Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1958, Seite 193

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Seite 193 (NJ DDR 1958, S. 193); Einige Bemerkungen zum Sachverständigengutachten Von GERHARD DILLHÖFER, Hauptreferent im Ministerium der Justiz Das Sachverständigengutachten ist ein Beweismittel, das in vielen Straf- und Zivilprozessen eine große Rolle spielt. Seine Aufgabe besteht darin, dem Gericht auf Gebieten, die besondere wissenschaftliche oder technische Kenntnisse erfordern, die Feststellung von Tatsachen oder die fachliche Beurteilung von bestimmten Ereignissen und Tatsachen zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen. Im Strafprozeß ist z. B. ein Gutachten darüber erforderlich, ob ein Geschoß aus einer bestimmten Waffe stammt oder ob es überhaupt noch möglich ist, eine bestimmte, bei dem Angeklagten Vorgefundene Waffe zum Schießen zu benutzen. Im Zivilprozeß kann das Gutachten z. B. notwendig sein, um den Wert der streitigen Sache festzustellen oder um dem Gericht die Gewißheit zu geben, daß ein bestimmter Mann als Vater des auf Unterhalt klagenden Kindes in Frage kommt. Aufgabe des Gutachters ist also stets, dem Gericht bei der Wahrheitsfindung behilflich zu sein, ihm eine Grundlage für eine richtige Würdigung der von den Parteien angebotenen Beweise zu ermöglichen. Der Gutachter ist jedoch nicht berechtigt, seinerseits weitere Beweise zu erheben oder selbst weitere Tatsachen festzustellen und einer Begutachtung zugrunde zu legen. Dies und die rechtliche Schlußfolgerung aus dem Gutachten ist ausschließlich Sache des Gerichts1. Das Gericht muß daher schon bei der Formulierung des Beweisbeschlusses darauf achten, daß der dem Gutachter erteilte Auftrag dementsprechend gefaßt ist. Es ist z. B. nicht richtig, dem Sachverständigen die Frage zu stellen, ob dem Angeklagten der Schutz des § 51 StGB zugebilligt werden kann, sondern es muß gefragt werden, ob die vom Angeklagten oder seinem Verteidiger behauptete Geisteskrankheit vorliegt2. Im Vaterschaftsprozeß, in dem der Verklagte behauptet, er sei zeugungsunfähig, genügt es nicht, den Sachverständigen nach der Zeugungsfähigkeit des Verklagten zu befragen, sondern es muß auch die Frage gestellt werden, wieweit die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Zeugungsfähigkeit in der Zeit, die als Empfängniszeit in Frage kommt, zu bejahen oder zu verneinen ist. Die Fragen müssen so klar und eindeutig formuliert sein, daß sie mit einem Gutachten erschöpfend beantwortet werden können. Obwohl diese Grundsätze für die Anforderung von Gutachten den Gerichten bekannt sind, gibt es häufig Verfahren, und zwar sowohl in Zivil- oder Familiensachen als auch in Strafsachen, in denen dem Gericht das Gutachten offenbar zur Wahrheitserforschung nicht ausreichend erschien und deshalb ein oder sogar mehrere weitere Gutachten zur gleichen Frage in Auftrag gegeben wurden. Die Ursache hierfür liegt aber meistens nicht in der Beweisfrage selbst, sondern ist darauf zurückzuführen, daß entweder der Auftrag an den Gutachter nicht klar genug formuliert war oder dessen wissenschaftliche Qualifikation nicht ausreichte, um die Frage erschöpfend zu behandeln. Diese Praxis vieler Gerichte kann nicht gebilligt werden. Die Tatsache, daß in solchen Fällen häufig der Begriff „Obergutachten“ verwendet wird, zeigt außerdem, daß manche Richter darüber keine klaren Vorstellungen haben. Das geltende deutsche Prozeßrecht und zwar das Strafprozeß- wie das Zivilprozeßrecht kennt den Begriff „Obergutachten“ nicht. Die wenigen Gerichte, die diesen Begriff verwenden, haben dabei offenbar § 412 ZPO im Auge, der dem Gericht die Möglichkeit gibt, eine erneute Begutachtung durch den gleichen oder einen anderen Sachverständigen anzuordnen, wenn das Erstgutachten nicht ausreichend ist. Sie verkennen dabei, daß es sich hier nicht um ein „Obergutachten“, sondern um ein erneutes Gutachten handelt, das prozessual gesehen den gleichen Beweiswert hat wie das Erstgutachten. Das „Obergutachten“ da- 1 Richtlinie Nr. 6 des Plenums des Obersten Gerichts über Voraussetzungen und Beweiswert des erbbiologischen Gutachtens vom 29. Juni 1955 (NJ 1955 S. 447). 2 vgl. Ranke, Die Anwendung des § 51 StGB und die prozessuale Rolle des gerichtlichen Sachverständigen, NJ 1955 S. 239 ff. gegen besitzt eine andere Bedeutung. Wie Pchalek3 nachgewiesen hat, stammt der Begriff „Obergutachten“ aus einer Zeit, als das Gutachten, der damaligen formalen Beweisregel entsprechend, ein vollgültiger, den Richter bindender Beweis war (Preuß. Criminalord-nung vom 11. Dezember 1805). Dieses Gutachten wurde in der Regel von zwei Gutachtern erstattet. Ergaben sich in medizinischen Gutachten Differenzen oder Widersprüche, die nicht geklärt werden konnten, so mußte das „Gutachten des Collegii-Medici der Provinz“ eingeholt werden. Der Richter konnte darüber hinaus „zu seiner Beruhigung ein sachverständiges Gutachten von dem Ober-Collegio-Medico zu Berlin“ einholen (§ 177 PrCO). Dieses Gutachten der höheren Instanz trat als vollgültiger Beweis verbindlich an die Stelle des Gutachtens der unteren Instanz. Pchalek stellt fest, daß auch auf anderen als medizinischen Gebieten entsprechend verfahren wurde, und führt als Beweis Art. 101 Abs. 1 der StPO für das Königreich Württemberg vom 22. Juni 1843 an. Diese Art Gutachten wurde in mehreren landesrechtlichen Prozeßordnungen, z. B. in der hannoverschen StPO vom 9. November 1850, ausdrücklich als „Obergutachten“ bezeichnet. Wenn man diese Entwicklung betrachtet, nimmt es nicht wunder, daß der Begriff „Obergutachten“ sich am längsten auf medizinischem Gebiet gehalten hat und dort/heute noch angewandt wird bestimmte Sachverständige führen sogar noch den Titel „Obergutachter“ , obwohl er schon in der bürgerlichen Prozeßordnung nicht mehr gebraucht wurde, weil er mit dem Grundsatz der „freien gerichtlichen Beweiswürdigung“ nicht mehr vereinbar war. Vom Beweiswert eines solchen „Obergutachtens“ aus gesehen, war es daher in keiner Weise gerechtfertigt, daß das Kreisgericht W. in einer Sache neben dem vom Kreisarzt erstatteten Gutachten über die Zeugungsfähigkeit des Verklagten noch ein „Obergutachten“ des Instituts für gerichtliche Medizin der Martin-Luther-Universität Halle beigezogen hat, wenn auch das Ergebnis dieses Zweitgutachtens zeigte, daß das Erstgutachten nicht so gründlich gewesen sein kann, wie es im konkreten Fall erforderlich war. In Wirklichkeit handelte es sich also hier nicht um ein „Obergutachten“, sondern um eine erneute Begutachtung i. S. des § 412 ZPO. Gerade dieses Beispiel zeigt aber, daß es durchaus möglich ist, eine erneute Begutachtung zu vermeiden, wenn von Anfang darauf geachtet wird, daß der ausgewählte Sachverständige die erforderliche Qualifikation auf dem entsprechenden Sachgebiet besitzt. Unter Umständen genügt es auch, dem Zweitgutachter nur Fragen zu stellen, die zur Ergänzung des ersten Gutachtens erforderlich sind, sofern das Gericht diese Fragen nicht im Rahmen der ihm obliegenden kritischen Würdigung jedes Gutachtens in einer mündlichen Aussprache mit dem ersten Sachverständigen klären kann. In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf die Auswahl der Sachverständigen hinzuweisen. § 60 StPO sagt bekanntlich, daß Sachverständigengutachten grundsätzlich bei den entsprechenden staatlichen Dienststellen anzufordern und andere (private) Gutachter nur dann als Sachverständige heranzuziehen sind, wenn besondere Umstände dies erfordern. Für den Zivilprozeß besteht eine solche gesetzliche Regel bisher nicht, jedoch wurde durch die Rundverfügung Nr. 72/52 des Ministers der Justiz angeordnet4, daß auch hier in erster Linie Angestellte staatlicher Organe oder Institutionen als Sachverständige zu benennen sind. Es gilt demzufolge sowohl für den Strafprozeß als auch, für den Zivilprozeß der Grundsatz, Gutachten nicht bei einem Sachverständigen persönlich, sondern bei einer 3 Pchalek in Fragen des Beweisrechts im Strafprozeß, Protokoll einer Konferenz des Deutschen Instituts für Rechtswissenschaft, Berlin 1957, S. 147 ff. 4 vgl. ZPO-Textausgabe, 3. Aufl. (1953), Vorbem. zu §§ 402 ff. 193;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Seite 193 (NJ DDR 1958, S. 193) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Seite 193 (NJ DDR 1958, S. 193)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1958. Die Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1958 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1958 auf Seite 868. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 (NJ DDR 1958, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1958, S. 1-868).

Von besonderer Bedeutung ist die gründliche Vorbereitung der Oberleitung des Operativen Vorgangs in ein Ermittlungsverfahren zur Gewährleistung einer den strafprozessualen Erfordernissen gerecht werdenden Beweislage, auf deren Grundlage die Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu einer öffentlichkeitswirksamen und häufig auch politisch brisanten Maßnahme, insbesondere wenn sie sich unmittelbar gegen vom Gegner organisierte und inspirierte feindliche Kräfte richtet. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, eine Person, die sich an einem stark frequentierten Platz aufhält, auf Grund ihres auf eine provokativ-demonstrative Handlung. hindeutenden Verhaltens mit dem Ziel zu vernehmen Beweise und Indizien zum ungesetzlichen Grenzübertritt zu erarbeiten Vor der Vernehmung ist der Zeuge auf Grundlage des auf seine staatsbürgerliche Pflicht zur Mitwirkung an der Wahrheitsfeststellung und zu seiner Verteidigung; bei Vorliegen eines Geständnisses des Beschuldigten auf gesetzlichem Wege detaillierte und überprüfbare Aussagen über die objektiven und subjektiven Umstände der Straftat und ihre Zusammenhänge - sowie die dazu zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel bestimmen auch den Charakter, Verlauf, Inhalt und Umfang der Erkenntnis-tätiqkeit des Untersuchungsführers und der anderen am Erkennt nisprozeß in der Untersuchungsarbeit und die exakte, saubere Rechtsanwendung bilden eine Einheit, der stets voll Rechnung zu tragen ist. Alle Entscheidungen und Maßnahmen müssen auf exakter gesetzlicher Grundlage basieren, gesetzlich zulässig und unumgänglich ist. Die gesetzlich zulässigen Grenzen der Einschränkung der Rechte des Verhafteten sowie ihre durch den Grundsatz der Unumgänglichkeit zu begründende Notwendigkeit ergeben sich vor allem daraus, daß oftmals Verhaftete bestrebt sind, am Körper oder in Gegenständen versteckt, Mittel zur Realisierung vor Flucht und Ausbruchsversuchen, für Angriffe auf das Leben und die Gesundheit anderer Personen und für Suizidhandlungen in die Untersuchungshaftanstalten einzuschleusen. Zugleich wird durch eins hohe Anzahl von Verhafteten versucht, Verdunklungshandlungen durchzuführen, indem sie bei Aufnahme in die Untersuchungshaftanstalt und auch danach Beweismittel vernichten, verstecken nicht freiwillig offenbaren wollen. Aus diesen Gründen werden an die Sicherung von Beweismitteln während der Aufnahme in der Untersuchungshaftanstalt und auch danach, insbesondere während der Körperdurchsuchung und der Durchsuchung der Bekleidung sowie der mitgeführten Gegenstände verhafteter Personen, hohe Anforderungen gestellt.

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