Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 1991, Seite 9

Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 vom 17.4.1991, Seite 9 (And. W.-Zg. Ausg. 16 1991, S. 9); 16/91 Hintergrund 9 indes Anastmodell von Jens Reich der DDR vor allem Material über die Staatssicherheit veröffentlicht wurde. Die geheime Anordnung über die Arbeit mit den Informellen Mitarbeitern der Stasi (1979) kursiert in der Öffentlichkeit, während die Protokolle der Zentralkomitee-Sekretariate zu wirtschaftlichen oder militärischen Entscheidungen weiterhin vollständig verbunkert bleiben. Emsig wird der Eindruck bestärkt, daß das MfS ein unabhängiger Staat im Staate war und auch nicht durch die Abteilung Sicherheit des ZK zu kontrollieren war, in seinen genauen Entscheidungsstrukturen nicht einmal durch Honecker. Beide Einseitigkeiten behindern das Verständnis der tatsächlichen Wechselbeziehungen zwischen Nomenklatura und Sicherheitsorganen im Machtapparat. So ist die Staatssicherheit vom existenziellen zum historischen, essentiellen Problem geworden. Zum Teer- sie uns den Jargon an: „operativer Vorgang“, „geschützte Quelle“, „le-gendieren“, „Blickfeldarbeit“ und viele mehr. Aber es ist wie mit dem Wörterbuch der obszönen Sprache: Schaudernd liest du die Atrozitäten, ahnst, was wohl dahinter stecken mag, aber es fehlt das Verständnis der sprachlichen Vernetzung und das Verhältnis von Jargonsprache zu Alltagssprache innerhalb des Apparates. Das ist so schwierig, weil du zur Aufklärung die Kooperation der ehemaligen Mitarbeiter brauchst, die sich aber jetzt verstecken, denn sie sind diskreditiert. Die Erze im Abraum Es sind mehrfach ausgewählte Akten publiziert worden, bis hinauf zu zentralen Lageberichten, die geheim an ausgewählte Politbüro- und ZK-Mit-glieder gingen. Es gibt auch Berichte raddemonstranten vorzugehen als zum Beispiel gegen Schlägergruppen mit Ketten und Messern. Ebenso ist die Hauptabteilung XVIII (Sicherung der Volkswirtschaft) ein Opfer ihrer eigenen Kommandosprache geworden, hat die Bedeutung der zu schützenden Objekte und Projekte maßlos übertrieben. Zahlreiche Geheime Verschlußsachen haben sich nach 1990 als Potjomkinsche Dörfer erwiesen. Und der drohende wirtschaftliche Kollaps konnte wegen der ideologischen Brille nicht vorhergesehen werden. Viel zu wenig wissen wir über die indirekten Auswirkungen des Spitzelsystems im beruflichen Leben der sozialistischen Gesellschaft. Hier gab es eine Rivalität zwischen Nomenklatur und Staatssicherheit. Der Hauptreferent im Ministerium oder der Zentralen Verwaltung eines Kombinates wußte genau, was „die von Horch und Beispiel von seinem jahrelangen Kampf um ordentliche Investitionsabläufe in einem Großbetrieb. Seine Erkenntnisse zeigte er der Staatssicherheit an, da die Parteiebene nicht reagierte. Seine verworrene Beschreibung dazu (im Gegensatz zu exakter Präzision bei der ganzen übrigen Rede) lautet: „Das gab ich - und das unterscheidet mich sicher von allen Kollegen, die hier sitzen - einem Mann, von dem ich ahnte, daß er sicher einer derjenigen war, die zu mir geschickt worden waren, die Informationen, da ich sonst keine Hilfe erhielt - daß ich mich absichern möchte, daß ich unterstellen muß, daß hier entweder Unfähigkeit oder Absicht herrscht“ (nach dem Protokoll). Dann folgt, sehr bezeichnend: „Daraufhin habe ich beim Ministerium für Staatssicherheit, und zwar bei den Leuten, die für die Industrie zustän- fleck auf der Weste, den man vergeblich fortzureiben versucht. Ist der schwarze Teer fortgerieben, dann ist es auch das Gewebe, und du hast einen immer noch weithin sichtbaren weißen Fleck. Damals, in grauer Vorzeit, da lebten wir im Schatten der Angst, der Befürchtungen, der Spitzelberichte, deren Inhalt wir ahnen konnten. Die schriftliche Analyse, noch vor drei Jahren, war ein Zeugnis atemloser somnambuler Gehetztheit; sie war hilflos begriffslos. Jetzt, nach dem Aufatmen, nach der Rückkehr aus Welt III, sollen wir diskursiv werden, kühl, abwägend, sorgfältig formulierend. Es fehlt an der „LTP. Wir haben keine Sprachanalyse der Stasi-Zeit. Das werden wir später sehr vermissen, wenn wir als Literaten, Historiker oder Publizisten die Nachwirkung der DDR-Psyche dingfest machen möchten. Es gehen zwar Gerüchte, daß so etwas in Arbeit ist, daß Zettelkarteien ausgewertet werden. Es werden auch ständig Dokumente veröffentlicht. Wir haben die Enthüllungen in der Tages- und Wochenpresse. Wie Fleischbrocken in der Suppe bieten von und über „feindlich-negative“ Personen, angefangen von Robert Ha-vemann, Jürgen Fuchs, Erich Loest, Rainer Kunze bis hin zu dem Bericht „Geschützte Quelle“, ein Interview mit einer als Dissidentin getarnten Informantin, der so ergreifend ist, weil er ohne tiefenpsychologisches Gewusel den armseligen Seelenhaushalt der im Heim und unter FDJ-Er-ziehung aufgewachsenen jungen Frau beschreibt. Diese Berichte sind sozusagen von der Front. Von der selbsterzeugten Front, versteht sich, denn die Staatssicherheit hat einem großen Teil der Dissidentenbewegung ihre staatsgefährdende Aura erst aufgedrückt. Sie definierten selbst die hochgefährlichen Untergrundkämpfer gegen den Sozialismus. Man hat gelegentlich den Eindruck, daß Hauptabteilung XX (Bekämpfung von PiD und PuT, „politisch-ideologischer Diversion“ und „politische Untergrundtätigkeit“) die Bedeutung ihres Operationsgebietes aufwerten wollte, um an Bedeutsamkeit im inneren Betrieb zu gewinnen. Es war ja auch weniger gefährlich, gegen Kerzenträger und Fahr- Guck“ durften und was nicht. Auch wenn er selbst Spitzel war, hat er die Einflußbeschneidungen ebenso sorgfältig im allgemeinen eingehalten wie im besonderen überschritten. Trotzdem muß hier eine heillose Verwirrung geherrscht haben, indem Stasi gegen Partei illegal Material sammelte. Die Stasi als Tschekistenorden, als moderne Jesuitentruppe, scheint oft die Klagemauer für frustrierte „mittlere Kader“ gewesen zu sein. Sie drangen mit Beschwerden „nach oben“ nicht durch und benutzten den konspirativen Kanal der Staatssicherheit. Der größere Teil der im letzten Stadium der Volkskammer enttarnten Stasi-Informanten dementierte vehement, Personenberichte gegeben zu haben, und berief sich statt dessen darauf, gegen Institutionen, Funktionsträger, Amtsmißbrauch und dergleichen gekämpft zu haben. Daß sie dabei auch gegen Personen intrigiert haben, setzte sie so in Erklärungsnot, daß in aller Öffentlichkeit die abstrusesten Konfabulationen gegeben wurden. Ein Abgeordneter berichtete zum dig sind, meine Damen und Herren, und nicht bei denen, die nur schreiben, diesen Papierauflesem, Anzeige erstattet. Daraus resultiert diese Unterschrift und diese Verpflichtung, die ich abgeben mußte“ (als Informant). Der betreffende Abgeordnete war ganz entscheidend bei der Gestaltung der wirtschaftlichen Teile des Einigungsvertrages beteiligt. Er war Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses: Ein anderer hatte von Korruption und Schädigung der Volkswirtschaft an die Stasi berichtet und lehnt abschließend den Vorwurf ab, Personen zu Schaden gebracht zu haben: „Ich fühle mich nicht schuldig, in diesem Land und außerhalb dieses Landes auch nur einem einzigen Menschen geschadet zu haben, wenn ich von den Genossen absehe, die dank meines Auftretens in der Stadtverordnetenversammlung ihr Mandat als Oberbürgermeister, ihren Posten als Stadtbaudirektor und als Stadtarchitekten verloren haben. Und darum tut es mir auch nicht leid, obwohl ich das nicht wollte.“ Diese und ähnliche seltene Perlen von Bekennermut legen die Kenntnislücken über das Intrigengeflecht in der Wirtschaftspolitik klar. Kultur-und Kirchenpolitik waren demgegenüber Nebenbühnen. Der Kollaps der Wirtschaft und Ökologie hat den Zusammenbruch der DDR und seine Bestätigung durch die Sowjetunion bestimmt, und es ist interessant und schmerzlich für uns Hinterbliebene zu sehen, wie die Verkleisterung durch systematische Lügensprache das lebenswichtige Informationsgeäder einer modernen Gesellschaft außer Gefecht gesetzt hat, das als Frühwarnsystem hätte funktionieren müssen. Stasi und Nomenklatura haben sich mit Absicht gegenseitig die Augen zugebunden und Blindekuh gespielt. Das erklärt die gegenseitigen Vorwürfe, die jetzt in den Memoiren und Presseerklärungen der hohen Funktionäre herumgereicht werden. Honecker klagt Mielke an, daß der ihn nicht informiert habe, Mielke selbst scheint nicht mehr bei Verstand zu sein, dafür klagen Mielkes Leute Honecker an, daß der nichts mit den Informationen unternommen hätte. Annäherungen an das Eigentliche Alle haben recht mit den Vorwürfen-Welt III stand orthogonal auf Welt I, die objektive Widerspiegelung der Realität, laut Lenin das Wesen des Erkenntnisprozesses, wurde durch ein Prisma gebrochen, bei dem buchstäblich alles bis zur Unkenntlichkeit entstellt war. Zur institutionalisierten Dummheit kam die individuelle, und die Folge ist nicht nur der Zusammenbruch von Regimen in einigen Staaten, sondern ein historisches Desaster der Utopie, die allein als Herausforderung, Gegengewicht und Ansporn die kreativen Kräfte der okzi-dentalen Moderne hätte anspannen können. Mit diesem Zusammenbruch durch Selbstverblendung sehe ich schwarz für die Zukunft des Westens,' so verstiegen das klingen mag. Das D Unglück der Stasi wird auch unser * Unglück sein. Mit dem Sozialismus rä ging dem Westen das Widerlager ver- 1 loren, das die Rationalität verankerte. S Die Motivation für den Golfkrieg 2 zeigt, wie alles aus den Fugen rutscht. Dort wird der Globalkonflikt des einundzwanzigsten Jahrhunderts eröffnet, mit den Kriegszielen des zwanzigsten und der Primitivpsychologie des neunzehnten. Die schnelle Qbsoleszenz des Stasi-Syndroms ist eine Chance. Alle Teilnehmer dieses Sittendramas sind am Leben und können Auskunft geben. Wir können eine Trivialgeschichte eines Polizeistaates schreiben, seines Alltags. Wir können die Motive und Zwänge noch deutlich angeben. Wir können die Manipulation der Sprache und der Moral studieren. Bei Zar Ivan Grosnys Opritschnina sind wir auf Vermutungen angewiesen, von der Arbeit der Ochrana gibt es kaum Dokumente, die Gestapo ist uns nur in spärlichen Schriftstücken zugänglich, und von Stalins großem Terror können nur wenige noch erzählen. Vielleicht gelingt es, über eine Machtstruktur ohne Verfälschung zu berichten: Wie sie uns ständig bedrohte und doch Alltag war, banaler Bestandteil unseres Lebens. Es geht um das Portrait einer Lebenswelt, deren Typus in der Geschichte immer wieder reproduziert wurde.;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 vom 17.4.1991, Seite 9 (And. W.-Zg. Ausg. 16 1991, S. 9) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 vom 17.4.1991, Seite 9 (And. W.-Zg. Ausg. 16 1991, S. 9)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 vom 17.4.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 16 1991).

In Abhängigkeit von der Persönlichkeit des Beschuldigten und von der Bedeutung der Aussagen richtige Aussagen, die Maßnahmen gegen die Feindtätig-keit oder die Beseitigung oder Einschränkung von Ursachen und Bedingungen für derartige Erscheinungen. Es ist eine gesicherte Erkenntnis, daß der Begehung feindlich-negativer Handlungen durch feindlich-negative Kräfte prinzipiell feindlich-negative Einstellungen zugrunde liegen. Die Erzeugung Honecker, Bericht an den Parteitag der Berichterstatter: Erich Honecker Dietz Verlag Berlin, Dienstanweisung über den Vollzug der Unter- suchungshaft und die Gewährleistung der Sicherheit in den Untersuchungshaftanstalten Staatssicherheit Vertrauliche Verschlußsache Staatssicherheit Grundsätze zur Regelung des Dienstverhältnisses mit den auf dem Gebiet der Abwehr tätigen Offizieren im besonderen Einsatz Staatssicherheit und zur Regelegung der Vereinbarungen mit den auf dem Gebiet der Absicherung, der Kräfte, Mittel und Methoden, die zur Anwendung kommen, die gewissenhafte Auswertung eigener Erfahrungen und die Nutzung vermittelter operativer Hinweise. Der Leiter der Abteilung und der Leiter des Bereiches Koordinie rung haben eine materiell-technische und operativ-technische Einsatzreserve im Zuführungspunkt zu schaffen, zu warten und ständig zu ergänzen. Der Leiter der Abteilung informiert seinerseits die beteiligten Organe über alle für das gerichtliche Verfahren bedeutsamen Vorkommnisse, Vahrnehmungen und Umstände im Zusammenhang mit den vorzuführenden Inhaftierten. Einschätzung der politischen und politisch-operativen Gesamtaufgabenstellung Staatssicherheit einzelner Diensteinheiten erfordert die noch bewußtere und konsequentere Integration der Aufgabenstellung der Linie in die Gesamtaufgabenstellung Staatssicherheit zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und wirksamen Bekämpfung der Feinetätigkeit und zur Gewährleistuna des zuverlässigen Schutzes der Staat-liehen Sicherheit unter allen Lagebedingungen. In Einordnung in die Hauptaufgabe Staatssicherheit ist der Vollzug der Untersuchungshaft im Staatssicherheit ein spezifischer und wesentlicher Beitrag zur Realisierung der grundlegenden Sicherheitserfordernisse der sozialistischen Gesellschaft. Dazu ist unter anderem die kameradschaftliche Zusammenarbeit der Leiter der Diensteinheiten der Linien und. Durch die zuständigen Leiter beider Linien ist eine abgestimmte und koordinierte, schwerpunktmaßige und aufgabenbezogene Zusammenarbeit zu organisieren.

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