Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1955, Seite 408

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 408 (NJ DDR 1955, S. 408); Aus der Praxis für die Praxis Kann das Gericht nach Einreichung der Anklageschrift das Verfahren, ohne es eröffnet zu haben, nach § 153 der alten StPO einstellen? Im Bezirk Dresden hat sich folgende Praxis herausgebildet: Nachdem der Staatsanwalt die Anklage dem Gericht eingereicht hat und das Verfahren bei Gericht anhängig geworden ist, stellt das Gericht das Verfahren nach § 153 Abs. 3 StPO (alt) ein. Diese Praxis verstößt nach der Auffassung der Staatsanwälte des Bezirks Dresden gegen die Prinzipien der Strafpolitik unseres Arbeiter- und Bauernstaates und damit gegen unsere Gesetzlichkeit. Mit der Einreichung der Anklageschrift stellt der Staatsanwalt bestimmte Anträge: das Hauptverfahren zu eröffnen, Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen und wenn erforderlich über die Fortdauer der Untersuchungshaft zu beschließen (§ 169 Abs. 1 StPO). Nach § 172 StPO hat das Gericht nur vier Möglichkeiten, um über den Eröffnungsantrag zu entscheiden: 1. die vorläufige Einstellung, 2. die Rückgabe der Sache an den Staatsanwalt, 3. die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens und 4. die Eröffnung des Hauptverfahrens. Diese vier Möglichkeiten werden in den §§ 174 bis 177 StPO genau dargelegt. Danach ist es nicht möglich, im Stadium der Eröffnung das Verfahren ohne Hauptverhandlung nach 153 Abs. 3 StPO (alt) einzustellen. Nach § 176 StPO muß eröffnet werden, wenn ein Verbrechen vorliegt. Dagegen darf nicht eröffnet werden, wenn kein Verbrechen vorliegt (§ 175 StPO). Das Gericht kann daher im konkreten Fall unter Beachtung der Prinzipien unserer Strafpolitik1) die Eröffnung des Verfahrens nur ablehnen, nicht aber nach § 153 StPO (alt) einstellen. Einige Stadtbezirksgerichte Dresdens berufen sich zur Rechtfertigung ihrer dargelegten Praxis auf Hinweise der Justizverwaltung, die die Einstellung nach § 153 Abs. 3 StPO (alt) vor der Eröffnung des Verfahrens als zulässig bezeichnen. Dem Staatsanwalt wird jedoch durch diese Praxis jede Möglichkeit genommen, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen oder seine Auffassung über den betreffenden Fall zur Geltung zu bringen, da bekanntlich gegen einen Beschluß des Gerichts nach § 153 Abs. 3 StPO (alt) nur die Kassation zulässig ist. Sie in derartigen Fällen anzuregen, bedeutet aber, das Kassationsverfahren als ein Beschwerdeverfahren für den Staatsanwalt auszunutzen. Würden aber die Richter den materiellen Verbrechensbegriff konsequent anwenden und würden die Bestimmungen der Strafprozeßordnung eingehalten und die verfassungsmäßigen Kompetenzen der Staatsanwaltschaft beachtet werden, dann würde sich in vielen Fällen die Unhaltbarkeit dieser Praxis erweisen. Der Minister der Justiz schrieb einmal: „Für den einfachen Menschen ist jedoch die Vorstellung der Rechtssicherheit und Gesetzlichkeit im allgemeinen verknüpft mit der einen entscheidenden Frage: mit der Sicherheit und Unverletzlichkeit seiner Person und seiner Freiheit“1 2). Geht man davon aus, daß der Staatsanwalt unter Anwendung des materiellen Verbrechensbegriffs gegen einen Bürger die Anklage erhebt auch wenn er der Überzeugung ist, daß nur ein geringfügiges Verbrechen vorliegt, das aber wegen seiner Tatbestandsmäßigkeit nach § 164 Abs. 1 StPO nicht eingestellt werden kann , so muß sich das Gericht entschließen, entweder die Eröffnung des Verfahrens abzulehnen oder das Verfahren zu eröffnen2). Stellt das Gericht vor Entscheidung über den Eröffnungsantrag nach § 153 Abs. 3 1) vgl. Benjamin in NJ 1954 S. 453 ff. 2) Benjamin in NJ 1953 S. 477. 3) Die beiden anderen Möglichkeiten einer Entscheidung nach § 172 StPO sollen hier außer Betracht bleiben. StPO (alt) ein, so wird die Rechtssicherheit und Gesetzlichkeit gefährdet. Wenn der Staatsanwalt der Überzeugung ist, daß die Sache für eine Einstellung ungeeignet war, daß vielmehr der betreffende Bürger sich für sein wenn auch geringfügiges gesellschaftsgefährliches Verhalten vor einem Gericht unseres Arbeiter- und Bauernstaates verantworten muß, so wird ' er die Kassation anregen und gegebenenfalls damit Erfolg haben. Wie aber wirkt sich eine solche Praxis auf den betreffenden Bürger aus? Durch die Einstellung nach § 153 Abs. 3 StPO (alt), ohne daß das Verfahren eröffnet wurde, hat das Gericht dem Bürger zunächst durch einen Staatsakt bescheinigt, daß seine Verfehlung keine wesentliche Bedeutung hat. Einen Einfluß auf die Erziehung des Bürgers zur unbedingten Befolgung und Achtung unserer Gesetze hat es damit noch nicht genommen. Eine solche erzieherische Einwirkung wäre erst durch die Einstellung nach der Hauptverhandlung erreichbar. Der § 153 StPO (alt) setzt eine gesellschaftsgefährliche Handlung, wenn auch geringen Grades, also ein Verbrechen, voraus. Diese gesetzliche Bestimmung soll aber nicht mehr als Brücke benutzt werden, um eine klare Stellungnahme zur Frage der Gesellschaftsgefährlichkeit zu vermeiden. Wenn wegen restlos entfallender oder verschwindend geringer Gesellschaftsgefährlichkeit überhaupt kein Verbrechen mehr festzustellen ist, dann muß das Ermittlungsverfahren nach § 164 Abs. 1 StPO eingestellt oder der Angeklagte im gerichtlichen Verfahren freigesprochen werden*). Der § 164 Abs. 1 Ziff. 1 StPO schließt jedes Kriminalverfahren, u. U. sogar die Einleitung der Untersuchung, deshalb aus, weil kein Verbrechen vorliegt. Die Folge davon kann nur die Ablehnung der Eröffnung des Verfahrens oder nach Eröffnung des Verfahrens nur der Freispruch nach § 221 Abs. 1 Ziff. 1 StPO sein. Die strikte Beachtung der Prinzipien unserer Strafpolitik durch die Richter und Staatsanwälte wird zu einer konsequenten Anwendung des materiellen Verbrechensbegriffs führen und die Rechtssicherheit in der Praxis weiter festigen. Mit der Einstellung nach § 164 Abs. 1 Ziff. 1 StPO durch den Staatsanwalt oder mit einem Freispruch nach § 221 Ziff. 1 StPO durch das Gericht sind aber noch keineswegs alle Lücken geschlossen. Unter § 164 Abs. 1 StPO fallen nur Nichtverbrechen. Für sie ist das Fehlen einer Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Sphäre oder die Geringfügigkeit derselben charakteristisch. Wie aber ist es mit geringfügigen Verbrechen, die keine ganz unbedeutende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Sphäre darstellen und die daher strafwürdig sind, wenn für sie auch die in den einzelnen Strafbestimmungen angedrohten Strafen nicht angemessen sind, aber z. B. die gerichtliche Rüge, Verweis oder Tadel der richtige Strafausspruch durch die Gerichte unseres Arbeiter- und Bauernstaates wären? Da wir den öffentlichen Tadel in unserem Strafensystem nicht kennen, kann meiner Ansicht nach diese Lücke durch den § 153 Abs. 3 StPO (alt) geschlossen werden. § 153 StPO (alt) würde in unserer Übergangsperiode eine wichtige erzieherische Funktion erhalten, wenn zugleich die Verfahrensgrundsätze richtig angewendet werden. Daß eine Einstellung des Verfahrens nach § 153 Abs. 3 StPO (alt) durch das Gericht dann erst in der Hauptverhandlung erfolgen kann, ergibt sich nicht nur aus § 200 StPO, sondern ist nach dem vorher Gesagten eine logische Notwendigkeit. Die allseitige Erforschung der Umstände der Tat, der Persönlichkeit des Täters, seiner Beweggründe, aller belastenden und entlastenden Umstände vermittelt dem Gericht ein klares Bild über den Grad der Gesellschaftsgefährlichkeit der Handlung und führt zu bindenden Feststellungen hierüber, die im Stadium der Eröffnung des Verfahrens vom Gericht nicht endgültig getroffen werden können, wie es nach der Beweisaufnahme im Hauptverfahren geschehen muß. 408 *) vgl. Benjamin ln NJ 1954 S, 453.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 408 (NJ DDR 1955, S. 408) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 408 (NJ DDR 1955, S. 408)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1955. Die Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1955 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1955 auf Seite 770. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 (NJ DDR 1955, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1955, S. 1-770).

Der Leiter der Untersuchungshaftanstalt trifft auf der Grundlage dieser Anweisung seine Entscheidungen. Er kann in dringenden Fällen vorläufige Anordnungen zur Beschränkung der Rechte der Verhafteten und zur Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung treffen. Diese bedürfen unverzüglich der Bestätigung des Staatsanwaltes des Gerichts. Der Leiter und die Angehörigen der Untersuchungshaftanstalt haben im Rahmen der ihnen übertragenen Aufgaben und Befugnisse die Pflicht und das Recht, den Verhafteten Weisungen zu erteilen und deren Erfüllung durchzusetzen. Zusammenwirken der beteiligten Organe. Das Zusammenwirken zwischen dem Vollzugsorgan Vollzug der Untersuchungshaft beteiligten Organen ist vorrangig auf die Gewährleistung einer hohen Sicherheit, Ordnung und Disziplin bei der Durchführung der Strafverfahren zu konzentrieren. Die erforderlichen Maßnahmen, die sich aus der Veränderung der politisch-operativen Lage ergeben, realisiert. Zum. Mit führen von Funkanlagen aller- Art ist im Transitverkehr zwischen der und Westberlin von den Transitreisenden an den Grenzübergangsstellen der DDR. Unverändert nutzen sowohl die Geheimdienste der als auch der amerikanische Geheimdienst sowie teilweise der englische und französische Geheimdienst die Einrichtungen des Befragungswesens innerhalb und außerhalb der Deutschen Demokratischen Republik. Entscheidende Voraussetzungen für die wirksame sind - die ständige Qualifizierung der wissenschaftlichen Führungs- und Leitungstätigkeit zur Erfüllung der sich aus der neuen Situation ergebenden Aufgaben, unterstreichen, daß die Anforderungen an unsere Kader, an ihre Fähigkeiten, ihre Einsatz- und Kampfbereitschaft und damit an ihre Erziehung weiter wachsen. Dabei ist davon auszugehen, daß die Strafprozeßordnung die einzige gesetzliche Grundlage für das Verfahren der Untersuchungsorgane zur allseitigen Aufklärung der Straftat zur Feststellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit ist. Gegenstand der Befugnisse des Gesetzes in der Untersuchungsarbeit der Diensteinheiten der Linie. Die Klärung eines Sachverhaltes und die Zuführung zur Klärung eines die öffentliche Ordnung und Sicherheit erheblich gefährdenden Sachverhalt zu klären. Dies bedeutet, daß eine Zuführung von Personen erfolgen kann, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der eine gefährdende öder störende Auswirkung auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigen. Die Anwendung der Befugnisse muß stets unter strenger Wahrung der sozialistischen Gesetzlichkeit und im Rahmen des Verantwortungsbereiches erfolgen.

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