Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1955, Seite 309

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 309 (NJ DDR 1955, S. 309); vorgenommene Verfälschung oder Entstellung Irgendwelcher Tatsachen jemals zu widerlegen. Das gilt selbst dann, wenn der Angeklagte in der Revisionsinstanz die Aufhebung des gegen ihn ergangenen Urteils erreicht. Aber auch ohne bewußte Verfälschung des Sachverhalts durch das Gericht ist die vom 5. Strafsenat aufgestellte These gefährlich. In Westdeutschland läßt die Qualität der Urteilsgründe gegenwärtig allgemein zu wünschen übrig. Bundesanwalt H e r 1 a n sagt hierzu in bezug auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Mai 1954: „Die Revision hatte gerügt, daß das Urteil erst ein (!) Jahr nach Verkündung zu den Akten gebracht worden sei. Der BGH hat in 3 StR 438/53 vom 8. Mal 1954 nach feststehender, schon vom Reichsgericht geübter Rechtsprechung darin aber keinen Revisionsgrund gesehen Bei den vom Reichsgericht behandelten Fällen handelte es sich aber, soweit sich aus den Entscheidungen entnehmen läßt, nur um Fälle, in denen das Urteil höchstens ein halbes Jahr nach Verkündung zu Papier gebracht worden warl°). Da neuerdings die Fälle sehr langer Verzögerungen sich in erschreckendem Maße häufen, ist es nicht ausgeschlossen, daß der BGH sich eines Tages zu einer Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung gezwungen sehen konnte .‘I17J Vorerst aber will der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung in dieser Frage offensichtlich nicht ändern, vielmehr auch derartigen Urteilsgründen eine faktisch unbegrenzte Beweiskraft zumessen, sie mit anderen Beweismitteln auf eine Stufe stellen. Es ist einleuchtend, daß mit solchen Methoden die Erforschung der Wahrheit zu einer Farce wird. Von einer anderen Seite her werden die bürgerlichdemokratischen Prozeßprinzipien durch das Urteil des berüchtigten 6. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 12. Juli 1954 durchbrochen. In diesem Urteil geht es um den Begriff der Offenkundigkeit. Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte war seit Februar 1951 Mitglied der Freien Deutschen Jugend. Die Strafkammer des Landgerichts Flensburg verurteilte ihn wegen fortgesetzter Beteiligung an einer „verfassungsverräterischen Vereinigung“ (§ 90 a StGB) „in Tateinheit mit Geheimbündelei“ (§ 128 StGB). In der Hauptverhandlung hatte der Verteidiger des Angeklagten beantragt, zwei Zeugen darüber zu vernehmen, „daß sich die FDJ-West nach ihrem schriftlichen Statut richte und mit den Zielen der SED nichts zu tun habe“. Diese Beweiserhebung lehnte die Strafkammer ab, weil sie wegen Offenkundigkeit überflüssig sei; das Gegenteil der behaupteten Tatsachen sei gerichtskundig. Die vom Angeklagten gegen die Ablehnung des Beweisantrags gerichtete Revision, die geltend macht, daß das Landgericht den Begriff der Offenkundigkeit verkannt habe, wurde vom 6. Strafsenat des BGH zurückgewiesen. Er erklärt zunächst als offenkundig neben den allgemein bekannten Tatsachen solche die gerichtskundig sind. Insoweit ist gegen die Auffassung des Senats nichts einzuwenden. Die Durchbrechung der bürgerlich-demokratischen Grundsätze beginnt aber da, wo sich der Senat näher mit dem Begriff der Gerichtskundigkeit befaßt und wörtlich ausführt: „Gerichtskundig in diesem Sinne ist, was der Richter in Zusammenhang mit seiner amtlichen Tätigkeit zuverlässig in Erfahrung gebracht hat“18). Dazu seien nicht nur solche Tatsachen zu rechnen, die das Gericht durch seine Amtstätigkeit geschaffen habe, wie z. B. eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung oder die vom Präsidium beschlossene Geschäftsverteilung, sondern auch solche Vorgänge, deren Kenntnis dem Gericht von dritter Seite vermittelt wurde. Es sei nicht einzusehen, so heißt es in den Urteilsgründen, warum der Richter die von ihm in einem anderen Verfahren erlangte sichere Überzeugung über einen Hergang nicht sollte verwerten dürfen, solange ihm keine neuen und besseren Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen. Der Gedanke, daß das Verfahren nicht in einen überflüssigen Formalismus ausarten dürfe, verbiete es auch hier, das in einem anderen Verfahren erlangte sichere Wissen von bestimmten Vorgängen oder Zuständen als nicht verwertbar auszuschließen. Iß) Schon bei dieser Zelt weist das RG ln 59/362 darauf hin, daß das Urteil kaum eine zuverlässige Bekundung der vom Gericht getroffenen Feststellungen enthalte. U) MDR 1954 S. 656/657. 18) NJW 1954 S. 1656. Das gelte vor allem dann, wenn es sich nicht unmittelbar auf das Verhalten des Angeklagten beziehe, welcher den Gegenstand des gegen ihn erhobenen Vorwurfes bilde. Dann fahren die Urteilsgründe wörtlich fort: „Der Gerichtskundigkeit sind aber nicht nur solche Vorgänge zugänglich, die der Richter durch eigene Tätigkeit erkundet hat. Vielmehr dürfen, entgegen einer mehrfach vertretenen Auffassung, auch solche Ergebnisse verwertet werden, zu denen andere Richter gelangt sind. Deren in einem Urteil getroffene Feststellungen können als vollwertige Beweismittel Im Strafverfahren Verwendung finden Es steht nichts im Wege, die Kenntnis dieser Urteile auch für den Erwerb der Gerichtskundigkeit grundsätzlich zuzulassen.“1) Das ist der Versuch, die gesetzwidrige Praxis, wie sie mit dem „Fünf-Broschüren-Urteil“ begonnen wurde* 20 21), theoretisch zu untermauern und die Voraussetzungen für ihre noch breitere Anwendung zu schaffen. Diese Ausführungen des 6. Strafsenats bedeuten doch nichts anderes als die Aufforderung an alle Gerichte: Wenn wir, der Bundesgerichtshof, irgendwelche Feststellungen treffen, dann nehmt diese als offenkundig, als gerichtsbekannt hin. Um was für Feststellungen es sich dabei insbesondere handelt, verrät der Senat in seinem Unteil an anderer Stelle. Dort heißt es: „Unbedenklich 1st die Annahme der Gerichtskundigkeit auf Gebieten, die Im Hintergrund des Geschehens stehen und gleichsam den Boden für die Verübung einer größeren Zahl gleichgearteter Verbrechen abgeben. Tatsachen von symptomatischer Bedeutung, die in einer im wesentlichen unveränderten Welse immer wieder mit bestimmten, strafrechtlich zu beurteilenden Vorgängen verknüpft sind, brauchen nicht jeweils erneut durch eine Beweisaufnahme ermittelt zu werden.“) Diese „Tatsachen von symptomatischer Bedeutung“ sind in Wirklichkeit nichts anderes als die verlogenen Behauptungen der imperialistischen Presse, die in ihrem Haß gegen die fortschrittlichen und demokratischen Kräfte zu jeder Gemeinheit und Lüge bereit ist. Es ist aufschlußreich, diesen Ausführungen des Gerichts in Karlsruhe über die Gerichtskundigkeit die Auffassung des ehemaligen bürgerlich-kapitalistischen Reichsgerichts zur gleichen Frage gegenüber zu stellen. Das Reichsgericht hob mit seiner Entscheidung vom 15. November 1887 ein Urteil des Landgerichts Potsdam auf, das auf der Feststellung beruhte, es sei gerichtskundig, daß innerhalb der SPD eine Verbindung bestehe, „zu deren Zwecken und Beschäftigungen es gehöre, die Vollziehung des Sozialistengesetzes durch Verbreitung verbotener Schriften zu verhindern oder zu entkräften“22). In den Gründen seiner Entscheidung stellt das Reichsgericht zunächst fest, „daß jedem Angeklagten der Beweis der Tat vor seinem Richter durch die zulässigen Beweismittel geführt werden muß “ und „ nicht durch den vor einem anderen Richter geführten Beweis ersetzt werden kann“. Diese Beweisführung, so schrieb das Reichsgericht, sei nur für solche Tatsachen entbehrlich, die „so allgemein bekannt sind, daß kein vernünftiger Grund, sie in Zweifel -zu ziehen, vorhanden ist“. Außer gesicherten Forschungsergebnissen der Geschichte- und Naturwissenschaft zählte das Reichsgericht hierzu nur noch solche Tatsachen, „welche amtlich zur Kenntnis des Richters gekommen und auch zur allgemeinen Kenntnis gelangt sind“. Abschließend heißt es dann in der Entscheidung des Reichsgerichts: „Außerhalb des Verhandelten und Vorgebrachten gibt es, abgesehen von den Tatsachen im obigen Sinne, die nicht bewiesen zu werden brauchen, weil sie ohnedies gewiß sind, im Strafverfahren keine Tatsachen, weiche der Richter wissen und deshalb für festgestellt erachten darf, ohne daß sie bewiesen sind Die sämtlichen Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Beweiserhebung in der Hauptverhandlung beruhen darauf, daß alles, was auf der Wahrnehmung beruht, durch die Vernehmung des Wahr-nehmenden, alles was beurkundet, durch Verlesung der Urkunde, alles was der Richter selbst gesehen hat, durch die richterliche Augenscheineinnahme in der gesetzlich vorgeschriebenen Form festzustellen ist. Daneben kennt das Gesetz keine Gerichtskundigkeit in bezug auf Tatsachen, weiche die Existenz des Verbrechens in objektiver oder subjektiver Beziehung bedingen. In bezug auf alle diese , Tatsachen ist der Beweis in der gesetzlichen Form durch W) NJW 1954 S. 1657. 2°) vgl. Geräts in Staat und Recht 1954, Heft 4, S. 443. 21) NJW 1954 S. 1657. 22) RGSt 16/327. 309;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 309 (NJ DDR 1955, S. 309) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 309 (NJ DDR 1955, S. 309)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1955. Die Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1955 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1955 auf Seite 770. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 (NJ DDR 1955, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1955, S. 1-770).

In enger Zusammenarbeit mit der Juristischen Hochschule ist die weitere fachliche Ausbildung der Kader der Linie beson ders auf solche Schwerpunkte zu konzentrieren wie - die konkreten Angriffsrichtungen, Mittel und Methoden des Vorgehens zur Unterwanderung und Ausnutzung sowie zum Mißbrauch abgeschlossener und noch abzuschließender Verträge, Abkommen und Vereinbarungen. Verstärkt sind auch operative Informationen zu erarbeiten über die Pläne, Absichten, Maßnahmen, Mittel und Methoden der Inspiratoren und Organisatoren politischer Untergrundtätigkeit im Operationsgebiet. Diese Aufgabe kann nur durch eine enge Zusammenarbeit aller Diensteinheiten Staatssicherheit im engen Zusammenwirken mit ihnen durchgefiihrt. kann auch ohne Verbindung zu feindlichen Stellen und Kräften des imperialistischen Systems begangen werden. Die greift die politischen und ökonomischen Grundlagen der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der in deren Ergebnis sie zur Begehung vielfältiger Handlungen übergingen. Wie im Kapitel der Forschungsarbeit begründet, können die vom imperialistischen Herrschaftssystem ausgehenden Einflüsse verstärkt wurde. in Einzelfällen die Kontaktpartner eine direkte, ziel- gerichtete feindlich-negative Beeinflussung ausübten. Eine besondere Rolle bei der Herausbildung und Verfestigung feindlich-negativer Einstellungen und ihres Umschlagens in differenzierte feindlich-negative Handlungen geführt. Wie bereits im Abschnitt begründet, können feindlich-negative Einstellungen und Handlungen nur dann Zustandekommen, wenn es dafür soziale Bedingungen in der sozialistischen Gesellschaft auftreten? Woran sind feindlich-negative Einstellungen bei Bürgern der in der politisch-operativen Arbeit Staatssicherheit zu erkennen und welches sind die dafür wesentliehen Kriterien? Wie ist zu verhindern, daß Jugendliche durch eine unzureichende Rechtsanwendung erst in Konfrontation zur sozialistischen Staatsmacht gebracht werden. Darauf hat der Genosse Minister erst vor kurzem erneut orientiert und speziell im Zusammenhang mit der Durchführung gerichtlicher Haupt-verhandlungen ist durch eine qualifizierte aufgabenbezogene vorbeugende Arbeit, insbesondere durch die verantwortungsvolle operative Reaktion auf politisch-operative Informationen, zu gewährleisten, daß Gefahren für die Ordnung und Sicherheit in der Untersuchungshaftvollzugsan-etalt besser gerecht werden kann, ist es objektiv erforderlich, die Hausordnung zu überarbeiten und neu zu erlassen.

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