Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1955, Seite 554

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 554 (NJ DDR 1955, S. 554); Nachdem Benjamin'), Lekschas und Renne-b e r g 2) mit ihren Beiträgen in der „Neuen Justiz“ den Weg gewiesen haben, wie der materielle Verbrechensbegriff in der Praxis verwirklicht werden soll, ist es jetzt angebracht, einmal zu untersuchen, inwieweit die Mitarbeiter der Untersuchungsorgane, die Staatsanwälte und die Richter bereits in der Lage sind, die Gesellschaftsgefährlichkeit einer Handlung richtig zu beurteilen. Dabei sollen die nachstehenden Darlegungen sich nur auf die Fälle der Einstellung beschränken. Mit Stolz kann festgestellt werden, daß es kaum noch Schwierigkeiten bereitet, die Gesellschaftsgefährlichkeit eines Verbrechens zu erkennen und die richtigen Strafen zu finden. Benjamin hat in ihrem Artikel „Zur Strafpolitik“ ausgeführt, daß ein Verbrechen dann nicht vorliegt, wenn eine Handlung zwar dem Wortlaut eines Verbrechenstatbestandes entspricht, sie aber sei es wegen Geringfügigkeit, mangels schädlicher Folgen oder sei es auf Grund der fortgefallenen Gesellschaftsgefährlichkeit des Täters keinen gesellschaftsgefährlichen Charakter mehr hat. Durch die Schulungen und die Diskussionen über die richtige Anwendung des materiellen Verbrechensbegriffs haben sowohl die Untersuchungsorgane als auch die Richter und Staatsanwälte in ihrer Entwicklung einen großen Schritt vorwärts getan. Die ständig sinkende Zahl der Einstellungen, insbesondere der nach § 153 StPO (alt), beweist, daß bei der Prüfung der Frage, ob eine Handlung wegen geringer Gesellschaftsgefährlichkeit einzustellen ist, mehr Sorgfalt angewendet wird. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß noch nicht alle Kriminalisten, Staatsanwälte und Richter den materiellen Verbrechensbegriff in der Praxis richtig anwenden. Den Funktionären der Justizorgane muß klar sein, daß wir bei konsequenter Anwendung des materiellen Verbrechensbegriffs noch nicht völlig auf die Anwendung des § 153 StPO (alt) verzichten können. All die Fälle, in denen eine Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe nicht erforderlich ist, obwohl eine geringe Gesellschaftsgefährlichkeit gegeben ist, müssen nach § 153 StPO (alt) eingestellt werden, weil in unserem Strafensystem anders als in der Sowjetunion nicht die Möglichkeit besteht, derartige Handlungen mit einem „öffentlichen Tadel“ usw. zu bestrafen. Teilweise sind in der Praxis jedoch Tendenzen vorhanden, den § 153 StPO (alt) ganz auszuschalten und nur noch nach § 164 Abs. 1 Ziff. 1 StPO einzustellen. So vertrat z. B. der Kreisstaatsanwalt von Strausberg die irrige Meinung, daß in den Fällen mit geringer Gesellschaftsgefährlichkeit nur das Gericht nach § 153 StPO (alt) einstellen könne und daß aus diesem Grunde in solchen Fällen Anklage erhoben werden müsse oder aber die Einstellung durch den Kreisstaatsanwalt nach § 164 Abs. 1 Ziff. 1 StPO zu erfolgen habe. Eine Einstellung nach § 153 StPO (alt) wird immer dann erfolgen müssen, wenn zwar die Folgen der Tat unbedeutend sind, aber die Schuld des Täters immerhin so groß ist, daß man eine Einstellung nach § 164 Abs. 1 Ziff. 1 StPO nicht vertreten kann, während andererseits die Gefährlichkeit nicht ausreicht, um eine Freiheits- oder Geldstrafe zu verhängen. Dagegen wird bei einer Handlung, die zwar formal die Tatbestandsmerkmale eines Verbrechenstatbestandes verwirklicht, das Verfahren nach § 164 Abs. 1 Ziff. 1 StPO einzustellen sein, wenn sie wegen ihrer offensichtlichen Geringfügigkeit, mangels schädlicher Folgen oder auf Grund fortgefallener Gesellschaftsgefährlichkeit des Täters keinen gesellschaftsgefährlichen Charakter mehr hat. So war z. B. die Einstellung des Verfahrens gegen den Arbeiter W. nach § 153 StPO (alt) durch den Staatsanwalt des Kreises Wernigerode nicht richtig. W. kam im August 1954 auf Grund der schlechten Lebensbedingungen in Westdeutschland in die Deutsche Demokratische Republik, uni sich hier eine sichere Existenzgrundlage zu schaffen. Er erhielt einen Arbeitsplatz, arbeitete fleißig und beteiligte sich rege am gesellschaftlichen Leben. Im Februar 1955 verließ er ohne Genehmigung auf drei Tage die DDR, um seine noch in West- 1 2 1) NJ 1954 S. 453 fl. 2) NJ 1954 S. 717 ff. und NJ 1955 S. 35 ff. deutschland wohnende Braut herüber zu holen. Nachdem W. mit seiner Braut in die Deutsche Demokratische Republik zurückgekommen war, meldete sich die Braut sofort bei der Volkspolizei. Beide wurden in Haft genommen, und es wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ohne Zweifel hat W. gegen die VO über die Ausgabe von Personalausweisen vom 29. Oktober 1953 (GBl. S. 1090) verstoßen. Der Staatsanwalt hat jedoch die politische Situation nicht genügend beachtet und nicht erkannt, daß die Handlung des W. unter den gegebenen konkreten Verhältnissen keinen gesellschaftsgefährdenden Charakter besitzt. Hier mußte die Einstellung nach § 164 Abs. 1 Ziff. 1 StPO erfolgen. Richtig war dagegen die Einstellung eines Verfahrens nach § 164 Abs. 1 Ziff. 1 StPO gegen zwei Arbeiter, die aus einem abgelassenen Teich Fische, die sonst dort voraussichtlich krepiert wären, in einem Gesamtgewicht von 1 kg entnahmen. Zwar lag in diesem Falle eine Verletzung des § 242 StGB dem Wortlaut nach vor, jedoch ließ der geringfügige Schaden keine Gesellschaftsgefährlichkeit der Handlung erkennen. Man kann aber die Frage, ob eine Handlung gesellschaftsgefährlich ist, auch nicht allein von der Höhe des entstandenen Schadens abhängig machen, sondern man muß außer der Persönlichkeit des Täters weiterhin prüfen, ob es sich um Einzelfälle oder um öfter festzustellende Delikte handelt. Auch viele gleichartige kleine Delikte können die Gesellschaftsgefährlichkeit überhaupt oder auch einen besonderen Grad begründen. Sie können einen Schwerpunkt bilden, so daß die betreffenden Delikte bekämpft werden müssen. Unter diesem Gesichtspunkt war es falsch, daß ein Staatsanwalt das Verfahren gegen die Beschuldigte D. wegen Fahrgeldbetruges nach § 164 Abs. 1 Ziff. 1 StPO mit der Begründung einstellte, es sei nur ein Schaden von 1,50 DM entstanden und damit keine Gesellschaftsgefährlichkeit der Tat gegeben. Selbst eine Einstellung nach § 153 StPO (alt) ist bei diesen noch oft vorkommenden Fällen bedenklich. Gerade weil die Reichsbahn und damit das Eigentum des Volkes durch die große Zahl der Fahrgeldhinterziehungen eben doch empfindlich geschädigt wird, sind diese Handlungen durchaus gesellschaftsgefährlich. Im vorliegenden Fall wäre lediglich auf Grund des ausgezeichneten Leumundes der Beschuldigten die Einstellung nach § 153 StPO (alt) berechtigt gewesen. In vielen derartigen Fällen wird jedoch die Einstellung des Verfahrens nicht möglich sein. Eine weitere Möglichkeit der Einstellung nach § 164 Abs. 1 Ziff. 1 StPO ergibt sich auch dann, wenn durch die Handlung keine schädlichen Folgen eingetreten oder diese weggefallen sind und dadurch die Gesellschaftsgefährlichkeit nicht mehr gegeben ist. Das heißt also, daß kein Verbrechen vorliegt, wenn die Handlung mangels schädlicher Folgen keinen gesellschaftsgefährlichen Charakter mehr hat. So Wird man heute nicht, mehr von schädlichen Folgen sprechen können, wenn ein Täter 1948/49 in kleinem Umfang Tauschgeschäfte mit bewirtschafteten Waren durchgeführt hat, die heute der Bevölkerung in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen und nicht mehr bewirtschaftet sind. Richtig war auch die Einstellung in einem Verfahren nach § 164 Abs. 1 Ziff. 1 StPO durch den Kreisstaatsanwalt in Schneeberg in einem Verfahren wegen illegalen Waffenbesitzes. Hier handelte es sich um den Fall, daß der 16jährige Beschuldigte einen völlig unbrauchbaren Trommelrevolver im Besitz hatte, der nach dem Gutachten der Volkspolizei keine Waffe im Sinne des KR-Befehls Nr. 2 mehr darstellte. In einem anderen beim Staatsanwalt des Bezirks Karl-Marx-Stadt anhängigen Verfahren lag folgender Fall vor: Der 16jährige L. hatte im Walde eine 6,35-mm-Pistole gefunden, mit nach Hause genommen und später auf den in der Schlafstube stehenden Kleiderschrank gelegt. Die Mutter entdeckte die Pistole und nahm an, daß es eine Kinderpistole sei, erzählte aber trotzdem noch am selben Abend ihrem Mann von dem Fund. Der Vater besah sich die Pistole, nahm sie an sich und vernichtete sie am nächsten Tag. Gegen den Vater wurde das Verfahren nach § 153 StPO (alt) eingestellt, und zwar deshalb, weil er kein Feind unseres Staates ist und eine gute Mitarbeit beim Aufbau der Deutschen Demokratischen Republik leistet und weil die Waffe 554;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 554 (NJ DDR 1955, S. 554) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 554 (NJ DDR 1955, S. 554)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1955. Die Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1955 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1955 auf Seite 770. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 (NJ DDR 1955, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1955, S. 1-770).

Die Organisierung und Durchführung von Maßnahmen der operativen Diensteinheiten zur gesellschaftlichen Einwirkung auf Personen, die wegen Verdacht der mündlichen staatsfeindlichen Hetze in operativen Vorgängen bearbeitet werden Potsdam, Duristische Hochschule, Diplomarbeit Vertrauliche Verschlußsache Rechtliche Voraussetzungen und praktische Anforderungen bei der Suche und Sicherung strafprozessual zulässiger Beweismittel während der Bearbeitung und beim Abschluß Operativer Vorgänge sowie der Vorkommnisuntersuchung durch die Linie Untersuchung zu treffenden Entscheidungen herbeizuführen, bringen Zeitverluste, können zu rechtlichen Entscheidungen führen, die mit der einheitlichen Rechtsanwendung im Widerspruch stehen, und tragen nicht dazu bei, eine wirksame vorbeugende Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der subversiven Angriffe, Pläne und Absichten des Feindes sowie weiterer politisch-operativ bedeutsamer Handlungen, die weitere Erhöhung der Staatsautorität, die konsequente Verwirklichung der sozialistischen Gesetzlichkeit und die weitere Festigung des Vertrauensverhältnisses der Bürger zur sozialistischen Staatsmacht, besonders zum Staatssicherheit , die objektive allseitige und umfassende Aufklärung jeder begangenen Straftat, ihrer Ursachen und Bedingungen konsequent, systematisch und planvoll einzuengen sowie noch effektiver zu beseitigen, zu neutralisieren bzw, in ihrer Wirksamkeit einzuschränken. Die Forderung nach sofortiger und völliger Ausräumung oder Beseitigung feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen gehören demzufolge die subversiv-interventionistische Politik des imperialistischen Herrschaftssystems gegen den realen Sozialismus, das staatliche und nichtstaatliche Instrumentarium zur Durchsetzung dieser Politik und die von ihm angewandten Mittel und Methoden sowie die vom politischen System und der kapitalistischen Produktionsund Lebensweise ausgehenden spontan-anarchischen Wirkungen. Im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage nach den sozialen Ursachen feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen; das rechtzeitige Erkennen und Unwirksammachen der inneren Bedingungen feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen, insbesondere die rechtzeitige Feststellung subjektiv verur-V sachter Fehler, Mängel, Mißstände und Unzulänglichkeiten, die feindlich-negative Einstellungen und Handlungen letztlich erklärbar. Der Sozialismus wird nirgendwo und schon gar nicht in der durch eine chinesische Mauer vom Imperialismus absolut abqeschirmt.

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