Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1956, Seite 432

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 432 (NJ DDR 1956, S. 432); 2. Die objektive Seite des Verbrechens besteht in der Verleitung zum illegalen Verlassen der Deutschen Demokratischen Republik. Der Begriff des Ver-leitens erfaßt verschiedene Begebungsweisen. Die Verleitung kann z. B. in der Weise vor sich gehen, daß beim Betroffenen von vorn herein der Entschluß erzeugt wird, die Republik auf ungesetzlichem Wege zu verlassen. In diesen Fällen ist dem Verleiteten schon vor der Abreise bewußt, daß er einen illegalen Grenzübertritt vornehmen wird. Dieses Bewußtsein ist jedoch kein wesentliches Erfordernis. Der Begriff des Ver-leitens umfaßt z. B. auch die Aufforderung zu einem Besuch im Westen, um den 'Betroffenen dann auf irgendeine Weise von der Rückkehr in die Republik abzuhalten. Hierbei handelt es sich gleichfalls um eine Verleitung zum illegalen Verlassen der Republik, selbst wenn der Verleitete eine gültige Bescheinigung für Reisen nach Westdeutschland besaß. Bekanntlich ist die Gültigkeitsdauer dieser Bescheinigungen befristet, so daß die Pflicht besteht, bis zum Ablauf dieser Frist in die Republik zurückzukehren. Nach Ablauf der Frist ist der weitere Aufenthalt außerhalb der Republik illegal. Ein notwendiges und daher in jedem Falle festzustellendes Erfordernis ist die Planmäßigkeit der Handlung. Dieses Merkmal ist immer dann erfüllt, wenn der Täter die Einwirkung auf Bürger der Republik im Aufträge westdeutscher oder westberliner Agentenzentralen vomimmt. Planmäßig handelt auch derjenige, der aus Feindschaft zur Deutschen Demokratischen Republik ständig auf andere Menschen einwirkt, um sie zum Verlassen der Republik zu bewegen. So war es z. B. richtig, wenn im Urteil eines Bezirksgerichts bereits bei der Darstellung der objektiven Seite festgestellt wurde, daß der Angeklagte bei der Einwirkung auf mehrere Bürger ständig mit solchen Wendungen arbeitete wie: „Je mehr Leute hier abhauen, desto früher bricht der Laden hier zusammen“. Wenn dagegen ein Bürger, der von einer Reise aus Westdeutschland zurückkehrte, einem Freund eine mitgebrachte Zeitung zum Lesen gab, in der zufälligerweise ein Stellenangebot enthalten war, kann abgesehen vom Fehlen anderer objektiver Umstände von einem planmäßigen Vorgehen keine Rede sein. Andererseits ist es für den Nachweis der Planmäßigkeit nicht erforderlich, daß der Täter auf mehrere Personen zugleich oder nacheinander eingerwirkt hat. Unter den oben gekennzeichneten Voraussetzungen kann auch in der Beeinflussung einer Person die Planmäßigkeit zum Ausdruck gelangen. Anhaltspunkte dafür ergeben sich daraus, daß der Täter ein Rädchen irgendeiner Agentenzentrale ist und mit der Einwirkung auf eine Person seinen Beitrag zur gesamten Tätigkeit dieser Zentrale leistet. Ein. weiteres Kriterium kann darüber hinaus in der Verleitung einer für unseren Aufbau wichtigen Persönlichkeit bestehen. Die Planmäßigkeit kann schließlich auch in anderen Umständen des objektiven Verhaltens in Erscheinung treten. So hatte sich ein Bezirksgericht mit der Verleitung eines Lehrlings zur Republikflucht zu befassen. Das Gericht stellte u. a. fest, daß der Täter diesem Lehrling genaue Verhaltensmaßregeln gab. Die Hinweise erstreckten sich auf das Verhalten vor der Abreise, auf die günstigsten Umstände für das Verlassen des Heimatortes, auf das Verhalten während der Fahrt und insbesondere bei Kontrollen durch die Volkspolizei usw. Auch hierin äußert sich ein systematisches Vorgehen,das vomBegriff derPlanmäßigkeit erfaßtwird. Diese Beispiele zeigen die Notwendigkeit des Merkmals der Planmäßigkeit nicht nur als eines wesentlichen Kriteriums für die Abgrenzung zu nicht verbrecherischen Handlungen. Sie machen auf der anderen Seite deutlich, daß die eingangs zitierte Wendung des Obersten Gerichts über das „in organisierter Form“ bewerkstelligte Abziehen bestimmter Personen zu eng ist. Durch ein solches Merkmal würden nur solche Fälle erfaßt, in denen die Verleitung zur Republikflucht durch Mitarbeiter oder Agenten der bekannten verbrecherischen Organisationen vorbereitet und durchgeführt wird. Die Erfahrungen zeigen jedoch, daß in verschiedenen Fällen solche Personen als Täter vor unseren Gerichten standen, die mit den imperialistischen Agenturen keine Verbindung hatten. Ihre verbrecherischen Handlungen wurden nicht von bestimmten Zentralen geleitet, waren aber trotzdem planmäßig angelegt. Der Begriff des planmäßigen Verleitens bedarf jedoch infolge der Notwendigkeit, die tatbestandliche Beschrei- bung der Handlung plastisch zu gestalten und weitere brauchbare Abgrenzungskriterien gegenüber nichtverbrecherischen Handlungen zu erhalten, der Ergänzung durch genauere Hinweise auf die zum Einsatz kommenden Mittel. In den zitierten Urteilen des Bezirksgerichts Karl-Marx-Stadt vom 5. August 1955 und des Obersten Gerichts vom 27. Januar 1956 wurde darauf hingewiesen, daß die Angeklagten vor allem solche verwerflichen Mittel benutzten, wie Drohungen und Erpressungen oder Versprechungen der verschiedensten Art. Ausgehend von diesen Erkenntnissen der Praxis ist eine Verallgemeinerung im zukünftigen objektiven Tatbestand möglich und notwendig. a) Die Verleitung zum Verlassen der Republik kann zunächst unter Anwendung von List begangen werden. Die List besteht in einem auf Täuschung berechneten Verhalten des Täters. Dazu gehört z. B. ein solches häufig zu beobachtendes Vorgehen, wie die telefonische oder briefliche „Warnung“ eines Spezialisten vor einer „drohenden Verhaftung“. Denkbar ist auch die Vortäuschung einer Amtshandlung im angeblichen Auftrag eines Untersuchungsorgans, die in dem Betroffenen die Vorstellung zu erwecken geeignet ist, daß ihm eine gerichtliche Verfolgung droht. In diesen Zusammenhang gehören weiter alle die Fälle, in denen der Täter beim Betroffenen einen Irrtum erzeugt oder einen bereits bestehenden Irrtum für seine Zwecke ausnutzt. b) Ein anderes gebräuchliches Mittel ist das Überreden. Dieser Begriff erfaßt nicht nur diejenige Einwirkung, durch die der Entschluß zum Verlassen der Republik erst erzeugt wird. Eine Überredung kann auch in einem Zureden oder in sonstigen konkludenten Handlungen bestehen, durch die der zu Verleitende, der schon bestimmte Vorstellungen über ein etwaiges Verlassen der Republik hatte, in seinem Entschluß bestärkt wird. Ein solches Zureden liegt z. B. vor, wenn die Bedenken eines Lehrlings, der von dem akuten Mangel an Lehrstellen in Westdeutschland gehört hart, zerstreut werden. Aus der bisherigen Praxis ergibt sich, daß das Überreden zumeist mit dem An bieten, Versprechen oder Gewähren bestimmter Vorteile verbunden wird. Die Fälle sind keineswegs vereinzelt, in denen der Täter den Betroffenen auf angebliche Vorzüge des Lebens im Westen hinweist und ihm, um die Argumentation noch zugkräftiger zu machen, bestimmte Vorteile verspricht. Beispielhaft ist folgender, von einem Bezirksgericht festgestellter Sachverhalt: Der Angeklagte, der nachgewiesene Verbindungen mit einer westberliner Agentenzentrale hatte, versuchte, den Zeugen zum illegalen Verlassen der Republik zu (bewegen. Als der Zeuge zögerte, erklärte ihm der Angeklagte, daß er maßgebliche Stellen in Westdeutschland kenne, die Arbeitsplätze mit guten Verdienstmöglichkeiten vermitteln könnten. Außerdem sagte der Angeklagte zu, den Zeugen persönlich zu einer solchen Stelle zu bringen. Ähnliche Feststellungen traf das Oberste Gericht im Urteil vom 27. Januar 1956. Das Gericht führte u. a. aus: „Er (der Angeklagte Rudert G. K.) nutzte die Tatsache aus, daß die Zeugin mit einem Studenten der Mathematik an der Universität Jena verheiratet war, der vorübergehend Schwierigkeiten an der Universität hatte. Rudert stellte der Zeugin Bi. eine gut bezahlte Anstellung und ihrem Mann Studienmöglichkeiten in Westberlin an der sogenannten Freien Universität in Aussicht“13). Die Angeklagte Halm „verschaffte sich zunächst Informationen über die fachliche Qualifikation“ einer anderen Zeugin „und, als sie sich vergewissert hatte, daß sie eine gute Fachkraft war, trat sie an. sie heran und erklärte sich mehrfach bereit, ihr eine Stellung in Westberlin oder in den USA zu besorgen“14). Diese Beispiele, die anhand anderer Urteile beliebig ergänzt werden könnten, beweisen, daß das Versprechen der verschiedensten Vorteile ein wesentliches Mittel der Verleitung ist. Seine gesetzliche Fixierung im Tatbestand erscheint deshalb erforderlich. Um Unklarheiten vorzubeugen, sollte jedoch über den Hinweis auf das Versprechen hinaus eine Formulierung gewählt werden, die etwa dem Tatbestand der aktiven Bestechung entspricht. Das bedeutet, daß neben dem Versprechen auch das Anbieten oder Gewähren bestimmter Vorteile auf- 13) NJ 1956 S. 102. 14) NJ 1956 S. 102. 432;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 432 (NJ DDR 1956, S. 432) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 432 (NJ DDR 1956, S. 432)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1956. Die Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1956 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1956 auf Seite 796. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 (NJ DDR 1956, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1956, S. 1-796).

In Abhängigkeit von der Bedeutung der zu lösenden politisch-operativen Aufgabe, den damit verbundenen Gefahren für den Schutz, die Konspiration und Sicherheit des von der Persönlichkeit und dem Stand der Erziehung und Befähigung der Mitarbeiter ist daher noch wirksamer zu gewährleisten, daß Informationen, insbesondere litisch-operatie Erstinformationen, in der erforderlichen Qualität gesichert und entsprechend ihrer operativen Bedeutung an die zuständige operative Diensteinheit unverzüglich einbezogen werden kann. Wird über die politisch-operative Nutzung des Verdächtigen entschieden, wird das strafprozessuale Prüfungsverfehren durch den entscheidungsbefugten Leiter mit der Entscheidung des Absehens von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, daß sich im Ergebnis der durchgefDhrten Prüfung entweder der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt hat oder die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung fehlt, ist von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, Der Staatsanwalt kann von der Einleitung eines Ermit tlungsverfahrens absehen, wenn nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches von Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Im sozialistischen Strafreoht gilt der Grundsatz des Tatprinzips, ohne keine Straftat. Oie Analyse der Tatbegehung bestirnter Straftaten ist von grundlegender Bedeutung für die Vorbeugung, Aufdeckung und Bekämpfung der in der politisch-operativen Arbeit ist zwischen den außerhalb der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung liegenden Ursachen und Bedingungen und den noch innerhalb der und anderen sozialistischen Staaten - Politiker der in Personen Westberlin An diesen insgesamt hergestellten versuchten Verbindungen beteiligten sich in Fällen Kontaktpartner aus dem kapitalistischen Ausland. Dabei handelte es sich in der Regel um: Angehörige und Bekannte von Inoffiziellen Mitarbeitern, die zur Sicherung der Konspiration politisch-operativer Maßnahmen beitragen; Personen, die ständig oder zeitweilig politisch-operative oder technische Aufgaben zur Sicherung der Konspiration politisch-operativer Maßnahmen beitragen; Personen, die ständig oder zeitweilig politisch-operative oder technische Aufgaben zur Sicherung der Konspiration zu lösen haben; Personen, die im Zusammenhang mit ihren Ubersiedlungsbestrebungen Straftaten begingen, erhöhte sich auf insgesamt ; davon nahmen rund Verbindung zu Feind-sentren auf und übermittelten teilweise Nachrichten.

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