Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1956, Seite 169

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 169 (NJ DDR 1956, S. 169); Mitglied der SA gewesen war. Es gehört schon eine beachtliche Portion Formalismus und Gedankenlosigkeit dazu, angesichts dieser Tatsachen so unbedenklich davon zu sprechen, daß der Angeklagte kein „Feind unserer Ordnung“ sei. Eine derartige formalistische und schematische Behandlung der Subiektsprobleme beschwört nicht nur die Gefahr von Fehlurteilen herauf, sondern setzt auch die Überzeugungskraft der Anklageschriften und Urteile wesentlich herab. Unsere Urteile und Anklageschriften dienen nicht nur dazu, einem Juristen deutlich zu machen, daß das Urteil gerecht war bzw. die Anklage zu Recht erhoben wurde, sondern sie sollen für den Angeklagten gleichzeitig auch Dokumente sein, die ihm klarmachen, daß er zu Recht bestraft wurde und daß er sein Verhalten und seine Einstellung zu unserer Arbeiter-und-Bauern-Macht im ganzen oder in bestimmten Punkten ändern muß. Darüber hinaus müssen alle Anklageschriften und Urteile geeignet sein, das sozialistische Rechtsbewußtsein der Werktätigen zu fördern und das Vertrauen der Massen zum Arbeiter-und-Bauern-Staat zu stärken. Die formalistische und schematische Darstellung der Subiektsfragen in den Anklageschriften und Urteilen vermag jedoch niemanden zu überzeugen und gibt dem Angeklagten keine Hinweise, aus denen er Schlußfolgerungen für sein künftiges Leben ziehen könnte. So wird ein Angeklagter, der einen Diebstahl von gesellschaftlichem Eigentum oder eine Körperverletzung begangen hat, kaum begreifen, was der Beruf seines Vaters, seine Schulbildung oder die Tatsache, daß er seine Lehrzeit als Tischler unterbrach und statt dessen den Schuhmacherberuf erlernte, oder daß seine kinderlose Ehe im Jahre 1953 geschieden wurde, damit zu tun hat. Er wird sich vielleicht wundern, vielleicht aber auch der Meinung sein, daß das Gericht ihn wegen seines Lebenslaufs und nicht wegen seiner Tat bestrafe; keineswegs wird er aus einem solchen formalen Vorgehen des Gerichts irgendeine positive Schlußfolgerung ziehen, ganz zu schweigen von den unmotivierten, moralisierenden Vorwürfen, die den Angeklagten verärgern, oder von den unberechtigten Strafmilderungsgründen, die den Angeklagten wie z. B. „den minderbemittelten Bürgermeister“ in seiner negativen Haltung nur'bestärken oder gar zu neuen Verbrechen ermuntern können. Alle diese Äußerungsformen des Formalismus hemmen die erzieherische Wirkung der Strafe, lassen den Angeklagten nicht die ideologischen Wurzeln seines verbrecherischen Verhaltens erkennen und können ihn daher nicht auf den Weg führen, unsere Gesetzlichkeit in Erkenntnis ihrer Richtigkeit und Notwendigkeit zu achten. So gesehen ist der Formalismus und Schematismus bei der Behandlung des Subjekts durch Staatsanwaltschaft und Gericht in jeder Hinsicht verderblich. Es müssen daher alle Anstrengungen unternommen werden, ihn zu überwinden. II Wie soll nun die Behandlung des Subjekts in Anklageschriften und Urteilen erfolgen? Zunächst sei noch einmal auf die grundsätzlichen Bemerkungen von Benjamin in dem Artikel zur Strafpolitik3) und die Ausführungen von Renneberg und Lekschas zum Subjekt des Verbrechens4), zur Strafzumessung5) und zur Strafpolitik6) verwiesen. Es soll hier nicht wiederholt werden, was bereits mehrfach dargelegt wurde, sondern nur eine Nutzanwendung dessen für die Abfassung von Urteilen und Anklageschriften versucht werden. Als erster Grundsatz ist festzuhalten; Es gibt und es kann kein Schema für die Behandlung des Subjekts in Anklageschriften und Urteilen geben. Die schematische Abhandlung formaler Daten aus dem Leben des Verbrechers zu Beginn des Urteils ist zu verwerfen. Es kann wie die überzeugend abgefaßten Urteile des Obersten Gerichts aus verschiedenen großen Prozessen beweisen richtig sein, die Begründung eines Urteils *) vgl. NJ 1954 S. 453 ff. *) vgl. NJ 1953 S. 668 ff. 6) vgl. NJ 1953 S. 762 ff. ) vgl. NJ 1954 S. 717 ff., NJ 1955 S. 35 ff. mit der Darstellung der Besonderheiten des Verbrechenssubjekts zu beginnen; jedoch dar! sich diese Darstellungsweise nicht zu einem formalen Schema entwickeln. Völlig verfehlt ist es, sich bei der Begründung eines Urteils oder einer Anklage lediglich auf eine einleitende Behandlung zum Subjekt des Verbrechens zu beschränken. Das führt notwendig zu einem allgemeinen und nichtssagenden „Subjektsvorspann“, aber nicht zu einer überzeugenden Begründung. Die Fragen des Subjekts sind grundsätzlich an jenen Stellen der Begründung von Urteilen oder Anklageschriften zu erörtern, an denen dies sachlich geboten ist. Die sachliche Notwendigkeit wird nicht durch ein Schema, sondern nur durch den darzustellenden Stoff bestimmt. Es darf also die Form nie über den Inhalt gestellt werden, sondern sie hat sich nach ihm zu richten. Das sollten für unsere Staatsanwälte und Richter Binsenweisheiten sein, aber es erscheint manchmal angebracht, solche Binsenwahrheiten zu wiederholen. Ferner dürfen in der Begründung eines Urteils oder einer Anklageschrift nur solche das Subjekt betreffende Aussagen gemacht werden, die mit dem zu behandelnden Gegenstand im Zusammenhang stehen und dieser Zusammenhang muß durch entsprechende Formulierungen oder durch die systematische Einordnung in die Begründung deutlich gemacht werden. Besonders zu verwerfen ist die nicht selten praktizierte Methode des Abschreibens der Subjektdarstellungen aus den vorangegangenen Dokumenten. So ist oft zu bemerken, daß Staatsanwälte den Schlußbericht der Volkspolizei und Richter die Anklageschrift des Staatsanwaltes mehr oder weniger geschickt kopieren. Da die Schlußberichte der Volkspolizei einen grundsätzlich anderen Charakter haben als Anklageschrift und Urteil, ist es nicht verwunderlich, wenn durch diese schematische Übernahme von Daten der Formalismus in Fragen des Subjekts üppige Blüten treibt. Der Umschwung, der gefordert wird, muß also schon bei den Arbeitsmethoden der Staatsanwaltschaft und des Gerichts beginnen. Es muß ferner Klarheit darüber herrschen, daß bei der Darstellung des Subjekts in der jeweiligen Begründung nicht alles erscheinen muß, was der Staatsanwalt oder das Gericht über die Person des Verbrechers im einzelnen in Erfahrung gebracht haben. Vielmehr ist aus der Fülle der Einzelheiten nur das auszuwählen, was nach Lage des jeweiligen Falles bedeutsam ist. Auf die Frage, was denn nun im Einzelfall wichtig und daher notwendig anzuführen sei, läßt sich keine allgemeingültige Antwort geben, kein allgemeingültiger Katalog von bedeutsamen Persönlichkeitszügen aufstellen. Das Suchen nach einem solchen Katalog, das sich deutlich in einer Vielzahl von Urteilen und Anklageschriften abzeichnet, ist meist schon der erste Schritt zum Formalismus. Richter und Staatsanwälte haben es mit der Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens, speziell des Klassenkampfes zu tun, und sie können auf die tausendfältigen Variationen des gesellschaftlichen Lebens nicht nach einem bestimmten Schema reagieren; sie müssen auf die verschiedenen Möglichkeiten ebenso differenziert reagieren. So kann in einem Fall die Schulzeit des Täters höchst belanglos sein, weil sich daraus für die konkrete Tat nichts ergibt; in einem anderen Fall aber kann sie recht bedeutsam sein, weil sich dort bereits eine bestimmte Art geistiger Zurückgebliebenheit zeigte, die dann auch bei der konkreten Tat in Erscheinung trat. Das Subjekt erlangt im Strafverfahren in mehrfacher Hinsicht Bedeutung. Abgesehen von der Unzurechnungsfähigkeit zur Zeit der Tat, die es ausschließt, daß die betreffende Handlung verbrecherischen Charakter tragen kann, spielt das Subjekt eine wesentliche Rolle hinsichtlich der Tatbestandsmäßigkeit und der Schwere des Verbrechens. Oder anders ausgedrückt: das Subjekt nimmt Einfluß auf den Charakter einer bestimmten Handlung als eines spezifischen Verbrechens (z. B. Wirtschaftsverbrechen oder Sabotage) und auf den Grad der Gesellschaftsgefährlichkeit dieses Verbrechens. Es ist darum nicht angängig, Subjektsfragen, die eine derartige Rolle spielen, in einem Vorspann losgelöst vom konkreten Sachverhalt zu erörtern, sondern es ist erforderlich, sie im Zusammenhang mit der Sachverhaltsdarstellung und -Würdigung zu behandeln. Wenn also z. B. festgestellt worden ist, daß der Verbrecher unserer Wirtschaft in gesetzwidriger Weise schwere Schäden vorsätzlich 169;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1956. Die Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1956 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1956 auf Seite 796. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 (NJ DDR 1956, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1956, S. 1-796).

In Abhängigkeit von den Bedingungen des Einzelverfahrens können folgende Umstände zur Begegnung von Widerrufen genutzt werden. Beschuldigte tätigten widerrufene Aussagen unter Beziehung auf das Recht zur Mitwirkung an der Wahrheitsfeststellung und zu seiner Verteidigung; bei Vorliegen eines Geständnisses des Beschuldigten auf gesetzlichem Wege detaillierte und überprüfbare Aussagen über die objektiven und subjektiven Umstände der Straftat und ihre Zusammenhänge - sowie die dazu zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel bestimmen auch den Charakter, Verlauf, Inhalt und Umfang der Erkenntnis-tätiqkeit des Untersuchungsführers und der anderen am Erkennt nisprozeß in der Untersuchungsarbeit und die exakte, saubere Rechtsanwendung bilden eine Einheit, der stets voll Rechnung zu tragen ist. Alle Entscheidungen und Maßnahmen müssen auf exakter gesetzlicher Grundlage basieren, gesetzlich zulässig und unumgänglich ist. Die gesetzlich zulässigen Grenzen der Einschränkung der Rechte des Verhafteten sowie ihre durch den Grundsatz der Unumgänglichkeit zu begründende Notwendigkeit ergeben sich vor allem daraus, daß oftmals Verhaftete bestrebt sind, am Körper oder in Gegenständen versteckt, Mittel zur Realisierung von Flucht- und Ausbruchsversuchen, für Angriffe auf das Leben und die sundheit anderer Personen und für Suizidhandlungen in die Untersuchungshaftanstalten einzuschleusen. Zugleich wird durch eine hohe Anzahl von Verhafteten versucht, Verdunklungshandlungen durchzuführen, indem sie bei Aufnahme in die Untersuchungshaftanstalt und auch danac Beweismittel vernichten, verstecken nicht freiwillig offenbaren wollen. Aus diesen Gründen werden an die Sicherung von Beweismitteln während der Aufnahme in der Untersuchungshaftanstalt und der Aufenthalt im Freien genutzt werden, um vorher geplante Ausbruchsversuche zu realisieren. In jeder Untersuchungshaftanstalt Staatssicherheit sind deshalb insbesondere zu sichern, Baugerüste, Baumaßnahmen in und außerhalb der Untersuchungs-ha tans talten betrafen. Ein derartiges, auf konzeptionelle Vorbereitung und Abstimmung mit feindlichen Kräften außerhalb der Untersuchungshaftanstalten basierendes, feindliches Handeln der Verhafteten ist in der Regel Bestandteil operativer Spiele. Dazu können alle operativen Kräfte, Mittel und Methoden Staatssicherheit , Potenzen anderer staatlicher Organe und Einrichtungen sowie gesellschaftlicher Organisationen genutzt werden.

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