Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1980, Seite 173

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 34. Jahrgang 1980, Seite 173 (NJ DDR 1980, S. 173); Neue Justiz 4/80 173 Staat und Recht im Imperialismus Zur Bestrafung nazistischer Systemverbrecher Prof. Dr. FRIEDRICH KARL KAHL, Rechtsanwalt und Notar in Berlin Die 15. Große Strafkammer (Schwurgericht) des Landgerichts Köln (BRD) verurteilte am 11. Februar 1980 den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Kurt Lischka zu zehn Jahren, den ehemaligen SS-Sturmbannführer Herbert Hagen zu zwölf Jahren und den ehemaligen SS-Unter-scharführer Ernst Heinrichsohn zu sechs Jahren Freiheitsstrafe. Den drei Angeklagten war in der Hauptverhandlung, die am 23. Oktober 1979 begonnen hatte, die Mitverantwortlichkeit für die Deportation von mehr als 70 000 jüdischen Bürgern aus Frankreich in die faschistischen Vernichtungslager nachgewiesen worden. Der Prozeß war nach jahrelanger Verzögerungstaktik durch die zuständigen Organe der BRD erst auf Grund energischer Proteste aus dem In- und Ausland zustande gekommen (vgl. W. Matthäus, „Prozeß in der BRD gegen Verantwortliche für die ,Endlösung der Judenfrage‘ in Frankreich“, NJ 1979, Heft 12, S. 547 f.). In diesem Verfahren erfuhr die Institution der Nebenklage gemäß § 395 Abs. 2 StPO der BRD eine besondere Bedeutung, weil sie sowohl für die Erhebung der Anklage als auch für die Überführung der drei Angeklagten nahezu ausschlaggebend war. So war die Durchführung des Verfahrens vor allem dem persönlichen Einsatz des französischen Nebenklägers Rechtsanwalt Serge Klar s-f eld zu verdanken, der den größten Teil des dokumentarischen Beweismaterials zusammengetrageh und den Strafverfolgungsbehörden der BRD zur Verfügung gestellt hatte. Nach § 395 Abs. 2 StPO der BRD sind die nächsten Angehörigen der Opfer von Tötungsverbrechen in Strafverfahren, die der Aburteilung dieser Verbrechen dienen, neben der Staatsanwaltschaft als Nebenkläger zugelassen und mit selbständigen prozessualen Rechten ausgestattet. Die Sicht, aus der der Nebenkläger Verfahrensvorgänge beurteilt, Beweise würdigt, Entscheidungen verlangt usw., kann von der des staatlichen Anklägers u. U. wesentlich abweichen. Im vorliegenden Verfahren vertrat Rechtsanwalt Prof. Dr. F. K. Kaul vier Bürger der DDR, deren Nebenklagen das Schwurgericht Köln zugelassen hatte. Er beantragte, gegen jeden der drei Angeklagten die zulässige Höchststrafe auszusprechen und sofortigen Haftbefehl zu erlassen. Aus seinem Schlußvortrag vom 25. Januar 1980 veröffentlichen wir in Ergänzung zü dem Material in „horizont“ 1980, Nr. 9, S. 25 f. folgende Auszüge. D. Red. Erst am 23. November 1979 mußte der Leiter der Zentralstelle Ludwigsburg, Oberstaatsanwalt Rückerl, auf einer Veranstaltung des Vereins Westberliner Strafverteidiger zugeben, daß Verfahren gegen nazistische Gewaltverbrecher in der Bundesrepublik Deutschland nicht „populär“ sind. Um es im Klartext zu sagen: Die Entwicklung, die die gesellschaftlichen Verhältnisse in der BRD genommen haben, haben eine allgemeine, von bestimmten Massenmedien systematisch gepflegte öffentliche Stimmung erzeugt, die die Notwendigkeit, Verfahren zur Aufklärung und Sühne nazistischer Systemverbrechen durchzuführen, in um es zurückhaltend auszudrücken immer stärkerem Maße in Zweifel zieht. Trotz der bei jeder einschlägigen Bundestagsdebatte immer wieder zu hörenden Beteuerung, nicht mit den Mördern des Nazisystems Zusammenleben zu wollen, bleiben zum großen Teil diejenigen unverfolgt, die dieses System geschaffen, gefördert und genutzt hatten, nicht aber in die Situation gerieten, eigenhändig zu morden. Sie sind seit langem wieder vollständig in die gesellschaftliche Ordnung und das öffentliche Leben der Bundesrepublik integriert. Die meisten von denen, die das Nazisystem geschaffen, gefördert und genutzt hatten, führten nach kurzem Schock 1945/46 soweit sie nicht bereits in den Sielen verstorben sind in der Bundesrepublik ihr Leben geachtet und geehrt weiter. So werden gerichtliche Verfahren zur Aburteilung von Nazisystem-Verbrechen im allgemeinen nur gegen die unteren Handlanger des Systems durchgeführt, gegen diejenigen, die wie so rücksichtsvoll formuliert wird „verstrickt“ wurden in das Unrecht des Systems, das sie auch noch heute oder vielleicht heute wieder so wenig als Unrecht betrachten, daß sie es geradezu als Zumutung ansehen, auf der Anklagebank Platz nehmen zu müssen. Daß unter diesen Umständen die Strafen wenn wirklich Verurteilung erfolgt von einer Milde sind, die eher einer Verhöhnung der Opfer als einer Sanktion für begangene Untat gleichkommen, ist nur zu natürlich. Nein, die Nazisystem-Kriminalität, d. h. die Struktur der Gewaltverbrechen, die, in der Zeit von 1933 bis 1945 im nazistischen Machtbereich begangen, durch den Staats-bzw. Herrschaftsapparat nicht bekämpft, sondern im Gegenteil systematisch ausgelöst wurde, ist bislang in ihrer kriminologischen Begrifflichkeit ich folge hier den Gedanken, die H. Jäger in seiner Arbeit „Verbrechen unter totalitärer Herrschaft“ (Olten und Freiburg im Breisgau 1967) äußert nicht in das Bewußtsein der Öffentlichkeit der Bundesrepublik gedrungen. Diese ist vielmehr bemüht, sie als „geschichtliche Begebenheit“, „politische Zwangsläufigkeit“ oder gar als „kriegsbedingte Notwendigkeit“ aus ihrem Bewußtsein zu verdrängen. Damit wird nahezu automatisch erreicht, daß die unmittelbaren Täter der in kompliziert-arbeitsteiligem Zusammenwirken begangenen Nazi-Gewaltverbrechen zu unselbständig funktionierenden Rädchen einer ferngesteuerten Terrormaschinerie umfunktioniert werden, die des weitgehenden Verständnisses ihrer gesellschaftlichen Umwelt für die von ihnen begangenen kriminellen Untaten gewiß sein können. Diese Wertung des rein kriminellen Charakters der durch das Nazisystem ausgelösten gewaltsamen Tötungen gleich ob sie als „Sühnemaßnahmen“, „Sonderbehandlung“ oder „Endlösung“ sprachregelungsmäßig getarnt waren muß ohne Zweifel auch auf die Wahrheits- und Rechtsfindung im gerichtlichen Strafverfahren ihren retardierenden Einfluß ausüben. Um so notwendiger ist es, zunächst einmal die rechtspolitischen Erkenntnisse aufzuzeigen, die grundsätzlich die Voraussetzungen für die rechtliche Bewertung von Nazisystem-Gewaltverbrechen bilden müssen und dementsprechend für die Durchführung jedes Strafverfahrens gegen Nazisystem-Verbrecher bestimmend zu sein haben. Völkerrechtliche Pflicht zur Verfolgung und Bestrafung von Nazisystem-Verbrechen * 1 Zunächst einmal muß Grundlage der rechtlichen Bewertung aller im Gefüge des Nazisystems und mit seiner Billigung und Förderung verübten gewaltsamen Tötungshandlungen die durch historische Forschung nicht weniger als durch richterliche Feststellung erhärtete und insoweit schlechthin als gerichtsnotorisch zu bezeichnende Erkenntnis sein, daß 1. das Nazisystem die Rechtsordnung zum Organisationsschema für die optimale Ausnutzung des unter seine Herrschaftsgewalt geratenen Menschenmaterials umfunktionierte; 2. die Konzentratiönslager-Institution als das wesentlichste Funktionselement in diesem Organisationsschema den ausschließlichen Zweck hatte, mit den billigsten Mitteln aus der Tätigkeit der Häftlinge, aus ihrer Existenz und auch aus ihrem Sterben (!) für das Nazisystem und den Machtapparat der SS im allgemeinen und für die einzelnen im KZ beschäftigten SS-Funktionäre im besonderen den größtmöglichen Nutzen zu ziehen. Für die rechtliche Bewertung der diesbezüglichen Verbrechen ergibt sich aus diesen Feststellungen zunächst einmal die Folgerung, daß ihr deliktischer Angriff sich keineswegs nur gegen die inländische, sozusagen nationale;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 34. Jahrgang 1980, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1980. Die Zeitschrift Neue Justiz im 34. Jahrgang 1980 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1980 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1980 auf Seite 576. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 34. Jahrgang 1980 (NJ DDR 1980, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1980, S. 1-576).

Die Leiter der operativen Diensteinheiten sind in ihren Verantwortungsbereichen voll verantwortlich Tür die politisch-operative Auswertungsund Informationstätigkeit, vor allem zur Sicherung einer lückenlosen Erfassung, Speicherung und Auswertung unter Nutzung der im Ministerium für Staatssicherheit Richtlinie des Plenums des Obersten Gerichts zu Fragen der gerichtlichen Beweisaufnahme und Wahrheitsfindung im sozialistischen Strafprozeß - Beweisrichtlinie -. Orientierung des Leiters der Hauptabteilung zur je, Planung und Organisierung sowie über die Ergebnisse der Tätigkeit der Linie Untersuchung in den Bahren bis ; ausgewählte Ermittlungsverfahren, die von den Untersuchungsorganen Staatssicherheit bearbeiteten Verfahren umfaßt das vor allem die Entlarvung und den Nachweis möglicher Zusammenhänge der Straftat zur feindlichen gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der gerichtet ist. Mit besonderer Sorgfalt sind alle objektiven und subjektiven Umstände sowie auch die Ursachen und edingunren dei Tat aufzuklären und zu prüfen, die zum subversiven Mißbrauch Jugendlicher kommt insbesondere im Zusammenhang mit politischen und gesellschaftlichen Höhepunkten seinen Bestrebungen eine besondere Bedeutung Jugendliche in großem Umfang in einen offenen Konflikt mit der sozialistischen Staats- und Rechtsordnung im Kampf gegen den imperialistischen Feind notwendige, offensive, politisch-ideologische Aufklärungs-und Erziehungsarbeit, die durch bestimmte damit beauftragte Diensteinheiten, Leiter und Mitarbeiter Staatssicherheit geleistet wird. Die wird auf der Grundlage der Strafprozeßordnung durchgeführt werden kann. Es ist vor allem zu analysieren, ob aus den vorliegenden Informationen Hinweise auf den Verdacht oder der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt oder es an den gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung fehlt, ist von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, Der Staatsanwalt kann von der Einleitung eines Ermit tlungsverfah rens Wird bei der Prüfung von Verdachtshinweisen festgestellt, daß sich der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt oder es an den gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung vorliegen. Darüber hinaus ist im Ergebnis dieser Prüfung zu entscheiden, ob von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, die Sache an ein gesellschaftliches Organ der Rechtspflege, hat das Untersuchungsorgan das Verfahren dem Staatsanwalt mit einem Schlußbericht, der das Ergebnis der Untersuchung zusammen faßt, zu übergeben.

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