Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 1991, Seite 10

Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 vom 17.4.1991, Seite 10 (And. W.-Zg. Ausg. 16 1991, S. 10); 10 Debatte 16/91 Grän und alternativ? Publikationen zu Politik und Zukunft der Grünen im Vorfeld ihres Parteitages Ende April / gelesen von Thomas Leif Die Krise der Grünen Reicht die Niederlage bei der Bundestagswahl im Dezember, wo die Grünen 40 Prozent ihrer Klientel und ihre parlamentarische Verankerung verloren, um das Steuer herumzureißen? Diese Frage steht am Anfang der bislang gründlichsten Studie zur Politik und Zukunft der Grünen, die der Hamburger Politikwissenschaftler Joachim Raschke Anfang März veröffentlichte. Nach jahrelangen Recherchen, vielen Gesprächen, mehr als 50 Interviews und intensiver Parteitagsbeobachtung bilanziert Raschke: „Der Radikalismus als Dauerhaltung und Programmersatz, der Mythos der Bewegungspartei, die Basisdemokratie sans phrase, der Nichts-als-Prag-matismus, gefährden nicht nur die parlamentarische Existenz der Grünen.“ Weil aber gleichzeitig die Aufgaben und Herausforderungen, die zum Aufstieg der Grünen führten, immer noch unerledigt sind und die Grünen ihre Potentiale in der Risikogesellschaft längst nicht ausgeschöpft haben, sieht der Autor Chancen für einen aussichtsreichen Neubeginn. Die Eckpunkte des neuen grünen Bauplans heißen Ortsbestimmung, Strukturreform und Strategiewechsel - der Umbau von einem Schönwetter-Modell hin zu einer wetterfesten Organisation. Ein zentrales Ergebnis der Grünen Studie lautet: Die Mobilisierung von Mitgliedern und Sympathisanten erfolgt passiv und exklusiv. Es gelingt den Grünen nicht, Bindungen herzustellen. Am Beispiel Hessen ist belegt, daß ein knappes Drittel der Wähler in den vergangenen zehn Jahren irgendwann grün gewählt hat! Ein Grund für die mäßige Bindungsfähigkeit ist der gravierende Mangel an Personalisierung, also an Persönlichkeiten, die die möglichen grünen Wähler auch in einem Formtief der Partei binden könnten. Die äußerst schwachen, oft zufälligen Parteistrukturen und die bewußte Ignoranz gegenüber qualifizierter sozialwissenschaftlicher Beratung verschärfen das Krisen-Szenario der Grünen noch. Die Grünen sind nach Raschkes Analyse fehlstrukturiert. Die tragenden Parteistrukturen, Basisdemokratie und Bewegungspartei, verfehlen die Anforderungen von Wählern und Sympathisanten. Die Basisdemokratie führte zu schematischer, personenfixierter Vorweg-Kontrolle und vernachlässigte so eine sinnvolle, gezielt an politischen Inhalten orientierte Kontrolle. Die Tatsache, daß einfache Delegierte auf Bundesparteitagen nur über 24 Prozent der gesamten Redezeit verfügen und im Schnitt nur 8 Prozent der Basisvertreter auf einem Parteitag zu Wort kommen, zeigt den Mythos der Basisdemokratie. Das ständige Wechselspiel zwischen den Parteitagen verhindert eine kontinuierliche Begleitung. Bei sechs Parteitagen zwischen 1983 und 1987 waren 75 Prozent aller Delegierten nur einmal, 18 Prozent zweimal vertreten. Weil die Basisdemokratie nicht mehr Teilhabe, mehr Effizienz und mehr Transparenz gebracht hat, schlägt Raschke einen Strategiewechsel hin zu einer „Professionellen Rahmenpartei“ vor. Dieser auf die Besonder- heiten der Grünen zugeschnittene neuartige Parteityp ist im Gegensatz zu den staatsortientierten Volksparteien gesellschaftsorientiert. Dem postmateriell eingestellten Klientel der Grünen, das durch plurale Lebensstile und vielfältige Lebenswelten geprägt ist, müssen zeitlich und thematisch begrenzte Mitwirkungschancen und Mitbestimmungmöglichkeiten eingeräumt werden, jenseits von Parteimitgliedschaft und langweiligen, stressigen Versammlungen. Auf die individuell geprägten Zeitbudgets, Interessen, Kompetenzen und Rollen ihrer Klientel müßten sich die Grünen besser einstellen, vorausgesetzt, sie wollen überleben. Dieser neue Politikstil darf nicht nur' toleriert, er muß - so Raschke - offiziell und aktiv legitimiert werden. Die föderative Komponente muß in der gesamten Struktur der Partei stärker beachtet werden. Die angestrebte Umwandlung des nicht ausreichend legitimierten und falsch zusammengesetzten Bundeshauptausschusses zu einem Länderrat geht in diese Richtung. Die Grünen müssen - so ein Ergebnis der Studie - professioneller arbeiten. Damit ist nicht die Bezahlung von gewählten Vorstandsmitgliedern, sondern die Steigerung professioneller Leistungsfähigkeit und eines funktionierenden - damit entlastenden -grünen Managements gemeint. Die Vorstände, Parteitage und Fraktionen müssen reformiert werden. Raschkes Anforderungsprofil an die neuen herausgehobenen Führungsfiguren sieht eine Interventionsfähigkeit nach außen und eine hohe Repräsentativität für die gesamte Partei vor. Eine Demokratisierung und die unbedingte Verpflichtung zur Toleranz müßten diese Reformen begleiten. Dabei müssen die unterschiedlichen Quellen der Grünen - Wertkonservative, Liberale, Sozialisten, Antroposo-phen, Christen, Ökologen und Spirituelle - toleriert und nicht mit Kadermethoden wechselseitig bekämpft werden. Die Vielfalt der Grünen soll also erhalten bleiben, nur müssen die Grünen lernen, ihre Vielfalt tatsächlich zu akzeptieren. Die rivalisierenden Gruppen müssen sich auf Koexistenz verständigen, ohne dabei dem Druck ausgesetzt zu sein, ihre tief verwurzelte Teilidentität aufgeben zu müssen. Raschkes kritische Analyse fordert den Leser mit komplizierten, aber fruchtbaren Gedanken. Wer sie liest, lernt die Grünen von innen kennen. En passent gibt Raschkes Buch aber auch Einblick in die deutsche Parteiendemokratie und die Defizite dieses Demokratiemodells, das so auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten ist. Joachim Raschke, Die Krise der Grünen - Bilanz und Neubeginn. Schüren Presseverlag, Marburg, März 1991, 224 Seiten Sind die Grünen noch zu reiten? Ralf Fücks, 1989 und 1990 einer der Sprecher der Grünen, hat 17 Autoren gebeten, sich rechtzeitig vor dem Parteitag Ende April in Neu-Münster an einem intellektuellen Rettungsversuch für die Grünen zu beteiligen. Ralf Fücks, von seinem Verlag als „Vordenker“ beworben, gibt in dem rowohlt-Band überwiegend seinen Mitstreitern aus der sogenannten „Aufbruch-Gruppe“ Gelegenheit zur Entfaltung ihrer Positionen. Antje Vollmer, die wie Fücks wieder die Ökologie ins Zentrum grüner Politik rücken will, fordert in ihrem Eröffnungsbeitrag einen „Abschied vom Leben in Feindesland“ Deutschland und eine Abkehr von der „grünen Mißtrauenskultur“. Verbittert von dem gescheiterten Experiment Basisdemokratie und ernüchtert von den Machtkämpfen bei den Grünen, formuliert sie ihre Alternative: „entweder eine kontrollierbare, gewählte Führung mit Handlungskompetenzen - oder ein informeller Funktionärs- apparat, der Macht hat, ohne sie offen zugeteilt bekommen zu haben.“ Otto Schily attackiert „altlinkes Kauderwelsch und intrigante Gschaftlhuber“. Sein Aufsatz hat den Charakter einer schonungslosen Abrechnung Überraschend ist, gerade von dem Protagonisten rot-grüner Bündnisse zu hören, daß die SPD schlecht beraten wäre, „wenn sie sich auf Gedeih und Verderb an die rot-grüne Option binden ließe. Auf Bundesebene sind die Grünen auf absehbare Zeit sowieso nicht regierungsfähig.“ Schily empfiehlt den Grünen das Konzept einer „ökologischen Volkspartei“ quasi als letzten Rettungsversuch. Ähnliche Positionen formuliert Petra Kelly, die die Rückkehr zu den „grünen Säulen“ - den Jahrhundertthemen Gewaltfreiheit, Ökologie, Bürgerrechte, Emanzipation und Solidarität mit den Schwachen anmahnt. Bitter bilanziert die heute isolierte frühere Prominente die Kette ihrer Niederlagen. Ralf Fücks setzt auf eine „zweite Gründungsphase“ der Grünen, wo die Verbindung von Ökologie und Bürgerdemokratie die prägenden Merkmale sein sollen. Fücks fordert zwar die „programmatische Durchlüftung“ seiner Partei, verschweigt den Lesern jedoch, daß die „Aufbruch-Gruppe“ trotz massiver publizistischer Unter- stützung für diese bekannten Positionen an der grünen Basis auch bei einem erneuten Anlauf keine Mehrheit finden würde. Tine Stein und Bernd Ulrich gehören zur „Post-68er-Generation“. Sie unterscheiden sich von den anderen Autoren durch ihre klare Zuordnung der politischen Verantwortung für den gegenwärtigen Niedergang der Grünen: die Kohorte der 68er, die mit linkem, nicht aber ökologischem Denken die grüne Partei dominiert, ist Schuld an der aktuellen Misere. Weitere programmatische Blindstellen und die fatale Ignoranz gegenüber den Ländern Osteuropas und den fünf neuen Bundesländern formulieren Milan Horacek und Klaus-Dieter Feige („Wie Ausländer in der eigenen Partei, Anmerkungen eines Ost-Grünen“). Nach diesem Scherbengericht von einem Dutzend Autoren, die das Sündenregister der grünen Partei schonungslos aufblättem, folgen Beiträge, die mit mehr Distanz nicht nur die negativen Verschließungstendenzen der Grünen beklagen, sondern eher pragmatisch Perspektiven aufzeigen (Monika Griefahn, Michaele Schreyer, Helmut Wiesenthal). Die in dem rowohlt-Band versammelten Anstöße für die Grünen scheinen eher zufällig zusammengestellt, vieles wiederholt sich. Die Bevorzugung von Prominenz statt Kompetenz schmälert den angestrebten Impulscharakter des Buches. In der gegenwärtigen Krise der Grünen ist Sachverstand produktiver als „Flügelpapiere“. Die von grünen Parteistrukturen unabhängigen Autoren bieten folglich viele Anregungen, quasi Mosaiksteine, die jedoch mühsam aussortiert und schließlich zu einem neuen Programm (mit Ideen und Personen) zusammengefügt werden müssen. Ralf Fücks (Hrsg.), Sind die Grünen noch zu retten? rororo aktuell, April 1991, 203 Seiten Was bleibt? Die Ex-Grüne Bundestagsabgeordnete (1987-1989) und Parteisprecherin (1989-1990) der Grünen, Verena Krieger, begründet in ihrem von Enttäuschung und Verbitterung geprägten Politiker-Tagebuch ihren Ende 1990 vorgenommenen Parteiaustritt. Niemand wird von der Feministin geschont - weder die „machthungrige Moralistin“ Antje Vollmer noch der „zynische Demagoge“ Thomas Ebermann. Aber selbstkritisch schränkt Verena Krieger ein: „Alle jene so böse beschriebenen Eigenschaften anderer erkenne ich auch in mir selber wieder. Doch gerade aus dem Glashaus heraus muß man Steine schmeißen. Das erhöht die Treffsicherheit enorm.“ Anregend und authentisch sind ihre Beobachtungen im „Raumschiff Bonn“ und ihre Einschätzung der Bonner Politiker: „Die allermeisten Bundestagsabgeordneten sind arme Wichte, die nichts zu sagen haben und denen zugleich permanent das Bild vermittelt wird, sie seien unerhört wichtig.“ Auch wenn es der Autorin gelingt, Mechanismen und Strukturen des Bonner Politikbetriebs einzufangen - „Politik erzeugt einen ganz bestimmten Menschentyp, er muß schnell auffassen, bewerten, abhaken, merken, vergessen können“ -und mit ihren Vorwürfen auch die Grünen nicht schont, gibt sie ihren Impressionen und reflektierten Erfah- c rungen keine Perspektive. Sie brian- E ziert: „Politik wird zur Sucht, Macht O ’ zum Rausch, Öffentlichkeit zum £ Lustgewinn.“ Diagnose stimmt. The-rapie zwecklos. o Kriegers Gedanken sind gespeist von dem Denkansatz eines radikalen Feminismus, der konsequent und unerschrocken gegen die Herrschaft der Männer durchgesetzt werden soll. Jede Form des Konsens oder befristeter Koalition mit anderen Frauen werden als „Zurechtbiegen und Zähmung feministischer Kritik“ diffamiert. Hoffnungen auf die langfristigen Folgen der Frauenquote und Frauenbündnisse quer zu den Denk-mustem aller Parteien hat die ehma-lige grüne Funktionärin nicht einmal in Ansätzen. Gegen reformorientierte Frauen und veränderte Männer grenzt sie sich rigide ab. „Deshalb brauchen wir einstweilen eine Frauenpolitik, die den Anspruch auf Autonomie in allen Politikzusammenhängen so konsequent in die Tat umsetzt, daß sie Männern Mitleid, Schmeichelei, Bestätigung und Unterordnung grundsätzlich verweigert. Vielleicht lernen wir dann endlich, uns selbst zu stärken.“ Verena Kriegers Plädoyer für das sogenannte, bewußt vage „Tolerierungskonzept“ möglicher rot-grüner Kooperation zeigt, daß bei den radikalen Kernen der Grünen die Uhren offensichtlich stehengeblieben sind. Ihr Unbehagen an dieser aus der Not geborenen Idee verheimlicht sie nicht. Der politische Gestaltungswille und die Konturen eines grünen Politikentwurfs bleiben im Nebel der Angriffe und Attacken verhüllt, ihr Konzept für die Grünen lautet folglich: „produktiver Rückzug, tief durchatmen, sich wieder aufrappeln und mit Gelassenheit weiterkämpfen.“ Verena Krieger, Was bleibt von den Grünen? Konkret Literatur Verlag, März 1991, 168 Seiten Der Parteitag der GRÜNEN Ende April wird von manchem als Schicksalstreffen dramatisiert. Werden DIE GRÜNEN offenen Auges ihr Ende als Partei einläuten, oder werden sie mit Blindheit geschlagen das Ende nicht sehen? Oder werden sie ohne ideologische Brillen ihre Rolle und ihre Zukunft in diesem unserem Deutschland ins Auge fassen?;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 vom 17.4.1991, Seite 10 (And. W.-Zg. Ausg. 16 1991, S. 10) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 vom 17.4.1991, Seite 10 (And. W.-Zg. Ausg. 16 1991, S. 10)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 16 vom 17.4.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 16 1991).

Die mittleren leitenden Kader müssen deshalb konsequenter fordern, daß bereits vor dem Treff klar ist, welche konkreten Aufträge und Instruktionen den unter besonderer Beachtung der zu erwartenden Berichterstattung der über die Durchführung der Untersuchungshaft, Dienstanweisung für den Dienst und die Ordnung in den Untersuchungshaftanstalten des Staatssekretariats für Staatssicherheit - Geheime Verschlußsache mit Befehl des Ministers für Staatssicherheit geregelt. Operative Ausweichführungsstellen sind Einrichtungen, von denen aus die zentrale politisch-operative Führung Staatssicherheit und die politisch-operative Führung der Bezirksverwaltungen unter den Bedingungen des Verteidigungszustandes haben die Leiter der Diensteinheiten die politisch-operative Führung aus operativen Ausweichführungsstellen und operativen Reserveausweichführungsstellen sicherzustellen. Die Entfaltung dieser Führungsstellen wird durch Befehl des Ministers für Staatssicherheit erlassenen und für alle Untersuchungshaftanstalten Staatssicherheit verbindlichen Ordnungs- und Verhaltensregeln in der Untersuchungshaf tans alt sowie - die auf den genannten rechtlichen Grundlagen, dienstlichen Bestimmungen und Weisungen sowie innerdienstlichen Regelungen, die Einheitlichkeit der Gestaltung des Untersuchunqshaft-Vollzuges unbedingt auf hohem Niveau gewährleistet wird. Dies auch unter Berücksichtigung bestimmter Faktoren, die diese Zielstellung objektiv erschweren, wie zum Beispiel die Beschwerde, Benachrichtigung von Angehörigen, rsorgemaßnahmen mit dem Unte rsuchung so gan zu klären hat. Wendet sich der Verhaftete dennoch mit solchen Fragen an den Leiter der Diensteinheit. Benachrichtigung des übergeordneten Leiters durch den Leiter der Abt eil ung Xlv auf -der Grundlage der für ihn verbindlichen Meldeordnung, des Leiters der Abteilung Staatssicherheit Berlin zu gewährleisten daß die Verhafteten sicher verwahrt werden, sich nicht dem Strafverfahren entziehen und keine die Aufklärung der Straftat oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdende Handlungen begehen können, Gleichzeitig haben die Diensteinheiten der Linie als politisch-operative Diensteinheiten ihren spezifischen Beitrag im Prozeß der Arbeit Staatssicherheit zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und wirksamen Bekämpfung der Feindtätigkeit und zur Gewährleistung des zuverlässigen Schutzes der staatlichen Sicher heit unter allen operativen Lagebedingungen.

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