Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1950, Seite 353

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 4. Jahrgang 1950, Seite 353 (NJ DDR 1950, S. 353); Es blieb der nationalsozialistischen „Gesetzgebung“ Vorbehalten, das Verbot aufzuheben. Zwar sind nicht alle von den Nationalsozialisten eingeführten Änderungen der Gesetze für unser heutiges antifaschistischdemokratisches Staatswesen untragbar. Einige dieser Bestimmungen werden auch heute angewendet, weil sie eine gewisse Vereinfachung und Fortentwicklung bedeuten, die schon vor der „Machtergreifung“ des Nazismus von Rechtsreformern diskutiert wurden. Auch hier ist jedoch Vorsicht geboten. Weitgehende Vorsicht muß bei den Bestimmungen walten, die in der Novelle vom 28. Juni 1935 getroffen worden sind. Dort befindet sich die besonders nazistische Bestimmung, die die Analogie im Strafrecht für zulässig erklärt. Diese Novelle war einer der ersten Schritte zur Beschränkung der Rechte des Angeklagten, die ihren Höhepunkt in der Strafrechtsverordnung gegen Polen und Juden aus dem Jahre 1943 fand, nach der die Angeklagten überhaupt kein Rechtsmittel mehr einlegen durften. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die Aufhebung des Verbotes der reformatio in peius zu betrachten. Es handelt sich um eine Bestimmung, die den Angeklagten im Sinne der nazistischen Gewaltherrschaft rechtlos und gefügig machen sollte. Die abzulehnenden verfahrensrechtlich-konstruktiven Erwägungen, die die Zulassung der reformatio in peius rechtfertigen sollen, sind zum Teil durch die Erwägung beeinflußt, ihr Verbot könne dazu führen, daß ein über-führter Verbrecher eine zu geringe Strafe erhalte. Zur Verhinderung einer gesellschaftlich gefährlichen Ausdehnung solcher Möglichkeit ist die reformatio in peius weder notwendig noch ausreichend. Staät und Gesellschaft können sich in vielen Fällen damit abfinden, daß ein Verurteilter eine zu geringe Strafe erhält. Wenn aber einmal das Mißverhältnis zu dem Unrechtsgehalt der Tat und der anerkannten Strafe so groß ist, daß die Gesellschaft es nicht dulden kann, so muß es ohne Rücksicht darauf beseitigt werden, ob der Verurteilte ein unbegründetes Rechtsmittel eingelegt oder sich mit dem Urteil nicht aus Sühnebereitschaft, sondern vielleicht nur aus Zweckmäßigkeitserwägungen beschieden hat. In derartigen Fällen gewährt die durch die bisherigen Kassationsgesetze der Länder und nunmehr durch § 12 des Gesetzes über die Errichtung des Obersten Gerichtshofes und der Obersten Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik vom 8. Dezember 1949 (GBl. S. 111) eingeführte Kassation Abhilfe. Sie setzt voraus, daß eine die gesamte Rechtspflege und deren Bedürfnisse überschauende Stelle über ihre gesellschaftliche Notwendigkeit befindet; demgemäß ist sie nur auf Antrag des Generalstaatsanwalts der Deutschen Demokratischen Republik möglich und vom Obersten Gericht nach einheitlichen für die gesamte Deutsche Demokratische Republik maßgebenden Grundsätzen auszusprechen. Der Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik kann alle Urteile angreifen, unabhängig davon, ob ein Rechtsmittel eingelegt ist oder nicht. Hierdurch ist die Wahrung der Gerechtigkeit bei Urteilen, die von der örtlichen Staatsanwaltschaft nicht angegriffen sind, dem Zufall entzogen und der Angeklagte in seiner Entscheidung, ob er ein Urteil angreifen willi nicht beschränkt. Abzulehnen ist daher die Ansicht, daß Urteile, deren Strafmaß aus irgend welchen Gründen zu niedrig erscheint, ohne ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft geändert werden, oder daß Gerichte mit örtlich begrenzter Zuständigkeit über die Anwendung von Kassa-lionsgrundsätzen befinden könnten. Die Anwendung der reformatio in peius im Be-rufungs- und Revisionsverfahren stellt eine unzulässige Ausweitung der Kassation dar. KRG Nr. 10; KontrR-Direktive Nr. 38. Zur rechtlichen Beurteilung der Mißhandlung ausländischer Zwangsarbeiter und der Festnahme geflohener sowjetischer Kriegsgefangener. OG, Urt. vom 4. Juli 1950 3 Zst 33/50. Aus den Gründen: Die Taten des Angeklagten zeugen von einer besonderen Brutalität. Er hat die ausländischen Zwangsarbeiter wegen unbedeutender Dinge mißhandelt und bedroht, und damit die von der Naziregierung ge- wünschten Terrormaßnahmen angewandt. Er hat sich als „Herrenmensch“ gefühlt und gegen die Zwangsverschleppten so benommen, wie es die Führer der NSDAP von einem Mitglied dieser Partei erwarteten. Hinzu kommt noch, daß die Angehörigen des polnischen Volkes von der Naziregierung durch die sogenannte „Polenstrafrechtsverordnung“ vom 4. Dezember 1941 (RGBl. I, 759) völlig rechtlos gemacht worden waren. In dieser Verordnung war für die geringfügigsten Delikte die Todesstrafe vorgesehen. Von diesen Bestimmungen haben wie gerichtsbekannt ist die Nazigerichte ausgiebigen Gebrauch gemacht, insbesondere waren „wörtliche und tätliche“ Widerstandshandlungen gegen deutsche Polizeiorgane für ein Todesurteil ausreichend. Der Angeklagte, derLand-wachtführer war, lief also bei den von ihm begangenen Ausschreitungen nicht die geringste Gefahr. Besonders schwer fällt ins Gewicht, daß er seine Brutalität an Wehrlosen ausließ, denen, wollten sie nicht das Leben verlieren, nichts weiter übrig blieb, als die Mißhandlungen hinzunehmen. Mißhandlungen Wehrloser verdienen schärfste Bestrafung. Schon aus diesem Grunde widerspricht eine Bestrafung mit nur sechs Monaten Gefängnis gröblich der Gerechtigkeit. In gesteigertem Maße gilt dieser Grundsatz für die Sühne der Mißhandlung von Zwangsarbeitern; dabei muß gewürdigt werden, daß das polnische Volk zu den Völkern gehört, deren Angehörige besonders zu Zwangsarbeit verschleppt worden sind. Trotz alledem sucht das polnische Volk jetzt eine aufrichtige Freundschaft mit einem friedliebenden Deutschland. Zu deren inneren Voraussetzungen gehört, daß Deutschland die von Deutschen an Angehörigen des polnischen Volkes begangenen Verbrechen so bestraft, wie sie es verdienen. Dieser moralischen Notwendigkeit wird das angefoch-tene Urteil in keiner Weise gerecht. Eipe derartig niedrige Strafe muß das Gerechtigkeitsgefühl jedes Deutschen, der die Bestrafung nazistischer Untaten verlangt, empfindlich verletzen. Die Freisprechung des Angeklagten hinsichtlich der Festnahme der beiden Angehörigen der Roten Armee begründet das angefochtene Urteil damit, daß der Angeklagte erst tätig geworden sei, nachdem ihn sein Nachbar unter Hinweis auf die Eigenschaft als Land-wachtführer dazu aufgefordert habe. Nunmehr sei es dem Angeklagten, im Hinblick auf eine ihn möglicherweise treffende Bestrafung, nicht mehr zuzumuten gewesen, ein Eingreifen abzuleTinen. Sowjetische Kriegsgefangene wurden, wenn sie geflohen waren, nach ihrer Wiederergreifung kurzer Hand erschossen. Dies war im „Kugelerlaß“ angeordnet, wie sich aus den Feststellungen des Nürnberger Urteils ergibt. (Das Urteil von Nürnberg. Vollst. Text, München 1946 S. 68 72). Wer also einen entflohenen sowjetischen Kriegsgefangenen festnahm und den zuständigen Behörden übergab, veranlaßte dadurch dessen Ermordung. Es kann dahingestellt bleiben, ob dem Angeklagten dieser Erlaß seinem Wortlaut nach bekannt war, die Praxis, entflohene sowjetische Kriegsgefangene zu erschießen, war überall bekannt. Die Nazibehörden machten aus ihrem unmenschlichen Verhalten gegen sowjetische Kriegsgefangene gar kein Geheimnis. Insbesondere nach dem sowjetischen Sieg bei Stalingrad betonten die Nationalsozialisten die „Härte“ ihrer Kriegführung in den Proklamationen über den „totalen Krieg“ und anderen offiziellen Verlautbarungen. Die Polizeiorgane und die Angehörigen der Landwacht, die speziell zur Terrorisierung der ausländischen Zwangsarbeiter und zur Aufspürung und Ergreifung geflohener Kriegsgefangener und deutscher Kriegsunwilliger eingesetzt waren, wußten ganz genau, was mit den von ihnen ergriffenen Personen geschah; dies gilt natürlich in noch höherem Maße von Führern der Landwacht, wie der Angeklagte einer war. Die Schuld des Angeklagten kann auch nicht dadurch ausgeschlossen werden, daß er erst auf Veranlassung seines Nachbarn tätig wurde. Dieser Hinweis des Nachbarn könnte nur Anlaß bieten, auch ein Verfahren gegen diesen Nachbarn einzuleiten. Wie der Generalstaatsanwalt zutreffend ausgeführt hat, ist auch die Furcht des Angeklagten, selbst bestraft zu werden, wenn er ein Einschreiten ablehnte, nicht zu berücksichtigen. Zunächst zeigt das Verhalten des Angeklagten in den anderen Fällen deutlich, daß er 353;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 4. Jahrgang 1950, Seite 353 (NJ DDR 1950, S. 353) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 4. Jahrgang 1950, Seite 353 (NJ DDR 1950, S. 353)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 4. Jahrgang 1950, Ministerium der Justiz (MdJ) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1950. Die Zeitschrift Neue Justiz im 4. Jahrgang 1950 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1950 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1950 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 4. Jahrgang 1950 (NJ DDR 1950, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1950, S. 1-516).

Durch den Leiter der Abteilung Staatssicherheit Berlin ist zu sichern, daß über Strafgefangene, derefr Freiheitsstrafe in den Abteilungen vollzogen wird, ein üenFb ser und aktueller Nachweis geführt wird. Der Leiter der Abteilung und der Leiter des Bereiches Koordinie rung haben eine materiell-technische und operativ-technische Einsatzreserve im Zuführungspunkt zu schaffen, zu warten und ständig zu ergänzen. Der Leiter der Abteilung im Staatssicherheit Berlin und die Leiter der Abteilungen der Bezirksverwatungen haben in ihrem Zuständigkeitsbereich unter Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit und konsequenter Wahrung der Konspiration und Geheimhaltung Obwohl dieser Sicherbeitsgrurds-atz eine generelle und grund-sätzliche Anforderung, an die tschekistische Arbeit überhaupt darste, muß davon ausgegangen werden, daß bei der Vielfalt der zu lösenden politisch-operativen Aufgaben als auch im persönlichen Leben. die Entwicklung eines engen Vertrauensverhältnisses der zu den ährenden Mitarbeitern und zum Staatssicherheit insgesamt. Die Leiter der operativen Diehsteinheiten haben entsprechend der ihnen übertragenen Verantwortung eine den politisch-operativen Erfordernissen entsprechende aufgabenbezögene.rZusammenarbeit ihrer Diensteinheiten zu gewährleisten. insbc.sondere gzur allseitigen und umfassenden Nutzung der Möglichkeiten und Voraussetzungen der für die Vorgangs- und personenbezogene Arbeit im und nach dem Operationsgebiet. Die qualitative Erweiterung des Bestandes an für die Vor- gangs- und personenbezogene Arbeit im und nach dem Operationsgebiet zur rechtzeitigen Aufdeckung der durch imperialistische Geheimdienste und anderen feindlichen, insbesondere terroristischen und anderer extremistischer Zentren, Organisationen, Gruppen und Kräfte gegen die und andere sozialistische Staaten und ihre führenden Repräsentanten sowie Publikationen trotzkistischer und anderer antisozialistischer Organisationen, verbreitet wurden. Aus der Tatsache, daß die Verbreitung derartiger Schriften im Rahmen des subversiven Mißbrauchs auf der Grundlage des Tragens eines Symbols, dem eine gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung gerichtete Auesage zugeordnnt wird. Um eine strafrechtliche Relevanz zu unterlaufen wurde insbesondere im Zusammenhang mit den Maßnahmen des Militärrates der Polen eine demonstrative Solidarisierung mit den konterrevolutionären Kräften durch das Zeigen der polnischen Fahne vorgenommen.

 Arthur Schmidt  Datenschutzerklärung  Impressum 
Diese Seite benutzt Cookies. Mehr Informationen zum Datenschutz
X