Neue Justiz (NJ) 1955, Jahrgang 9, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft, Deutsche Demokratische Republik (DDR)Deutsche Demokratische Republik -

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift fuer Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 728 (NJ DDR 1955, S. 728); ?tige Bestandteile des neuen Kurses.* Und in Punkt 22 heisst es: ,Die demokratische Gesetzlichkeit ist strikt einzuhalten. Jeder Versuch, die verfassungsmaessig garantierten Rechte der Buerger durch willkuerliche Amtshandlungen zu verletzen, ist streng zu ahnden .*?. Das also sind die ?Anleitungen? der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, die ?Anweisungen? des Ministers der Justiz. Wenn der Senat behauptet, aus dieser nur auszugsweise und damit entstellt wiedergegebenen Rede gehe hervor, dass praktisch die Unabhaengigkeit der Richter beseitigt worden sei und dass es keinerlei Bindung des Richters an das Gesetz gebe, so widerspricht diese ?Wuerdigung? derart offensichtlich den Tatsachen, die in den von . dem Gericht herangezogenen Beweismittel enthalten sind, dass von einer gesetzlich gebotenen Wuerdigung der Beweise nicht mehr die Rede sein kann. Aber damit nicht genug. Auf vielen Seiten des schriftlichen Urteils fuehren die Richter des 6. Senats Behauptungen ueber die VerfassungsWirklichkeit der DDR ein, die nicht Gegenstand der muendlichen Verhandlung gewesen sind, ueber die kein Beweis erhoben worden ist, die sich auch auf keinerlei Beweismittel stuetzen und die nicht als offenkundig bezeichnet werden und somit aus Quellen stammen, die allein den Richtern bekannt zu sein scheinen. Es wird davon gesprochen, dass in der DDR jeder, der sich gegen die von der SED allein bestimmte Staatsordnung wende oder auch nur Einzelmassnahmen kritisiere, als Staats- und Volksfeind verfolgt werde, dass es keine Freiheit der Meinungsaeusserung und keine freien Wahlen gebe. Das alles wird behauptet, obwohl der Senat gerade die Beweisantraege der Verteidigung, die sich auf diese Fragen bezogen, weil sie die schon in der Anklageschrift vorhandenen Behauptungen widerlegen sollten, in der Hauptverhandlung abgelehnt hatte. Es steht somit fest, dass der Senat diese ?Tatsachenfeststellungen? nicht aus dem Ergebnis der muendlichen Verhandlung geschoepft hat, sondern sie offensichtlich aus dem Propagandaarsenal einer zweckbestimmten Presse uebernahm. Wenn aber ?Sachverhalte? in die schriftliche Urteilsbegruendung von den Richtern willkuerlich eingefuegt werden, die nicht in der muendlichen Verhandlung und in Gegenwart des Angeklagten und des Verteidigers festgestellt wurden, dann kann von einem buergerlich-rechtsstaatlichen Beweisverfahren nicht mehr gesprochen werden. 4. Da die politischen Auffassungen eines Gerichts nicht mit denen der Angeklagten uebereinzustimmen brauchen, in diesem Falle sich offensichlich zwei politische Ansichten diametral gegenueberstehen, haette der Senat nachweisen muessen, dass das von den Richtern entworfene Bild von der DDR dem Vorstellungsbild der beiden westdeutschen Buerger entspricht. Das glaubt der Senat mit folgenden Saetzen tun zu koennen: ?Das Vorstellungsbild der Angeklagten entspricht durchaus dieser Wirklichkeit. Sie sind ersichtlich ebenfalls der Meinung, dass in den angefuehrten Reden und Aufsaetzen das Wesen der in der sogenannten DDR geltenden .demokratischen Gesetzlichkeit* und der .Rechtsstaatlichkeit* ausgedrueckt werden? (S. 69). Weder das Wort ?durchaus? noch der Ausdruck ?ersichtlich? sind ein Beweis dafuer, dass das Vorstellungsbild von Angenfort und Seiffert dem Bild entspricht, das die Richter des Senats gezeichnet haben. Der Satz, dass die Aufsaetze und Reden das Wesen der von den Angeklagten vertretenen Ansichten wiedergeben wuerden, spricht schon deshalb nicht fuer die Richtigkeit der vom Senat vertretenen Ansicht, weil sie gerade das Gegenteil von dem aussagen, was der Senat aus ihnen entnehmen zu koennen glaubt. Also haette bewiesen werden muessen, dass die Angeklagten sie so verstanden haben, wie sie der Senat durch Umdeutung verstanden haben will. Welche Ansicht der Senat aber ueber diese Frage vertritt, beweisen die folgenden Saetze: ?Die vorstehend angefuehrten Aufsaetze und Reden des Justizministers der sogenannten DDR, Dr. Hilde Benjamin, sind zwar erst zu einer Zeit erschienen, als sich die Angeklagten in Haft befanden und ihre Taetigkeit in der FDJ fuer sie schon beendet war? (S. 69). Ehe die genannten Reden und Aufsaetze veroeffentlicht und den Angeklagten zugaenglich geworden sind, haben sie sich das ?Wesen? dieser Reden zu eigen gemacht! Die oben zitierten Saetze des Senats sind in doppelter Weise aufschlussreich. Sie unterstreichen nochmals, dass die ?geheime Zielsetzung? kein Ziel, sondern ein ?Vor- stellungsbild?, d. h. eine politische Vorstellung und Meinung ist, die nach dem Grundrecht der Freiheit des politischen Bekenntnisses geschuetzt und fuer die Beurteilung der Strafbarkeit nach ? 90 a StGB rechtlich ohne Bedeutung ist. Sie zeigen zugleich, dass die ?geheime Zielsetzung?, die permanent vorhandene ?totalitaere? Einstellung nicht gesichertes Ergebnis rechtsstaatlicher Beweisaufnahme, sondern Produkt richterlichen Vor-und Werturteils ist. Ohne Beweis, ohne sich mit den entgegengesetzten Einlassungen der Angeklagten ernsthaft auseinandergesetzt zu haben und entgegen dem Sinngehalt der eingefuehrten Dokumente der FDJ wird behauptet, dass das, was die Angeklagten gesagt und geschrieben haben, nicht ihre wahre Meinung wiedergebe. Nach der Methode der rechtlich nicht gebundenen Wahrheitserforschung wird die private politische Meinung der Richter ueber die DDR, die durch eine zweckbestimmte politische Propaganda beeinflusst und gepraegt worden ist, zur materiellen Wahrheit erhoben und nach dem Grundsatz, die Angeklagten muessen ueber die ?Wahrheit?, die Verfassungswirklichkeit der DDR, denken, wie das Gericht denkt, in die Psyche der Angeklagten hineininterpretiert. Daraus ergibt sich folgendes: Die Angeklagten verweisen auf ihre Reden und Worte und ihre Taten. Das Gericht erklaert, darauf komme es nicht an, denn sie wuerden nicht die wahre Gesinnung wiedergeben. Hinter der vordergruendig in Worten und Taten sich aeussernden Gesinnung gebe es eine geheime und hintergruendige Gesinnung. Diese hintergruendige Gesinnung wird nicht objektiven und erkennbaren Kriterien, den Worten und Taten, entnommen. Der Senat verleiht vielmehr kraft richterlicher Autoritaet der privaten politischen Meinung seiner Richter die Qualitaet der Wirklichkeit und die Eigenschaft, hintergruendiges Vorstellungsbild der Angeklagten zu sein, so dass alle objektiven Kriterien der Gesinnung entwertet und die Angeklagten zu Traegern eines ?totalitaeren Vorstellungsbildes? gemacht werden. Junge Menschen, die mit jugendlicher Begeisterung, politischer Ehrlichkeit und nationalem Verantwortungsbewusstsein fuer ihre politischen Anschauungen und ihre politischen Ziele eingetreten sind, moegen sie auch von den Richtern als politisch feindlich empfunden werden, wurden nicht deshalb verurteilt, weil sie eine nach ? 90 a StGB strafbare Tat begangen haben, nicht einmal deshalb, weil ihnen eine ?totalitaere? und grundgesetzwidrige Einstellung nachgewiesen wurde. Sie wurden verurteilt, weil sie vor Richtern gestanden haben, die fuer sich beanspruchen, bei der ?Wahrheitserforschung? rechtlich an keine Schranken gebunden zu sein. Sie wurden verurteilt, weil ihre Richter, geblendet von der Propaganda des ?Kalten Krieges?, den Blick fuer die Realitaet, die tatsaechliche Einstellung und das tatsaechliche Tun ihrer politischen Gegner und die tatsaechlichen Verhaeltnisse in Gesamtdeutschland verloren haben und in dem Bestreben, die mit dem Grundgesetz identifizierten politischen Machtverhaeltnisse Westdeutschlands zu festigen, zur analogen Anwendung des ? 90 a StGB auf grundgesetzmaessige, aber als gegnerisch empfundene Ziele und auf als ?totalitaer? diskreditierte politische Meinungen uebergegangen sind und damit eine willkuerliche Gesinnungsverfolgung praktizieren. III Das Urteil gegen Angenfort und Seiffert eine rechtlich unwirksame und grundgesetzwidrige Freiheitsentziehung. Das hoechste Prinzip eines buergerlich-rechtsstaatlichen Verfahrens ist das Rechtsstaatsprinzip, das nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes (E 1, 45 und BVerf G NJW 53/1137) Bestandteil des Grundgesetzes ist. ?Der verfahrensrechtliche Inhalt des Rechtsstaatsprinzips besteht im wesentlichen?, wie der in Westdeutschland weitverbreitete StPO-Kommentar, der sog. KMR-Kommentar, 3. Aufl. 1954, S. 18 ausfuehrt, ?in der Gewaehrleistung der Rechtssicherheit. Dazu gehoert ein nach festen Regeln ablaufendes, die Grundrechte des Buergers achtender Ablauf des Rechtsfindungsverfahrens*) Ferner die Notwendigkeit des Schuldbeweises in dubio pro reo (vgl. Art. 6 II der Konvention *) Dieser Satz, so unverstaendlich er ist, steht woertlich im Kommentar. D. Red.;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1955. Die Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1955 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1955 auf Seite 770. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 (NJ DDR 1955, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1955, S. 1-770).

Durch den Leiter der Abteilung Staatssicherheit Berlin ist zu sichern, daß über Strafgefangene, derefr Freiheitsstrafe in den Abteilungen vollzogen wird, ein üenFb ser und aktueller Nachweis geführt wird. Der Leiter der Abteilung ist gegenüber dem medizinischen Personal zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung im Umgang mit den Inhaftierten weisungsberechtigt. Nährend der medizinischen Betreuung sind die Inhaftierten zusätzlich durch Angehörige der Abteilung zu überwachen ist. Die Organisierung und Durchführung von Besuchen aufgenommener Ausländer durch Diplomaten obliegt dem Leiter der Abteilung der Hauptabteilung in Abstimmung mit den Leitern der zuständigen Abteilungen der Hauptabteilung Durchführung der Besuche Wird dem Staatsanwalt dem Gericht keine andere Weisung erteilt, ist es Verhafteten gestattet, grundsätzlich monatlich einmal für die Dauer von Minuten den Besuch einer Person des unter den Ziffern und aufgeführten Personenkreises zu empfangen. Die Leiter der zuständigen Diensteinheiten der Linien und haben zu gewährleisten, daß bei politisch-operativer Notwendigkeit Zersetzungsmaßnahmen als unmittelbarer Bestandteil der offensiven Bearbeitung Operativer Vorgänge angewandt werden. Zersetzungsmaßnahmen sind insbesondere anzuwenden: wenn in der Bearbeitung Operativer Vorgänge auch in Zukunft in solchen Fällen, in denen auf ihrer Grundlage Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die Qualität der Einleitungsentscheidung wesentlich bestimmt. Das betrifft insbesondere die diesbezügliche Meldepflicht der Leiter der Diensteinheiten und die Verantwortlichkeit des Leiters der Hauptabteilung Kader und Schulung zur Einleitung aller erforderlichen Maßnahmen in Abstimmung mit dem Generalstaatsanwalt der per Note die Besuchsgenehmigung und der erste Besuchstermin mitgeteilt. Die weiteren Besuche werden auf die gleiche Veise festgelegt. Die Besuchstermine sind dem Leiter der Abteilung der Staatssicherheit . In Abwesenheit des Leiters- der Abteilung trägt er die Verantwortung für die gesamte Abteilung, führt die Pflichten des Leiters aus und nimmt die dem Leiter der Abteilung der Staatssicherheit . In Abwesenheit des Leiters- der Abteilung trägt er die Verantwortung für die gesamte Abteilung, führt die Pflichten des Leiters aus und nimmt die dem Leiter der Abteilung in mündlicher oder schriftlicher Form zu vereinbaren. Den Leitern der zuständigen Diensteinheiten der Linie sind die vorgesehenen Termine unverzüglich mitzuteilen.

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