von Kritik und Selbstkritik kann aber nur dann gewährleistet sein, wenn das jeweilige Vorbringen eingehend geprüft wird, die gesamten Umstände berücksichtigt und Ursache und Zweck des Vorbringens erforscht werden. Offensichtlich muß das Gegenteil erreicht werden, wenn die Werktätigen befürchten müssen, daß jedes ihrer Worte auf die „Goldwaage“ gelegt wird und ihnen evtl, sogar die Einleitung eines Strafverfahrens droht. Mit Berechtigung stellt deshalb das Oberste Gericht in seinem Urteil vom 2. März 1956 3 Zst III 52/55 (NJ 1956 S. 217) und auch in der Entscheidung vom 1. September 1955 2 Zst III 65/55 (NJ 1955 S. 634) fest, daß selbst die Behauptung ehfen-rühriger Tatsachen, gehässig erscheinender Werturteile oder der Gebrauch herabsetzender Ausdrücke unter bestimmten Umständen keine Beleidigung, sondern eine Form der Kritik sein können. Nach den vom Kreisgericht getroffenen Feststellungen konnte die Angeklagte von der Richtigkeit der von An. aufgestellten Behauptung überzeugt' sein. Hinzu kommt, daß die Angeklagte selbst Beobachtungen machen konnte, die sie befremden mußten. Bei einer Vorsprache in der Abt. Wohnraumlenkung sah sie, daß sich A. dort bewegte, als sei er zu Hause. Er kam aus einem Nebenzimmer, das dem Publikumsverkehr verschlossen war, setzte sich auf einen Schreibtisch und ließ sich von einem Angestellten eine Zigarette geben und einen Aschenbecher bringen. Es kam deshalb nicht darauf an, ob die Angeklagte den Wahrheitsbeweis antreten konnte, sondern es war zu untersuchen, ob hier eine gesellschaftlich begründete Kritik vorliegt, die die Ehre des Kritisierten nicht antastet und ihn nicht herab-würdigt, oder ob die Angeklagte darauf abzielte, den Leiter der Abt. Wohnraumlenkung zu beleidigen. Für die Beurteilung sind vor allen Dingen zwei Gesichtspunkte maßgebend. Die Angeklagte war mit dem Leiter der Abt. Wohnraumlenkung nur durch die Wohnungsangelegenheiten bekannt geworden, und es bestanden keinerlei persönliche Beziehungen derart, daß sie Grund gehabt hätte, gegen ihn in einer gehässigen Weise vorzugehen. Daraus also kann das Motiv ihrer Handlung nicht erklärt werden. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, unter welchen Umständen die Angeklagte die Behauptung weitergab. Einmal war es in der Sprechstunde des Kreisgerichts und zum anderen während der mündlichen Verhandlung. In der Sprechstunde muß den Besuchenden Gelegenheit gegeben werden, ihre Sorgen und Nöte vorzubringen und sich vertrauensvoll an das Gericht zu wenden. Es muß berücksichtigt werden, daß die Werktätigen meist mit Dingen kommen, die sie selbst zutiefst bewegen, weil es sich vielfach um persönliche Angelegenheiten handelt, und daß sie erregt sind und die Sachlage nicht immer objektiv beurteilen können. Außerdem wäre die Sprechstunde eines Kreisgerichts der am wenigsten geeignete Ort, den sich ein Täter aussuchen dürfte, um eine Beleidigung zu begehen. An die Prozeßeinwendungen im Verlaufe eines Zivilprozesses sind ohnehin besondere Maßstäbe anzulegen. Die betreffende Partei würde sich nur selbst schaden, wenn sie Behauptungen aufstellt und dafür Zeugen benennt, obwohl sie von vornherein die Unrichtigkeit der eigenen Behauptung kennt. Die Parteien dürfen auch nicht in ihrer Beweisführung beeinträchtigt werden, sondern sind aufzufordern, aktiv mit dazu beizutragen, daß der Sachverhalt aufgeklärt und die Wahrheit erforscht wird, damit ein gerechtes Urteil gefällt werden kann. Schließlich war die Frage zu prüfen, weshalb die Angeklagte überhaupt die Behauptung des Zeugen An. weitergetragen hat. Für ihren Zivilprozeß war die Behauptung ohne Bedeutung; denn ihren Rüdetritt vom Vertrag konnte sie nicht damit begründen, daß der Leiter der Abt. Wohnraumlenkung bestochen worden sei. Die Angeklagte wußte jedoch zu diesem Zeitpunkt, daß die Prozeßlage für sie ungünstig stand und sie damit rechnen mußte, zur Einhaltung des abgeschlossenen Vertrages verurteilt zu werden. Sie brachte deshalb alle Dinge vor, von denen sie hoffen konnte, daß sie ihren Prozeß günstig beeinflussen würden. Es spielt jedoch keine grundsätzliche Rolle, ob die Kritik durch gesellschaftliche oder persönliche Interessen begründet ist, sondern es kommt auf das Ergebnis an, das darin besteht, Mängel aufzudecken und zu beseitigen. Nach alledem konnte nicht festgestellt werden, daß die Angeklagte in herabwürdigender Weise die Ehre des Abteilungsleiters angegriffen hat. Die Prüfung der Abgrenzung von Kritik und Beleidigung führte zu einem Ergebnis, das zugunsten der Angeklagten ausfiel. Sie war deshalb unter Aufhebung des angefochtenen Urteils freizusprechen. § 153 StPO von 1877; §§ 1, 6 Berliner VO vom 27. November 1952 zur Verhinderung der Spekulation mit Lebensmitteln und Industriewaren (VOB1.1 S. 551); § 9 wstvo. Zur Einstellung des Verfahrens nach § 153 der alten StPO, wenn die Folgen der strafbaren Handlung bedeutungslos sind. Stadibezirksgericht Berlin-Mitte, Urt. vom 26. Juni 1956 215. 262/56. Der 59jährige Angeklagte arbeitete vom November 1953 an als Verkäufer und war seit Februar 1956 erster Verkäufer in einer Tabakwaren-Verkaufsstelle der HO. Anfang März 1956 wandte sich ein Kunde an den Angeklagten und erkundigte sich, ob er größere Posten von Zigarettenspitzen aus Pappe mit Hornmundstück kaufen könne. Er gab als Begründung an, daß er mit diesen Zigarettenspitzen über Land fahre und sie dort verkaufe. Der Angeklagte hatte bei dem ersten Besuch dieses Kunden keine am Lager. Da seine Verkaufsstelle den Verkaufsplan schon seit langer Zeit nur zu 75% im Durchschnitt erfüllte, sah er in dem Angebot des Kunden eine Gelegenheit, das Betriebsergebnis zu verbessern. Er besorgte ihm im Laufe der nächsten Wochen nach und nach insgesamt 6500 der gewünschten Zigarettenspitzen, die je nach ihrer Verarbeitung einen Verkaufspreis von 4 bis 5 Pfg. pro Stüde hatten. Aus den Gründen: Durch die Abgabe von 6500 Zigarettenspitzen an einen Kunden hat der Angeklagte gegen die §§ 1, 6 der VO vom 27. November 1952 zur Verhinderung der Spekulation von Lebensmitteln und Industriewaren (VOB1. Groß-Berlin I S. 551) verstoßen. Nach diesen Bestimmungen ist der Verkauf und die Abgabe von Lebensmitteln und Industriewaren nur im Umfange des eigenen Bedarfs gestattet. Der Angeklagte war jedoch von der Verwaltung der HO nicht darüber belehrt worden, daß die Abgabe von Waren über den eigenen Bedarf hinaus unzulässig ist. Er verlangte lediglich von seinen'Kunden den,Personalausweis, um sich zu vergewissern, daß sie Bürger des demokratischen Sektors bzw. der Deutschen Demokratischen Republik sind. Allerdings war es ihm klar, daß es sieh bei dem Künden, der die Zigarettenspitzen verlangt hatte, nicht um einen Gewerbetreibenden handelte, und daß dieser daher auch keine Geschäfte hätte tätigen dürfen. Der Angeklagte machte sich über diesen Umstand nicht die notwendigen Gedanken. Da der Angeklagte nur teilweise über den Inhalt der VO vom 27. November 1952 informiert war, verletzte er die Bestimmungen des § 1 fahrlässig. Von einer Verkaufskraft im demokratischen Sektor muß verlangt werden, daß sie sich über die gesetzlichen Bestimmungen, die für ihre gesamte Tätigkeit von Bedeutung sind, hinreichende Kenntnis verschafft. Dies gilt insbesondere von der Verordnung vom 27. November 1952.' Der Angeklagte hatte dies unterlassen. Er hat jedoch jetzt die erforderlichen Schlußfolgerungen gezogen und arbeitet auch weiterhin als Verkäufer. Das Gericht hat die Überzeugung gewonnen daß es sich bei dem Angeklagten um einen arbeitsamen und redlichen Menschen handelt, der sonst um die Einhaltung der Gesetze unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates bemüht ist und nur in diesem Falle durch eine Nach- 578;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1956. Die Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1956 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1956 auf Seite 796. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 (NJ DDR 1956, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1956, S. 1-796).

Das Recht auf Verteidigung - ein verfassungsmäßiges Grundrecht in: Neue Oustiz Buchholz, Wissenschaftliches Kolloquium zur gesellschaftlichen Wirksamkeit des Strafverfahrens und zur differenzier-ten Prozeßform in: Neue ustiz ranz. Zur Wahrung des Rechts auf Verteidigung beim Ausbleiben des gewählten Verteidigers in der Haupt-ve rhandlung in: Neue Oustiz rtzberg Vorbeugung - Haupt riehtung des Kampfes gegen die Kriminalität in den sozialistischen Ländern in: Neue Oustiz Heus ipge. Der Beitrag der Rechtsanwaltschaft zur Festigung der Rechtssicherheit in: Neue Oustiz Hirschfelder Nochmals: Zur Wahrung des Rechts auf Verteidigung in: Justiz Plitz Те ich er Weitere Ausgestaltung des Strafver- fahrensrechts in der in: Justiz Schröder Huhn Wissenschaftliche Konferenz zur gerichtlichen Beweisführung und Wahrheitsfindung im sozialistischen Strafprozeß - Anweisung des Generalstaatsanwaltes der wissenschaftliche Arbeiten - Autorenkollektiv - grundlegende Anforderungen und Wege zur Gewährleistung der Einheit von Parteilichkeit, Objektivität, Wissenschaftlichkeit und. Gesetzlichkeit in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit im Ermittlungsverfahren, Dissertation, Vertrauliche Verschlußsache AUTORENKOLLEKTIV: Die weitere Vervollkommnung der Vernehmungstaktik bei der Vernehmung von Beschuldigten und bei VerdächtigenbefTagungen in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit auch dann erforderlich, wenn es sich zum Erreichen einer politisch-operativen Zielstellung verbietet, eine Sache politisch qualifizieren zu müssen, um sie als Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen, der mit Befugnisregelungen des Gesetzes erforderlichenfalls zu begegnen ist, oder kann im Einzalfall auch eine selbständige Straftat sein. Allein das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft können jedoch wesentliche politisch-operative Zielsetzungen realisiert worden. Diese bestehen insbesondere in der Einleitung von Maßnahmen zur Wiederherstellung von Ordnung und Sicherheit im Untersuchungshaftvollzug Staatssicherheit Aufgaben zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit während des gesamten Untersuchungshaftvollzuges Grundanforderungen an die Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit. Die Gewährleistung der Einheit von Parteilichkeit, Objektivität, Wissenschaftlichkeit und Gesetzlichkeit erfordert, daß auch die Beschuldigtenvernehmung in ihrer konkreten Ausgestaltung diesem Prinzip in jeder Weise entspricht.

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