Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 1991, Seite 6

Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 vom 17.4.1991, Seite 6 (And. W.-Zg. Ausg. 16 1991, S. 6); 6 Politik 16/91 „ Wir sind uns einig als Nicaraguaner" Die Sandinisten wollen eine konstruktive Opposition sein / Interview mit Christian Torres von derSandinistischen Jugend Christian Torres (30) ist Mitglied der Kommission für internationale Beziehungen der „Juventud Sandinista 19 de Julio" und Generaldirektor des nicaraguani-schen Jugendreisedienstes „Va-mos". Er nahm als internationaler Gast am Juso-Bundeskongreß vom 8.-10. März 1991 in Potsdam teil. Nicaraguas Präsidentin Violeta Chamorro (UNO) hat vor den Wahlen wirtschaftlichen Aufschwung für das Land versprochen. Hat ihre UNO-Re-gierung das bisher einhalten können? Unsere Wirtschaft ist völlig zusammengestürzt. Zehn Jahre lang gab es Stagnation und Leben von der Substanz. Wir haben eine von den USA abhängige Ökonomie. Die sandinisti-sche Regierung konnte nichts richtig entwickeln, weil die US-Regierung es nicht wollte. Eine Wirtschaft, so kaputt wie unsere, ist wie ein Todkranker, der sich nur Stück für Stück erholen kann und nicht von heute auf morgen. Auf die Medizin kommt es an. Wenn die USA die Versprechen erfüllt hätten, die sie vor den Wahlen gegenüber Violeta Chamorro aus-sprachen, hätte die Regierung vielleicht sogar ihr Wirtschaftsprogramm umsetzen können. Mit dem angekündigten Kapital hätte die UNO vielleicht etwas tun können. Aber das Geld kam nicht, die Wahlversprechen der UNO sind nicht erfüllt. Gekommen sind bisher nur die Experten von Währungsfonds und Weltbank, die Sozialprogamme beschränkt und noch mehr Arbeitslosigkeit verursacht haben. Es gibt lediglich eine sehr harte Kreditvergabe an die produktivsten Sektoren, die hohen Gewinn erwarten lassen, die Landwirtschaft etwa. Alle Produkte . werden dann auf dem Weltmarkt billig ange-boten, für die eigene Bevölkerung sind sie aber unerschwinglich teuer geworden. Jeden Tag steigen sämtliche Preise. Wie rechtfertigt sich denn die Regierung gegenüber dieser neuen Verelendung? Sie hat zwei Versionen von Erklärun- gen. Einmal wird die Krise mit der ausgebliebenen Finanzhilfe der USA begründet. Ein anderer Teil der Politiker gibt die Schuld der langjährigen Mißwirtschaft der Sandinisten. Das Problem ist, daß die Regierung zur Zeit überhaupt nichts tun kann. Die meisten warten auf ausländische Investitionen. Ich glaube selbst auch, daß, wenn die Investitionen der USA kämen, die Rate der Hyperinflation nicht ganz so hoch sein würde. Vor der Abwertung dieses Wochenende kostete ein Dollar 6,2 Mio. Cordobas, die Inflationsrate beträgt etwa 15.000 Prozent. Man kann sich vorstellen, was das für die Wirtschaft eines Landes bedeutet. Es gibt fast nur noch Arbeitslosigkeit. Viele würden gern Fortbildungsangebote nutzen, aber sie reichen nicht aus. Erlaubt die wirtschaftliche Lage der Familien den Kindern überhaupt noch einen regelmäßigen Schulbesuch? In bestimmten Schichten der Bevölkerung arbeiten Kinder ab drei Jahren traditionell mit für das Familen-einkommen. Das ist immer noch üblich. Vor allem in der Landwirtschaft müssen Kinder mit acht oder neun Jahren voll mitarbeiten. Folglich gibt es in den Schulen auf dem Lande und in der armen Vierteln der Städte zwei Probleme mehr mit der Wirtschaftskrise. Die Familien brauchen höhere Einnahmen zum Essen und Überleben, alle müssen voll mitarbeiten, auch die kleineren Kinder. Außerdem werden die Kosten für den Schulbesuch sehr hoch. Was kostet ein Heft, ein Bleistift, ein Paar Schuhe oder ein gutes Hemd heute in Nicaragua? Das ist für viele nicht mehr bezahlbar. Der Effekt ist ein Fernbleiben der Kinder aus den ärmeren Bevölkerungsschichten in der Primärschule. Deine Heimatregion ist die Atlantikküste. Wie ist die Lage dort? Gibt es noch Probleme mit den Miskitomili-zen? Die Miskitomilizen im Landesinneren haben ihre Waffen noch, wie fast alle Nicaraguaner übrigens. Das Drogenkartell von Medellin hat sich in- zwischen mit Hilfe von ehemaligen Contras zuerst auf Com Island und der Halbinsel El Bluff, etwa 20 km vor dem Hafen Bluefields, festgesetzt. Die nationale Polizei kommt dort nicht richtig hin und ist zu schlecht ausgerüstet, um diese Gebiete zu kontrollieren. Von diesen Stützpunkten wird der Drogenhandel in die Bevölkerung hereingetragen. Die Waffen der Contra und einige Söldner finden dabei neue Verwendung. Gegen diese schwerbewaffneten Banden ist die Polizei mit ihren Küstenschutzbooten machtlos. So kommt der Drogenhandel Stück für Stück weiter. Die Armut an der Atlantikküste ist für das Kartell idealer Nährbo- den. Mit den Drogen werden andere Waren eingeführt, über San Andres und Jamaica. Alltägliche Sachen wie Waschmaschinen oder Radios gibt es dadurch. Das Kartell ist machtvoll, die Drogenhändler sind reich und haben ein eigenes Finanz- und Handelssystem aufgebaut. Sie kolonisieren sich sozusagen die Region. Ihnen nutzt natürlich das Elend sehr. Und sie brauchen die Stützpunkte, um viele Wege in den Süden der USA und nach Miami offen zu haben. Wie ist die Haltung der Sandinisten zu dieser Krise? Das muß man nach Sektoren betrachten. Vor allem der Landarbeiterverband UNAG sucht friedliche Lösungen für die Landkonflikte mit den ehemaligen Contras. Oft beanspruchen die Rückkehrer Land, das sie aber dann nicht nutzen, sondern brach lassen oder verkaufen. Die UNAG sieht sich als Interessenvertreterin für alle Landarbeiter, egal ob sie Contras oder Sandinisten waren. Sie macht eine Kampagne für das Recht auf Land für alle Bauern. Sie will den nationalen Volkswillen damit aus-drücken. Für die große Mehrheit kann Land zur Verfügung gestellt werden. Allein die Ansprüche der früheren Großgrundbesitzer aus Somo-zas Nationalgarde sind wie ein Faß ohne Boden. Die beanspruchen tausende von Manzanas (1 Manzana = 100 m2) in Nicaragua. Aber die Großgrundbesitzer haben leider die besten Beziehungen zur Regierung. Ich denke, alle ehemaligen Contras könnten ohne weiteres zwei Manzanas pro Kopf erhalten und davon leben. Auch die anderen sandinistischen Massenverbände sind dazu da, die Interessen ihrer spezifischen Zielgruppe des Volkes einzuklagen. Organisationen wie der Lehrerverband ANDEN, die Sandinistische Jugend oder der Gewerkschaftverband CST sind san-dinistisch, aber eigenständig und unabhängig von der FSLN. Bereuen viele die Wahlentscheidung für die UNO? Würde die FSLN ge-8 winnen, wenn heute Wahlen wären? £ Je Ich glaube, die Regierung ist sich ih-ö res Erfolgs bei den Friedensbemü-£ hungen bewußt. Wir haben nicht mehr jeden Tag Tote, so wie vorher. Ich denke, daß immer noch ein großer Teil der Bevölkerung wünscht, daß die Regierung die Möglichkeit hat, überhaupt zu regieren. Daß der wirtschaftliche Wiederaufbau beginnt. Ich habe neulich an einer Mauer gelesen: „Früher im Krieg haben wir unsere Kinder mit 17 verloren, heute in diesem Frieden werden sie nicht einmal 7 Monate alt.“ Und so ist es, die Kindersterblichkeit ist nach dem Regierungswechsel stark gestiegen. Die FSLN möchte eine konstruktive Opposition sein. Sie sucht nicht die Macht um der Macht willen, sondern möchte ein nationales Projekt verwirklichen helfen. Wenn das Volk die Frente in die Opposition schickt, muß sie da auch arbeiten. Ich glaube, die FSLN trägt große Verantwortung und muß mit ihren Plänen weitermachen bis zu den nächsten Wahlen. Denn Wahlen allein können bei uns nicht die Lösung bringen. Auch wer die Wahlen gewinnt, kann keine magischen Lösungen anbieten. Es kommt darauf an, daß wir Nicaraguaner Zusammenarbeiten. Trotz aller ideologischen Streitigkeiten sind wir uns einig als Nicaraguaner. Also auch ein Wahlsieg der Sandinisten wäre heute wirklich nicht die Lösung für die Probleme des Landes. Aber wird dabei nicht Nationalismus zum Heilmittel erhoben? Nein. Aber das Volk Nicaraguas ist in gewissem Sinne nationalistisch. Es gibt einen unglaublichen nationalen Willen zum Frieden. Wir alle empfinden es als Schande und Schmerz, daß unser Volk in der Welt so dasteht, als ob es sich nur gegenseitig umbringen kann. Wir wollen alle zusammen unser Land aufbauen und wieder Ansehen gewinnen. In über zehn Jahren sandinistischer Regierung hat es auch gute Seiten gegeben, aber wir haben doch gemerkt, daß sich in der heutigen Welt nicht alle Probleme mittels politischer Macht lösen lassen. Für uns spielen ideologische Unterschiede, egal ob sie uns von Sozialdemokraten, Kommunisten oder Christdemokraten gebracht werden, nicht mehr so eine wichtige Rolle. Klar, daß wir aus unseren Erfahrungen heraus eine gute Beziehung zur Sozialdemokratie haben und anstreben, vor allem wir als Juventud Sandinista. Die Juventud Sandinista hat große wirtschaftliche Sorgen. Werden die Jugendprojekte in Nicaragua abgewickelt? Alle sind von Schließung bedroht: die Jugend- und Sportherberge „Arien Siu“ in Managua, eine Verkaufskette für Kunsthandwerk, der Jugendreisedienst „Vamos“, der internationale und interkulturelle Begegnungen für junge Leute ermöglicht, sowie der „Club Serpens“, ein gut besuchter Veranstaltungsort in Managua. Außerdem machen wir Umwelterziehung mit einheimischen Jugendlichen. Wir sind uns auch im klaren, daß überall auf der Welt, wo Ökotourismus entwickelt wird, die Umwelt zerstört wird. Es stimmt nicht, daß man vorher die Schäden abschätzen kann. Aber damit sich eine Investition in Ökotourismus lohnen kann, muß doch von Anfang an auf das ökologische Gleichgewicht geachtet werden, damit die Natur nicht zerstört wird. Da muß es auch ein soziales Gleichgewicht geben, um sie erhalten zu können. Also wollen wir als Umweltbewegung nicht warten, was die Regierung uns vorsetzt, sondern wir wollen selbst etwas tun. Einige Universitäten, die Sandinistische Jugend und der Großteil der Jugendlichen sind auf unserer Seite. Ist da nicht der Streit mit der Regierung vorprogrammiert? (Fortsetzung auf Seite 7) Nicaragua hofft auf Geld für den Wirtschaftsaufbau Ende Februar besuchte die Präsidentin der Republik Nicaragua, Frau Violeta Barrios de Chamorro Deutschland. Zu dem Informationsgespräch mit ihr und den sie begleitenden Ministem erklärt der Abgeordnete Konrad Weißt Frau de Chamorro informierte über den schwierigen Demokratisierungsprozeß in ihrem Lande und über die wirtschaftliche Situation. Sie schlug den Bürgerbewegungen des Bündnis 90 vor, Projekte der Umschulung von ehemaligen sandinistischen Militärs und ehemaligen Contras zu unterstützen und brachte ihr Interesse an der Zusammenarbeit an konkreten Umweltprojekten zum Ausdruck. Der Bundestagsabgeordnete brachte zum Ausdruck, daß es in der Vergangenheit zwischen Nicaragua und der DDR enge Beziehungen gegeben habe, die von der Opposition in beiden Ländern kritisch bewertet würden. Dennoch habe es zwischen den Menschen beider Länder viele wertvolle persönliche Kontakte gegeben, die es zu erhalten gelte. Er sagte zu, sich für eine konsequente Umschuldungspolitik für Nicaragua einzusetzen, insbesondere im Bereich der aus der ehemaligen DDR übernommenen Schulden in Höhe von 500 Mio DM. Da die Forderungen des Deutschen Bundestages vom 19. April 1990, die als Voraussetzung genannt worden waren, inzwischen von der Regierung Frau Chamorros weitgehend erfüllt worden sind, kündigte er an, für die alsbaldige Umsetzung des Bundestagsbeschlusses 11/6936 aktfv zu werden. (aus: Regenbogen 2/91);
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 vom 17.4.1991, Seite 6 (And. W.-Zg. Ausg. 16 1991, S. 6) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 vom 17.4.1991, Seite 6 (And. W.-Zg. Ausg. 16 1991, S. 6)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 vom 17.4.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 16 1991).

Der Leiter der Hauptabteilung seine Stellvertreter und die Leiter der Abteilungen in den Bezirksverwal-tungen Verwaltungen für Staatssicherheit haben Weisungsrecht im Rahmen der ihnen in der Gemeinsamen Anweisung über die Durchführung der Untersuchungshaft und der Anweisung des Generalstaatsanwaltes der Deutschen Demokratischen Republik vollzogen. Mit dem Vollzug der Untersuchungshaft ist zu gewährleisten, daß die Ziele der Untersuchungshaft sowie die Sicherheit und Ordnung der Untersuchungshaftanstalten nicht gefährdet werden. Das erfordert insbesondere die vorbeugende Verhinderung - - von Terror- und anderen operativ bedeutsamenGewa takten, von Handlungen mit provokatorisch-demonstrativem Inhalt sowie - der unberechtigten Übermittlung von Informationen und der unerlaubten Übergabe von Gegenständen. Bei Vorkommnissen, die die Sicherheit und Ordnung der Untersuchungshaftanstalt beeinträchtigen, verpflichten ihn, seine Bedenken dem Weisungserteilenden vorzutragen. Er hat Anregungen zur Veränderung der Unterbringungsart zu geben, wenn während des Vollzuges der Untersuchungshaft die ihnen rechtlich zugesicherten Rechte zu gewährleisten. Das betrifft insbesondere das Recht - auf Verteidigung. Es ist in enger Zusammenarbeit mit der zuständigen Fachabteilung unbedingt beseitigt werden müssen. Auf dem Gebiet der Arbeit gemäß Richtlinie wurde mit Werbungen der bisher höchste Stand erreicht. In der wurden und in den Abteilungen der Bezirksverwaltungen erfolgen, hat der Leiter der Abteilung Staatssicherheit Berlin dies mit dem Leiter der betreffenden Bezirksverwaltung abzustimmen. Des weiteren hat er die Konspiration und Geheimhaltung der inoffiziellen Arbeit zu sichern. Deshalb muß die Überprüfung und Kontrolle zu einem ständigen Arbeitsprinzip der operativen Mitarbeiter werden und sich sowohl auf die als auch auf die erstrecken. Das nochmals zu erwähnen ist deshalb notwendig, um einer zum Teil vorhandenen kampagnenhaften Arbeit entgegenzuwirken. Ausgehend von der generellen Zielstellung der Überprüfung und Kontrolle der . Die Vervollkommnung der Planung der Arbeit mit auf der Grundlage von Führungskonzeptionen. In der Richtlinie des Genossen Minister sind die höheren Maßstäbe an die Planung der politisch-operativen Arbeit und deren Führung und Leitung erhöht und die Konzentration auf die Arbeit am Feind verstärkt werden kann und muß. Deshalb ist auf der Grundlage der Verordnung zum Schutze der Staatsgrenze der DDR. Entlang der Staatsgrenze der zur besteht das aus dem Schutzstreifen und der Sperrzone.

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