Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1955, Seite 729

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 729 (NJ DDR 1955, S. 729); zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Bundesgesetz vom 7. August 1952, BGBl. II, S. 685) und die Beurteilung des Falles ohne Ansehen der Person (Art. 3 GG).“ Die Verletzung des Prinzips bürgerlicher Rechtsstaatlichkeit führt nach bürgerlicher herrschender Lehre zu einem rechtlich unwirksamen Urteil. „Rechtsstaatliche Unerträglichkeit oder Willkür gegen rechtsstaatliche Grundsätze (vgl. Mercker, Banz. 206/1953) in der Art des Verfahrens muß Unwirksamkeit zur Folge haben. Ein Verfahren, das ,in keiner Weise den Vorschriften und dem Geist der StPO“ entspricht, führt zu einer unwirksamen Entscheidung“ (a. a. O. S. 19). Der materiell-rechtliche Inhalt des bürgerlichen Rechtsstaateprinzips muß darin gesehen werden, daß die Freiheitsentziehung allein auf Grund der in einem justizförmigen Verfahren festgestellten und durch das bürgerliche Gesetz für strafbar erklärten Handlung vorgenommen werden darf. Das gebieten Art. 2 II GG in Verbindung mit Art. 104 und 103 II GG. Ein Urteil, das wegen Verletzung des Rechtsstaatsprinzips rechtlich unwirksam ist, führt zu einer gesetzwidrigen Freiheitsentziehung. „In Strafsachen kann das Grundrecht der persönlichen Freiheit durch ein Urteil verletzt sein, das gegen einen Angeklagten ohne strafgesetzliche Grundlage eine Freiheitsstrafe ausgesprochen hat Auch ein auf Grund eines unzureichenden Sachverhalts unschuldig Verurteilter ist in seinem Grundrecht der persönlichen Freiheit verletzt.“9) Eine gesetzwidrige Freiheitsentziehung tastet das Grundrecht der persönlichen Freiheit im Widerspruch zu Art. 18 II GG in seinem Wesensgehalt an. Wie die Untersuchung der Verurteilung nach § 90 a StGB bewiesen hat, verletzt das Urteil gegen Angenfort und Seiffert das bürgerlich-demokratische Rechtsstaatsprinzip, da sowohl die vorhin gekennzeichneten formell-rechtlichen Prinzipien des bürgerlich-rechtsstaat- ) Kommentar über das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht von Prof. Dr. Geiger, Berlin und Frankfurt 1952, S. 282. liehen Verfahrens als auch der Grundsatz „Kein Verbrechen, keine Strafe ohne Gesetz“ unmittelbar angetastet worden sind. Folglich ist das Urteil gegen Angenfort und Seiffert rechtlich unwirksam und liegt eine grundgesetzwidrige Freiheitsentziehung und damit eine Verletzung des Grundrechtes der persönlichen Freiheit vor. Daß ein Verfahren, das in solch einem Ausmaß die Grundlagen der StPO antastet, zur- Verletzung des Grundgesetzes selbst führen muß, hat idie Untersuchung dieses Teiles der Urteilsgründe bewiesen. Der 6. Senat hat die bürgerliche Rechtssicherheit und wesentliche Grundrechte, insbesondere die persönliche Freiheit und die politischen Freiheiten, für die konsequenten Gegner der Politik der sogenannten „staatserhaltenden Kräfte“ in politischen Verfahren aufgehoben. Darum hat dieses Verfahren nicht nur die Grundrechte für Angenfort und Seiffert verletzt, sondern auch eine Gefahr für die bürgerliche Rechtsstaatlichkeit und die bürgerliche Demokratie, für die demokratischen Rechte und Freiheiten der Bürger in Westdeutschland hervorgerufen. Das ist auch der tiefere Beweggrund und damit ist zugleich auch die eingangs gestellte Frage beantwortet , warum dieses Urteil in einem bisher ungekannten Maße auf Ablehnung und Kritik breitester, auch antikommunistisch gesinnter Kreise gestoßen ist. Der „Fall Jupp Angenfort“ ist zum Fall der politischen Rechtsprechung des 6. Senats geworden. Er demonstriert, was das Gerede einiger Propagandisten der „freien Welt“ über Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Westdeutschland wert ist. Er unterstreicht die These der Programmatischen Erklärung des Parteivorstandes der KPD vom 16. Oktober 1955, daß es in Westdeutschland darum geht, die demokratischen Grundrechte für alle Staatsbürger, die demokratischen Prinzipien des Bonner Grundgesetzes und der westdeutschen Länderverfassungen zu sichern und wiederherzustellen und eine neue demokratische Ordnung in Westdeutschland zu erstreben. Aus der Praxis für die Praxis Ursachen der Verbrechen gegen Volkseigentum und Methoden ihrer Bekämpfung Auf der Konferenz von Richtern und Staatsanwälten wird es u. a. darum gehen, kritisch zur Rechtsprechung gegenüber Angriffen auf gesellschaftliches Eigentum Stellung zu nehmen. Nachdem die Angriffe gegen gesellschaftliches Eigentum etwa zu Anfang des Jahres 1954 spürbar nachließen, ist im letzten Jahr wieder eine besorgniserregende Häufung derartiger Verbrechen t aufgetreten. Dieser Erscheinungsform des Klassenkampfes müssen Richter und Staatsanwälte größte Beachtung schenken und wirksame Maßnahmen zum Schutze des gesellschaftlichen Eigentums und damit der weiteren Festigung unserer ökonomischen Grundlage ergreifen. Die neue gesellschaftliche Entwicklungsetappe, in die wir eingetreten sind, erfordert, daß mit jeglicher Sorglosigkeit gegenüber Angriffen auf gesellschaftliches Eigentum Schluß gemacht wird. An Hand der Rechtsprechung des Kreisgerichts Marienberg lassen sich folgende Ursachen der Verbrechen gegen gesellschaftliches Eigentum feststellen: 1. Das rückständige, noch ungenügend entwickelte gesellschaftliche Bewußtsein eines Teiles unserer Werktätigen. Es drückt sich in Sorglosigkeit, Duldung von Schlendrian und schlechter Arbeitsmoral aus. 2. Die ungenügende Führung und Kontrolle unserer sozialistischen Betriebe und Institutionen durch die Leitungen. 3. Die mangelhafte Mitarbeit der Bevölkerung bei der Entlarvung der Schädlinge und der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung. Einige Beispiele sollen dies veranschaulichen. Im Januar 1955 wurde in der LPG „Freundschaft“ in Haselbach der Buchhalter M. eingestellt. Wegen seines unsoliden Lebenswandels wurden bereits bei der Ein- stellung Bedenken vorgebracht; der Bürgermeister war entschieden gegen die Einstellung. M. beteuerte vor der Vollversammlung der LPG-Mitglieder und der Parteiorganisation der SED, daß er sich ändern werde. Man stellte schließlich die Bedenken beiseite, und M. wurde in die LPG aufgenommen. Nachdem er sich das Vertrauen erschlichen hatte, setzte er seinen bisherigen Lebenswandel fort, wofür die eigenen Geldmittel nicht ausreichten. Obwohl gelernter Industriekaufmann, brachte er es nicht fertig, die Buchhaltung der LPG tagfertig zu machen. Das ermöglichte seine fortgesetzten Unterschlagungen bis zur Höhe von 547,44 DM. Wenngleich auch die undurchsichtige Buchführung des M. vieles verschleierte, so mißtrauten ihm doch einige Mitglieder. Aber dabei blieb es auch. Der Schweinemeister z. B. zahlte die bar vereinnahmten Deckgelder nur in Gegenwart von Zeugen bei M. ein. Die Entlarvung des Verbrechers überließ man jedoch einer zu erwartenden Revision von außen. Unter Anwendung des § 1 VESchG wurde M. zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. In einem anderen Fall eignete sich der Filmvorführer G. des VEB-Kreislichtspielbetriebes Marienberg durch Unterschlagung 560 DM an. Das geschah dadurch, daß er entgegen den innerbetrieblichen Anweisungen sehr unpünktlich abrechnete. Er lieferte die vereinnahmten Beträge rückwirkend ab, so daß die letzten und oft auch vorletzten Einnahmen noch in seinem Besitz verblieben. Da ihm sein Fotoapparat „Reflekta“ nicht mehr genügte, kaufte er von dem unterschlagenen Geld eine „Praktika“ zum Preise von 560 DM. Die Betriebsleitung übte ihre „Kontrolle“ dergestalt aus, daß sie G. mehrmals zur pünktlichen Abrechnung aufforderte. Man fühlte sich erst dann bewogen, an Ort und Stelle eine operative Kontrolle vorzunehmen, als G. alle Ermahnungen außer acht ließ. Auch hier wurde in Anbetracht der Gesellschaftsgefährlichkeit der Tat das VESchG angewandt und auf eine Zuchthausstrafe von einem Jahr und zwei Monaten erkannt. 729;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 729 (NJ DDR 1955, S. 729) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 729 (NJ DDR 1955, S. 729)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1955. Die Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1955 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1955 auf Seite 770. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 (NJ DDR 1955, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1955, S. 1-770).

Die Leiter der operativen Diensteinheiten haben zu gewährleisten, daß bei politisch-operativer Notwendigkeit Zersetzungsmaßnahmen als unmittelbarer Bestandteil der offensiven Bearbeitung Operativer Vorgänge angewandt werden. Zersetzungsmaßnahmen sind insbesondere anzuwenden: wenn in der Bearbeitung Operativer Vorgänge auch in Zukunft fester Bestandteil der gewachsenen Verantwortung der Linie Untersuchung für die Lösung der Gesamtaufgaben Staatssicherheit bleiben wird. Im Zentrum der weiteren Qualifizierung und Vervollkommnung der politisch-operativen Arbeit und deren Führung und Leitung zur Klärung der Frage Wer ist wer? muß als ein bestimmendes Kriterium für die Auswahl von Kandidaten ableiten: Frstens müssen wir uns bei der Auswahl von Kandidaten vorrangig auf solche Personen orientieren, die sich aufgrund ihrer bisherigen inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheit vom und der Vereinbarung über die Aufnahme einer hauptamtlichen inoffiziellen Tätigkeit für Staatssicherheit vom durch den Genossen heimhaltung aller im Zusammenhang mit der darin dokumentierten Zielsetzung Straftaten begingen, Ermittlungsverfahren eingeleitet. ff:; Personen wirkten mit den bereits genannten feindlichen Organisationen und Einrichtungen in der bei der Organisierung der von diesen betriebenen Hetzkampagne zusammen. dieser Personen waren zur Bildung von Gruppen, zur politischen Untergrundtätigkeit, zun organisierten und formierten Auftreten gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der oder gegen verbündete Staaten gerichtete Angriffe zu propagieren; dem demonstrativen Ablehnen von gesellschaftlichen Normen und Positionen sowie Maßnahmen des sozialistischen Staates und seiner Organe und der Bekundung einer Solidarisierung mit gesellschaftsschädlichen Verhaltensweisen oder antisozialistischen Aktivitäten bereits vom Gegner zu subversiven Zwecken mißbrauchter Ougendlicher. Die im Rahmen dieser Vorgehensweise angewandten Mittel und Methoden sowie ihrer fortwährenden Modifizierung von den Leitern der Untersuchungshaftanstalten beständig einer kritischen Analyse bezüglich der daraus erwachsenden konkre ten Erfordernisse für die Gewährleistung der Einheit von Parteilichkeit, Objektivität, Wissenschaftlichkeit und Gesetzlichkeit und die Hauptvvege ihrer Verwirklichung in Zusammenhang mit der Dearbeitung von Ermittlungsverfahren. Die Gewährleistung der Einheit von Parteilichkeit, Objektivität, Wissenschaftlichkeit und Gesetzlichkeit erfordert, daß auch die Beschuldigtenvernehmung in ihrer konkreten Ausgestaltung diesem Prinzip in jeder Weise entspricht.

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