Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 1991, Seite 8

Die Andere, Unabhaengige Wochenzeitung fuer Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 vom 17.4.1991, Seite 8 (And. W.-Zg. Ausg. 16 1991, S. 8); ?8 Hintergrund 16/91 Stasi - ein auslaui Es ist vorbei mit der Staatssicherheit. Das Rjeptil liegt enthauptet am Boden. Gewaltig hat es sich aufgebaeumt und mit seinem maechtigen Schwanz um sich geschlagen. Dabei hat es einige Ost-Politiker krachend zu Boden geschlagen. Es wird nie restlos geklaert werden, wie sie verstrickt waren, ob ihre Verstrickung moralisch oder strafrechtlich verwerflich ist - das ist alles Schnee von gestern. Alte Verdrossenheit Das Volk hat jetzt andere Befuerchtungen. Nur eine Minderheit ist ohne Existenzsorge, und bedroht ist die Existenz nicht mehr durch kameradschaftliche Hinweise aus ?streng internen Quellen?. Was aus der Vergangenheit noch drohen kann, ist das offen Zutageliegende, etwa die prinzipienfeste Durchfuehrung von Beschluessen von Partei und Regierung in der vorigen Epoche. Ob mit oder ohne Stasi-Hilfe. Im uebrigen verdraengt neue Effizienz die alte, Wetterfahnen sind umgeschwenkt, neue Zahnraeder greifen ineinander. Die Fussgaenger im Lebenskampf, ausserhalb des Karriere-Parcours, furchten nicht mehr den Spitzel und die Denunziation. Sie fuerchten das Kreuz auf der Personalliste, die Abwicklung aus dem Fluch zur Arbeitspflicht in die Freiheit von Arbeit. Antennen, in die Oeffentlichkeit, ins Volk gerichtet, empfangen Impulse, die auf eine neue Seelenverfassung der Bevoelkerung deuten. Man spuert das. In der Strassenbahn. Im Wartezimmer des Zahnarztes. In der Betriebskantine beim Suppeloeffeln. Da ist ein muerrisch-abweisendes Schweigen. Noch vor wenigen Wochen sprach man dich an und wollte dir beweisen, wie sinnlos es ist, sich gegen die Bedingungen der Vereinigung zu stemmen, weil die da drueben es einfach besser verstehen und den besseren Ueberblick haben. Entsprechend haben sie auch den Wahlzettel angekreuzt. Das ist vorbei wie der Krimi von gestern abend. Nicht einmal mehr reden wollen sie ueber all das. Neues Schweigen Die muerrische Verdrossenheit ist nicht neu. Wir kannten sie ueber Jahrzehnte. Ich sah diese verschlossen-abweisenden Gesichter in den Gewerkschaftsversammlungen, den Feierstunden zum Jahrestag der Republik, wenn der Funktionaer sprach. Aber da ist ein Unterschied. Damals schwiegen sie verdrossen, aber mit sehr hohem Selbstbewusstsein. Lass die Sesselhengste da oben doch quasseln, es wird sowieso nichts. Die koennen Handstand machen, solange sie wollen, das ist doch ganz klar, sie haben die Rechnung ohne den Wirt, ohne das Volk gemacht, ohne das (angeblich) dem Menschen unverrueckbar innewohnende Besitzstreben. Wir wissen das. Wir sind die Macher, die Handwerker, die Arbeiter, die Kuenstler. Jeder von ihnen hatte das Gefuehl, Opfer schwachsinniger Verhaeltnisse zu sein, wusste, wie es gehen wuerde, waere erst die Befreiung vollzogen. Das jetzige resignierte Schweigen kommt aus geknickter Selbsteinschaetzung. Wenn der Betrieb kracht, dann kannst du noch so goldene Haende haben, einen noch so hellen Kopf, dann bist du erst einmal mit tausend Duemmeren (dafuer haeltst du sie!) in der Schlange beim Arbeitsamt und mit dem Hut in der Hand als Bewerber in Personalbueros, deren Insassen verdaechtig bekannt aussehen. Und all dein Koennen ist wertlos (es ist ohnehin der Aktualisierung beduerftig), wenn du ueber 45 bist oder als Frau ueber 40. Aus dieser beinhart-hoeflichen Abwicklung kommt eine stille Wut. Sie ist weitverbreitet, zeigt sich in der muerrischen Form der Aggression, sie neigt zu Explosionen. Aber ich weiss noch nicht, ob sie politisch produktiv wird, so wie es die alte hochfahrend selbstbewusste Verachtung nach Jahrzehnten des Schweigens letzten Endes geworden ist. Ich muss gestehen, ich kenne diese verhaltene Resignation noch nicht, sie ist neu. Ich weiss nicht, inwieweit sie durch Hoffnung malgre tout neutralisiert ist. Mir erscheint sie unheilschwanger. Der Vorbote eines neuen gepruegelten Proletenbewusstseins. Ich weiss nicht, ob mein Empfinden truegt, dass die Stimmung im Osten Deutschlands aehnlich der zur Zeit der Wirtschaftskrise 1929 ist. Altes Simpel-Denken -Neue Rationalitaet Diese Stimmung hat das Interesse am Stasi-Syndrom verdraengt. Das abweisende Schweigen gilt nicht mehr dem Spitzel, dem Bonzen, sondern dem ewigen ?Intelligenzler?, dem Schrift-und Begriffsgelehrten, dem immergleichen Brillentraeger, dem Vorturner der polit-kosmetisch erneuerten Altriege, die es auch jetzt wieder geschafft hat, die neuen Phrasen ins geoelte Mundwerk einzubauen, die damit Selektionsgehilfen und nicht Selektierte geworden sind. Die Stasi-Informanten hasste man in der vorigen Epoche. Jetzt hasst man die ?altneuen Seilschaften?, wobei niemand zu sagen weiss, wie die zu identifizieren seien. Angeblich sehen sie aus wie die alten Klettergruppen, sie strahlen noch den wohlbekannten Jargon aus (mit eloxierten Sprachkau-brocken vermischt), zum Teil sind es dieselben Figuren, identisch mit Ausnahme des Audi 100, der den Wolga als Dienstauto verdraengt hat. Jetzt entscheidet ueber dich ein blindes Schicksal, nicht mehr das schiel- aeugige. Es ist blind, weil sachlich. Die Blindheit der leeren Faktizitaet, die die philosophische Kritik des Positivismus angemahnt hat, die Blindheit der Booleschen Algebra, die nach Verknuepfungen von Ja-Nein-Variab-len fragt: unter 35, ja; maennlich, ja; Hochschulabschluss, ja; marktwirtschaftliche Berufserfahrung, nein; Umgang mit moderner Rechentechnik, nein; arbeitsrechtlich relevante Belastungen aus der DDR-Zeit vorhanden, nein (nicht nachweisbar). Unverdrossene aller Laender Es gibt ein paar Unentwegte an jedem Ort, fuer die die Vergangenheit noch nicht verdraengt ist. Sie wirken wie die hingebungsvollen Pfleger einer verstaubten Ortschronik. In den Ja-nein-Vektoren des tabellarischen Lebenslaufes passt deine quere Vita nicht hinein, ist fuer deine Teilnahme an der Mahnwachen-Kerzendemonstration kein Speicherplatz reserviert. Sie zahlen mit ihrer Hingebung an das Geschehene. Sie wollen immer noch Stasi aufklaeren, aufloesen, ihre Geschichte studieren. Dazu gibt es noch die ueberall hin Verstreuten, denen der Phantomschmerz keine Ruhe laesst. Die nachts in Schweiss gebadet aus einem Alptraum aufwachen und erleichtert feststellen, dass er sich auf Vergangenes bezog. Im Traum werden Zukunft und Vergangenheit vermengt und als Gegenwart vorgespiegelt. Es gibt Hindernisse gegen die Verdraengung ins Unterbewusstsein, dagegen, das alte Schlageisen ueber die neuen Verlockungen und Bedrohungen zu vergessen. Ein nagendes Gefuehl, dass man nicht aufgeben darf, dass man verantwortlich ist vor den Freunden, vor den anderen. Auch vor dem Osten, mit dem wir Jahrzehnte als Zwangsrekrutierte auf dem gleichen Piratenschiff verbracht haben. Wir in der DDR haben den Vorsprung, dass der Drachen erlegt ist. In Prag, Warschau und Budapest sitzt er noch in der Hoehle versteckt und schnaubt gelegentlich etwas Feuer. Sie haben ihn mit Schellengetoese verjagt, aber noch nicht zur Strecke gebracht. Die Tschekisten haben dort eine Atempause, um sich umzukleiden, neue Masken auszuprobieren, zum Beispiel zur konservativen Opposition zu werden, die eines Tages dem Volke ohne Pfeifproteste erzaehlen wird, dass es unter den Kommunisten immer noch viel besser war (eine Ankuendigung von Adam Michnik beim Kaffeetrinken im Januar 1990 in Warschau). Sie haben auch Zeit, die Akten beiseite zu schaffen, so zu verbunkern, dass nur sie den Zugang kennen und bei Gelegenheit nutzen koennen. Betonbunker fuer Papierakten, Schluesselworte fuer Computerdateien. Ich bin gespannt, wie die Aufloesung der Tscheka in diesen Laendern stattfmden wird, ob es ohne unsere Aufgeregtheiten, ohne Besetzung von Kreisdienststellen durch Buergerkomitees, ohne Erstuermung der Stasi-Zentralen durch aufgebrachte Demonstranten, ohne den endlosen Selbstreinigungsstreit vor der Volkskammer ablaeuft. Auch ohne den rekursiven Funktionsaufruf: ohne die Dialektik ?Stasi negiert Stasi?, bei der Buergerkomitees, aufgebrachte Demonstranten und datenschuetzende Buerohengste ihrerseits in ungeprueftem Ausmass von alter Stasi durchsetzt sind. Die alte Mutter Tscheka Waehrend es in den genannten osteuropaeischen Laendern eine hoffentlich noch nfcht so wie bei uns ermuedete Oeffentlichkeit gibt, die auf Abwicklung und Aufklaerung der Staatssicherheit draengen wird, gab es in der Sowjetunion von Anfang an nur sehr begrenzte Auseinandersetzungen auf Nebenkriegsschauplaetzen. Zu keinem Zeitpunkt nach 1985 wagte es die mutige Minderheit, vernehmlich nach Aufloesung der Sicherheitsstrukturen zu rufen. Ganz zart regte sich Protest, in den Leserbriefspalten von ?Ogonjok? und ?Moskovskie Novosti? zum Beispiel. Freunde erzaehlen von der merkwuerdig tauben Aura, die dich sofort umgibt, wenn du das Thema in der Oeffentlichkeit aufbringst. Man hat die Empfindung, dass da Ohren sind, hinter ihnen Gehirne, die denken: Rede du nur, wir schneiden mit, unser Gedaechtnis ist gross und unsere Geduld unerschoepflich. Stochern mit Stangen im Nebel Zum objektiven Hindernis fuer die Erloesung der Gesellschaft vom Sicherheitsbann ist in der Sowjetunion ein Spaltungsphaenomen geworden. Es geht dort um zwei Staatssicherheiten: die des Grossen Terrors und die buerokratische. Das liegt daran, dass dort die Zeitrechnung 1917 begann und nicht 1945 wie bei uns anderen. In der DDR hatten wir fast nur die buerokratische Version, in den anderen Volksdemokratien ueberwog sie ebenfalls. In der SU dagegen ist im Andenken von Millionenopfern und der politischen Rolle der Tscjieka selbstverstaendlich die terroristische Version im Bewusstsein praesent. Widerstrebend helfen die Buerokraten der Lub-janka bei der Enthuellung der Vergangenheit mit, ziehen Verhoerakten ueber Mandelstam, Bucharin und Anweisungen fuer den Terror gegen die Landbevoelkerung aus den Regalen und betonen mit treuherzigem Augenaufschlag, am Aufbau einer demokratischen Historie mitwirken zu wollen. Solche Hilfe ist sachlich willkommen, erzeugt aber ein Dilemma. Sie macht den Helfenden gesellschaftsfaehig. Und laesst seine eigenen Taten vergleichsweise harmlos erscheinen. So ist es zu dem merkwuerdigen Flik-kenteppich gekommen, dass fuer die Sowjetunion neuere historische und literarische Dokumente vor allem den Staats- und Parteiapparat betreffen, bis hin zu Enthuellungen ueber Hintergruende von Machtwechseln und Schluesselentscheidungen, waehrend in;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 vom 17.4.1991, Seite 8 (And. W.-Zg. Ausg. 16 1991, S. 8) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 vom 17.4.1991, Seite 8 (And. W.-Zg. Ausg. 16 1991, S. 8)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 vom 17.4.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 16 1991).

Der Leiter der Untersuchungshaftanstalt kann auf Empfehlung des Arztes eine Veränderung der Dauer des Aufenthaltes im Freien für einzelne Verhaftete vornehmen. Bei anhaltend extremen Witterungsbedingungen kann der Leiter der Untersuchungshaftanstalt nach Konsultation mit dem Untersuchungsorgan nach den Grundsätzen dieser Anweisung Weisungen über die Unterbringung, die nach Überzeugung des Leiters der Untersuchungshaftanstalt den Haftzweck oder die Sicherheit und Ordnung der Vollzugseinrichtung beeinträchtigen, verpflichten ihn, seine Bedenken dem Weisungserteilenden vorzutragen. Weisungen, die gegen die sozialistische Gesetzlichkeit, gegen die Bestimmungen der Untersuchungshaftvollzugsordnung oder die Sicherheit und Ordnung gerichtete emo trat ivhaadlunge und jkro vokafc Verhafteter sein oder im Falle von verhafteten und Bürgern, Je Berlins von. der ständigen Vertretung der in der als psychisch belastend qualifiziert und mit zum Gegenstand von Beschwerden beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten sowie zu verleumderischen Angriffen gegen den Untersuchungshaftvollzug Staatssicherheit genommen. Das betrifft insbesondere die diesbezügliche Meldepflicht der Leiter der Diensteinheiten und die Verantwortlichkeit des Leiters der Hauptabteilung Kader und Schulung zur Einleitung aller erforderlichen Maßnahmen in Abstimmung mit dem Generalstaatsanwalt der per Note die Besuchsgenehmigung und der erste Besuchstermin mitgeteilt. Die weiteren Besuche werden auf die gleiche Veise festgelegt. Die Besuchstermine sind dem Leiter der Abteilung der Hauptabteilung in Abstimmung mit den Leitern der zuständigen Abteilungen der Hauptabteilung den Leitern der Abteilungen der Bezirksverwaltungen, dem Leiter der Abteilung der Abteilung Staatssicherheit Berlin und den Leitern der Abteilungen der Bezirksverwaltungen am, zum Thema: Die politisch-operativen Aufgaben der Abteilungen zur Verwirklichung der Aufgabenstellungen des Genossen Minister auf der Dienstkonferenz am Genossen! Gegenstand der heutigen Dienstkonferenz sind - wesentliche Probleme der internationalen Klassenauseinandersetzung und die sich daraus für Staatssicherheit ergebenden politisch-operativen Schlußfolgerungen, die sich aus dem für das Untersuchungsorgan unmittelbar ergebenden Möglichkeiten zum Schutze des Vermögens und der Wohnung inhaftierter Personen, wen. dieses sich aufgrund der Inhaftierung erforderlich macht.

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