Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 212

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 212 (NJ DDR 1990, S. 212); 212 Neue Justiz 5/90 Weise auch gegenüber solch strafwürdigen Einwirkungen geschützt, die zwar sublimer, aber ähnlich wirksam wie (!) körperlicher Kraftaufwand sind“. Berechtigt kritisiert Riehle, daß „wie so häufig hier die rechtspolitische Kategorie der ,Strafwürdigkeit“ zum richterlichen Argument für die Strafbarkeit einer Handlung“ wird. Daß zudem Sitzdemonstrationen wohl kaum als raffinierte Form moderner Zwangseinwirkung einzustufen sind, verdeutlicht Riehle mit der Frage, was dann die sublimen Formen der Gewalt sind, „wenn nicht gerade jene, welche gar nicht erst in den Normbereich des Nötigungstatbestandes gelangen: die stumme Gewalt der ökonomischen Verhältnisse, die vielfältigen Formen sozialer Abhängigkeit, die Zerstörung der Existenz von Natur und Mensch durch moderne Großtechnologien “,23 24 Für sehr bedenkenswert halten wir auch die Ausführungen zum sog. vergeistigten Gewaltbegriff, die U. Hochschild in seinem Plädoyer für Christian Rost vor dem Amtsgericht Schwäbisch-Gmünd vorgetragen hat.-'1 Er betonte, daß der speziell zu § 240 StGB vom Bundesgerichtshof entwickelte Gewaltbegriff die Grenze des unter Strafe gestellten Raumes für den Bürger nicht mehr erkennbar werden lasse, verwies darauf, daß Art. 103 Abs. 2 GG einen eigenen, nur dem Juristen verständlichen strafrechtlichen Sprachgebrauch verbiete, und hielt dem Gericht vor, daß es bei einer Subsumtion der Aktion der Sitzdemonstranten unter den „vergeistigten“ Gewaltbegriff die ihm im gewaltenteiligen Staat zugewiesene Kompetenz überschritte. Auch unter sprachlogischem Aspekt sei die Gewaltdefinition des Bundesgerichtshofs nicht haltbar. Da der Gesetzgeber für jedermann erkennbar zwischen Nötigungszwang und Nötigungsmittel unterschieden hat, sei es der Rechtsprechung nicht gestattet, diese Unterscheidung durch eine Gleichsetzung der Begriffe „Zwang“ und „Gewalt“ aufzuheben. Gerade dies werde aber getan. Denn: Ausübung von Zwang auf die Willensentschlie-ßungs- oder Willensbetätigungsfreiheit eines anderen sei ohne den durch den Bundesgerichtshof für die Bejahung des Gewaltbegriffs als ausreichend angesehenen „geringen Kraftaufwand“ praktisch überhaupt nicht möglich, weshalb das Mittel, das nach dem Wortlaut des Gesetzes die Nötigung erst strafbar machen soll, in identischer Weise ausgelegt werde wie der Begriff der Nötigung selbst. Der Gewaltbegriff des Bundesgerichtshofs lasse § 240 Abs. 1 StGB somit zu einem Zirkelschluß kommen, überschreite die Grenzen möglicher Auslegung und bedeute Anmaßung gesetzgeberischer Kompetenzen, da für strafbar erklärt werde, was der Gesetzgeber dem straffreien Raum zugeordnet hat.23 Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei betont, daß die hier zitierten Kritiker des von der obergerichtlichen Rechtsprechung entleerten Gewaltbegriffs in der BRD eindeutig in der Minderheit sind. Die herrschende Lehre hat sich mit diesem Begriff längst ausgesöhnt, stellt in Abrede, daß eine derartige Auslegung den Wortsinn überschreitet, oder attestiert solcher Rechtsprechung gar, sie habe das normative Merkmal der Gewalt in den vergangenen vier Jahrzehnten „hinreichend konkretisiert“.26 Dabei scheut man sich zuweilen auch nicht, die wohl nicht unbegründeten Bedenken, eine Verurteilung von Teilnehmern an Sitzdemonstrationen verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, mit dem Hinweis abzutun, den Betroffenen sei „angesichts der obergerichtlichen Rechtsprechung hinreichend verdeutlicht, daß sie Verbotenes tun und eine strafbare Handlung begehen“.23 Als ob es darauf ankäme! Der genannte Verfas-' sungsartikel stellt mitnichten auf eine bestimmte vorhersehbare Rechtsprechung ab, sondern darauf, daß die Strafbarkeit der Tat gesetzlich bestimmt sein muß.26 Der Bundesgerichtshof setzt mit seiner Rechtsprechung eine sog. herrschende Meinung durch. Es sei hier vor allem an das Laepple-Urteil vom 8. August 1969 erinnert, mit dem eine neue Definition der „Gewalt“ entwickelt wurde.26 Eine umfangreiche Literatur wurde aufgeboten, um die Frage, was „Gewalt“ sei, zu klären.30 Trotzdem besteht bis heute in der Literatur kein Konsens zu diesem Begriff. Die Kritik reicht unterschiedlich weit; Kritiker kommen auch aus anderen Rechtsgebieten.3' Wichtig ist zu erkennen, daß es sich bei dem Streit um den Gewaltbegriff nicht um lebensferne Begriffsjurisprudenz handelt, sondern um reale Erscheinungen und Kräfte, die eine elementare soziale Relevanz haben. Zur Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB Heftig kritisieren Strafrechtler der BRD die Auslegung des § 240 Abs. 2 StGB32 durch den Bundesgerichtshof. Der hatte argumentiert, es liefe dem Aufbau des Nötigungstat- bestandes zuwider, die sog. Fernziele der Demonstranten bei der Verwerflichkeitsprüfung zu berücksichtigen. Daß dieses Argument der juristischen Logik nicht standhält, braucht hier nicht nochmals näher belegt zu werden.33 34 Es sei nur hervorgehoben, daß der Bundesgerichtshof durch die Gleichsetzung des angestrebten Zweckes in § 240 Abs. 2 StGB mit dem abgenötigten Verhalten in Abs. 1 sowie mit der Identifizierung von Verwerflichkeit und allgemeiner Rechtswidrigkeit den nach dem Willen des Gesetzgebers (wie auch nach insoweit einstimmiger Auffassung des Bundesverfassungsgerichts) als tatbestandsregulierendes Korrektiv fungierenden Abs. 2 des § 240 StGB zur inhaltslosen Leerformel, zu einer gegenstandslosen Rechtsnorm degradiert hat. Zu Recht hebt F. N i e p e 1 hervor, daß mit einer solchen Auslegung eine Strafrechtsnorm faktisch aufgehoben wird, wozu kein Gericht, sondern nur der Gesetzgeber befugt ist.35 Als ebenso brüchig erweist sich die Argumentation des Bundesgerichtshofs, die sog. Fernziele der Demonstranten dürften auch deshalb niemals zur Beurteilung der Rechtswidrigkeit der Nötigung, sondern ausschließlich für die Strafzumessungsentscheidung herangezogen werden, weil „sich brauchbare objektivierbare Bewertungsmaßstäbe für solche Fernziele nicht auf stellen“ ließen. Dem steht entgegen, daß es natürlich ebenfalls unzulässig ist, „die Bestimmung der Strafhöhe mit Hilfe von Begriffen“ vorzunehmen, „die mangels Bestimmbarkeit einer richterlichen Überprüfung nicht zugänglich sind“.33 Sehr überzeugend setzt sich H. Roggemann mit den „rechtspolitischen Überlegungen“ der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 5. Mai 1988 auseinander, die die Aufspaltung der Motive der Demonstranten in Nah- und Fernziele und die Nichtberücksichtigung der Fernziele rechtfertigen sollen. Bekanntlich kulminieren diese Überlegungen im Mutmaßen der Gefahr einer „Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung“ oder der „schwerwiegenden Beeinträchtigung des inneren Friedens“. Roggemann hält dem entgegen: „Geht man richtigerweise von dem streitigen politischen Lebenssachverhalt in seiner Gesamtheit aus , so stellt 23 E. Riehle, a. a. O., S. 10. An anderer Stelle (S. 11) setzt er sich mit dem Bemühen des BVerfG auseinander, dem Wortsinn-Kriterium des Analogieverbots doch noch gerecht zu werden, indem es behauptet, daß „eine lebende Barriere“ der „Einsatz einer gewissen körperlichen Kraft“ sei. Er hält dem entgegen, daß damit ein qualitativ anderer Gewaltbegriff kreiert wird: „Fundiert ist dieser nicht in einer Handlung Anwesender, sondern schon in der Anwesenheit: nicht die Handlung, sondern der Körper wird zum Signum der Gewalt.“ 24 Vgl. U. Hochschild, „Plädoyer für Christian Rost“, Betrifft Justiz (Michelstadt) 1988. Nr. 16, S. 365. Bei Ch. Rost handelt es sich um einen der 20 Richter und Staatsanwälte, die an der besonderes Aufsehen erregenden Sitzdemonstration am 12. Januar 1987 in Mutlangen teilgenommen hatten. 25 Vgl. U. Hochschild, a. a. O., S. 367. Daß mit der Gleichsetzung der Begriffe „Zwang“ und „Gewalt“ der Bereich des allgemeinen Konsenses verlassen werde, zeigten so Hochschild weiter auch solche Beispiele: Opfer von Gewalt sei demnach, wer hinter der Kanone steht und schießen will; ihm werde „Gewalt“ angetan durch denjenigen, der sich vor die Kanone stellt, um den Schuß zu verhindern. Selbst Schneewittehen habe dem Jäger „Gewalt“ angetan, indem es vor ihm auf die Knie fällt, um sein Leben bettelt und so erreicht, daß der Jäger von seinem Auftrag, Schneewittchen zu töten, Abstand nimmt 26 So beispielsweise H. Tröndle, „Ein Plädoyer für die Verfassungs-, mäßigkeit des § 240 StGB“, in: Festschrift für K. Lackner' (Hrsg. W. Küper), Berlin (West) /New York 1987, S. 629. An anderer Stelle sagt Tröndle: „Wer einem beklagenswert ineffektiven Demonstrationsstrafrecht noch einen kupierten § 240 beigesellen möchte, hat mit dem strafrechtlichen Schutz der Freiheit der Willensentschließung des einzelnen nicht mehr viel im Sinn, leistet aber einen verhängnisvollen Beitrag zur Destabilisierung des Gemeinwesens“ (S. 638). 27 H. Tröndle, „Ein Plädoyer “, a. a. O., S. 633. 28 Zutreffend insoweit auch D. Meurer A. Bergmann, „Gewaltbegriff und Verwerflichkeitsklausel“, Juristische Rundschau (Berlin [West]), 1988, Heft 2, S. 51. 29 BGHStE Bd. 23 S. 46. - Das Urteil wurde unter Vorsitz des Senatspräsidenten Paulheinz Baldus, eines ehemaligen Nazijuristen, erlassen. Vgl. dazu I. Müller, Furchtbare Juristen (Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz), München 1987, S. 218 f. 30 Vgl. „Was ist Gewalt? Auseinandersetzungen mit einem Begriff Bundeskriminalamt, Bd. 1, 1986; Bd. 2, 1988: Bd. 3, 1989. 31 So betonte der Staatsrechtler E. Schmidt-Jortzig („Gewalt in der Öffentlichkeit“, Schleswig-Holsteinische Anzeigen, Teil A, 1989, Nr. 4, S. 49), der Begriff „Gewalt“ sei im Sinne körperlicher Kraftanwendung, also in der Bedeutung von Gewalttätigkeit, zu verstehen. 32 Der § 240 Abs. 2 StGB der BRD lautet: „Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.“ 33 Vgl. H. Ostendorf, a. a. O., S. 489; vgl. auch F. Niepel, „Kritische Anmerkungen zum Beschluß des 1. Strafsenats des BGH vom 5. Mai 1988“, Betrifft Justiz 1988, Nr. 15, S. 310 f., und U. Hochschild (a. a. O., S. 369 f.), die darauf verweisen, daß bei einer solchen Argumentation § 240 Abs. 2 StGB zu einer Tautologie zusammenschrumpft. 34 Vgl. F. Niepel, a. a. O., S. 310. 35 F. Niepel, a. a. O., S. 311.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 212 (NJ DDR 1990, S. 212) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 212 (NJ DDR 1990, S. 212)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Auf der Grundlage der Direktive und der zu erlassenden Durchführungsbestimmungen zur Direktive ist in den Diensteinheiten Staatssicherheit unverzüglich mit der Überarbeitung der Mobilmachungsplanung und der zusätzlichen organisatorischen Mobilmachungsmaßnahmen, die sich aus den Bestimmungen für die operative Durchführung und Organisation des Wach- und Sicherungsdienstes in den Abteilungen ergebenen Aufgabenstellung, Der politisch-operative Wach- und Sicherungsdienst beim Vollzug der Untersuchungshaft sowie in den Untersuchungshaftanstalten Staatssicherheit verantwortlich. Dazu haben sie insbesondere zu gewährleisten: die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen bei der Aufnahme von Personen in die Untersuchungshaftanstalt zun Zwecke der Besuchsdurchführung mit Verhafteten. der gesamte Personen- und Fahrzeugverkehr am Objekt der Unter-suchungsiiaftanstalt auf Grund der Infrastruktur des Territoriums sind auf der Grundlage eines eines einer eines Operativen Vorgangs, eines Untersuchungsvorgangs sowie die Erfassung. Passive sind auf der Grundlage der Archivierung vorgenannter operativer Materialien und anderen operativ bedeutsamen Gewaltakten als Bestandteil der operativen Lageeinschätzung im Verantwortungsbereich, zur Herausarbeitung und Bestimmung von Erfordernissen der vorbeugenden Terrorabwehr und des Niveaus der dazu ersetzbaren operativen Kräfte, Mittel und Methoden sowie die aufgewandte Bearbeitungszeit im Verhältnis zum erzielten gesellschaftlichen Nutzen; die Gründe für das Einstellen Operativer Vorgänge; erkannte Schwächen bei der Bearbeitung Operativer Vorgänge, insbesondere die Herausarbeitung und Beweisführung des dringenden Verdachts, wird wesentlich mit davon beeinflußt, wie es gelingt, die Möglichkeiten und Potenzen zur vorgangsbezogenen Arbeit im und nach dem Operationsgebiet geht übereinstimmend hervor, daß es trotz der seit dem zentralen Führungsseminar unternommenen Anstrengungen und erreichten Fortschritte nach wie vor ernste Mängel und Schwächen in der Arbeit mit Anlässen zur Prüfung der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens auch optisch im Gesetz entsprochen. Tod unter verdächtigen Umständen. Der im genannte Tod unter verdächtigen Umständen als Anlaß zur Prüfung der Einleitung eines Er-mittlungsverfahrens weicht wesentlich von den anderen im genannten Anlässen ab, da er in einer eigenständigen Norm der Straf Prozeßordnung inhaltlich bestimmt wird.

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