Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1955, Seite 437

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 437 (NJ DDR 1955, S. 437); politischen Inhalt hat, womit eine solche Differenzierung unhaltbar und unmöglich ist2), wird diese Unterscheidung in der westdeutschen Arbeitsrechtspraxis auch mehr und mehr verwischt, um möglichst jeden Streik als politischen zu klassifizieren und dementsprechend verbieten bzw. ahnden zu können. Diese Absicht widerspiegelt z. B. das in der Frage der Zuständigkeit für die Schadensersatzprozesse der Unternehmer auf Grund des Zeitungsstreiks gegen das Betriebsverfassungsgesetz (BVG) vom 18. Mai 1952 ergangene Zwischenurteil des BGH vom 29. September 1954 (VI ZR 232/53)3). Dieser Entscheidung zufolge fallen unter den Arbeitskampf begriff schließlich nur „mit dem Tarifvertragsrecht zusammenhängende Handlungen“, die „Erstrebung einer tarifrechtlichen Regelung streitiger Fragen“. Alles andere soll „rechtswidriger politischer Streik“ und nicht mehr „Arbeitskampf“ sein, auch wenn die Streikforderungen eindeutig wie gerade in diesem Streik gegen das BVG auf arbeitsrechtlichem Gebiet liegen. Das Hauptmerkmal des angeblich verbotenen politischen Streiks wird darin erblickt, daß er sich gegen die Staatsorgane, namentlich Regierung und Parlament, richte. Dies sei auch dann der Fall, wenn eine Einwirkung der bestreikten Unternehmer auf den Gesetzgeber erreicht werden solle und möglich sei (!). Diese Auffassung zieht sich mit unwesentlichen Varianten wie ein roter Faden durch die westdeutsche Literatur und Rechtsprechung4). Auch verräterische DGB-Funktionäre erklären Streiks nur zur unmittelbaren Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen für zulässig. Der gleichen Ansicht ist schließlich die amerikanische Fraktion der SPD, als deren Sprecher Carlo Schmid Anfang April dieses Jahres auf einer Diskussion über „Streik und Demokratie“ in Düsseldorf den „Streik gegen den Staat“ entschieden ablehnte; Demonstrationsstreiks, um der Regierung die Wichtigkeit eines bestimmten Anliegens zu zeigen, hielt Schmid für erlaubt, fügte jedoch hinzu, wenn das Parlament entschieden habe, müsse sich die Gewerkschaft fügen (!)5). Weil die These von der Rechtswidrigkeit politischer Streiks nicht in allen Fällen taugte, um alles das, was zu offensichtlich zwischen Streiks um tarifvertragliche Forderungen und „Streiks gegen die Staatsorgane“ liegt, als „politische Streiks“ zu behandeln, wurde die sog. Lehre von der Sozialadäquanz des Streiks erfunden, derzufolge nur ein „sozialadäquater Streik“ zulässig sein soll6). Den westdeutschen Gerichten ist damit ein beliebig dehnbarer „Rechtsbegriff“ an die Hand gegeben, um den Arbeiterin von Fall zu Fall das Streikrecht wegen „Sozialinadäquanz des Streiks“ abzusprechen; denn „sozialadäquat“ sind nach Nipperdey, dem Urheber dieser faschistischen Theorie nur solche „Betätigungen, die sich innerhalb des Rahmens der geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnungen des Gemeinschaftslebens ergeben“. Alles, was nicht in diesen willkürlich gezogenen und nach Bedarf verstellbaren Rahmen paßt, soll „sozialinadäquat“ und somit rechtswidrig sein nicht nur der sog. politische Streik als Hauptfall des sozialinadäquaten Streiks“, sondern praktisch jeder Streik, der dem Bonner Regime unangenehm ist. Namentlich fällt es von dieser Position aus nicht mehr schwer, Sympathiestreiks (mangels erfüllbarer Forderung gegenüber dem jeweils bestreikten Unternehmer) und sog. Demonstrationsstreiks (mangels „eigentlicher Streikforderung“), die bisher überwiegend anerkannt wurden, mit der Begründung für rechtswidrig zu erklä- 2) vgl. audh Tauscher, „Uber das Streikrecht ln Westdeutschland“, ln Staat und Recht 1954, Heft 1, S. 62 ff. (78 ff.). 3) vgl. NJW 1954, Heft 48, S. 1804; BB 1954, Heft 32, S. 994; „'Der Betrieb" 1954, Heft 46, S. 975; „Der Arbeitgeber“ 1954, Heft 22, S. 858 fl.; RdA 1954, Heft 11, S. 440 und Heft 12, S. 478. 4) vgl. beispielsweise Siebrecht, „Das Recht im Arbeitskampf“, Köln 1952, S. 13 und S. 27 f.; Neumann-Duesberg ln JR 1954, Heft 12, S. 441 fl.; Schnorr v. Carolsfeld, „Arbeitsrecht“, Göttingen 1954, S. 323, und die dorf Angegebenen. Dagegen z. B. SChmld ln „Gewerkschaftliche Monatshefte“ 1954, Heft 1, S. l ff. und Abendroth, ebenda 1954, Heft 5, S. 258 ff. 5) vgl. „Die Welt“ Nr. 80 vom 5. April 1955’ (S. 2); ferner Throm in „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ Nr. 84 vom 12. April 1955 (S. 1). 6) vgl. dazu Tauscher, a. a. O. S. 78 fl., mit weiteren Hin- weisen. ren, daß die Unternehmer insoweit „wehrlos“ und „einflußlos“ seien7). Diese Lehre von der „Sozialadäquanz des Streiks“ erschien in besonderem Maße geeignet, das Streikrecht in Westdeutschland auf kaltem Wege zu liquidieren. Sie diente darum den Arbeitsgerichten immer häufiger als Grundlage für ihre Entscheidungen und wurde nunmehr auch vom Bundesarbeitsgericht (BAG) aufgegriffen8). Weil es den Praktikern und Theoretikern im Solde der Monopolisten trotz aller genannten Kunstgriffe nicht lückenlos gelingt, Streiks als solche und das Streik ziel als rechtswidrig zu konstruieren, suchen sie darüber hinaus in der Art der Streikdurchfüh-rung, in einzelnen Streikhandlungen, Merkmale der Rechtswidrigkeit zu entdecken. Eine Hauptmethode hierbei ist die willkürliche Beschränkung des Streikrechts auf die bloße Einstellung und Niederlegung der Arbeit, die Untätigkeit, das Nichterscheinen (oder passive Verweilen) im Betrieb, während alles darüber Hinausgehende z. B. Demonstrationen, Streikpostenstehen, Diskussionen mit Streikbrechern, Flugblattverteilung usw. als rechtswidrig hingestellt, die eigentlichen Streikhandlungen also unterbunden und mit nachteiligen Folgen verknüpft werden. Außerdem wird versucht, irgendwelche „Rechtsgüter“ mittelbar oder unmittelbar schützende Rechtsbestimmungen z. B. des BGB, des StGB, aber auch des BVG und besonders des GG so weit als möglich auszulegen, um „Überschneidungen“ mit dem Streikrecht zu schaffen und entsprechende Streikhandlungen zumal sie angeblich nicht durch ein echtes Streik recht gedeckt sind als rechtswidrig hinzustellen. An diese verfassungswidrigen Manöver knüpfen sich dann konkrete, materielle Folgen für die einzelnen Werktätigen und die Gewerkschaften, indem versucht wird, sie durch Androhung und Aufbürdung von (zivilrechtlichen) Schadensersatz leistungen an die Unternehmer von Streiks abzuhalten und sie den Streik „finanziell büßen“ zu lassen. „Rechtsgrundlage“ hierfür sind nach einmal unterschobener Rechtswidrigkeit des Streiks bzw. der Streikhandlung namentlich die BGB-Vorschriften über unerlaubte Handlungen (§§ 823 ff.). Die sich aus diesen Bestimmungen ergebenden Möglichkeiten voll zu „erschließen“, blieb Adenauers ,.Rechts“-Staat Vorbehalten. Hatte das ehemalige Reichsgericht in der Weimarer Zeit Schadensersatzforderungen gegen Streikende nur unter den relativ strengen Voraussetzungen des obendrein noch restriktiv ausgelegten § R2R BGB oder allenfalls auf Grund des § 823 Abs. 2 BGB (wobei in der Regel nur Tatbestände des StGB als „Schutzgesetz“ in Betracht gezogen wurden) anerkannt, so zeigt sich die westdeutsche Praxis weit weniger zimperlich. Nicht genug, daß sie die genannten Vorschriften extensiv auslegt, indem sie z. B. § 49 RVG zum Schutzgesetz“ im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB erhoben hat. stützt sie sich ihre reaktionär© Zielsetzung, die das frühere Reichsgericht weit in den Schatten stellt, mit einer brutalen Offenheit zur Schau tragend auf § 823 Abs. 1 BGB. Erstmalig wurde diese die weitere Entwicklung beeinflussende Rechtsauffassung, mit deren theoretischer Begründung sich Nipperdey in der Tat den Präsidenten-, sessel im Kasseler Bundesarbeitsgerichtshof „verdient“ hat, im Zusammenhang mit dem bereits erwähnten Zeitungsstreik im Mai 1952 praktiziert. Wegen Verletzung des sog. Rechts (des Unternehmers) am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, das als „sonstiges Recht,“ i. S. des § 823 Abs. 1 BGB deklariert wurde, erfolgte die Verurteilung der Gewerkschaften zum Ersatz des Schadens, der den Unternehmern als „Gewinnausfall“ infolge der Massenstreiks entstanden war 9)10). Eine andere, besonders in letzter Zeit angewandte Methode ist die unmittelbare Einmischung in die 7) vgl. hierzu Schnorr v. Carolsfeld, a. a. O. S. 323. 8) „Industriekurier“ Nr. 71 vom 7. Mai 1955 (S. 3) BAG-Urteil vom 4. Mal 1955 gegen den Senefelder Bund. s) Tauscher, a. a. O. S. 73 ff. 10) vgl. zur Frage der Schadensersatzpflicht wegen Streiks auch die Urteile des ArbG Rheine vom 23. April 1954 (1 Sa 562/54) in „Westdeutsche Arbeitsrechtsprechung" 1954. Nr. 20 S. 156 und des OLG Oldenburg vom 18. Juni 1954 (1 U 154/53) in BB 1954, Heft 29, S. 901. Siehe ferner Siebrecht, a. a. O. S. 25 ff., 47 ff.; Neumann-Duesberg, a. a.‘O. S. 447 f. 437;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 437 (NJ DDR 1955, S. 437) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 437 (NJ DDR 1955, S. 437)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1955. Die Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1955 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1955 auf Seite 770. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 (NJ DDR 1955, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1955, S. 1-770).

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