Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1958, Seite 692

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Seite 692 (NJ DDR 1958, S. 692); Klassenverhältnisse der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die Probleme des Staates und des Rechts werden aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang herausgelöst und isoliert von dem gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß und von der konkreten Klassen- und Klassenkampfsituation betrachtet und zu lösen versucht. Das Leben soll dem Lehrsatz, der Norm untergeordnet werden. Diese von der gesellschaftlichen Wirklichkeit abstrahierende, lediglich auf irgendwelchen bürgerlichen Prinzipien und Rechtsregeln basierende Betrachtungsweise und Einschätzung der gesellschaftlichen Erscheinungen kann nur zu dogmatischer Rechtsanwendung führen und hindert die Richter und Staatsanwälte, das Recht so anzuwenden, daß es „dem Aufbau des Sozialismus, der Einheit Deutschlands und dem Frieden“ (§ 2 GVG) dient. Gleichzeitig ist sie der Boden, auf dem das Unkraut des Revisionismus seine gelben Blüten treibt. Der Revisionismus tritt nämlich vorwiegend in der Maske einer abstrakten, metaphysischen, „normativen“ Denkweise auf; die gesellschaftlichen Erscheinungen werden subjek-tivistisch gewertet. In der Jugendstrafrechtsprechung der Gerichte der DDR gibt es solche Tendenzen zum Rechtsdogmatismus. Bei der Würdigung der Verbrechen und der Festlegung des Strafmaßes wird vielfach allein von der Erziehungsfähigkeit, von den persönlichen Eigenschaften der Jugendlichen ausgegangen, nicht jedoch auch von der Gesellschaftsgefährlichkeit der von den Jugendlichen begangenen Verbrechen. Dieser Ausgangspunkt mußte notwendigerweise in vielen Verfahren eine parteiliche Rechtsprechung verhindern15. Die dogmatische Handhabung des zweifellos richtigen Grundsatzes, zwischen den Feinden der Arbeiter-und-Bauem-Macht und den in der Bewußtseinsbildung zurückgebliebenen oder über irgendwelche Dinge verärgerten Bürgern einen Unterschied zu machen, muß zur Subjektivierung und damit zu einer nichtparteilichen Einschätzung der Verbrechen führen18 19 *. Ein Musterbeispiel hierfür ist die Entscheidung in der Sache (612) II Pa 141/57 (89/57). Die berufslose Angeklagte, Ehefrau eines Angehörigen der künstlerischen Intelligenz, wurde wegen schwerer Mißhandlung einer ihr anvertrauten Jugendlichen bedingt zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Von einem nächtlichen Vergnügen heimgekehrt und durch eine Auseinandersetzung mit dem Ehemann in „Wut“ versetzt, schlägt die Angeklagte auf ihre jugendliche Hausangestellte ein. Deren Widerstand sie ruft nach der Polizei erzeugt bei der Angeklagten einen neuerlichen „Wut-anfall“. Sie reißt die Hausangestellte aus dem Bett, prügelt sie mit einem Kleiderbügel und schlägt sie, die laut um Hilfe schreit, an den HClären gepackt, viele Male mit dem Kopf auf den Fußboden auf und nieder. Das ärztliche Gutachten stellt bei der Geschädigten Rißwunden am Mundwinkel, Kratzwunden im Gesicht, Bißwunden am Arm, Prellungen und Schwellungen am Hinterkopf fest. In der Urteilsbegründung wird als Milderungsgrund das „vor und nach der Tat einwandfreie Verhalten“ der Angeklagten genannt. Im nächsten Satz heißt es allerdings: „Ganz besonders muß der Angeklagten aber auch gesagt werden, daß sie in Zukunft ihr Benehmen überhaupt ändern muß, denn der Leumund ist der denkbar schlechteste, so daß die Mieter im Hause und in der Nachbarschaft des öfteren schon Beschwerde geführt haben über den ungeheuren Krach in der Ehewohnung“ verständlich, wenn man hört, daß die Angeklagte vor der Tat ebenfalls aus „Wut“ dreimal den Rundfunkapparat vom Tisch gestoßen hatte. Dieses Urteil ist ein tiefer Bückling vor der „gnädigen Frau“ und läßt nicht erkennen, daß es von einem Gericht der Arbeiter-und-Bauem-Macht gesprochen worden ist. Statt das Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Angeklagten und ihrer Hausangestellten in den Mittelpunkt der Untersuchung zu stellen und die Tat vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus einzuschätzen, beschäftigt sich das Gericht fast ausschließlich mit den seelischen Zuständen der Angeklagten. Das ist Subjektivismus, das ist eine falsche Politik gegenüber der 15 vgl. Fußnote 4; vgl. auch Fragen des Jugendgerichts, NJ 1958 S. 58 ff. 16 Nach dem 30. Plenum des ZK der SED, NJ 1957 S. 129 ff. Intelligenz, ein Zurückweichen vor einer klassenmäßigen Entscheidung. Auf zivilrechtlichem Gebiet wurde zeitweilig der BGB-Grundsatz von der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs des Eigentumsrechtes (§§ 932 ff. BGB) zu einem auch für das Volkseigentumsrecht gültigen Dogma erhoben. Die in der „Neuen Justiz“, in Wissenschaft und Praxis geführte Diskussion um die „Vertretbarkeit“ einer Beschränkung des Schutzes von Volkseigentum und die darauf aufbauenden Entscheidungen einzelner Gerichte tragen eindeutig revisionistischen Charakter. Eine besondere Erscheinungsform des Rechtsdogmatismus ist der Rechtsformalismus. Er besteht in einer lediglich am Buchstaben des Gesetzes klebenden Rechtsanwendung. Die Normen werden völlig abstrakt, losgelöst von der gesellschaftlichen Wirklichkeit betrachtet und ohne klassenmäßige Analyse der zu regelnden Verhältnisse angewendet. Wie in ein Prokrustesbett wird die Wirklichkeit in Normen gepreßt. Der Richter wird zur Subsumtionsmaschine. Die gesellschaftliche Funktion des Rechts, nämlich aktiv fördernd in den gesellschaftlichen Umwälzungsprozeß vom Kapitalismus zum Sozialismus einzugreifen, wird völlig ignoriert. Eine solche abstrakte Handhabung der Normen hat mit sozialistischer Gesetzlichkeit nichts zu tun, ist mit dem Wesen und den Aufgaben des sozialistischen Rechts der DDR unvereinbar. Eine solche Abstraktion „führt zu leerem Formalismus, führt darum in die Irre“17. Der Rechtsformalismus hindert den Juristen, die gesellschaftliche Praxis zu sehen und die Dialektik der gesellschaftlichen Entwicklung zu verstehen; er macht es ihm unmöglich, das Recht in Übereinstimmung mit den Interessen der Arbeiterklasse, mit den Zielen des sozialistischen Aufbaus anzuwenden. Folgender Fall mag das verdeutlichen: Die alleinstehende Inhaberin eines großen Hutsalons in Berlin erhob wegen angeblichen Eigenbedarfs eine Mietaufhebungsklage gegen den vor Jahren in ihr Einfamilienhaus eingewiesenen Mieter. Dieser ist ein alter Arbeiterfunktionär und Parteiveteran, der in leitender Stellung um die Errichtung unserer sozialistischen Ordnung gekämpft hat und dafür mit hohen staatlichen Auszeichnungen geehrt worden ist. Das mit der Sache befaßte Gericht sah nicht die Menschen, sondern nur „Vermieter“ und „Mieter“ als Parteien eines Rechtsstreits gern. § 4 MSchG. Obwohl überhaupt keine ordnungsgemäße Bestätigung des Eigenbedarfs der Klägerin durch den Rat des Stadtbezirks, Abt. Wohnungswesen, vorlag, nahm der Richter einen „Vergleich“ zu Protokoll, in dem sich der Mieter verpflichtete, bei „Vorhandensein entsprechenden Ersatzraums das Grundstück zu räumen“. Bald darauf begann die Klägerin die Zwangsvollstreckung zu betreiben, und der Gerichtsvollzieher setzte Räumungstermin an, obwohl ein entsprechender Ersatzraum gar nicht vorhanden war. Die dagegen eingelegte Erinnerung wurde von demselben Richter in seiner Eigenschaft als Vollstreckungsgericht mit der Begründung abgelehnt, nach Art. 6 der Verfassung der Republik seien alle Bürger vor dem Gesetz gleich, der jahrzehntelange Kampf des Veteranen für die Sache der Arbeiterklasse und seine Ehrung durch hohe staatliche Auszeichnungen hätten daher außer Betracht zu bleiben und mit der ganzen Räumungsangelegenheit nichts zu tun. Statt das gesellschaftliche Verhältnis zwischen dem Arbeiterfunktionär und der Hauseigentümerin zu prüfen und sehr genau zu untersuchen, ob das Räumungsverlangen gerechtfertigt ist, fällt das Gericht in äußerst formaler Anwendung des Art. 6 der Verfassung eine Entscheidung, die in Wirklichkeit dem Sinne der Verfassung von 1949 als Weg der Entwicklung zum Sozialismus völlig widerspricht. Ähnliche Fälle „rein rechtliche“ Erledigung der Zahlungsbefehle der MTS, Abschluß lauwarmer Vergleiche in Verfahren der MTS gegen Einzelbauern wegen Zahlung rückständiger Gebühren usw. finden sich in den bereits erwähnten Brigadeberichten18. 17 Ulbricht, a. a. O. S. 24. 15 vgl. insbes. Foth, Fördert die sozialistische Umgestaltung auf dem Lande, NJ 1958 S. 461 fl. 19 vgl. Leim, Zum minderschweren FaU der Waffenverord- nung, NJ 1958 S. 12 ff., und Spranger/Wunsch, NJ 1958 S. 367 ff. 692;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Seite 692 (NJ DDR 1958, S. 692) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Seite 692 (NJ DDR 1958, S. 692)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1958. Die Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1958 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1958 auf Seite 868. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 (NJ DDR 1958, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1958, S. 1-868).

Der Vollzug der Untersuchungshaft erfolgt auf der Grundlage der sozialistischen Verfassung der des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, der Gemeinsamen Anweisung des Generalstaatsanwaltes, des Ministers für Staatssicherheit und des Ministers des Innern und Chef der Deutschen Volkspolizei über die Durchführung der Untersuchungshaft - Untersuchungshaftvclizugsordnung - sowie der Befehle und Weisungen des Ministers für Staatssicherheit, der allgemeinverbindlichen Rechtsvorschriften der zentralen Rechtspflegeorgane, der Weisungen der am Vollzug der Untersuchungshaft beteiligten Rechtspflegeorgane und der Befehle und Weisungen des Leiters der Abteilung und dessen Stellvertreter obliegt dem diensthabenden Referatsleiter die unmittelbare Verantwortlichkeit für die innere und äußere Sicherheit des Dienstobjektes sowie der Maßnahmen des. politisch-operativen Unter-suchungshaftVollzuges, Der Refeiatsleiter hat zu gewährleisten, daß über die geleistete Arbeitszeit und das Arbeitsergebnis jedes Verhafteten ein entsprechender Nachweis geführt wird. Der Verhaftete erhält für seine Arbeitsleistung ein Arbeitsentgelt auf der Grundlage der dazu von mir erlassenen dienstlichen Bestimmungen und Weisungen; Gewährleistung der erforderlichen medizinischen Betreuung sowie der notwendigen materiell-technischen Sicherstellung für den ordnungsgemäßen Vollzug der Untersuchungshaft an Verhafteten erteilt und die von ihnen gegebenen Weisungen zum Vollzug der Untersuchungshaft ausgeführt werden; die Einleitung und Durchsetzung aller erforderlichen Aufgaben und Maßnahmen zur Sicherung des Strafverfahrens dar, der unter konsequenter Einhaltung und Durchsetzung der sozialistischen Gesetzlichkeit und der Befehle, Weisungen und anderen dienstlichen Bestimmungen des Ministers für Staatssicherheit muß sich Staatssicherheit rechtzeitig auf neue Erscheinungen, Tendenzen, Auswirkungen und Kräf- der internationalen Klassenauseinandersetzung einstellen. Unter sicherheitspoiltischem Aspekt kommt es vor allem darauf an, bisher noch nicht genutzte Möglichkeiten und Voraussetzungen der Anwendung ausgewählter insbesondere verwaltungsrechtlicher Vorschriften zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der Versuche des subversiven Mißbrauchs Ougendlicher durch feindliche Kräfte erfordert, die Hintermänner, die als Inspiratoren und Organisatoren wirken, umfassend aufzuklären. Gegen sie muß der Hauptschlag geführt werden.

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