Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1956, Seite 36

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 36 (NJ DDR 1956, S. 36); Rechte der Armen und Unterdrückten mit Energie und Mut eingesetzt hätten. Diese Bemerkungen klingen wahrer und realistischer als das Loblied, das der offenbar den „Konstitutionellen Demokraten“ nahestehenden Schdanoff in dem Artikel „Die Gericbtsreform in Rußland“ den russichen Rechtsanwälten singt, von denen er behauptet, sie hätten im allgemeinen „den Opfern der bürokratischen Willkür mutig zur Seite gestanden und den Kampf mit den dunklen Mächten furchtlos auf sich genommen“1“). Dann geht Lenin zur Analyse des vom Gericht festgestellten Tatbestandes über und legt mit zwingender Logik dar, daß die Justizorgane sich nicht im geringsten bemüht hatten, den wirklichen Sachverhalt aufzuklären, sondern im Gegenteil alles daran gesetzt, ihn zu verschleiern. Zuerst wurde der Prozeß verschleppt, dann aber in kürzester Frist durchgepeitscht. Im Laufe des Verfahrens widerriefen einige Zeugen ihre Aussage, aber das Gericht prüfte nicht, ob diese Zeugen, bei denen es sich um Polizeihäftlinge handelte, wohl in der Zeit zwischen ihren verschiedenen Aussagen beeinflußt worden sein könnten. Der Sinn des Prozesses hätte es sein müssen, das russische Volk gegen die Barbarei und Brutalität des Zarismus zu empören und den Durchschnittsbürger aufzurütteln, damit er erkennt, daß alle Rohheit der Polizisten nur deshalb möglich ist, weil sich gerade der. Durchschnittsbürger damit beruhigt, daß täglich noch viel empörendere Schandtaten der zaristischen Behörden straflos bleiben. Gerade weil so viele Verbrechen in der bürgerlichen Gesellschaft unaufgeklärt und straflos bleiben, ist die Strafjustiz so besonders machtlos gegen die Zunahme der Verbrechen. Mit den folgenden Sätzen, rührt Lenin an ein Problem, das nicht nur für die bürgerliche Strafrechtspolitik Bedeutung hat: „Es ist bereits seit langem ausgesprochen worden, daß der vorbeugende Sinn der Strafe keineswegs in ihrer Härte, sondern in ihrer Unabwendbarkeit liegt. Es ist nicht wichtig, daß ein Verbrechen eine schwere Strafe nach sich zieht, wichtig ist aber, daß kein einziges Verbrechen unaufgedeckt bleibt“10). IV Für den Juristen ist es noch interessant, einiges über die Situation zu erfahren, in der Lenin diese beiden justizpolitischen Aufsätze schrieb. Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurden im zaristischen Rußland eine Reihe von bürgerlichen Reformen durchgeführt, die mit der Aufhebung der Leibeigenschaft am 19. Februar 1861 ihren Anfang nahmen. Es folgten eine neue Hochschulordnung, die Einführung von „Landschaften“ und eine Städteordnung, also die Anfänge einer Selbstverwaltung. Zu dem Kreis dieser Reformen gehörte auch die Gerichtsreform. Durch Ukas des Zaren wurden am 20. November 1864 ein neues Gerichtsverfassungsgesetz und eine neue Straf- und Zivilprozeßordnung in Kraft gesetzt. Geplant, aber nicht mehr erlassen, wurde auch ein Gesetz über die Einführung von Gewerbegerichten mit gewählten Arbeitervertretern; dies wäre bereits über rein bürgerliche Reformen hinausgegangen. Hierauf weist Lenin in dem Aufsatz „Über Gewerbegerichte“ hin. Das Gesetz von 1864 bestimmte, daß für die Aburteilung der Hauptmasse aller Verbrechen und Vergehen Geschworenengerichte zuständig sein sollten. Die Geschworenen hatten nur über die Schuldfrage, nicht aber über die Strafe zu entscheiden. Ihre Auswahl erfolgte auf folgende Weise: Es wurde eine Generalliste auf gestellt, in der fast alle unbestraften russischen Untertanen zwischen 25 und 70 Jahren, sofern sie russisch sprechen konnten, in größeren Städten ein jährliches Einkommen von mindestens 500, in kleineren von mindestens 200 Rubeln besaßen und nicht bestimmten Berufen angehörten (z. B. Geistliche, Soldaten und Offiziere, Justizangestellte, Polizisten, höhere Beamte usw.), aufgeführt wurden. Diese Generalliste wurde von einer iS) Schdanoff in „Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung“, Berlin 1908, Bd. 15, S. 201 ff. 19) Lenin, Werke, Bd. 4 S. 399. Kommission gewählter Gemeindevertreter zusammengestellt. Jeder, der zu Unrecht nicht auf die Liste gesetzt worden war, konnte dagegen Einspruch erheben. Nach Fertigstellung der Generalliste traf die gleiche Kommission die endgültige Auswahl, indem sie die geeignetsten Bürger für das Geschworenenamt auf eine Spezialliste, die den Gerichten übergeben wurde, setzte20). Man sieht: auch in diesem Gesetz waren genügend Kautelen vorhanden, die es verhinderten, daß Industriearbeiter, Angehörige der Dorfarmut und der unterdrückten Völkerschaften Geschworene werden konnten. Aber das genügte nicht; denn wie Lenin schrieb auch unter diesen Geschworenen gab es Bürger, „die begannen, sich ihrer Rechte bewußt zu werden, die sogar fähig sind, Kämpfer für diese Rechte zu stellen“21). Die Hetze der Reaktion gegen die Geschworenengerichte verstärkte sich, als mit Geschworenen besetzte Gerichte in politischen Prozessen nicht immer dem Zarismus genehme Urteile fällten. Den Vorwand zur radikalen Einschränkung der Kompetenz der Geschworenengerichte fanden die Reaktionäre darin, daß Vera Sassulitsch von einem Geschworenengericht von der Anklage, ein Attentat auf den Petersburger Polizeichef vollführt zu haben, freigesprochen wurde22). Im Jahre 1878 wurden die meisten Strafsachen der Rechtsprechung der Geschworenengerichte entzogen. Es gelang zwar, die Regierung zu zwingen, diese Einschränkungen im Jahre 1882 in wesentlichen Teilen wieder aufzuheben, aber am 7. Juli 1889 wurden sie erneut und diesmal endgültig eingeführt. Damit wurde die Institution der Geschworenengerichte im zaristischen Rußland völlig bedeutungslos. Von 1538 Paragraphen des besonderen Teils des russischen Strafgesetzbuches verblieben nur noch etwa 300 unter der Zuständigkeit der Geschworenengerichte23 24). Es ist nicht uninteressant zu sehen, wie die Apologeten des Zarismus diese Maßnahmen begründeten. In den „Motiven“ des Reichsrates zum Gesetz über die Einschränkung der Kompetenz der Geschworenengerichte hieß es: „Verbrechen gegen den Staat oder die staatserhaltenden Gewalten sind viel schwerer und gefährlicher als alle anderen Verbrechen, doch rufen sie nicht immer und nicht bei allen Mitgliedern der Gesellschaft einen so starken Abscheu hervor wie andere Verbrechen, besonders wenn sie sich den lügnerischen Anschein geben, dem Wohle der Allgemeinheit dienen zu wollen. Diese Maske ist oft so trügerisch, daß die allerverbrecherischsten Handlungen in den Augen von Leuten, die von den Bürgerpflichten und von dem Verhältnis des Bürgers zur Regierung falsche Begriffe haben, in einem ganz anderen Lichte erscheinen und, statt eine strenge, durchaus gerechtfertigte Verurteilung zu erfahren, gebilligt werden. Wollte man unter solchen Umständen die Entscheidung über den verbrecherischen Charakter von Handlungen, die oft von vielen, sogar rechtschaffenen Leuten verkehrt beurteilt werden, den Geschworenen übertragen, so würde man den Staat, die Gesellschaft und die Gewalt jeglichen Schutzes berauben“21). Die ganze Heuchelei dieser Erklärung wird offenbar, wenn man berücksichtigt, daß gleichzeitig mit den Staatsverbrechen auch die Verbrechen der Beamten, die sie in Ausübung ihrer Funktion begangen haben, den Geschworenengerichten entzogen wurden. „Waren die Geschworenen zu milde oder hat irgendein anderer Grund den Gesetzgeber zu dieser Maßnahme bestimmt?“, fragt vielsagend das Mitglied der kaiserlichrussischen Gesetzgebungskommission, Graf Kapnist25 *). Mit den Ausführungen über den Prozeß vor dem Moskauer Krongericht hat Lenin die richtige Antwort auf diese Frage gegeben. 2t) Kapitel III Art. 81 109 des Gerichtsverfassungsgesetzes von 1864. 21) Lenin, Werke, Bd. 4 S. 393. 22) schdanoff, a. a. O. S. 215. 23) schdanoff, a. a. O. S. 216. 24) mitgeteilt von Schdanoff, a. a. O. S. 215. 25) Code d’ Organisation Iudlciare de 1’ Empire de Russie, Paris 1893, S. 447. 36;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1956. Die Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1956 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1956 auf Seite 796. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 (NJ DDR 1956, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1956, S. 1-796).

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