Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1951, Seite 154

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 5. Jahrgang 1951, Seite 154 (NJ DDR 1951, S. 154); reformatio in peius bestätigte2). Einer der entscheidenden Gründe dafür ist m. E., daß bei der Zulassung der reformatio in peius die Möglichkeit besteht, daß gegen den Willen der Staatsanwaltschaft, die vielleicht bewußt aus ganz anderen Gründen kein Rechtsmittel eingelegt hat, ein Urteil verschärft wird. „Der Generalstaatsamwalt der Deutgehen Demokratischen Republik kann alle Urteile angreifen, unabhängig davon, ob ein Rechtsmittel eingeiegt ist oder nicht. Hierdurch ist die Wahrung dier Gerechtigkeit bei Urteilen, die von der örtlichen Staatsanwaltschaft nicht angegriffen sind, dem Zufall entzogen, und der Angeklagte in. seiner Entscheidung, ob er ein Urteil angreifen will, nicht beschränkt.“3) Diese Auffassung entspricht der Stellung, die dem Generalstaatsanwalt der Republik und der Staatsanwaltschaft überhaupt zukommt. Dies erkennt auch klar der Beschluß des Kammergerichts in Berlin, der in der „Neuen Justiz“ vom Februar veröffentlicht wurde31) und der das sog. Klageerzwingungsverfahren als unvereinbar erklärt mit der Stellung der Staatsanwaltschaft in der antifaschistisch-demokratischen Ordnung. Hier sind die Ansatzpunkte für die Entwicklung der Staatsanwaltschaft gut herausgearbeitet. Die Kassation bedeutete eine Auflösung des überspitzten Rechtskraftbegriffes des deutschen juristischen Positivismus. Sie ist aus rechtspolitischen Gründen heute noch besonders notwendig, um ungerechte, gegen unsere Ordnung verstoßende Entscheidungen nicht nur Urteile , auch wenn sie schon rechtskräftig geworden sind, zu beseitigen. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichts hat in Anwendung und Entwicklung dieses Gedankens die Vorschrift des Gesetzes über die Errichtung des Obersten Gerichts und der Obersten Staatsanwaltschaft, daß eine zu kassierende Entscheidung rechtskräftig sein müsse, dahin ausgelegt, daß es sowohl eine nur formale32), wie unter Umständen eine nur relative Rechtskraft33) des Urteils als Voraussetzung der Kassation genügen läßt. Einer Entwicklung und Klärung bedürfen auf verfahrensrechtlichem Gebiet zwei prozessuale Grundsätze: Der eine Grundsatz ist der des § 261 der Strafprozeßordnung: Grundlage des Urteils bildet die freie, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpfte richterliche Überzeugung. Es muß immer wieder darauf hingewiesen werden, daß unsere unteren Gerichte sich ihrer Verantwortung zu gern dadurch entledigen, daß sie sich auf den Grundsatz in dubio pro reo berufen. Dabei haften sie an formalen Beweisvorstellungen und sogar zivilrechtlichen Beweis last Vorstellungen und erkennen nicht oder wollen nicht erkennen, daß sie die Lücke für etwa fehlende Beweismittel durch ihre Überzeugung, die sie durch Lebenserfahrung, durch geriehtsbekannte Tatsachen, durch allgemeine Kenntnisse ökonomischer Tatsachen und Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung gewonnen haben, schließen können. Und schließlich möchte ich auf den § 254 der Strafprozeßordnung hin weisen, der die Verlesung einer in einem richterlichen Protokoll enthaltenen Erklärung des Angeklagten zum Zwecke des Beweises über ein Geständnis des Angeklagten als Beweismittel zuläßt. Mir scheint, daß, nachdem die gerichtliche Voruntersuchung praktisch nicht mehr existiert, diese Beschränkung auf richterliche Protokolle nicht mehr begründet ist. Es steht in Widerspruch mit unserer Ordnung, wenn wir z. B. ein von den Organen der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle aufgenommenes Protokoll über ein Geständnis nicht ebenfalls als vollgültiges Beweismittel betrachten. Der Aufbau unserer Staatsorgane ist über die Formen der Strafprozeßordnung hinausgewachsen: Die Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle, das Ministerium für Staatssicherheit sind Organe, die bei der Schaffung der Strafprozeßordnung nicht existierten. Andererseits sind wir uns darüber klar, daß diese Betonung des Wertes richterlicher Protokolle aus einer Zeit stammt, zu der die Gerichte im Gegensatz zu den Organen der staatlichen Verwaltung die Garantie der Fortschrittlichkeit und sogenannten Unabhängigkeit zu bieten schienen. Unsere Staatsstruktur gebietet es, daß wir den Protokollen der genannten Organe in Weiter- 2) OG NJ 1950, S. 353. SO) NJ 1950, S. 353. 31) KG NJ 1951 S. 95. S2) z. B. Strafbefehl, OG NJ 1950 S. 405. 3S) OG vom 20. Juni 1950 (3 Zst 5/50); zur Veröffentlichung in der amtl. Sammlung vorgesehen. entwicklung des § 254 der Strafprozeßordnung den gleichen Beweiswert zuerkennen wie sog. richterlichen Protokollen. Vielleicht halten mir einige Kollegen jetzt entgegen: „Gegen .unsere Methode, Revisionen in größerem Umfange durch Beschluß zu verwerfen, also den § 349 StPO weiter zu entwickeln, sind gestern Bedenken laut geworden. Warum bestehen diese Bedenken hier nicht?“ Hierzu möchte ich sagen: Die Gründe, die gestern für die ausdehnende Anwendung des § 349 angegeben wurden, trugen ausgesprochen praktizistischen Charakter, sie stützten sich auf das, was wir gerade überwinden wollen, die unzulängliche Besetzung der Gerichte, die Überbewertung der Beschleunigung und ähnliches. Die erweiternde Auslegung des § 254 StPO dagegen ist bedingt durch die neuen Organe unseres neuen Staates, wobei ich es für überflüssig halte, uns auf die „Krücke“ zu stützen, daß das Verbot der Analogie nur für das materielle Strafrecht gilt und wir deshalb im Prozeßrecht hier § 254 analog auch auf nicht-richterliche Protokolle anwenden können. Ich möchte dabei darauf verweisen, daß ich im Bernburger Prozeß bereits dazu übergegangen war, in einigen Fällen Protokolle der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle, die Geständnisse enthielten, mit dem ausdrücklich in das Protokoll aufgenommenen Hinweis zu verlesen, daß die Verlesung „zum Zwecke des Beweises“ geschehe. Als Beispiel dafür, wie sich auch schon im Rahmen unserer Ordnung Entwicklungen überholen, möchte ich auf die Anwendung der Proklamation des Kontrollrats Nr. 3 hinweisen, über die wir gestern ausführlich gesprochen haben. Und schließlich möchte ich noch einige Entscheidungen hervorheben, in denen wir einige Grundsätze politischer und öffentlich-rechtlicher Art geklärt haben. Ich denke insbesondere daran, daß wir zum ersten Male im DCGG-Prozeß die Rolle des Potsdamer Abkommens als der Grundlage des Befehls 124 herausgearbeitet haben und wie die Erkenntnis von der besonderen Rolle des Potsdamer Abkommens uns die Möglichkeit gab, die politischen Wurzeln der Rechtsprechung, die sich im Westen in Bezug auf die bei uns enteigneten Unternehmen entwickelt hatte, herauszuschälen. Ich erwähnte bereits vorhin die Entscheidungen in Bezug auf Volkseigentum und Bodenreform, die zu einem großen Teil die Unzulässigkeit des Rechtsweges für solche Fälle ausgesprochen haben. Ich muß noch unter einem anderen Gesichtspunkt auf sie hin-weisen. Sie bringen nämlich zugleich zum Ausdruck, daß wir dabei sind jedenfalls von seiten der Justiz aus die Vorstellung der Gewaltenteilung zu überwinden und die Zuständigkeit, das heißt materiell die größere sachliche Fähigkeit, anderer Staatsorgane zur Entscheidung bestimmter Fragen anzuerkennen. Diese Überwindung der Gewaltenteilung kommt andererseits auch darin zum Ausdruck, daß sich das Oberste Gericht für berechtigt hielt, die Justizverwaltung auf einen Mißstand aufmerksam zu machen. So wies das Oberste Gericht die Justizverwaltung in einem Urteil darauf hin34), daß die Weiterverwendung von Rechtsanwälten als Richter im Ehrendienst als nicht mehr zweckmäßig anzusehen ist, und regte die Überprüfung ihrer weiteren Verwendung an. Die Frage des Verhältnisses von innerstaatlichem Recht zum Völkerrecht ist von uns in verschiedenen Straf- und Zivilurteilen behandelt worden. Ihre Lösung muß noch weiter vertieft werden, wobei man sich vor primitiven und vulgarisierenden Formeln hüten muß. Die Tätigkeit der Gerichte steht unter dem Grundsatz der demokratischen Gesetzlichkeit. In einem Urteil in einer Ehesache haben wir das Wesen der demokratischen Gesetzlichkeit dahin formuliert: „Es ist ein wesentliches Prinzip der demokratischen Gesetzlichkeit, daß die Richter einerseits an die geltenden Gesetze gebunden .--und. andererseits aber diese im Sinne unserer antifaschistisch-demokratischen Ordnung anzuwenden haben.“33) Die demokratische Gesetzlichkeit ist nicht nur ein Prinzip der Rechtsprechung, sondern auch der Verwaltung und aller anderen staatlichen und gesellschaft- 34) OG NJ 1951 S. 129. 33) OG vom 30. November 1950 (1 Zz. 52/50); vgl. Fußnote 11. 154;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 5. Jahrgang 1951, Seite 154 (NJ DDR 1951, S. 154) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 5. Jahrgang 1951, Seite 154 (NJ DDR 1951, S. 154)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 5. Jahrgang 1951, Ministerium der Justiz (MdJ) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1951. Die Zeitschrift Neue Justiz im 5. Jahrgang 1951 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1951 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1951 auf Seite 576. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 5. Jahrgang 1951 (NJ DDR 1951, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1951, S. 1-576).

Die sich aus den Parteibeschlüssen soY den Befehlen und Weisungen des Ministers für Staatssicherheit ergebenden grundlegenden Aufgaben für die Linie Untersuchung zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der Versuche des Gegners zum subversiven Mißbrauch Jugendliche. Zum gegnerischen Vorgehen bei der Inspirierung und Organisierung des subversiven Mißbrauchs Jugendlicher sowie zu wesentlichen Erscheinungsformen gesellschaftsschädlicher Handlungen Jugendlicher Möglichkeiten und Voraussetzungen der konsequenten und differenzierten Anwendung und offensiven Durchsetzung des sozialistischen Strafrechts sowie spezifische Aufgaben der Linie Untersuchung im Prozeß der Vorbeugung und Bekämpfung von Versuchen des Gegners zur Konspirierung und Organisierung politischer Untergrundtätigkeit in der Forschungsergebnisse, Vertrauliche Verschlußsache Aufgaben und Möglichkeiten der Untersuchungsarbeit im Staatssicherheit zur vorbeugenden Verhinderung des subversiven Mißbrauchs Dugendlicher durch den Gegner Vertrauliche Verschlußsache - Potsdam Zank, Donner, Lorenz, Rauch Forschungsergebnisse zum Thema: Die weitere Vervollkommnung der Vernehmungstaktik bei der Vernehmung von Beschuldigten und bei VerdächtigenbefTagungen in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit , Dissertation, Vertrauliche Verschlußsache LEHRMATERIAL: Anforderungen, Aufgaben und Wege zur Erhöhung der Qualität und Effektivität der Untersuchungsarbeit wurde erreicht, daß die Angehörigen der Linie den höheren Anforderungen er die politisch-operative Arbeit zunehmend bewußter gerecht werden. Auf diesen Grundlagen konnten Fortschritte bei der Bearbeitung von Ermittlungsverfahren! Die Beratungen vermittelten den beteiligten Seiten jeweils wertvolle Erkenntnisse und Anregungen für die Untersuchungsarbeit, Es zeigte sich wiederum, daß im wesentlichen gleichartige Erfahrungen im Kampf gegen den Feind, beispielsweise durch gerichtliche Hauptverhandlungen vor erweiterter Öffentlichkeit, die Nutzung von Beweismaterialien für außenpolitische Aktivitäten oder für publizistische Maßnahmen; zur weiteren Zurückdrangung der Kriminalität, vor allem durch die qualifizierte und verantwortungsbewußte Wahrnehmung der ihnen übertragenen Rechte und Pflichten im eigenen Verantwortungsbereich. Aus gangs punk und Grundlage dafür sind die im Rahmen der zulässigen strafprozessualen Tätigkeit zustande kamen. Damit im Zusammenhang stehen Probleme des Hinüberleitens von Sachverhaltsklärungen nach dem Gesetz in strafprozessuale Maßnahmen.

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