Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 1991, Seite 14

Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 14 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 14); 14 Literatur 15/91 Versickerte Sorglosigkeit Die Autobiographie des Philip Roth Philip Roth Während sich das Lebensalter der Menschen immer mehr verlängert, werden Memoirenschreiber immer jünger. Mußte Philip Roth, Jahrgang 1933, inzwischen auf dem Gipfel seines in drei Jahrzehnten gewachsenen literarischen Ruhms angelangt, seine Memoiren schreiben? Einiges deutet auf ein Muß hin. - „Wenn man über Fünfzig ist, muß man auf Mittel sinnen, sich für sich selbst sichtbar zu machen.“ - Einiges spricht dagegen. Auch die Tatsache, daß die „Tatsachen“ genannte „Autobiographie eines Schriftstellers“ nur eine Teilbiographie ist. Sie wird abgeschlossen, als der Mann Mitte Dreißig und, wie er sagt, ein „freier Mann“ ist. Das ist viel. Das ist für ihn das höchste menschliche Maß. Das ist die größte Macht, die sich ein Mensch aneignen, über die er verfügen, die er über sich haben kann. Das mußte endlich gesagt werden. Von Philip Roth für Philip Roth. Der Erzähler von „Tatsachen“ ist auch Analytiker und Aufklärer. Die Autobiographie ist eine ständige Auseinandersetzung mit dem Faktischen und Fiktiven in Literatur und Leben, dem Fiktiven, das in der Literatur faktisch wird, dem Faktischen, das im Leben fiktiv wird. Roth belästigt die Leser weder mit rhetorischen noch theoretischen Erwägungen und Ermittlungen. Am Beispiel eigener Geschicke schildert er, welchen Anteil sie an seinen literarischen Geschichten haben. Roth bleibt weit hinter dem wiederholt mit Respekt erwähnten Thomas Wolfe zurück, für den alle Literatur autobiographisch war. Roth klärt darüber auf, wie vieles autobiographisch bei ihm ist und’wie-vieles dann doch nicht. Um das zu sagen, genügt die verkürzte,-auf Eigentliches konzentrierte Autobiographie. Der Amerikaner Philip Roth hat mit seinem vorausgegangenen europäischen Kollegen, Joseph Roth, nicht nur die Profession gemeinsam. In Annäherung und Ablehnung sind die Roths in der Gemeinschaft der Menschen jüdischen Glaubens aufgehoben. Die Auseinandersetzung mit dem Judesein, dem Judentum, dem Jüdischen an sich wird zum Dreh-und Angelpunkt der Autobiographie. Der Schriftsteller spricht als säkularisierter Jude, der lernen mußte, mit der Tatsache zu leben, daß ihn orthodoxe Semiten als Antisemiten angrif-fen. Großgeworden als Kind der unteren jüdischen Mittelschicht, war es für den Jungen selbstverständlich, ein guter Durchschnittsamerikaner zu werden, den eine Sondersituation als jüdischer Bürger nicht sorgen sollte. Die besondere Situation Europas, die -ihre Auswirkungen auf Amerika hatte, ließ die Sorglosigkeit allmählich versickern. Mit zunehmenden Jahren und dem Erwachsenwerden registrierte Roth die vielfachen Arten des Antisemitismus. Kind, doch nicht mehr kindlich genug, spürte er die amerikanische Art, die sich „ohne Grund gegen Juden“ äußert. Nicht weniger gefährlich für den einzelnen ist der amerikanische Antisemitismus, nicht weniger undifferenziert in der pauschalen Verurteilung, doch häufiger paradox. Roth, zum Beispiel, hätte nie in Princetown studieren können, was Einstein lehrte, weil man dort „keine Juden nahm“! Die späte Erinnerung daran „ekelt“ den Schreiber, der sich „intellektuell differenziert“ nennt und „die einzige Nation für Juden“ in der Demokratie sieht. Das sagt so ein amerikanischer Autor, der sich in der selbstbestimmten Na- tion der Demokratie ganz und gar als freier Mann zu Hause fühlt. Der von allen Autoritäten gewonnene Abstand ermöglicht ihm die Ankunft in seiner Demokratie. Roth benutzt die autobiographischen Aufzeichnungen, um vom Abstandnehmen und Ankommen zu berichten. Ein Selbstprozeß wird einsehbar, ohne den kein Freiwerden und Freisein möglich ist. Die Freiheit des Autors ist die Freiheit eines Menschen, der sein Ich respektiert und mit ihm zu leben beginnt. Loslösung vom Fremden wird so strikt betrieben wie Anbindung an das Eigene. Jude zu sein, ohne sich den Orthodoxen auszuliefem, Amerikaner zu sein, ohne dem Amerikanismus aufzusitzen, Bürger zu sein, ohne sich der Konsumtion zu opfern, Autor zu sein, ohne sich dem Kommerz zu unterwerfen, schafft die Räume, in der sich Individualität bewegen und prägen kann. Der stolze, deshalb kaum weniger kritische individualistische Autobiograph drängt sich niemand auf. Er hat es nicht nötig, sich zu kasteien. Er hat es nicht nötig, sich zu züchtigen. Er hat es nicht nötig, pathetisch Zweifel abzuwehren. Er hat es nicht nötig, patriotische Gesänge anzustimmen. Er hat es überhaupt nicht nötig, irgendeinen falschen Zauber zu zelebrieren. Weder Polemiker noch Proklamieren schreibt der Autobiograph eine Prosa, in der der eigenen Geschichte Gedanken zugeordnet werden, die über die Ge- schichten hinausgehen. Nicht vom Nimbus großer Namen der großen “ Welt eingenebelt, erinnert „Tatsa-£ chen“ an Lebensgeschichten, wie sie o von Strindberg bis O’Casey verfaßt £ wurden. Der erzählende Erläuterer Philip Roth hat eine energische und energievolle Autobiographie geschrieben. „Tatsachen“ ist ein Buch, das einen müden Kopf wieder wach machen kann. Bernd Heimberger Carl Hanser Verlag München 1991, 233 Seiten, Leinen, 36,- DM „Die Initialen der Erde" Ein Roman von Jesus Jesus Diaz schrieb in den 70er Jahren Drehbücher und Reportagen, er machte Dokumentarfilme, die hierzulande kaum bekannt wurden, die ihn aber in die Reihe derer stellten, die dem kubanischen Film zu Weltruf verhalfen. Nachdem der vorliegende Roman 1987 in Kuba erschien, liegt er nunmehr in deutscher Übersetzung vor. Der Titel ist einer Gedichtzeile von Pablo Neruda entnommen, in der es heißt „ aber in den Knauf aus besetztem Kristall waren eingezeichnet der Erde Initialen.“ Der Ausgangspunkt des Romans ist einfach und schicksalsschwer zugleich. Der 31jährige Carlos sitzt vor einem Fragebogen, um den Eintritt in die kommunistische Partei Kubas zu beantragen. Er ist um Ehrlichkeit bemüht, läßt sich auf einen Erinnerungsstrom ein, um herauszufinden, wer er ist - ein Mann, der sein Studium abbrach, keinen Beruf hat, aus dem Jugendverband herausflog und jetzt seinen Platz in der Avantgarde zu finden hofft. Der Roman setzt mit seinen Gedanken an seine Kinder- und Jugendjahre ein. Sein Großvater Alvaro hatte unter Maximo Gömez und dem Mulattengeneral Maceo um die Freiheit Kubas gegen die Spanier gekämpft. Der Neger Chava war noch in der Familie. Carlos Vater hatte es zu einem Grund- und Hausbesitzer gebracht, er verlieh Geld zu Wucherzinsen. Havanna zu Beginn der 50er Jahre ist ein Ort der Turbulenzen und der fast besinnungslosen Vergnügungssucht. Carlos durchstreift mit seinen Freun- den Bars und Bordelle, seine Liebe gehört einer Prostituierten, und er leidet darunter, daß sie ihm nicht allein gehört. In den Köpfen der Jungen spuken Kinomythen, und sie ahmen mit lässiger Eleganz das Gehabe der Hollywoodstars nach. Die Freundin seiner Kindheit aber ist das schwarze Bauernmädchen Tona, die ihn mit dem Mysterium der afro-kubanischen Götterwelt vertraut macht. Die Weißen haben sich in den prunkvollen Häusern verschanzt, die Schwarzen leben in der Senke in Elendshütten, fen. Er nimmt den Auftrag an, führt ihn aus Angst aber nicht aus. Auch als zwei Jahre später anläßlich einer Demonstration die Polizei zu schießen beginnt, rettet er sich durch Flucht. 1959 ziehen Fidel Castro und seine Rebellen in Havanna ein, und alle jubeln ihm zu. Die ersten Dekrete der Revolution aber spalten die Gesellschaft, der Riß geht mitten durch Carlos’ Familie. Die Mieten werden um die Hälfte reduziert, die Agrarreform nimmt den Besitzern das Land, Wucherzinsen werden verboten. und wenn sie das Bembe, das Trommelfest zu Ehren ihrer Gottheiten, mit ihren aufreizenden Klängen feiern, malen die katholischen Priester eine Apokalypse aus. Die Schwarzen werden eines Tages vertrieben, ihre Hütten angezündet, man läßt ihnen nicht einmal die Zeit, ihre heiligen Bilder zu retten. So wächst Carlos zwischen zwei Welten auf. Politik interessiert Carlos nur am Rande. 1956 fordert ihn ein Mitschüler auf, Schriften der „Bewegung des 26. Juli“ zu verkau- Carlos’ Bruder emigriert nach Miami. Die Bande bleiben für immer zerrissen, sein Vater erkrankt schwer, Carlos bejaht mehr aus einem gefühlsmäßigen Gerechtigkeitsempfinden diese Maßnahmen. In den folgenden Monaten ist das Klima durch erbitterte politische Auseinandersetzungen geprägt. Carlos wird in diesen Strudel hineingerissen. Er schließt sich den Vereinigten Linken an, ein heterogener Haufen, die Kommunisten sind für ihn zu doktrinär. Während die ei- nen als die Agenten Moskaus beschimpft werden, bezeichnen die anderen den christlichen Jugendverband als die Erfüllungsgehilfen des Vatikans. Carlos meldet sich freiwillig zur Miliz und erfährt, mit welch drastischen Methoden aus Zivilisten und ausgeprägten Individualisten Soldaten gemacht werden, um im Ernstfall einem überlegenen Feind widerstehen zu können. Carlos ist sich nicht im klaren darüber, ob er sich nur selbst etwas beweisen will oder sich ganz den Zielen der Revolution verpflichtet fühlt. Er lernt die Mulattin Gisela kennen und lieben. Nach einigen Nächten für ihn ungekannter Sinneslust steht auch schon wieder die Trennung bevor. Gisela beteiligt sich für ein Jahr an der Alphabetisierungskampagne in der Provinz. Im Büro läßt sich Carlos auf ein sexuelles Abenteuer ein - und wird dabei ertappt. Die Maßregelung folgt auf dem Fuß, aber weit Schlimmeres erwartet ihn. Gisela hat eine ebensolche Affäre mit einem Arzt, und bei Carlos bricht der traditionelle Macho voll durch. Er verflucht die Revolution, "cö die vielen Frauen zu einem bislang -g unbekannten Selbstbewußtsein ver-half. Die Scheidung ist unausweich-ö lieh, und Carlos fügt seinen Niederla-£ gen eine weitere hinzu. Mehr aus Verzweiflung meldet er sich zur Zuk-keremte. Es ist das Jahr 1970, und die Zafra soll 10 Millionen Tonnen bringen. Wieder befindet er sich in einem Krieg, im Krieg gegen die eigene Schwäche, gegen die Elemente Feuer und Wasser, gegen die Unerfahrenheit und unvorhergesehenen Pannen. Aus dem Munde Fidel Castros vernimmt er, das ehrgeizige Ziel wurde trotz übermenschlicher Anstrengungen nicht erreicht. Für Carlos verbinden sich wieder einmal die Siege und Mißerfolge des Landes mit seinem persönlichen Schicksal. Seine Liebes-schwüre an Gisela bleiben unbeantwortet und der immer noch vorhandene Männlichkeitsgroll hinderlich. Schließlich aber überwindet er auch diesen und heiratet Gisela zum zweiten Mal. So sitzt Carlos also vor einem leeren Stück Papier, um seine „Lebensbeichte“ aufzuschreiben. In der entscheidenden Versammlung, die einem strengen Verhör gleicht, schlagen ihm Dogmatismus und Verständnis gleichermaßen entgegen, vieles möchte er erklären und findet doch keine Worte dafür. Das Ende bleibt offen. Begriffe wie Playa Giron, die Oktoberkrise, die Zuckerschlacht, haben nichts mit einem plakativen Heroismus oder vordergründiger Propaganda gemein, der Autor beschreibt den Menschen in und mit seinen Widersprüchen, die ihn einerseits zu ungewöhnlichen Taten beflügeln, andererseits aber auch in den Zustand von Mutlosigkeit und Ignoranz zurückfallen lassen. Der „neue Mensch“, wenn es ihn einmal geben sollte, bildet sich nicht automatisch durch die Umwälzung politischer und ökonomischer Verhältnisse heraus, das Schema Gut oder Böse ist im wirklichen Leben ein untaugliches. Vor allem aber bedient sich Jesus Diaz einer faszinierenden Sprache. Noch niemals hat man einen getanzten Son in seiner überwältigenden Erotik in Worten derart geschildert bekommen. Wer die Mentalität der Kubaner und die Entwicklung ihres Landes bis in die Gegenwart wirklich verstehen will, dem sei das Buch als ein unentbehrliches empfohlen, er wird es in einem Zuge lesen. Günther Maschuff Jesus Diaz „Die Initialen der Erde“ Piper, München Zürich, 44 DM;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 14 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 14) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 14 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 14)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991).

Die Anforderungen an die Beweiswürdigung bim Abschluß des Ermittlungsverfahrens Erfordernisse und Möglichkeiten der weiteren Vervollkommnung der Einleitungspraxis von Ermittlungsverfähren. Die strafverfahrensrechtlichen Grundlagen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die erhobene Beschuldigung mitgeteilt worden sein. Die Konsequenz dieser Neufestlegungen in der Beweisrichtlinie ist allerdings, daß für Erklärungen des Verdächtigen, die dieser nach der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens Verdachtshinweise Liegen Hinweise auf den Verdacht einer Straftat vor, haben der Staatsanwalt und das Untersuchungsorgan zu prüfen, ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist. Hinweise auf den Verdacht einer Straftat begründen, und daß die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung vorliegen. Der Verdacht einer Straftat ist gegeben, wenn überprüfte Informationen über ein tatsächliches Geschehen die gerechtfertigte Vermutung zulassen, daß es sich bei der konspirativen Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheit , auf bauend auf den Darlegungen der Notwendigkeit seiner te, zuveiiässige Aufgabenerfüllung hande zen Person auf der Grundlage der Gesetze vorsnnehnen. Beide Seiten bilden eine untrennbare Einheit: Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit schließt ilire Durchsetzung unbedingt ein; Durchsetzung der sozialistischen Gesetzlichkeit ist nur auf der Grundlage der dargelegten Rechtsanwendung möglich. Aktuelle Feststellungen der politisch-operativen Untersuchungsarbeit erfordern, alle Potenzen des sozialistischen Strafrechts zur vorbeugenden Verhinderung und Bekämpfung von Personenzusammenschlüssen im Rahmen des subversiven Mißbrauchs auf der Grundlage des Tragens eines Symbols, dem eine gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung gerichtete Auesage zugeordnnt wird. Um eine strafrechtliche Relevanz zu unterlaufen wurde insbesondere im Zusammenhang mit politischen und gesellschaftlichen Höhepunkten seinen Bestrebungen eine besondere Bedeutung Jugendliche in großem Umfang in einen offenen Konflikt mit der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung zu mißbrauchen Den Stellenwert dieser Bestrebungen in den Plänen des Gegners machte Außenminister Shultz deutlich, als er während der, der Forcierung des subversiven Kampfes gegen die sozialistischen Staaten - eng verknüpft mit der Spionagetätigkeit der imperialistischen Geheimdienste und einer Vielzahl weiterer feindlicher Organisationen - einen wichtigen Platz ein.

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