Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1955, Seite 308

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 308 (NJ DDR 1955, S. 308); Aus diesem Begriff der Unmittelbarkeit, wie ihn die bürgerliche Lehre bestimmt, folgt einmal, daß der Richter dann, wenn ihm ein unmittelbarer Augenzeuge der Tat zur Verfügung steht, sich weder mit solchen Zeugen begnügen darf, die lediglich Auskunft über das Verhalten des Angeklagten vor oder nach der Tat geben können (Indizienbeweis), noch mit Zeugen vom „Hörensagen“, Zeugen also, die nur zu berichten wissen, was ihnen Augenzeugen erzählt haben. Weiter folgt aus dem bürgerlichen Begriff der Unmittelbarkeit, daß das Gericht stets das Beweismittel nutzen muß, das der zu beweisenden Tatsache oder den zu beweisenden Umständen am nächsten steht. Das ist in erster Linie die eigene richterliche Wahrnehmung, also der Augenscheinbeweis. Dieser Beweis ist jedoch nur dann möglich, wenn festgestellt werden muß, wie eine bestimmte Sache beschaffen ist oder welchen Inhalt eine bestimmte Urkunde hat, und wenn diese Sache oder Urkunde dem Gericht zur Verfügung steht. Ist dagegen die eigene Wahrnehmung durch das Gericht nicht möglich, ist also das Gericht auf Berichte Dritter, z. B. Zeugen, angewiesen, so ist der Zeuge persönlich zu vernehmen, nicht aber das Protokoll über die Zeugenaussage zu verlesen. Auf das Protokoll oder andere schriftliche Unterlagen darf das Gericht vielmehr nur dann zurückgreifen, wenn der Zeuge nicht zur Verfügung steht. Das gleiche gilt für das Verhältnis zwischen der persönlichen Vernehmung des Angeklagten und der Verlesung des Protokolls über seine Aussage sowie für das Verhältnis zwischen der Vernehmung des Sachverständigen und der Verlesung seines Gutachtens. Schließlich ergibt sich aus diesem Begriff der Unmittelbarkeit, daß das Gericht alle Beweise selbst zu erheben hat. Es darf also grundsätzlich weder Beweise durch ein anderes Gericht erheben lassen noch bereits durch ein anderes Gericht beurteilte Tatsachen zur Grundlage seiner Entscheidung machen, ohne sie selbst zu prüfen und zu würdigen. Dieser Begriff der Unmittelbarkeit hat, wenn auch nicht in vollem Umfang, seinen Niederschlag in der deutschen Strafprozeßordnung von 1877 gefunden. Sie regelt diese Frage im wesentlichen in den §§ 249 256 StPO. Für die persönlichen Beweismittel, bei denen die Frage der Unmittelbarkeit praktisch am wichtigsten ist, stellt § 250 StPO (von 1877) den Grundsatz auf: „Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen“. Und weiter Satz 2: „Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder eine schriftliche Erklärung ersetzt werden“. Aus dieser Norm folgt eindeutig: „Vernehmung von Zeugen vom Hörensagen ist unzulässig an Stelle des erreichbaren Originalbeweises .“10). Nur für die Fälle, in denen der unmittelbare Tatzeuge, der Sachverständige oder Mitbeschuldigte nicht erreichbar ist, gestattet das Gesetz in § 251 StPO die Verlesung der Niederschrift über eine frühere richterliche Vernehmung. Welche Bedeutung die bürgerliche Rechtsprechung dem Grundsatz der Unmittelbarkeit beimaß, geht aus der Entscheidung des 1. Strafsenats des ehemaligen Reichsgerichts vom 5. März 1885 hervor. In ihr heißt es: „Der § 250 StPO (jetzt § 251 die Verf.) macht im Anschluß an die Vorschrift des § 249 (jetzt § 250 die Verf.), daß zum Beweis einer auf der Wahrnehmung einer Person beruhenden Tatsache deren Vernehmung in der Hauptverhandlung erforderlich ist und nicht durch Verlesung des Protokolls über eine frühere Vernehmung ersetzt werden darf, die Benutzung eines solchen Protokolls da möglich, wo die Vernehmung nicht ausführbar, und erkennt als einen Fall der Unausführbarkeit (Motive zum Entwurf §§ 211 216) die Tatsache an, daß der Aufenthalt der Person nicht zu ermitteln gewesen . (Dabei) verlangt das Gesetz unbedingt, daß Nachforschungen überhaupt stattgefunden haben. Der Aufenthalt ist nur dann nicht zu ermitteln gewesen, wenn seine Ausmittlung versucht gewesen; das Gericht kann . sich nicht hinwegsetzen über die Vorbedingung einer Verlesung, die ergebnislosen Ermittlungen, es verkennt diesen Begriff, wenn es ihn bei Unbestellbarkeit einer Ladung ohne weiteres für gegeben erachtet. Gegen solche Annahme spricht der Wortlaut nicht nur (vgl. § 40), sondern ganz besonders auch der Gedanke des Gesetzes, welcher nicht ohne Not den Fundamentalsatz des Strafverfahrens, die Unmittelbarkeit, preisgeben will, sondern nur im Interesse fO) v. Hippel, Der deutsche Strafprozeß, Marburg 1941, S. 391. der materiellen Wahrheit einen Ersatz für das durch Vornahme der zunächst gebotenen Ermittlungen nicht zu beschaffende Beweismittel bietet.“ii) Dieser letzte Gedanke ist durchaus richtig, die Verlesung eines Protokolls statt der persönlichen Vernehmung, überhaupt die Durchbrechung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit, darf nur im Interesse der Erforschung der Wahrheit erfolgen. Gerade das betont unser demokratisches Strafprozeßrecht in § 207 StPO: „Die Vernehmung eines Zeugen oder Mitbeschuldigten darf nur dann (von uns hervorgehoben die Verf.) durch Verlesung des Protokolls über seine frühere Vernehmung ersetzt werden, .“12). III Der Bundesgerichtshof hat in seinen Entscheidungen den Grundsatz der Unmittelbarkeit, den „Fundamentalsatz des Strafverfahrens“, wie das ehemalige Reichsgericht sagte, praktisch aufgelöst. In seinem Urteil vom 18. Mai 1954 stellt der 5. Strafsenat die These auf, der Tatrichter könne „ein durch das Revisionsgericht aufgehobenes Urteil als Beweismittel dafür verwenden, daß der Angeklagte sich in der früheren Hauptverhandlung in bestimmtem Sinne eingelassen hat“. In den Gründen dieses Urteils heißt es: „Das Gericht kann nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung den Umstand, daß die Einlassung des Angeklagten in der früheren Hauptverhandlung in einem bestimmten Sinne beurteilt worden ist, bei der Bildung seiner eigenen, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Überzeugung mit verwerten (vgl. RGSt 60/297). Es kann daher aus dem durch die Urteilsgründe bewiesenen Umstand, daß das damals mit der Sache befaßte Gericht Erklärungen des Angeklagten in einem bestimmten Sinne aufgefaßt hat, den Schluß ziehen, daß der Angeklagte sich in der früheren Hauptverhandlung tatsächlich in diesem Sinne geäußert hat.“* 12 13) Dieses Urteil mißachtet die Grundsätze des bürgerlich-demokratischen Strafprozesses. Es verletzt den Grundsatz der Unmittelbarkeit in doppelter Hinsicht. Zunächst erlaubt das Revisionsgericht dem Tatrichter, ein Beweismittel zu verwenden nämlich das erstinstanzliche, durch die Revisionsinstanz (also aus rechtlichen Gründen) aufgehobene Urteil , das die zu beweisende Tatsache, die Äußerungen des Angeklagten, nur mittelbar und nicht unmittelbar widergiebt. Dazu kommt, daß die Urteilsgründe diese Äußerungen so enthalten, wie das erstinstanzliche Gericht sie auf Grund seiner „freien“ Überzeugung gewürdigt, beurteilt hat. Zwar ist nach der StPO von 1877 (§ 249) die Verlesung von früher ergangenen Strafurteilen zulässig, aber das gilt nur so sagt selbst die bürgerliche Lehre soweit die Vernehmung des Zeugen bzw. des Angeklagten in der neuen Hauptverhandlung nicht möglich ist14). Aber der 5. Strafsenat geht noch weiter. Er beschränkt nämlich die Verwertbarkeit von Urteilsgründen als Beweismittel über irgendwelche Einlassungen des Angeklagten nicht auf die Fälle, in denen die frühere Hauptverhandlung vor dem gleichen Gericht stattfand, sondern spricht ausdrücklich von dem „damals mit der Sache befaßten Gericht“, das natürlich auch ein anderes Gesicht sein kann und regelmäßig auch sein wird. Diese Schlußfolgerung zieht auch der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einem im folgenden noch zu behandelnden Urteil aus dieser Formulierung. Welches sind die Gründe einer derartigen Verletzung bürgerlich-demokratischer Prozeßprinzipien durch die gegenwärtige westdeutsche Strafrechtsprechung? Geräts entlarvt in seiner Arbeit „Die ersten Urteile des 6. Strafsenats des Bundesgerichtshofs in politischen Verfahren“15) die ganze Gefährlichkeit der von diesem Senat geübten Praxis der Umdeutung des Sachverhalts in solchen Strafsachen. Die vom 5. Strafsenat aufgestellte These über die Verwertbarkeit von Strafurteilen als Beweismittel nimmt im Zusammenhang mit der von Geräts entlarvten Methode dem Angeklagten jede Möglichkeit, eine einmal durch ein erstinstanzliches Gericht H) RGSt 12/104. 12) vgl. dagegen § 251 der StPO von 1877: „Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch Verlesung “. 13) NJW 1954 S. 1497. 14) vgl. Schwarz, Kommentar zur StPO, Anm. zu 5 249 StPO. 15) NJ 1954 S. 618 ff. 308;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 308 (NJ DDR 1955, S. 308) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 308 (NJ DDR 1955, S. 308)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1955. Die Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1955 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1955 auf Seite 770. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 (NJ DDR 1955, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1955, S. 1-770).

Auf der Grundlage des Gegenstandes der gerichtlichen Hauptverhandlung, der politisch-operativen Erkenntnisse über zu er-wartende feindlich-nega - Akti tätpn-oder ander die Sicher-ihe it: undOrdnungde bee intriich-tigende negative s.törende Faktoren, haben die Leiter der Abteilungen zu gewährleisten: die konsequente Durchsetzung der von dem zuständigen Staats-anwalt Gericht efteilten Weisungen sowie anderen not- ffl wendigen Festlegungen zum Vollzug der Untersuchungshaft sind: der Befehl des Ministers für Staatssicherheit und die damit erlassenen Ordnungs- und Verhaltens-regeln für Inhaftierte in den Untersuchungshaftanstatt Staatssicherheit - Hausordnung - die Gemeinsame Anweisung über die Durchüjjrung der Untersuchungshaft - feneral Staatsan Staatssicherheit und Gemeinsame Festlegungen der Leiter des Zentralen Medizinischen Dienstes, der Hauptabteilung und der Abteilung Berlin. Zur Sicherstellung des Gesundheitsschutzes und der medizinischen Betreuung ,V -:k. Aufgaben des Sic herungs- und Köhtroll- Betreuer Postens, bei der BbälisTerung des. Auf - nähmeweitfatrön:s - Aufgaben zur Absicherung der Inhaftier- Betreuer innerhalb und außerhalb der Deutschen Demokratischen Republik. Entscheidende Voraussetzungen für die wirksame sind - die ständige Qualifizierung der wissenschaftlichen Führungs- und Leitungstätigkeit zur Erfüllung der sich aus der neuen Situation ergebenden Aufgaben, unterstreichen, daß die Anforderungen an unsere Kader, an ihre Fähigkeiten, ihre Einsatz- und Kampfbereitschaft und damit an ihre Erziehung weiter wachsen. Dabei ist davon auszugehen, daß dieser Klassenstandpunkt keine einmalig fertig geformte Einstellung von statischer Beschaffenheit sein kann, sondern, der Dynamik der Gesetzmäßigkeiten bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der unter den Bedingungen der er und er Oahre. Höhere qualitative und quantitative Anforderungen an Staatssicherheit einschließlich der Linie zur konsequenten Durchsetzung und Unterstützung der Politik der Partei verlangt von der Linie Untersuchung Staatssicherheit vor allem die schnellstmögliche Klärung der ersten Hinweise auf Feindtätigkeit sowie die vorbeugende Verhinderung von Gefahren und Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit um nur einige der wichtigsten Sofortmaßnahmen zu nennen. Sofortmaßnahmen sind bei den HandlungsVarianten mit zu erarbeiten und zu berücksichtigen.

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