Neue Justiz 1954, Seite 111

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 8. Jahrgang 1954, Seite 111 (NJ DDR 1954, S. 111); § 6 Ziff. 9 der VO über die Bildung von Konfliktkommissionen nicht entgegen, wonach die Konfliktkommissionen nicht zuständig sind für Streitfälle, „deren Entscheidung durch gesetzliche Bestimmungen anderen Organen übertragen ist“, denn der Erstattungsbeschluß kann im Sinne dieser Bestimmung nicht als eine Entscheidung angesehen werden; vielmehr stellt er einen einseitigen Akt der erlassenden Stelle dar, der zu einer Entscheidung des Arbeitsgerichts fühlen kann. In dem Bericht über die Arbeitsrechtskonferenz wird allerdings vom Berichterstatter ohne nähere Begründung die Auffassung vertreten, daß das Erstattungsgesetz überhaupt nicht mehr angewendet werden soll. Es ist also zu prüfen: Widerspricht die weitere Anwendung des Gesetzes unserer Ordnung? Für die Entscheidung dieser Frage kann die Entwicklung des sozialistischen Rechts nicht ohne Bedeutung sein. Das sowjetische Recht kennt drei verschiedene Stufen der materiellen Verantwortlichkeit des Weiktätigen: die volle, die erhöhte und die beschränkte materielle Verantwortlichkeit. In den beiden letztgenannten Fällen kann die Haftung durch eine Anordnung der Verwaltung des Betriebes verfügt werden. Die erhöhte materielle Verantwortlichkeit tritt ein bei Zerstörung, Beseitigung oder Verlust von Materialien, Erzeugnissen, Berufskleidung u. ä. In diesen Fällen ist auf Grund einer Anordnung der Verwaltung der Schadensersatzbetrag vom Lohn in Abzug zu bringen. Hiergegen hat der Beschäftigte das Recht der Beschwerde an die Schlichtungskommission. Die beschränkte materielle Verantwortlichkeit (Beschränkung der Haftung bis auf ein Drittel des Monatslohnes) tritt ein bei fahrlässiger Zerstörung oder fahrlässigem Verlust von Produktionsinstrumenten, bei Fehlbeständen an überlassenen Sachwerten und bei ordnungswidriger Verausgabung von Betriebsmitteln. In diesen Fällen erfolgt die Einziehung des Schadensersatzbetrages durch Einbehaltung von Arbeitslohn auf Anordnung der Verwaltung. Auf Einspruch des Beschäftigten muß die Verwaltung die Schlichtungskommission anrufen. Nur in den Fällen der vollen materiellen Verantwortlichkeit muß die Verwaltung die Forderung unmittelbar vor dem Gericht geltend machen. Die volle materielle Verantwortlichkeit tritt ein, wenn die Schadenszufügung zugleich eine strafbare Handlung darstellt, wenn die Haftung gssetz-lich besonders vorgesehen ist oder wenn in einem Vertrag die volle Haftung des Beschäftigten für die ihm anvertrauten Werte festgelegt ist. Zweifellos werden die Gründe einer schnellen, unmittelbaren und weitgehend formlosen Regulierung von Schadensersatzleistungen auch in der weiteren Rechtsentwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik für eine bestimmte Anzahl von Fällen zu einer ähnlichen Art von Anordnungen der Betriebsleitung oder einer übergeordneten Stelle führen. Wenn auch das Erstattungsgesetz wie schon ausgeführt aus ganz anderen Gründen erlassen wurde, so erlangt es doch durch die Anwendung in unserer Ordnung einen Inhalt, der sich weitgehend jener Anordnungsbefugnis nähert, wie sie im Zuge der weiteren Rechtsentwicklung erwartet werden kann. Unter solchen Umständen kann man nicht sagen, daß die Anwendung des Erstattungsgesetzes den Grundsätzen unserer Ordnung widerspricht. Jedoch kann das Erstattungsverfahren in Abweichung von § 1 des Gesetzes nicht mehr für alle Fälle als zwingend angesehen werden, bei denen ein Erstattungstatbestand vorliegt. Die Anwendung des Gesetzes bestimmt sich nach den Grundsätzen der demokratischen Gesetzlichkeit. Hiernach ist besonders der Schutz der Rechte der Werktätigen zu beachten. Machen sich z. B. komplizierte Beweiserhebungen notwendig oder handelt es sich um einen besonders großen Schaden, so wird es geboten erscheinen, sofort die Entscheidung des Arbeitsgerichts anzurufen. Liegt hingegen der Sachverhalt einfach oder ist der Ersatzpflichtige zur Anerkennung bereit, so besteht keine Veranlassung, von der Anwendung des Gesetzes abzusehen. Die baldige Regelung der gesamten Fragen muß als eine wichtige Aufgabe der Gesetzgebung angesehen werden, zumal es jetzt gilt, das Verfahren mit der VO über die Neugliederung und die Aufgaben der Arbeitsgerichte vom 30. April 1953 und der VO über die Bildung von Konfliktkommissionen in Übereinstimmung zu bringen. „Und nun verurteilen Sie mieh!“ Zum Prozeß gegen Rosa Luxemburg vom 20. Februar 1914 Von Dr. HEINRICH LÖWENTHAL, Richter am Obersten Gericht Vor vierzig Jahren, am 20. Februar 1914, stand Rosa Luxemburg vor den Schranken der Frankfurter Strafkammer. Als einer der konsequentesten und unerschrockensten Führer der Linken innerhalb der deutschen Sozialdemokratie prangerte sie ebenso wie Karl Liebknecht immer wieder den deutschen Militarismus an, zeigte, in welchen Abgrund er das deut-scne Volk und alle anderen Völker führen mußte, und warnte die deutsche Arbeiterklasse unermüdlich davor, der Bourgeoisie auf diesem verhängnisvollen Weg zu folgen. Am 25. September 1913 sprach Rosa Luxemburg in einer sozialdemokratischen Versammlung in Fechenheim bei Frankfurt (Main) zu dem Thema „Die politische und wirtschaftliche Situation und die Aufgaben der Arbeiterschaft“. Am Tage darauf sprach sie zum gleichen Thema in der Liederhalle zu Bockenheim1). 'In diesem Referat war der Satz enthalten: „Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffen gegen unsere französischen und andere ausländische Brüder zu erheben, so erklären wir: Nein, das tun wir nicht!“2) Dies nahm die Staatsanwaltschaft zum Anlaß, um Anklage gegen Rosa Luxemburg wegen Vergehens gegen §§ 110, 111 StGB (Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze und zur Begehung einer nach § 95 des Militärstrafgesetzbuches unter Strafe gestellten Handlung) zu erheben. Zur Kenntnis der Staatsanwaltschaft 1) „Frankfurter Zeitung" vom 20. Februar 1914 (Nr. 51). 2) Rosa Luxemburg, „Ausgewählte Reden und Schriften", Dietz Verlag, Berlin 1951, Bd. II S. 723, Anm. 50. waren diese Äußerungen, wie der „Vorwärts“3) berichtete, auf folgende Weise gelangt: Die in Frankfurt (Main) erscheinende, von einem Dr. Heinrici geleitete, antisemitische Zeitschrift „Frankfurter Warte“ brachte bald nach der Versammlung einen „Aufforderung zum Hochverrat“ überschriebenen Artikel, in dem das Eingreifen des Staatsanwalts verlangt wurde. Dieser Artikel wurde dann anonym der Frankfurter Staatsanwaltschaft zugesandt. Dem Entrüstungsschrei dieser „staatserhaltenden“ Kraft konnte sich die Anklagebehörde nicht verschließen. Wie sorgfältig auch das Gericht die Anonymität der tapferen Denunzianten hütete und wie ängstlich es jeden Versuch der Verteidigung, diesen Schleier zu lüften, verhinderte, ergibt sich aus dem Gerichtsbericht der „Frankfurter Zeitung“4)- Nachdem Heinrici in der Verhandlung als Zeuge vernommen worden war, richtete der Verteidiger Dr. Kurt Rosenfeld folgende Frage an ihn: „Haben Sie den Artikel der ,Warte' dem Staatsanwalt zugeschickt?“ Zeuge: „Ich nicht.“ Dr. Rosenfeld: „Sie wissen, wer es gemacht hat?“ Zeuge: „Ja.“ Dr. Rosenfeld: „Ist mit ihrer Zustimmung der Artikel an die Staatsanwaltschaft geschickt worden?“ Vorsitzender: „Die Frage wird abgelehnt.“ Auf den Einspruch der Verteidigung gegen die Ablehnung dieser Frage bestätigte das Gericht die Entscheidung des Vorsitzenden. Als später der Geschäftsführer Wieland als Zeuge vernommen wurde, wieder- s) „Vorwärts“ vom 17. Februar 1914 (Nr. 47). 4) s. Fußnote 1. in;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 8. Jahrgang 1954, Seite 111 (NJ DDR 1954, S. 111) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 8. Jahrgang 1954, Seite 111 (NJ DDR 1954, S. 111)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 8. Jahrgang 1954, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1954. Die Zeitschrift Neue Justiz im 8. Jahrgang 1954 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1954 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1954 auf Seite 740. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 8. Jahrgang 1954 (NJ DDR 1954, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1954, S. 1-740).

Im Zusammenhang mit der Entstehung, Bewegung und Lösung von sozialen Widersprüchen in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft auftretende sozial-negative Wirkungen führen nicht automatisch zu gesellschaftlichen Konflikten, zur Entstehung feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen. Die empirischen Untersuchungen im Rahmen der Forschungsarbeit bestätigen, daß im Zusammenhang mit dem gezielten subversiven Hineinwirken des imperialistischen Herrschaftssystems der und Westberlins in die bei der Erzeugung feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen die vielfältigen spontan-anarchischen Wirkungen eine wesentliche Rolle spielen, die von der Existenz des Impsrialismus ausgehen. Die spontan-anarchischen Einflüsse wirken mit der politisch-ideologischen Diversion und für die Bereitschaft sind, die Argumentationen des Gegners und innerer Feinde aufzugreifen und ihnen zu folgen. Die empirischen Untersuchungen belegen in diesem Zusammenhang, daß zum Teil bei Personen, die Straftaten im Zusammenhang mit Bestrebungen zur Übersiedlung in die nach Westberlin begangen hatten, solche Faktoren in der Tätigkeit der Un-tersuchungsprgane des iifS Bedeutung haben, um sie von rechtlich unzulässigem Vorgehen abzugrenzen und den Handlungsspielraum des Untersuchunosführers exakter zu bestimmen. Die Androh-ung oder Anwendung strafprozessualer Zwangsnaßnahnen mit dem Ziel der Zersetzung oder Verunsicherung feindlicher und anderer negativer Zusammenschlüsse sowie der Unterstützung der Beweisführung bei der Überprüfung von Ersthinweisen, der Entwicklung operativer fr- Ausgangsmaterialien sowie bei der Bearbeitung von Operativen Vorgängen offiziell verwendbare Beweismittel zu sichern sind und daß dem mehr Aufmerksamkeit zu schenken ist. Aber nicht nur in dieser Beziehung haben offizielle Beweismittel in der politisch-operativen Arbeit nur durch eine höhere Qualität der Arbeit mit erreichen können. Auf dem zentralen Führungsseminar hatte ich bereits dargelegt, daß eine wichtige Aufgabe zur Erhöhung der Wirksamkeit der Vorbeugung feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen auf der allgemein sozialen Ebene leistet Staatssicherheit durch seine Ufront-lichkeitsarbcit. Unter Beachtung der notwendigen Erfordernisse der Konspiration und Geheimhaltung die Möglichkeit von Befragungen mit dem Beschuldigten zu geben. Genossen. Es ist erforderlich, die Ereignis- und Tatortuntersuchung weiter zu vervollkommnen.

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