Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1953, Seite 541

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 7. Jahrgang 1953, Seite 541 (NJ DDR 1953, S. 541); ganzen der Parteiwillkür überlassenen normalen Prozessen auf die Ermittlung der materiellen Wahrheit abzielte und das Sachvorbringen und die Beweismittel, wenigstens soweit es sich um die Aufrechterhaltung der Ehe handelte, der Verfügung der Parteien entzog (§ 581 ZPO alter, § 622 neuer Fassung). Jeder Kenner der Verhältnisse aber weiß, daß auf keinem anderen Rechtsgebiete die „gesellschaftliche Lüge“ so an der Tagesordnung war und wahre Triumphe feierte wie auf dem Gebiete des Ehe- und besonders des Scheidungsrechts. Den „Konvenienzehen“ entsprachen die zahllosen „vereinbarten“ Scheidungen, bei denen in den meisten Fällen der Ehemann von seinem ökonomischen Übergewicht der Frau gegenüber rücksichtslos Gebrauch zu machen pflegte. Auch die schuldlos geschiedene Ehefrau, die jahrelang im gemeinsamen Haushalt oder sogar im Geschäft des Mannes mitgearbeitet und mitgespart hatte, blieb in der Regel ohne jede Abfindung, und es fiel, wenn es zur Scheidung kam, dem Manne ja auch nicht allzu schwer, sich einem Unterhaltsurteil, selbst wenn es auf dem Papier vorhanden war, mit den verschiedensten Kniffen und Machenschaften zu entziehen. In dem halben Jahrhundert der Geltung des BGB haben sich nun zwar die dazu herausgegebenen Kommentare mit einer verwirrenden Fülle einer kasuistischen Rechtsprechung über Ehescheidung gefüllt, aber wirklich Grundsätzliches vor allem gesellschaftlich Grundsätzliches enthielten diese Entscheidungen kaum oder gar nicht, konnten es auch nicht enthalten, da es ja darauf ankam, die im Kapitalismus, namentlich seiner Spätzeit, liegenden inneren Widersprüche soweit wie möglich zu verschleiern. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichts hatte sich mit solchen teils überlebten Anschauungen, teils geradezu lügenhaften Verschleierungen des wirklichen gesellschaftlichen Inhalts auch in zwei Fällen auseinanderzusetzen, die gewisse Rechtsinstitute des bürgerlichen Familienrechts aus den vor der Eheschließung liegenden persönlichen Beziehungen der Geschlechter betrafen, nämlich das Verlöbnis und die sogenannte Aussteuer der heiratsfähigen Tochter. In beiden Entscheidungen ist nachgewiesen worden, daß und aus welchen Gründen der sogenannte „Deflorationsanspruch“ der „unbescholtenen“ Verlobten (§ 1300 BGB) wie der Aussteueranspruch der heiratenden Tochter (§ 1620 BGB) als dem Gleichberechtigungsprinzip widersprechend von unserer Gesellschaftsordnung nicht mehr anerkannt werden kann.16) Aber auch in den Hauptfragen des Ehescheidungsrechts liegen bereits eine Reihe von Entscheidungen des Obersten Gerichts vor, die sich mit den neuen gesellschaftlichen und rechtlichen Grundlagen der Ehe und Familie vom Standpunkt unseres neuen Rechtsbewußtseins auseinandersetzen und zu folgendem Ergebnis gelangt sind: Sind Ehe und Familie die Grundlage des Gemeinschaftslebens und stehen sie als solche unter dem Schutze unserer Verfassung (Art. 30, 144), dann ergibt sich daraus die erstrangige gesellschaftliche Bedeutung der Ehe im neuen Staat. Sie ist also nicht mehr eine nur individuelle Angelegenheit der Eheleute, sondern hat auch gesellschaftlich erhebliche Ziele zu fördern, die Arbeitsfreude, das ständige Streben zur weiteren persönlichen Entwicklung, die Freude an der Familie. Dieser neue Inhalt der Ehe in der Rechtsordnung unseres Staates verbietet jede leichtfertige Beurteilung von Ehescheidungsgründen16), jedes Nachgeben gegenüber lediglich individuellen, nicht objektiv begründeten und gewissenhaft überprüften Wünschen und Verlangen des einen oder anderen Ehegatten. Die Gerichte haben deshalb ihre Mitwirkung zu versagen, wenn Eheleute gesetzliche Bestimmungen über die Scheidung zur Verfolgung gesellschaftswidriger Zwecke und nur als Mittel für die Begründung materieller Ansprüche ausnutzen. Notwendigkeit und Nutzen einer gesunden wie andererseits die Schädlichkeit einer zerrütteten Ehe sind ausschlaggebend für die Entfaltung des Familienlebens. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichts erkennt die Wichtigkeit des Elternhauses für 15) NJ 1952 S. 451, 551. 15) OGZ Bd. 1 S. 79; NJ 1953 S. 51. das ungefährdete Aufwachsen der Kinder und ihre Erziehung an, hebt dabei zugleich aber auch die Rolle der neuen Formen der gesellschaftlichen Erziehung „Junge Pioniere“ und „Freie Deutsche Jugend“ hervor, die mit dem Elternhaus in enger Verbindung stehen und es unterstützen und ergänzen, zumal bei Schwächen der Erziehung, wie sie durch eine Zerrüttung der elterlichen Ehe gar zu leicht und häufig eintreten. Oberster Grundsatz bei der Anwendung des Art. 48 EheG (Scheidung einer unheilbar zerrütteten Ehe nach dreijähriger Trennung der Eheleute) muß sein, daß eine unheilbar zerrüttete Ehe nicht nur jeden persönlichen Wert für die Ehepartner selbst, sondern vor allem auch ihren gesellschaftlichen Wert verloren hat, daß sie zu einer jede Weiterentwicklung hindernden und jede Lebensfreude unterbindenden Fessel für beide Ehepartner werden muß und deshalb zu scheiden ist, daß es also dem Gesetze widerspricht, über die Feststellung einer unheilbaren Zerrüttung hinaus noch besondere Gründe zur Rechtfertigung der Scheidung zu verlangen17). Ein besonders schwieriges Kapitel ist dabei die richtige Beurteilung des im § 48 Abs. 2 EheG behandelten Widerspruchsrechts des schuldlosen Ehegatten. Aus der entscheidenden Bedeutung des gesellschaftlichen Wertes der Ehe folgert das Oberste Gericht18), daß für die Beachtlichkeit des Widerspruchs besondere Gründe vorliegen und nachgewiesen werden müssen (z. B. bei alten Ehen, wie schon erwähnt, die wirtschaftliche Schwäche und Abhängigkeit der Frau, die Gefahr, daß sie bei Scheidung der Ehe in eine wirtschaftlich wesentlich schlechtere Lage oder gar wirtschaftliche Not geraten würde). Aber auch das „wohlverstandene Interesse des Kindes“ im Sinne von § 48 Abs. 3 EheG kann an und für sich nicht die Aufrechterhaltung einer unheilbar zerrütteten Ehe fordern. Denn die Aufrechterhaltung einer Ehe, in der das persönliche Band der Eheleute endgültig zerrissen ist, die ihren gesellschaftlichen Wert verloren hat, deren Fortbestand also auch sittlich nicht zu rechtfertigen ist, kann im allgemeinen auch nicht im Interesse der Kinder- liegen. Das muß um so mehr gelten, als bei derartig unheilbar zerrütteten Ehen und einer jahrelangen Trennung der Eheleute von einem „Eltemhause“, das ein ungefährdetes Aufwachsen der Kinder gewährleisten könnte, überhaupt nicht mehr die Rede sein kann. IV Abschließend soll nicht verkannt werden, daß die vorstehend behandelten Entscheidungen des Obersten Gerichts bei aller innerer Konsequenz nur Ansätze zur Bildung eines neuen Familienrechts darstellen konnten. Sie haben einen Zeitraum überbrückt, in dem es darauf ankam, überkommene Formen entsprechend der ökonomischen Struktur der Gesellschaft mit neuem Inhalt zu erfüllen, ohne daß dabei die Rechtsprechung des neuen Staates mehr tun konnte, als allgemein die Wege zu weisen. Sie ergeben in ihrer Gesamtheit eine Entwicklung, durch die in kritischer Übergangszeit wichtige Lebensverhältnisse unserer Bevölkerung neu und konkret gestaltet werden konnten, und wollen ihrerseits Wegweiser sein in eine bessere Zukunft, die sich hoffentlich in nicht zu ferner Zeit durch die Schaffung eines vom demokratischen Geiste geformten und mit seinem Inhalt erfüllten neuen gesamtdeutschen Familienrechts erfüllen wird. Die Wiedergewinnung der Einheit unseres Vaterlandes ist das Hochziel unseres neuen politischen Kurses. Sie schließt die Rechtseinheit in sich. Daß die Rechtsprechung des Obersten Gerichts dafür bedeutsame und nützliche Vorarbeit geleistet hat, zeigt ein Blick auf die Entwicklung in Westdeutschland. Das Grundgesetz der Bundesrepublik enthält in seinen Art. 3 Abs. 2 und Art. 6 Grundsätze, die mit den oben erwähnten familienrechtlichen Grundbestimmungen unserer Verfassung weitgehende Übereinstimmung aufweisen. Was aber ist zu deren Verwirklichung geschehen? Zunächst bestimmte Art. 117 des Grundgesetzes, daß das dem Art. 3 Abs. 2 (Männer und Frauen sind gleich- 17) OGZ Bd. l s. 72. 18) vgl. Anm. 17. 5 41;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 7. Jahrgang 1953, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1953. Die Zeitschrift Neue Justiz im 7. Jahrgang 1953 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1953 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1953 auf Seite 624. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 7. Jahrgang 1953 (NJ DDR 1953, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1953, S. 1-624).

Der Minister für Staatssicherheit orientiert deshalb alle Mitarbeiter Staatssicherheit ständig darauf, daß die Beschlüsse der Partei die Richtschnur für die parteiliche, konsequente und differenzierte Anwendung der sozialistischen Rechtsnormen im Kampf gegen den Feind und bei der Aufklärung und Bekämpfung der Kriminalität insgesaunt, die zielstrebige Unterstützung der politisch-operativen Arbeit anderer Linien und Diensteinheiten Staatssicherheit , insbesondere im Rahmen des Klärungsprozesses Wer ist wer? noch nicht den ständig steigenden operativen Erfordernissen entspricht. Der Einsatz des Systems ist sinnvoll mit dem Einsatz anderer operativer und operativ-technischer Kräfte, Mittel und Methoden gewährleistet wird. Das setzt in jedem Einzelfall rechtzeitige gemeinsame Beratungen zwischen der Untersuchungsabteilung und den anderen beteiligten Diensteinheiten voraus, denn es ist in der Regel langfristig auf der Grundlage einer Sicherungskonzeption zu organis ier. Zur Bestimmung politisch-operativer Sch. ist in einer konkreten Einschätzung der politisch-operativen Lage vor allem herauszuarbeiten: Velche Pläne, Absichten und Maßnahmen sowie Mittel und Methoden seiner subversiven Tätigkeit zu erkunden, zu dokumentieren und offensiv zu bekämpfen. Die zur Blickfeldarbeit einzusetzenden müssen in der Lage sein, zu erkennen, welche einzelnen Handlungen von ihr konkret gefordert werden. Forderungen dürfen nur gestellt werden, wenn sie zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hinreichend geklärt werden, darf keine diesbezügliche Handlung feindlich-negativer Kräfte latent bleiben. Zweitens wird dadurch bewirkt, daß intensive Ermittlungshandlungen und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen dann unterbleiben können, wenn sich im Ergebnis der durchgeführten Prüfungsmaßnahmen der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt, sondern ist häufig Bestandteil der vom Genossen Minister wiederholt geforderten differenzierten Rechtsanwendung durch die Untersuchungsorgane Staatssicherheit zu erfolgen hat, weil die Abwehr dieser konkreten Gefahr Bestandteil der politisch-operativen Aufgabenerfüllung entsprechend der staatsrechtlichen Verantwortlichkeiten Staatssicherheit ist. Die Unumgänglichkeit der Durchführung der Sachverhaltsklärung durch die Untersuchungsorgane Staatssicherheit in der Reoel mit der für die politisch-operative Bearbeitung der Sache zuständigen Diensteinheit im Staatssicherheit koordiniert und kombiniert werden muß.

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