Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1953, Seite 781

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 7. Jahrgang 1953, Seite 781 (NJ DDR 1953, S. 781); Die republikanische Verfassung, die am 1. Januar 1948 in Kraft trat, fügte sich natürlich in die bisher bestehende Rechtsordnung ein, und zwar als neues Gesetz mit einer größeren Wirksamkeit als alle anderen, aus den gewöhnlichen Rechtsquellen stammenden Rechtsnormen. Hier entstanden nun schwierigere Probleme der Interpretation, und zwar Probleme der Rangordnung der Rechtsquellen, das heißt also der Gültigkeit oder Ungültigkeit der Gesetzesbestimmungen, die sich in dieser ersten Lebensphase der Verfassung mit Problemen des Übergangsrechts überschnitten und in der Praxis letztlich mit ihnen verschmolzen. Es handelt sich also um die Frage des Weiterbestehens oder der Abschaffung bestimmter früherer Gesetzesbestimmungen. Andererseits hat der übergeordnete Charakter der Verfassung, also der neuen Rechtsquelle, die über allen anderen Rechtsquellen steht, auch in dieser Beziehung, also auch von einem prinzipiellen Gesichtspunkt aus, zu einer ernsten Krise im System geführt, die sich aus den starken geistigen, prinzipiellen und richtungsmäßigen Kontrasten zwischen der neuen Verfassung und der vorherigen Rechtsordnung (d. h. der Rechtsordnung des monarcho-faschistischen Staates) und der ebenfalls geistigen, prinzipiellen und richtunggebenden Verschiedenheit und zuweilen sogar Gegensätzlichkeit zwischen der neuen Verfassung und eben dieser monarcho-liberalen-vorfaschistischen Ordnung ergeben. Nach dem Inkrafttreten der republikanischen Verfassung bot die italienische Rechtsordnung also das Bild einer sich inhaltlich völlig widersprechenden Ordnung: auf der einen Seite die Verfassung als neues und übergeordnetes Gesetz, das auf weitgehend demokratischen Prinzipien politischer und wirtschaftlicher Art basierte, und auf der anderen Seite die Gesetze der faschistischen Zeit, von denen nur wenige halb oder teilweise verbessert worden waren, sowie eine ganze Reihe noch älterer Gesetze, die schon die faschistische Ordnung von der Vergangenheit übernommen hatte und die die jetzige republikanisch-demokratische Ordnung ein zweites Mal übernahm. Da aber eine Rechtsordnung inhaltlich nicht widerspruchsvoll sein kann, hätten auf das Inkrafttreten der republikanischen Verfassung sofort wenigstens einige der dringendsten Reformen früherer Gesetze folgen müssen, um diese mit den neuen verfassungsrechtlichen Grundsätzen in Einklang zu bringen. Nicht weniger notwendig wäre es gewesen, daß die öffentlichen Ver-waltungs- und Rechtsorgane aus dem Gegensatz zwischen den alten Bestimmungen und den Bestimmungen der neuen Verfassung die logischen und natürlichen Konsequenzen gezogen, die letztere verwirklicht und alle anderen, mit diesen neuen Bestimmungen unvereinbaren Gesetze nicht mehr angewandt, also stillschweigend abgeschafft hätten. In den 5 Jahren vom 1. Januar 1948 bis zum Ende der ersten Legislaturperiode der Abgeordnetenkammer hatte man genug Zeit, um wenigstens die schwerwiegendsten Gegensätze zu beseitigen und entschlossen den erforderlichen systematischen Vereinheitlichungsprozeß der Rechtsordnung in ihren verschiedenen Teilen im Geiste der verfassungsrechtlichen Grundsätze in die Wege zu leiten. Aber leider hat man dies nicht getan. Die früheren Gesetze sind fast unverändert geblieben, da von der parlamentarischen Regierungsmehrheit die zahlreichen von der Opposition eingebrachten Abänderungs- und Reformvorschläge nicht gebilligt worden sind. Die Regierungs- und Verwaltungsbehörden haben andererseits bis auf den heutigen Tag frühere Gesetzesbestimmungen angewandt, die mit den Bestimmungen der Verfassung offensichtlich nicht zu vereinbaren sind. Es muß leider gesagt werden, daß die Rechtsorgane (und besonders der Kassationsgerichtshof) eine so offensichtlich verfassungswidrige Praxis bestätigt und es durch eine mehr oder minder gewundene Beweisführung vermieden haben festzustellen, daß frühere Gesetzesbestimmungen durch Bestimmungen der neuen Verfassung aufgehoben worden sind. 3. Man kann sich leicht vorstellen, wie sich all dies auf den Schutz der bürgerlichen Freiheiten und auf die Ausübung dieser Freiheiten auswirkte. Manchmal verweisen die Verfassungsbestimmungen selbst, obwohl sie ausdrücklich und in unzweideutiger Weise bestimmte Freiheitsrechte garantieren, auf Bestimmungen der gewöhnlichen Gesetze, durch die sie ergänzt werden müssen. Dies würde zu kleinen Unge- legenheiten Anlaß geben, wenn diese ergänzenden Bestimmungen abgeändert und auf diese Weise mit den allgemeinen Grundsätzen und den Zielen der Verfassung in Einklang gebracht worden wären. Aber die Schwierigkeit ergibt sich daraus und das ist eine schwerwiegende Tatsache , daß die früheren Gesetze, unter denen sich Gesetze befinden, die den Schutz der bürgerlichen Freiheiten und der Rechte der Persönlichkeit schmälern, unverändert geblieben sind, obwohl ihnen zum größten Teil gerade die entgegengesetzten einschränkenden und antidemokratischen Kriterien der faschistischen Diktatur zugrunde liegen. Dieses Zurückgreifen auf gewöhnliche Gesetze, durch die die Verfassungsbestimmungen harmonisch ergänzt werden sollen, führt also in der Praxis zuweilen dazu, daß die in der Verfassung formulierten Freiheitsgarantien umgangen und zunichte gemacht werden. Als besonders charakteristisches Beispiel hierfür verweisen wir auf Artikel 13 der Verfassung über die Freiheit der Person im eigentlichen Sinne. In dem Artikel wird grundsätzlich anerkannt, daß die Freiheit der Person unverletzlich ist, und die Rechtmäßigkeit jeder Form der Freiheitsentziehung, der Durchsuchung und der Leibesvisitation unld im allgemeinen „jeglicher anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit, es sei denn als eine begründete Maßnahme der Rechtsorgane und nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen und Formen“, ausgeschlossen ist. Im gleichen Atemzug aber wird in derselben Verfassungsbestimmung nach dem Hinweis auf die alleinigen Ausnahmen, die von dieser Regelung erlaubt sind, eingeräumt, daß „in außergewöhnlich notwendigen und dringlichen Fällen, die ausdrücklich vom Gesetz genannt sein müssen, die für die öffentliche Sicherheit verantwortlichen Behörden provisorische Maßnahmen treffen können “, die aber einer späteren Bestätigung durch die Rechtsorgane bedürfen. Das gewöhnliche Gesetz, auf das hier zweimal zur Ergänzung der Verfassungsbestimmung zurückgegriffen wird, findet sich in dem aus dem Jahre 1930 stammenden Strafgesetzbuch, das bis zur Stunde, von einigen unwesentlichen und unzureichenden Änderungen abgesehen, die sofort nach der Befreiung, also noch vor dem Inkrafttreten der republikanischen Verfassung, vorgenommen wurden, fast völlig unverändert geblieben ist. Nach dem Strafgesetzbuch, auf Grund der Verfassung und solange die Bestimmungen des Strafgesetzbuches nicht durch Gesetze abgeändert worden sind, ist die persönliche Freiheit des Individuums somit den Eingriffen der Polizeibehörden ausgesetzt, und zwar weit über die Grenzen der Notwendigkeit und der Dringlichkeit hinaus, die durch den Artikel 13 der Verfassung gezogen sind. Es kommt jedoch noch schlimmer, da die einzige bestehende Fassung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit aus dem Jahre 1931, die noch nicht die leiseste Änderung erfahren hat, bestimmte Beschränkungen der persönlichen Freiheit ausschließlich auf administrativem Wege vorsieht und da solche Maßnahmen auch jetzt noch, nach Inkrafttreten der republikanischen Verfassung, angewandt werden, obwohl sie weder in dem zitierten Artikel 13 noch anderswo Erwähnung finden. Es stimmt zwar, daß eine Reihe Juristen und zahlreiche Gerichte in ihren Urteilen die Tatsache anerkennen, daß diese Bestimmungen des alten Gesetzes über die öffentliche Sicherheit, die jeglicher rechtlicher Garantie entbehrende polizeiliche Zwangmaßnahmen (polizeilicher Verweis, Polizeiaufsicht, Aufhebung der Freizügigkeit) zulassen, von der neuen Verfassung außer Kraft gesetzt worden sind. Andererseits muß jedoch festgestellt werden, daß das Kassationsgericht in seinen Entscheidungen einen anderen Weg gegangen ist, sich dabei auf die Unvollständigkeit der Verfassuhgsbestimmung des Artikels 13 berief und diesem Begriff der Unvollständigkeit eine sehr merkwürdige und falsche Auslegung gab. Die Bestimmung des Artikels 13 ist, auch wenn sie auf das gewöhnliche Ergänzungsgesetz zurückgreift, zweifellos vollständig, wenigstens insofern, als sie bei jeder die persönliche Freiheit einschränkenden Maßnahme auch ein Eingreifen der Justizbehörden als Rechtsschutz fordert. Diese Bestimmung ist auch insofern vollständig, als sie nur in außergewöhnlichen Fällen Polizeimaßnahmen zuläßt, nämlich, wie es heißt, in „außergewöhnlich notwendigen und dringlichen Fällen, die ausdrücklich im Gesetz genannt sein 781;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 7. Jahrgang 1953, Seite 781 (NJ DDR 1953, S. 781) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 7. Jahrgang 1953, Seite 781 (NJ DDR 1953, S. 781)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 7. Jahrgang 1953, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1953. Die Zeitschrift Neue Justiz im 7. Jahrgang 1953 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1953 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1953 auf Seite 624. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 7. Jahrgang 1953 (NJ DDR 1953, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1953, S. 1-624).

Die Entscheidung über die Teilnahme an strafprozessualen Prüfungshandlungen oder die Akteneinsicht in Untersuchungs-dokumente obliegt ohnehin ausschließlich dem Staatsanwalt. Auskünfte zum Stand der Sache müssen nicht, sollten aber in Abhängigkeit von der Vervollkommnung des Erkenntnisstandes im Verlauf der Verdachts-hinweisprü fung. In der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit sollte im Ergebnis durch- geführter Verdachtshinweisprüfungen ein Ermittlungsverfahren nur dann eingeleitet werden, wenn der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt oder es an den gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung fehlt, ist von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, Der Staatsanwalt kann von der Einleitung eines Ermit tlungsverfahrens. Gemäß ist nach Durchführung strafprozessualer Prüfungshandlungen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, wenn entweder kein Straftatverdacht besteht oder die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung fehlt, ist von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, Der Staatsanwalt kann von der Einleitung eines Ermit tlungsverfahrens absehen, wenn nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches von Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Im sozialistischen Strafreoht gilt der Grundsatz des Tatprinzips, ohne keine Straftat. Oie Analyse der Tatbegehung bestirnter Straftaten ist von grundlegender Bedeutung für die Vorbeugung, Aufdeckung und Bekämpfung feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen ist als eine relativ langfristige Aufgabe zu charakterisieren, die sich in die gesamtstrategische Zielstellung der Partei zur weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft unmittelbar einordnet. Unter den gegenwärtigen und für den nächsten Zeitraum überschaubaren gesellschaftlichen Entwicklungsbedingungen kann es nur darum gehen, feindlich-negativen Einstellungen und Handlungen gegeben sind. Dieser Prozeß des sich allmählich entwickelnden Widerspruchs zwischen Individuen und sozialistischer Gesellschaft ist zugleich ein Teil der Problematik der Bewegung und Lösung von Widersprüchen bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in Verwirklichung der ivirtschaftlich-organisatcrischen, kulturell-erzieherischen Funktionen, in der Außenpolitik und der Gewährleistung des Schutzes der Arbeiter-und-Bauern-Macht vielfältiger, komplexer, komplizierter und zugleich differenzierter.

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