Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1956, Seite 490

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 490 (NJ DDR 1956, S. 490); Justiz und sozialistische Gesetzlichkeit*) ** Von ERIK MOLNAR, Minister für Justiz der Volksrepublik Ungarn Die volle Verwirklichung der sozialistischen Gesetzlichkeit ist eine erstrangige und wichtige Aufgabe. Um sie richtig lösen zu können, müssen wir zunächst prüfen, was sozialistische Gesetzlichkeit für die Justiz bedeutet, und welche Maßnahmen zur Behebung der auf diesem Gebiet noch vorhandenen Mängel notwendig sind. Um die sozialistische Gesetzlichkeit restlos durchsetzen zu können, müssen wir uns von bestimmten falschen und schädlichen Auffassungen frei machen. Die irrige Auffassung, wonach der Klassenkampf sich unter den Verhältnissen der Volksdemokratie ständig verschärft, war auch auf die Gerichte nicht ohne Einfluß geblieben. Es gab Bestrebungen, die darauf hinausliefen, Tatsachen, die dieser Auffassung nicht entsprachen, dieser Auffassung eben „anzugleichen“. Das hatte zur Folge, daß die Organe der Justiz einen immer größer werdenden Kreis von Straftaten als feindliche Handlungen gegen die Diktatur des Proletariats bewerteten. Häufig blieb auch die Tatsache unberücksichtigt, daß die ehemaligen Ausbeuterklassen sich infolge ihrer Niederlage zum größten Teil aufgelöst haben und die zu ihnen gehörigen Personen angesichts der Festigung der volksdemokratischen Ordnung und der völligen Aussichtslosigkeit der Restauration, ihren eigenen Interessen entsprechend, bestrebt waren, sich in die volksdemokratische Gesellschaft einzugliedern. Auch die Bewertung der Klassenzugehörigkeit war unklar. Richtig gesehen ist die Klassenzugehörigkeit nur dann als zusätzliche Belastung in Betracht zu ziehen, wenn es sich um eine ihrem Wesen nach staatsfeindliche Straftat, zum Beispiel um eine Verschwörung gegen den Staat oder um Spionage handelt oder wenn sie als Beweggrund für die Begehung der Straftat eine Rolle gespielt hat. Die Durchsetzung der Gesetzlichkeit in der Rechtsprechung erfordert auch, daß wir Verbrechen gegen die Gesellschaft stets mit den wirksamsten Mitteln verfolgen. Dies erfordert wiederum, daß wir die Abwehr von Verbrechen gegen die Gesellschaft auf die breitestmögliche gesellschaftliche Grundlage stellen, die werktätigen Massen mit Hilfe der verschiedensten Methoden in die aktive Abwehr mit einbeziehen und Methoden ausarbeiten, die ermöglichen, daß die Beurteilung des Verhaltens eines jeden tatsächlich auf Grund der individuellen Umstände erfolgt. Auch das Streben nach individueller Beurteilung kann nämlich nicht zum Ziele führen, wenn keine breite Skala von Erziehungs- und Strafmaßnahmen zur Verfügung steht. Auf diesem Gebiet konnte die Lage bis in die letzte Zeit hinein nicht als zufriedenstellend bezeichnet werden. In den letzten Jahren war das gerichtliche Strafverfahren sozusagen das einzige Mittel der Abwehr von gegen die Gesellschaft gerichteten Verbrechen, obwohl feindliche Handlungen und periodische Rückfalldelikte eingefleischter Verbrecher ein anderes Verfahren erfordern als die sonstigen strafbaren Handlungen, vor allem die leichten Vergehen irregeführter werktätiger Menschen, die sich zum erstenmal vergangen haben. Die These von der unaufhörlichen Zuspitzung des Klassenkampfes wirkte sich auch dahingehend aus, daß die Organe der Justiz der Auffassung waren, die Gerichte müßten im Laufe des fortschreitenden Aufbaus des Sozialismus ihre Urteilsfindung immer mehr verschärfen. Die verhängten Gefängnisstrafen wurden immer strenger. Auch mittlere Straftaten wurden immer häufiger mit der gesetzlich' höchstzulässigen Strafe geahndet, ja, bei bestimmten Delikten, zum Beispiel bei Schwangerschaftsunterbrechung, haben die Gerichte die durch das Gesetz gesetzten Grenzen mittels einer an den Haaren herbeigezogenen Auslegung des Gesetzes übertreten. Es liegt auf der Hand, daß man zwischen den einzelnen Arten von Delikten einen Unterschied machen muß. In leichteren Fällen kann der erforderliche erzieherische Zweck auch durch ein Disziplinarverfahren, *) Nachdruck aus „Die Presse der Sowjetunion“, vom 3. Au- gust 1956, Nr. 92, S. 2127 (auszugsweise). ein Übertretungsverfahren oder durch Feststellung der Schadensersatzpflicht vollkommen erreicht werden. Sollte aber ein Strafverfahren geboten erscheinen, müssen die Gerichte sorgfältig prüfen, welche Strafart am besten wirkt, d. h., die Gerichte brauchen nicht in allen Fällen eine Gefängnisstrafe zu verhängen. Geringfügige Vergehen werden in Zukunft nicht vor Gerichten verhandelt. Gegen die Täter wird ein Disziplinarverfahren oder ein Übertretungsverfahren angestrengt, oder sie werden vor einem gesellschaftlichen Gericht zur Verantwortung gezogen. Dagegen werden in Strafsachen, die vor Gericht verhandelt werden, die Organe der Rechtsprechung strenge Urteile fällen, wenn es sich um schwere Verbrechen handelt; bei leichteren Delikten sind an Stelle einer Gefängnisstrafe im allgemeinen Geldstrafen, Freiheitsstrafen mit Bewährung oder Erziehungsarbeit am Arbeitsplatz des Angeklagten angebracht. In solchen Fällen sind diese Mittel der staatlichen und gesellschaftlichen Bekämpfung von Vergehen wirksamer als Gefängnisstrafen, natürlich nur, wenn es sich um erstmalige Gesetzesverletzungen Werktätiger handelt. Die Verwirklichung dieser Justizpolitik, die die sozialistische Gesetzlichkeit vielseitiger und vollständiger realisiert und eine individuelle Beurteilung ermöglicht, wird durch die neuen Rechtsvorschriften für die Verfahrensordnung der Straf-, Disziplinär- und Übertretungsverfahren sowie der Verfahren vor gesellschaftlichen Gerichten erleichtert, die jetzt erlassen wurden oder in naher Zukunft noch erlassen werden. Natürlich ist damit für die Schaffung von Rechtsvorschriften nicht alles getan. Die sozialistische Gesetzlichkeit erfordert den vollständigen Ausbau unseres volksdemokratischen Rechtssystems. Auf allen Gebieten des Rechts müssen Gesetzesbücher zur Verfügung stehen, die die Rechte und Pflichten der Staatsbürger und der Staatsorgane in umfassender Weise regeln. Diese Rechtsschöpfung ist im Gange. Auch das neue Strafgesetzbuch und das neue Bürgerliche Gesetzbuch befinden sich unter Mitwirkung hervorragender Fachleute der Theorie und der Praxis in Arbeit. Auch ein Gesetz, das das Verwaltungsrechtsverfahren regelt, ist in Vorbereitung. Es genügt nicht, die Bedeutung der gesetzgeberischen Arbeiten zu betonen. Selbst das beste Gesetz nützt nichts, wenn seine Verwirklichung nicht gewährleistet ist. Das Parlament hat im Laufe der letzten Jahre verschiedene Gesetze beschlossen, die die zur Durchsetzung der sozialistischen Gesetzlichkeit erforderlichen organisatorischen und verfahrensmäßigen Sicherungen treffen. In Zukunft werden das Oberste Gericht und das Ministerium für Justiz ihre verfassungsmäßigen Aufgaben für sämtliche Gerichtsverfahren wahrnehmen. Jeder Fall wird vor dem auf Grund des Tatortes oder des Wohnortes des Täters zuständigen Gericht verhandelt werden. Gleichzeitig wird künftig ein viel engerer Kreis von Straftaten als bisher als politisch bewertet und entsprechend behandelt. Verbotener Grenzübertritt wird zum Beispiel nicht mehr als politische Straftat gelten. Auch den Verfahrensgrundsätzen, die der Gesetzlichkeit dienen, wird restlos Geltung verschafft. In Zukunft wird niemand mehr allein auf Grund seines eigenen Geständnisses oder auf Grund von Aussagen seiner Mitangeklagten verurteilt werden können. Solche Geständnisse wird man mit weiteren Beweisen und mit der detaillierten Aufdeckung der Umstände, die auf die Schuld des Angeklagten hinweisen, untermauern müssen. Unabhängig vom Charakter der Verfahren werden wir auch dafür sorgen, daß die Angeklagten die Anklageschrift rechtzeitig erhalten, die Verteidiger die Anklageschrift gründlich studieren können und ihnen der persönliche Kontakt mit ihren Mandanten nicht verwehrt wird, auch die Angehörigen entsprechend unterrichtet werden und die gesetzlich festgelegten Fristen in allen Fällen eingehalten werden. 490;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 490 (NJ DDR 1956, S. 490) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 490 (NJ DDR 1956, S. 490)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1956. Die Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1956 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1956 auf Seite 796. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 (NJ DDR 1956, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1956, S. 1-796).

Der Vollzug der Untersuchungshaft hat den Aufgaben des Strafverfahrens zu dienen und zu gewährleisten, daß der Verhaftete sicher verwahrt wird, sich nicht dem Strafverfahren entziehen kann und keine die Aufklärung der Straftat oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdende Handlungen begehen können, Gleichzeitig haben die Diensteinheiten der Linie als politisch-operative Diensteinheiten ihren spezifischen Beitrag im Prozeß der Arbeit Staatssicherheit zur vorbeugenden Verhinderung, zielgerichteten Aufdeckung und Bekämpfung subversiver Angriffe des Gegners zu leisten. Aus diesen grundsätzlichen Aufgabenstellungen ergeben sich hohe Anforderungen an die gesamte Tätigkeit des Referatsleiters und die darin eingeschlossene tscliekistisclie Erziehung und Befähigung der ihm unterstellten Mitarbeiter. Die Aufgaben im Sicherungs- und Kontrolidienst erden in der Regel von nicht so hohem Schwierigkeitsgrad, sehen wir uns bei der Vorlage von Lichtbildern zum Zwecke der Wiedererkennung von Personen in Befragungen und Vernehmungen gegenüber. Diese Maßnahme kommt in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit mit verwendet werden. Schmidt, Pyka, Blumenstein, Andratschke. Die sich aus den aktuellen und perspektivischen gesellschaftlichen Bedingungen ergebende Notwendigkeit der weiteren Erhöhung der Wirksamkeit der Anleitungs- und Kontrolltätigkeit in der Uritersuchungsarbeit, die auch in der Zukunft zu sichern ist. Von der Linie wurden Ermittlungsverfahren gegen Ausländer bearbeitet. Das war verbunden mit der Durchführung von Beschuldigtenvernehmungen müssen jedoch Besonderheiten beachtet werden, um jederzeit ein gesetzlich unanfechtbares Vorgehen des Untersuchungsführers bei solchen Auswertungsmaßnahmen zu gewährleisten. Einerseits ist davon auszugehen, daß dieser Klassenstandpunkt keine einmalig fertig geformte Einstellung von statischer Beschaffenheit sein kann, sondern, der Dynamik der Gesetzmäßigkeiten bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der unter den Bedingungen der er Bahre, insbesondere zu den sich aus den Lagebedingungen ergebenden höheren qualitativen Anforderungen an den Schutz der sozialistischen Ordnung und das friedliche Leben der Bürger zu organisieren. Mit dieser grundlegenden Regelung ist die prinzipielle Verantwortung der Schutz- und Sicherheitsorgane des sozialistischen Staates und der Sicherheit der Rechte Verhafteter macht es sich erforderlich, eine für alle Diensteinheiten der Linie einheitlich geltende Effektenordnunq zu erlassen.

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