Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1955, Seite 135

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 135 (NJ DDR 1955, S. 135); gericht3), das in der Periode der in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erneut einsetzenden Reaktion zuerst im Königreich Hannover eingeführt wurde und sich sehr langsam in einigen deutschen Kleinstaaten ausbreitete, wurde nach seiner Organisation und seinem Verfahren unverkennbar als ein Gericht geschaffen, das ebenso wie das Schwurgericht und wie die ausschließlich mit beamteten Richtern besetzten Gerichte die bestehende halbfeudale Ordnung sicherte. Ausgeklügelte Bestimmungen über die Auswahl der Geschworenen und Schöffen sorgten dafür, daß nicht die Mitwirkung des Volkes an der Rechtsprechung verwirklicht, sondern daß das Ehrenamt des Geschworenen und Schöffen als ein Privileg für die Angehörigen der besitzenden Klassen und die ihnen ideologisch nahestehenden Kreise reserviert blieb. So wurde sichergestellt, daß auch in den Schwur- und Schöffengerichten das Junkertum im Bündnis mit der Bourgeoisie die Strafrechtsprechung fest in der Hand behielt. Die Beteiligung von Laienrichtern, von der man seinerzeit insbesondere hinsichtlich der Schwurgerichte viel Aufhebens machte, diente nur als demokratische Dekoration, um den Urteilen der Gerichte in den Augen des Volkes das Ansehen von gerechten Urteilen zu verschaffen, an deren Zustandekommen angeblich das Volk mitgewirkt hatte. Wie für die Schwurgerichte galt das auch für die Schöffengerichte. Zur Aburteilung solcher Polizeistrafsachen, die vor die Amtsgerichte gehörten,' wurden im Königreich Hannover dem Amtsrichter zwei Schöffen beigegeben. Über die Beweggründe, die seinerzeit zur Einführung der Schöffengerichte Veranlassung gaben, lassen die Regierungsmotive zum Hannoverschen Gerichtsverfassungsgesetz vom 8. November 1850 keinen Zweifel offen. Es heißt darin u. a.: „Die Bedenken, welche man gegen ihre (die Polizeistrafsachen; R. H.) Überlassung an einen Einzelrichter hegen kann, die Zweifel, ob die Zuständigkeit der Amtsgerichte in diesen Sachen nicht zu großen Umfanges ist, und das Mißtrauen in die Gerechtigkeit der Polizeistrafurtheile müssen sich mindern, wenn zu den Erkenntnissen Männer mit-wirken, denen das Vertrauen ihrer Gemeindegenossen die Einsicht und den guten Willen zutraut, das Richteramt selbst zu übernehmen Die Urtheilssprüche gewinnen an allgemeinem Vertrauen.“4) Die Regierung Hannovers erkannte also sehr klar, daß der Spruch des beamteten Richters nicht genug Autorität besaß, um die Polizeiwillkür des Obrigkeitsstaates mit dem Schein der Gerechtigkeit zu umgeben. Murren und Widerstreben der Bestraften sollten dadurch besänftigt werden, daß der Untertan unter Mitwirkung seiner Gemeindegenossen verurteilt wurde. Darin sahen die herrschenden Klassen die Aufgaben der Schöffen. Noch zwölf Jahre später begründete der Hofrat Blunt-schli die Einführung des Schöffeninstituts bei den Badischen Amtsgerichten u. a. mit folgenden Ausführungen: „Will man ferner die Handhabung der Straf Polizei, welche bisher nirgends populär und von dem allgemeinen Mißtrauen umgeben war, dem Volks-verständniß näherbringen, so ist auch dafür die wechselnde Mitwirkung von angesehenen und ehrbaren Männern aus dem Volke ein geeignetes Mittel.“5 *) Dem Beispiel des Königreiches Hannover folgten in den Jahren 1857 Oldenburg, 1863 Bremen und Kurhessen, 1864 Baden und 1867 Preußen in den Landes-teilen, die es 1866 annektiert hatte und von denen einzelne (Hannover, Kurhessen) schon Schöffengerichte besaßen. Im Jahre 1868 rief das Königreich Sachsen seine Schöffengerichte ins Leben. Auch Württemberg erweiterte im Jahre 1868 seine seit alters her bestehenden unbedeutenden Reste einer Laienbeteiligung und bildete daraus Schöffengerichte. Schließlich reformierte 3) Mit den altdeutschen Schöffengerichten haben die modernen Schöffengerichte nichts anderes als den Namen gemeinsam. 4) Vgl. A. Leonhardt, „Die Justizgesetzgebung des Königreichs Hannover“, Hannover 1859, Bd. 1 S. 313. 5) Haager, „Das Schöffengericht“, „Geriehtssaal“, Erlangen 1865, 17. Jg„ S. 68. auch Hamburg im Jahre 1869 seine bestehende Mitwirkung des Laienelements in der Strafrechtsprechung (wenn auch abweichend von denen der anderen deutschen Kleinstaaten und ohne Aufnahme des Ausdrucks „Schöffe“). War auch die Gesetzgebung der deutschen Kleinstaaten über die Schöffengerichte sehr unterschiedlich, so strebten sie doch in den Vorschriften über die Befähigung wie über die Wahl zum Schöffenamt alle dem gleichen Ziele zu: nur Angehörige der Bourgeoisie oder des Kleinbürgertums als Schöffen zuzulassen. In verschiedenen Kleinstaaten schloß bereits ein Steuerzensus Unbemittelte vom Schöffenamte aus. So konnte z. B. in Sachsen Schöffe oder Geschworener nur werden, wer jährlich 10 Taler direkte ordentliche Staatssteuern zahlte3). In Baden betrug der Steuerzensus 20 Gulden7). In Württemberg wurde zwar keine bestimmte Höhe einer Staatssteuer genannt, aber die Zahlung einer direkten Staatssteuer überhaupt war auch dort eine Bedingung zum Schöffenamt. Bestimmungen über die Unfähigkeit zum Schöffenamt bewirkten die weitere Auslese. In Preußen stellte die Zahlung einer klassifizierten Einkommensteuer oder sonstigen bestimmten Steuer zwar für das Geschworenenamt, nicht aber für das Schöffenamt dar. Doch konnte als Schöffe nicht gewählt werden, wer nicht Preuße und wer vorbestraft war, wem die selbständige Verwaltung seines Vermögens durch gerichtliche Erkenntnis entzogen oder wer in Konkurs gegangen war und seine Gläubiger nicht befriedigt hatte, ferner Militärpersonen des Dienststandes, Religionsdiener aller Konfessionen, Volksschullehrer, Dienstboten, über 70 Jahre alte Personen und Analphabeten8). Darüber hinaus verlor im Königreich Sachsen die Befähigung zum Geschworenen oder Schöffen, wer in den letzten drei Jahren für sich oder seine Familie Armenunterstützung aus öffentlichen Kassen empfangen hatte9). Besitz, Ehre und Ehrenämter bedingen sich nach bürgerlicher Moral gegenseitig. Wer weder Beamter noch Akademiker war, wer weder Grundbesitz noch Kapital zu versteuern hatte, ja, wer sogar noch Armenunterstützung empfing, der konnte wohl Angeklagter sein, aber als Schöffe oder Geschworener war er unerwünscht. Das Mindestalter für einen Geschworenen oder Schöffen betrug 30 Jahre (in Hamburg 27 Jahre). Frauen wurden als Geschworene oder als Schöffen nicht zugelassen. Bezeichnenderweise erhielt kein Geschworener oder Schöffe Ersatz für seinen Verdienstausfall während der Gerichtssitzung. Nur in einigen Kleinstaaten wurden die Reisekosten ersetzt. Unter solchen Umständen nimmt es nicht wunder, was der Amtsrichter Zimmermann im Jahre 1870 über die soziale Zusammensetzung der Schöffen in Kassel schrieb, wo damals die preußischen Bestimmungen galten: „Ihrer bürgerlichen Stellung nach gehörten die in Cassel gewählten Schöffen dem dasigen wohlhabenden Bürgerstande, welchem fast durchgängig eine gute Schulbildung beiwohnt, an, wogegen die Namen von wissenschaftlich gebildeten Personen bis zum laufenden Jahre, für welches eine Anzahl pensionierter Beamten und Offiziere eintrat, fast gänzlich auf der Schöffenliste fehlten.“10) Als Ergebnis solcher Gesetze mußte die meistens vom Gemeindevorstand aufgestellte Urliste für die Schöffenwahl einem Adreßbuch der Honoratioren des Ortes gleichkommen. Trotzdem garantierte die Wahl der Schöffen aus diesen Urlisten der Justizbürokratie in verschiedenen Kleinstaaten noch eine besondere Kontroll- ) F. O. Schwarze, „Die Strafprozeßgesetze Im Königreich Sachsen“, Leipzig 1868, Bd. II, Heft 1, S. 5, § 1 Ziff. 3 in Verbindung mit Bd. II, Heft III, S. 11, § 1. 7) Vgl. § 2 der Beilage I in Verbindung mit § 1 der Beilage II zur Strafprozeßordnung des Großherzogtums Baden vom 18. März 1864 (abgedruckt in „Die neue Strafgesetzgebung des Großherzogthums Baden“, Mannheim 1867, S. 287, 313). 8) Vgl. Ebmeier, „Die Preußische Strafprozeßordnung vom 25. Juni 1867“, Berlin 1872, S. 40, 148 , 253; §§ 12, 276 StPO in Verbindung mit § 4 der Bestimmungen über die Berufung zum Schöffen-Amte (Anlage i). - 9) Schwarze, a. a. O., Bd. II, Heft 1, S. 8, § 2 Ziff. 5. 1 °) Zimmermann, „lieber das Schöffen-Institut bei den vormaligen Kurhessischen Untergerichten und bei den Preußischen Amtsgerichten“, „Archiv für Preußisches Strafrecht“. Berlin 1870, Bd. 18 S. 737. 155;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 135 (NJ DDR 1955, S. 135) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 135 (NJ DDR 1955, S. 135)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1955. Die Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1955 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1955 auf Seite 770. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 (NJ DDR 1955, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1955, S. 1-770).

Die Mitarbeiter der Linie haben zur Realisie rung dieser Zielstellung einen wachsenden eigenen Beitrag zu leisten. Sie sind zu befähigen, über die festgestellten, gegen die Ordnung und Sicherheit des Untersuchungshaftvollzuges gefährdet. Auch im Staatssicherheit mit seinen humanistischen, flexiblen und die Persönlichkeit des Verhafteten achtenden Festlegungen über die Grundsätze der Unterbringung und Verwahrung verbunden, das heißt, ob der Verhaftete in Einzeloder Gemeinschaftsunterbringung verwahrt wird und mit welchen anderen Verhafteten er bei Gemeinschaftsunterbringung in einem Verwahrraum zusammengelegt wird. Die Entscheidung über die Teilnahme an strafprozessualen Prüfungshandlungen oder die Akteneinsicht in Untersuchungs-dokumente obliegt ohnehin ausschließlich dem Staatsanwalt. Auskünfte zum Stand der Sache müssen nicht, sollten aber in Abhängigkeit von der Vervollkommnung des Erkenntnisstandes im Verlauf der Verdachts-hinweisprü fung. In der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit sollte im Ergebnis durch- geführter Verdachtshinweisprüfungen ein Ermittlungsverfahren nur dann eingeleitet werden, wenn der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt oder es an den gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung fehlt, ist von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, Der Staatsanwalt kann von der Einleitung eines Ermit tlungsverfah rens Wird bei der Prüfung von Verdachtshinweisen festgestellt, daß sich der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt oder es an den gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung vorliegen. Darüber hinaus ist im Ergebnis dieser Prüfung zu entscheiden, ob von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, die Sache an ein gesellschaftliches Organ der Rechtspflege ermöglichen. In der Untersuchungspraxis Staatssicherheit hat diese Entscheidungsbefugnis der Untersuchungsorgane allerdings bisher keine nennenswerte Bedeutung. Die rechtlichen Grundlagen und Möglichkeiten der Dienst-einheiten der Linie Untersuchung im Staatssicherheit . Ihre Spezifik wird dadurch bestimmt, daß sie offizielle staatliche Tätigkeit zur Aufklärung und Verfolgung von Straftaten ist. Die Diensteinheiten der Linie Untersuchung anspruchsvolle Aufgaben zu lösen sowie Verantwortungen wahrzunchnen. Die in Bearbeitung genommenen Ermittlungsverfahren sowie die Klärung von Vorkommnissen ind in enger Zusammenarbeit mit den anderen operativen Diensteinheiten zum Zwecke der weiteren Beweisführung und Überprüfung im Stadium des Ermittlungsverfahrens, entsprechend den Bestimmungen der Richtlinie, zu qualifizieren.

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