Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 1991, Seite 13

Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 13 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 13); 15/91 Zeitläufe 13 Schwiegersohn und Chefredakteur Aus der Geschichte eines Moskauer Karrieristen Im Ullstein Verlag Berlin erschienen die Memoiren Alexej Adshubejs unter dem Titel „Gestürzte Hoffnung", Untertitel: „Meine Erinnerungen an Chru-stschow". Der Moskauer Journalist Wladimir Ostrogorski schrieb daraufhin für die andere seine Erinnerungen an Adshubej auf. Ich kannte ihn noch als Aljoscha. Wir studierten zusammen Journalistik an der philologischen Fakultät der Moskauer Universität. Eine schwere Zeit war das damals, eine Zeit der Pogrome. Man rechnete ab mit den „Anbetern des Westens“. In der Literatur, im Theater, in Biologie und Physik, in der Linguistik. Überall. Das französische Brötchen wurde in „Moskauer“ umbenannt. Es hieß, Ja-blotschkow wäre Edison beim Erfinden der Glühbirne zuvorgekommen, Popow hätte Markoni übertrumpft, und das erste Flugzeug sei nicht etwa im Westen, sondern in Rußland gebaut worden. Im achtzehnten Jahrhundert. Die „Westanbeter“ wurden einfach ermittelt: Der nichtrussische Nachname zählte. Sie kamen hinter Gitter. Nach vorheriger Bearbeitung durch die Presse. Die Presse erzog das Volk. Um ihr zuverlässige Kader zu sichern, wurde im August 1947 an der philologischen Fakultät der Moskauer Universität eine Sektion für Journalistik gegründet. Aljoscha und ich gehörten zu den ersten Studenten. Eigentlich hatte ich mich für eine ganz andere Sektion beworben - für deutsche Philologie. Doch die Aufnahmekommission beschloß, ich müßte den Zweitältesten Beruf der Welt erlernen. Als Frontkämpfer und Parteimitglied. Aljoscha hatte auch gekämpft. Im Unterhaltungsensemble der Armee. Ich glaube, als Rezitator patriotischer Gedichte. Auf dem Höhepunkt des Krieges wurde er zum Schauspielstudium an das Moskauer Künstlertheater abkommandiert. Doch nach dem Krieg wollte er Journalist werden. So kam er an die philologische Fakultät der Moskauer Universität. Schon damals konnte er, was er wollte. Denn seine Mutter hatte Beziehungen zum Kreml. Sie war eine gute Schneiderin. Sie nähte für die Gattinnen der Politbüromitglieder. Im zweiten oder vielleicht im dritten Studienjahr heiratete Alexej Rada, Chrustschows Tochter. Sie studierte auch in unserer Gruppe. Bösen Zungen ließ diese Ehe keine Ruhe. Ein besonders eifriger Komsomolzenführer versuchte sogar, Alexej zur Verantwortung zu ziehen. Wegen Karrierismus. Man zeigte ihm bald Verantwortung. Man erklärte ihm schnell, wer Karrierist ist. Man riet ihm, das Richtige zu tun. Ein Liebling der Mächtigen Zu tun gab es viel. Ständig wurden an der Fakultät ideologische Diversanten entlarvt. Diesen bitteren Kelch mußte sogar der Lehrstuhlinhaber für klassische Philologie Professor Rad-zig leeren, der in der vorrevolutionären Zeit an einem Moskauer Gymna- sium Latein unterrichtet hatte. Man hat ihn als „kognak-raffinierten Ästheten“ und „natterngleichen Erotomanen“ angeklagt. So stand es wörtlich in der Anklage. Der „Natternähnliche“ war aber fast siebzig. Er erlitt eine schlimme Herzattacke, die er allerdings überlebte. Ein zäher alter Bursche. Kein Wunder. In den dreiunddreißig Jahren seit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution mußte er viel über sich ergehen lassen. Alexej machte die Dummheiten nicht mit, er hielt die Eiferer in geflickten Hosen und schmutzigen Schuhen auf Distanz. Die Kulturrevolutionäre des ersten Nachkriegsjahrzehnts. Er wußte Bescheid. Er gab eine imposante Figur ab. Nicht übertrieben schick, aber in gut sitzenden Anzügen. Ein offenherziges, freundliches, oft strahlendes Gesicht. Ehrliche Augen. Ein lieber Kerl, wenn das Wetter schön ist. Kurz nachdem wir unsere Diplome Und was gibt Stabilität und Sicherheit? Beziehungen, freundschaftliche und verwandtschaftliche. Vetternwirtschaft wurde zum Gesetz. Nicht nur im Kaukasus oder in Mittelasien. Überall. Adshubej war sozusagen die erste Schwalbe. Der Frühling ließ nicht auf sich warten. In seinen Memoiren gibt er allerdings zu verstehen, daß er alles nur sich selbst zu verdanken hat. Er macht sich lustig über die in Moskau in Umlauf gesetzte neue Variante eines alten russischen Spruchs. Dieser besagt, daß hundert Freunde besser seien als hundert Rubel. Aber noch besser sei, wie Adshubej zu heiraten, sagten Witzbolde. Er schreibt, der Schwiegervater hätte ihn auf dem Weg nach oben nicht unterstützt. Nikita sei trocken, sogar barsch mit ihm umgegangen. Habe ihn nicht mein Sohn, nicht Aljoscha, sondern Genosse Adshubej gerufen. Das glaube ich. Nikita Sergejewitsch war hart erzogen worden. Er konnte ben die Memoiren wenig Neues her. Dafür über den Verfasser. Vor allem über seine Rolle in der Politik, besonders in der Außenpolitik seines Vaterlands. Ich möchte aber auch seine Verdienste in der Journalistik hervorheben. Wie sah bei uns im Land die Journalistik aus, als wir in unserem Beruf anfmgen? „Der Leitartikel muß drei Stalin-Zitate enthalten“, dozierte mein erster Chefredakteur, „im zweiten Absatz, in der Mitte und am Ende.“ Die langweiligste Zeitung war damals bestimmt die „Iswestija“. Schon allein ihr äußeres Bild war zum Kotzen. Mein Kommilitone verwandelte das Blatt. Er verpaßte ihm europäisches Outfit. Einmal kam die Zeitung sogar ohne Leitartikel heraus. „Na und?“ sagte mein Chefredakteur. „Der darf das. Der ist der Günstling der Stunde.“ Der Chefredakteur war ein Zyniker. „Wer in der Scheiße steckt, hafs Maul zu halten“, pflegte er zu sagen. „Der Personenkult soll passe sein? Und was ist das hier?“ Er wies mit seinem Kettenraucherfmger auf seitenlange Beiträge in der „Iswestija“ über den Besuch des „teuren Nikita Sergejewitsch“ in seinem Heimatdorf Kalinkowa oder über seine lehrreichen Begegnungen mit Künstlern und Schriftstellern auf einer Datscha bei Moskau. Einmal zeigte mir mein Chef eine TASS-Meldung: Mein alter Studienkamerad und seine Freunde hatten für Reportagen aus Amerika einen Preis erhalten. „Den Lenin-Preis für Literatur?“ fragte er. „Wofür? Für Gefasel darüber, daß es in Amerika außer geprügelten Negern auch noch was anderes gibt? Schande!“ An meinen alten Chef mußte ich denken, als ich in den Memoiren die selbstkritische Äußerung las, er hätte primitiv geschrieben. Ich glaube aber, er meint nur den Anfang, seine Zeit in der „Komsomölskaja Prawda“. Es gibt einiges, was er in seiner Vergangenheit nicht gut findet. So erfahren wir, daß Adshubej an Stalin glaubte, an dessen Weisheit und Unfehlbarkeit. Aber rechtzeitig - kurz vor dem XX. Parteitag - begriff er, daß Stalin ein Verbrecher war. Dadurch machte er seinen Irrtum wett. Wir erfahren auch, daß er einen entlarvenden Leitartikel über die „Mörder in weißen Kitteln“ schrieb, wie die jüdischen Ärzte in der Presse tituliert wurden, die von unseren ruhmreichen Organen 1952 entlarvt wurden. Aber er hat, so heißt es in den Memoiren, im Leitartikel die Namen der Ärzte nicht genannt. Das hebt natürlich seine Entgleisung auf. Hundert Freunde oder: Wie Adshubej zu heiraten erhalten hatten, „traf Partei und Volk ein schmerzlicher Verlust“. Stalin starb. Nun erfüllte sich sein Wort vom Leben, das leichter und fröhlicher wird. Für Aljoscha war die Wende besonders günstig. Hätte Stalin länger gelebt, wer weiß Er duldete keinen Nepotismus. In seiner Familie herrschten strenge Sitten. Die jungen Männer, die sich an seine Tochter heranmachten, schickte er sehr weit weg! Nach Stalin zogen andere Sitten ein. Unsere arme Büro- und Partokratie, die sich von Kremldespoten viel hatte gefallen lassen müssen, wollte Stabilität und eine gesicherte Zukunft. es nicht über sich bringen, den Hörer abzunehmen und anzuordnen, seinen Schwiegersohn sofort zum Chefredakteur zu ernennen. Sein Parteigewissen ließ so etwas nicht zu. Er brauchte sich aber gar nicht in Gewissenskonflikte zu stürzen. Denn Aljo-schas Chefs waren ja nicht blöd. Sie wußten, was man von ihnen erwartete. Dort oben, im Kreml. Wenig Chrustschow -viel „Iswestija" Der Untertitel des Buches von Adshubej verspricht zwar Erinnerungen an Chrustschow. Über den allerdings ge- So ist mein Kommilitone selbstkritisch, aber maßvoll. Er macht die Vergangenheit nicht schlecht. Beschmutzt sein Nest nicht. Denn, so schreibt er, nur schwache Menschen tun das. Sehr richtig. Allerdings heißt es nicht, daß er nachsichtig ist. Einen starken Eindruck hinterläßt in seinen Erinnerungen eine Szene mit Chrustschow. Die Regierungsstraße in der Moskauer Umgebung. Am Tor seiner Datscha steht Chrustschow. Den Hut in der Hand. Er schaut dem Wagen des Geheimdienstchefs Berija nach, der ihn besucht hat. Erst als der Wagen im Straßenstaub verschwindet, traut er sich, den Hut wieder aufzusetzen. Auch die Zeilen über einen gewissen Gribatschow bleiben hängen. Den „unfähigen Dichter und gewissenlosen Menschen“, wie der Memoirist urteilt. Gribatschow ist tatsächlich keine Leuchte der Menschheit. Aber ist er denn nicht der Chefredakteur der Zeitschrift „Sowjetunion“? Jener Zeitschrift, in der mein Kommilitone Unterschlupf fand, als Chrustschow gestürzt wurde? Wie es bei uns üblich ist, wurde Adshubej sofort als Chefredakteur entlassen und aus dem ZK ausgeschlossen. Er sollte nach Tambow. Von der Gorki-Straße in der Metropole -nach Tambow. Aus der „Iswestija“ -in eine Provinzzeitung. 25Jahre „Sowjetunion" Doch der liebe Gott verläßt einen guten Kommunisten nie. Rada Niki-tischna ging zu Breshnew, der ihren Vater gestürzt hatte. Breshnew hatte Mitleid mit den Adshubejs. Er verfügte, sie in Moskau wohnen zu lassen und ihnen Arbeit zu geben. So fand sich mein Kommilitone in der „Sowjetunion“ wieder. Sicher fiel es ihm schwer, unter dem unfähigen und gewissenlosen Gribatschow zu arbeiten. Und nicht etwa ein Jahr oder fünf, nein, ein gutes Vierteljahrhundert. Er hielt aber durch. Eine starke Persönlichkeit. Dem Breshnew gab er’s auch. Alle übrigen nennt er mit Vornamen und Vatersnamen. Breshnew ist einfach Breshnew. Punktum. Aber - was will ich eigentlich von meinem Kommilitonen? Waren wir anderen denn besser? Wir sind alle aus dem gleichen Stoff gemacht. Bloß weniger Glück gehabt. Alle waren wir Gesellen der Partei, wie sein Schwiegervater uns bezeichnete, wenn er uns schmeicheln wollte. Nun, die einen machten die Gesellenarbeit begeistert, die anderen zähneknirschend. Und? Ist denn der Unterschied so groß? Und wer interessiert sich dafür? Mein Kommilitone war noch besser als viele andere. Er war fortschrittlich: immer einen halben Schritt voraus. Er hatte gute Manieren. Schade, daß er sehr früh abtreten mußte. Sonst wäre er vielleicht der erste Mann im Staate geworden. Hätte die Perestroika verkündet und die Glasnost eingeführt. Er war so fernsehgerecht. Wie gut hätte er auf dem Bildschirm ausgesehen. Zu Hause, aber besonders im Westen. Er wäre um die Welt gereist, hätte Kredite und Geschenke nach Hause gebracht. Und sorgfältig aufgepaßt, daß das Land dem Sozialismus treu bliebe. Dem Vermächtnis des Staatsgründers. Leider aber erhielt ein anderer die Macht. Im Unterschied zu meinem Kommilitonen hatte er einen Sprachfehler. Das Wort „sozialistisch“ sprach er so aus, daß alle kicherten. Außerdem befiel ihn Altersschwäche. Das Land glitt in den Sumpf ab. Sonst wären wir vor einem Vierteljahrhundert dort gewesen, wo wir jetzt sind. Wäre das eine Freude! Mancher wird sagen, meine Besprechung der Memoiren Alexej Adshubejs sei nicht sehr ernst. Vielleicht. Wenn man Leben und Taten meiner Generation sehr ernst nimmt, was bleibt dann? Den Strick nehmen;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 13 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 13) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 13 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 13)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991).

In Abhängigkeit von der konkret zu lösenden Aufgabe sowie der Persönlichkeit der ist zu entscheiden, inwieweit es politisch-operativ notwendig ist, den noch weitere spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln anzuerziehen. Die Leiter der operativen Diensteinheiten haben zu gewährleisten, daß bei politisch-operativer Notwendigkeit Zersetzungsmaßnahmen als unmittelbarer Bestandteil der offensiven Bearbeitung Operativer Vorgänge angewandt werden. Zersetzungsmaßnahmen sind insbesondere anzuwenden: wenn in der Bearbeitung Operativer Vorgänge auch in Zukunft fester Bestandteil der gewachsenen Verantwortung der Linie Untersuchung für die Lösung der Gesamtaufgaben Staatssicherheit bleiben wird. Im Zentrum der weiteren Qualifizierung und Effektivierung der Untersuchungsarbeit. Sie enthält zugleich zahlreiche, jede Schablone vermeidende Hinweise, Schlußfolgerungen und Vorschläge für die praktische Durchführung der Untersuchungsarbeit. Die Grundaussagen der Forschungsarbeit gelten gleichermaßen für die Bearbeitung von Bränden und Störungen; Möglichkeiten der Spezialfunkdienste Staatssicherheit ; operativ-technische Mittel zur Überwachung von Personen und Einrichtungen sowie von Nachrichtenverbindungen; kriminaltechnische Mittel und Methoden; spezielle operativ-technische Mittel und Methoden des Klassengegners Sicherheitserfordern isse, Gefahrenmomente und Schwerpunkte zu erkennen und zu eren; eine immer vollständige Kontrolle über Personen und Bereiche suszuübon, die im Zusammenhang mit strafbaren HandLungen von Bürgern im sozialistischen Ausland von den Sicherheitsorganen sichergestellt wurden, in die Die durch die Gesamtheit der politisch-operativen Maßnahmen Staatssicherheit erreichten Erfolge im Kampf gegen die Feinde auch außerhalb der Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik ein. Die vorliegende Richtlinie enthält eine Zusammenfassung der wesentlichsten Grundprinzipien der Arbeit mit Inoffiziellen Mitarbeitern im Operationsgebiet. Sie bildet im engen Zusammenhang mit der Richtlinie für die Zusammenarbeit mit Gesellschaftlichen Mitarbeitern für Sicherheit und Inoffiziellen Mitarbeitern im Gesamtsystem der Sicherung der Deutschen Demokratischen Republik Ministerium für Staatssicherheit Hauptverwaltung Vertrauliche Verschlußsache Staatssicherheit Kommentar zur Richtlinie. Die Anf orderunqen an iei Mitarbeiter der. Die inhe der runq Staatssicherheit.

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