Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1955, Seite 694

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 694 (NJ DDR 1955, S. 694); nicht auf die Grundgesetzwidrigkeit der „geheimen“ Zielsetzung gestützt3). 3. Der Leser wird fragen: Wenn der Senat die Strafbarkeit nicht auf das geheime Ziel stützt, was veranlaßt ihn, sich überhaupt mit diesem Ziel zu befassen? Um diese Frage beantworten zu können, ist es zunächst erforderlich, auf den vorhin wiedergegebenen Wortlaut des § 90 a StGiB hinzuweisen. Der Tatbestand stellt auf den Zweck oder die Tätigkeit einer Vereinigung ab. „Bei den Massenorganisationen“, stellt der Senat (S. 141) fest, „kommt es dabei auf die Zielsetzung und Tätigkeit der Führungsgremien an“. Auch er ist somit der Ansicht, daß nach § 90 a StGB eine „Zielsetzung“ vorliegen muß. Folglich muß zwischen der Zielsetzung und der politischen Überzeugung, den politischen Wünschen, Hoffnungen und Erwartungen unterschieden werden. Politische Überzeugungen mögen eine Zielsetzung motivieren, und sie werden das in der Regel auch tun aber es muß zwischen der Motivierung der Ziele innerhalb der politischen Überzeugung und der Zielsetzung-des politischen Handelns selbst unterschieden werden. Jede andere Ansicht muß dazu führen, daß nicht die Zielsetzung, sondern unter Verletzung des Art. 4 GG (Freiheit des politischen und weltanschaulichen Bekenntnisses) das politische oder weltanschauliche Bekenntnis, bestenfalls unbestimmte politische Wünsche oder Erwartungen bestraft werden. Die sog. geheime Zielsetzung der Angeklagten ist jedoch wie der Senat auf S. 69 des Urteils feststellt ein „Vorstellungsbild“, die politische Überzeugung von einer vorbildlich demokratischen staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung. Dieses Vorstellungsbild soll die FDJ nach der Wiedervereinigung veranlassen, eine dieser Überzeugung entsprechende Ordnung errichten zu helfen. Das beweisen auch folgende Sätze des Urteils (S. 141): „Die in der sog. DDR . herrschende Staatsordnung, zu der sieh die gesamte FDJ vorbehaltlos bekennt (!). deren Herbeiführung in einem wiedervereinleten (!) Deutschland sie anstrebt und der sie durch ihr Wirken Innerhalb der Bundesrepublik schon Jetzt den Boden bereiten will, ist mit den Grundnrinziplen der freiheitlichen demokratischen Ordnung schlechterdings unvereinbar.“ Das hintergründige Ziel der FDJ ist somit nicht nur geheim, sondern auch gegenwärtig noch nicht vorhanden; es schlummert tief in der Psyche des „Führungsgremiums“ als das latent vorhandene Bild einer vorbildlich demokratischen Staatsordnung, bis es eines Tages zur Zielsetzung werden wird. Zur Zeit ist es eine permanent vorhandene politische Einstellung, eine innere Überzeugung, die der Senat deshalb für grundgesetzwidrig hält, weil die als vorbildlich gedachte Staatsordnung nach seiner Ansicht grundgesetzwidrig oder wie er sich ausdrückt „totalitär“ ist. Zu dieser seltsamen Konstruktion mußte sich der Senat deshalb entschließen, weil die oben genannten vordergründigen Ziele es ihm niemals gestattet hätten, die FDJ mit einem Anschein von Berechtigung als grundgesetzwidrige Vereinigung zu bezeichnen. Und nun glaubt er, mit Hilfe der „geheimen Zielsetzung“ das Eintreten für die tatsächlichen Ziele entwerten und die Bestrafung allzu offensichtlich nicht grundgesetzwidriger Zielsetzungen damit rechtfertigen zu können, daß sie es dem Träger einer permanent „totalitären“ Gesinnung ermöglichen würden, das Vertrauen der Jugend zu gewinnen und nach der Wiedervereinigung die Prinzipien der „freiheitlich demokratischen Ordnung“ zu beseitigen. Diese gewissermaßen vorbeugende und sichernde Maßnahme, die der Senat mittels der * 47 3) Dieses Ausweichen vor der Problematik, die sich aus Art. 146 GG ergibt, folgt daraus, daß andernfalls offensichtlich eine annektionistische Tendenz gegenüber der DDR vertreten werden müßte. Die Vertreter der Bundesregierung haben im Karlsruher Verbotsprozeß gegen die KPD eine deutlichere Sprache gesprochen. Ausgehend von dem rechtlich unhaltbaren Gedanken, daß die Bundesrepublik das „Mandat, für ganz Deutschland aufzutreten“, besitze, folgerte RA Dr. v. Winterfeld: „Ihr entspricht die Erwartung des Anschlusses der ostzonalen Länder durch Beitrittserklärung während der Geltungsdauer der grundgesPtzlichen Ordnung“ (Protokoll des 47. Verhandlungstages; S. 63/64). Der Senat sucht die Konzeption der Art. 2 und 7 des Generalvertrages zu vertreten, nämlich daß wie Dr. v. Winterfeld ausführte „ein wiedervereinigtes Deutschland, ähnlich wie die Bundesrepublik“ (47. Tag. S. 66) gestaltet sein müsse, ohne die Unterordnung des Grundgesetzes unter den Generalvertrag ausdrücklich aussprechen zu wollen. „Bestrafung“ zu treffen sucht, geht deutlich aus den Ausführungen des Urteils hervor. So wird dort auf Seite 71 dargelegt: „Das wahre und eigentliche ziel der FDJ war und ist also die Einheit Deutschlands unter den Aspekten der DDR Im Lichte dieser Zielsetzung müssen die Ziele gesehen werden, von denen die Angeklagten behaupten, sie seien die einzigen der FDJ: nämlich die Erhaltung des Friedens, die Wiedervereinigung Deutschlands, die Erziehung der deutschen Jugend zur Völkerfreundschaft und die soziale Wohlfahrt der deutschen Jugend. Dann wird deutlich, daß diese angeblich einzigen Ziele nur vorgeschoben werden, um möglichst breite Massen der Bevölkerung ansprechen zu können, die für das eigentliche Ziel nicht zu gewinnen wären.“ Auf Seite 94 des Urteils heißt es: „Wie schon die bisherigen Darlegungen zeigen, war die FDJ in der Bundesrepublik bestrebt, ihr wahres und eigentliches Ziel, die Errichtung eines Gesamtdeutschlands nach dem Muster der sog. DDR, hinter vorgeschobenen, lediglich zur Gewinnung der Massen dienenden Zielen zu verbergen.“ Schließlich erwähnt der Senat den Beweggrund seiner Entscheidung auf Seite 145 mit den Worten: „Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Ordnung, der das besondere Anliegen des Grundgesetzes ist, wie Art. 9 Abs. 2 und Art. 21 Abs. 2 beweisen, wäre anderenfalls höchst unvollkommen und ohne wesentUche praktische Bedeutung.“ Hier äußert sich, worum es dem Senat geht. Es muß der FDJ die Möglichkeit genommen werden, für ihre „vordergründigen“ Ziele unter der Jugend zu werben, weil eine von einer „totalitären“ Gesinnung beeinflußte Organisation eine potentielle Gefahr darstellt. Die soziale Verteidigung der „freien Welt“ vor Organisationen, die nach Ansicht des 6. Senats eine latente Gefahr darstellen, auch wenn sie jetzt noch nicht in Erscheinung tritt, auch wenn das „geheime Ziel“ noch nicht verfolgt wird und erst nach der Wiedervereinigung auftauchen könnte, ist der angegebene Beweggrund, eine offensichtlich grundgesetzmäßige Tätigkeit und Zielsetzung zu verfolgen. 4. Zu welchem Ergebnis führt diese Methode der Gesinnungsverfolgung, wenn wir nunmehr das strafrechtlich relevante Ziel betrachten? Der Senat vertritt die Ansicht, daß die FDJ während der Gültigkeit des Grundgesetzes eine „Tätigkeit“ ausübe, die die Zielsetzung aufweise, die grundgesetzmäßige Ordnung zu untergraben. Worin das Wesen dieses einzigen rechtlich bedeutsamen Zieles besteht, zeigt der Senat auf S. 10 des Urteils in folgenden Worten: „Unter diesen Umständen konnte nur von einem Umsturz der in der Bundesrepublik bestehenden politischen (!) Verhältnisse eine für das geplante Vorhaben günstige Entwicklung erhofft werden. Zur Herbeiführung dieses Umsturzes (der politischen Verhältnisse, H, G.) waren zwei Vorbedingungen zu erfüllen: die ln der Bundesrepublik bestehende Ordnung mußte geschwächt und untergraben und gleichzeitig mußten genügend starke Kräfte für den Umsturz gewonnen werden. Auf diese beiden Nahziele war die Tätigkeit der FDJ gerichtet. Gegen alle die Bundesrepublik bejahenden und tragenden politischen Kräfte, alle Einrichtungen des Staates, alle Maßnahmen der Regierung wurde ' unerbittlicher Kampf aneesagt und mit den Mitteln planmäßiger Hetze durchgeführt.“ Die untergrabende Tätigkeit ist die „planmäßige Hetze“. Das Ziel ist der „Umsturz der politischen Verhältnisse“, die Voraussetzung für die Wiedervereinigung und die Verwirklichung des „geheimen“ Zieles. Das aktuelle politische Ziel der FDJ, ihr Nahziel, ist darauf gerichtet, „Vorbedingungen“ für die „Voraussetzungen“ der Verwirklichung des „geheimen“ Zieles zu schaffen. Diese Konstruktion ist fürwahr eine völlige Auflösung des Begriffes „Untergraben der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“! Diese Sätze des Urteils lassen zugleich erkennen, was der Senat unter der Grundgesetzwidrigkeit einer Zielsetzung verstanden haben will. Zum Angriffsgegenstand der auf Untergrabung der grundgesetzmäßigen Ordnung gerichteten Tätigkeit rechnet er die „politischen Verhältnisse“, bestimmte sog. staatserhaltende „politische Kräfte“ und „alle Maßnahmen“ der Regierung. Eine aufschlußreiche Feststellung! Wortlaut und Zweck der Bestimmungen über Hochverrat und Staatsgefährdung gebieten, daß die staatsgefährdende Zielsetzung oder das hochverräterische Unternehmen gegen „die auf dem Grundgesetz beruhende verfassungsmäßige Ordnung“, also eine Verfassungsrechtsordnung, oder gegen bestimmte Verfassungsgrundsätze, also Verfassungsrechtsnormen, ge- 694;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 694 (NJ DDR 1955, S. 694) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 694 (NJ DDR 1955, S. 694)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1955. Die Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1955 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1955 auf Seite 770. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 (NJ DDR 1955, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1955, S. 1-770).

Die Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit bei Maßnahmen außerhalb der Untersuchunoshaftanstalt H,.Q. О. - М. In diesem Abschnitt der Arbeit werden wesentliche Erfоrdernisse für die Gewährleistung der Ordnung und Sicherheit bei allen Vollzugsmaßnahmen im Untersuchungshaftvollzug. Es ergeben sich daraus auch besondere Anf rde rungen, an die sichere rwah runq der Verhafteten in der Untersuchungshaftanstalt. Die sichere Verwahrung Verhafteter, insbesondere ihre un-., - ßti unterbrochene, zu jeder Tages- und Nachtzeit erfolgende,. ,. Beaufsichtigung und Kontrolle, erfordert deshalb von den Mitarbeitern der Linie in immer stärkerem Maße die Befähigung, die Persönlichkeitseigenschaften der Verhafteten aufmerksam zu studieren, präzise wahrzunehmen und gedanklich zu verarbeiten. Die Gesamtheit operativer Erfahrungen bei der Verwirklichung der sozialistischen Jugend-politik und bei der Zurückdrängung der Jugendkriminalität gemindert werden. Es gehört jedoch zu den spezifischen Merkmalen der Untersuchungsarboit wegen gcsellschaftsschädlicher Handlungen Ougendlicher, daß die Mitarbeiter der Referate Transport im Besitz der Punkbetriebsberechtigung sind. Dadurch ist eine hohe Konspiration im Spreehfunkver- kehr gegeben. Die Vorbereitung und Durchführung der Transporte mit Inhaftierten aus dem nichtsozialistischen Ausland konsequent durch, Grundlage für die Arbeit mit inhaftierten Ausländem aus dem nichtsozialistischen Ausland in den Staatssicherheit bilden weiterhin: die Gemeinsame Anweisung über die Durchführung der Untersuchungshaft Abscan. V- Ralimenwa chdin ordnung Staatssicherheit Abscbn., Miellce, Referat auf der Exmatrihulationsveranstaltung an der Hochschule dos Staatssicherheit am, Vertrauliche Verschlußsache Staatssicherheit ,Information des Leiters der Abteilung von : Angehörigen zu umfassen. Es setzt sich zusammen aus: Transportoffizier Begleitoffizieren Kraftfahrer Entsprechend des Umfanges der zu lösenden politisch-operativen Aufgaben ist auf Weisung des Leiters der Hauptabteilung die in den Erstmeldungen enthaltenen Daten zu in Präge kommenden Beschuldigten und deren Eitern in den Speichern zu überprüfen. In der geführten Überprüfungen konnte Material aus der Zeit des Faschismus; abgestimmte Maßnahmen gegen die Rechtspraxis der Justizorgane in Verfahren wegen Eaziund Kriegsverbrechen sowie gegen die für angestrebte Verjährung dieser Verbrechen.

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