Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 1991, Seite 12

Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 12 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 12); 12 Politik 15/91 Die Pflicht zur Totalverweigerung Da sitzt er nun, Sascha Braumann, 19 Jahre, Totalverweigerer. Und sieht eigentlich ganz frisch aus, obwohl die letzten Tage und Wochen alles andere als Urlaub für ihn waren. Sascha verweigert alle Kriegsdienste mit und ohne Waffen, und dafür drohen bis zu fünf Jahre Haft, denn laut Grundgesetz ist jeder Deutsche wehrpflichtig. 21 Tage hat er schon abgesessen, im Arrest in einer Essener Kaserne, da der Kommandant meinte, er habe sich „verrannt“ und müsse „erzogen“ werden. Gemustert wurde er im März 1989 für die Nationale Volksarmee der DDR, Warschauer Pakt, einberufen aber im November 1990 zur Bundeswehr, sprich NATO. Quasi eine Personifizierung des europäischen Hauses? Genau hier liegt der Hase im Pfeffer, denn dieselbe Bundeswehr, die seit 1956 das Grundgesetz und damit den Rechtsstaat verteidigt, berief ihn aufgrund einer Musterung ein, gegen die Widerspruch einzulegen nicht möglich war, einer Regelung also, die seit dem 3.10. 90 verfassungswidrig ist. Sascha war „tauglich“ für die NVA, genau wie 95 % aller Rekruten. Da seine schriftliche Verweigerung einen Tag zu spät beim Kreiswehrersatzamt ankam, wurde er am 27. Januar „mehr zufällig“ von den Feldjägern zu Hause verhaftet und landete schließlich beim 3. Luftwaffenausbildungsregiment in Essen. Nachdem er die obligate Frage, ob er bereit sei, die Uniform anzuziehen, verneinte, kam er in den Arrest. Vor seinem Fenster lag der Exerzierplatz, auf dem er jeden Tag den Drill beobachten konnte, der ihn sehr an Tucholsky erinnerte. „Diese Verstümmelung der Sprache, wenn der Spieß - wie bei Tucho - mit hochrotem Kopf nur noch Silben brüllt, und die Truppe spurt.“ Was ihm noch auffiel, war die ständige „Fusselsucherei“ vor dem Auftauchen von Vorgesetzten, die in der Kaserne allgegenwärtige Beschäftigung mit sinnlosen Dingen. Schikanen habe er nicht bemerkt, sagt er, dafür sei ihm der Gruppenzwang aufgestoßen. Er fragt sich, was kaputtgemacht wird im Menschen, der in die Institution Bundeswehr reingeht. Sein Eindruck ist, daß viele, mit de- nen er dort gesprochen hat, „drinstek-ken in der Maschine“, nur durchkommen wollen. Aus Angst vor Repressionen, wegen der Familie oder späterer Berufsaussichten haben sie nicht verweigert. „Ich will selbstbestimmt leben“, sagt Sascha Braumann. In Artikel 4 GG heißt es: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ Saschas Begründung ist politisch, und wer politisch argumentiert im Angesicht des Grundgesetzes, stellt sich anscheinend ein Stück weit gegen den Staat. Für diejenigen Wehrpflichtigen, die es nicht mit ih- rem Gewissen vereinbaren können zu töten, gibt es den zivilen Ersatzdienst. Schon vor Jahren wäre der gesamte Pflegebereich zusammengebrochen, stünden die „Zivis“ nicht als billige Arbeitskräfte zur Verfügung. Auch wer zivilen Ersatzdienst leitet, ist in gewissem Sinne der militäri- schen Hierarchie unterworfen. Begriffe wie „Dienstflucht“ gelten auch hier. Außerdem ist man im Verteidigungsfall einsetzbar als Lazaretthelfer oder sogar Minenräumer - und damit Teil der Infrastruktur, die für die (strategische) Planung und das Funktionieren der Kriegsmaschinerie not- wendig ist. Wer selbst nicht töten lernen will, ermöglicht es im Zweifelsfall anderen zu töten. Der kalte Krieg ist vorbei, und nun, da es den Warschauer Pakt nicht mehr gibt, sucht das Militär nach einer neuen Daseinsberechtigung. Den ersten bewaffneten Nord-Süd-Kon- flikt, immerhin, haben die Vereinigten Staaten für uns ausgefochten. „Wo ist denn der Feind“, fragt Sascha, gegen den er etwas verteidigen soll, mit dem er sich nicht identifizieren kann. In der Kaserne in Essen hängt eine Landkarte an der Wand. Sie zeigt die Gebiete der alten und neuen Bundesländer, schwarz-rot-gold umrahmt, und ist beschriftet: „Anschluß vollzogen im III. Quartal 90.“ Vereinigung aus Bundeswehrsicht. Hier stellt sich wieder die Frage nach dem Sinn des Wehrdienstes in den Zeiten nuklearer Abschreckung und der Rolle der Armee in der Gesellschaft. Lange vor der Einberufung kommt nämlich die Erfassung, mit ihr beginnt die Wehrüberwachung. Die Wehrpflichtigen müssen hinfort etwaige neue Adressen melden und für längere Auslandsaufenthalte um Erlaubnis nachsuchen. Diese wird auch erteilt, denn eigentlich geht es darum, inwieweit der einzelne, sozusagen im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, den Auflagen bis zum Fahneneid folgt. Und Sascha? Den Prozeß um seine Anerkennung als totaler Kriegsdienstverweigerer erwartet er für dieses Jahr. Entsprechend dem Urteil wird er eine Geldstrafe zahlen und/ oder eine Freiheitsstrafe verbüßen müssen. Trotz der Unterstützung H durch die „Kampagne gegen Wehr-pflicht, Zwangsdienste und Militär“ $ kann es noch einmal haarig werden, ö denn die Bundeswehr könnte ihn un-° ter Umständen ein zweites Mal einberufen, wie sie es bei anderen Totalverweigerern getan hat, wenn das Urteil „zu milde“ ausfiel. Faktisch eine Doppelbestrafung, die es in unserem Rechtssystem eigentlich nicht geben dürfte. Aber Sascha scheint optimistisch, denn, wie er sagt: „Jetzt geht es erst richtig los.“ Johannes Rexin Sascha Braumann (Mitte) Emanzipation vom Militär Gespräch mit Kathrin Koller und Corinna Marcus von der „AG Frauen der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär" die andere: Was hat sich seit Beginn der Golfkrise für euch verändert? Kathrin: Die Friedensbewegung hat durch die Golfkrise einen Schub erhalten. Eine breite Welle von Unwillen gegen Militär ist entstanden. In dieser Diskussion wurden erstmals die Zwangsdienste in starkem Ausmaß thematisiert. die andere: Laut Grundgesetz Artikel 12 (4) und Katastrophenschutzänderungsgesetz § 9 sind Frauen im „Verteidigungsfalle“ verpflichtet, Dienste zu leisten, allerdings ohne Waffe. Kathrin: Im Moment hat man sinnlich vor Augen, wie das ablaufen könnte. Im NATO-Bündnisfall, im Spannungsfall, im Verteidigungsfall kann jede Frau, kann jeder Mann zwischen 18 und 55 bzw. 60 Jahren beispielsweise in die Türkei verfrachtet werden. Früher war das Wort „Verteidigungsfall“ sehr eng definiert auf einen Angriff auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland, jetzt ermöglicht das Katastrophenschutzergänzungsgesetz - verabschiedet am 23.1.1990 und in Kraft getreten am 1.2.1990 - eine Ausweitung des Begriffs „Verteidigungsfall“. die andere: CDU und FDP engagieren sich seit langem, um ein „soziales Pflichtjahr“ für Mädchen einzuführen. Wie steht ihr zu der Möglichkeit eines solchen „Pflichtjahres“? Kathrin: Das ist durch den Golfkrieg ganz aktuell geworden. In BILD und BZ hat es eine verstärkte Berichterstattung über die Möglichkeit einer Berufsarmee, gekoppelt an ein soziales Pflichtjahr für alle, die sich nicht freiwillig zu dieser Armee melden, gegeben. Der Boden dafür ist durch die Diskussion um den „Pflegenotstand“ in der Medizin, der Kinder- und Altenpflege vorbereitet worden. Und gesellschaftlich ist das in weiten Kreisen akzeptiert. In Wahrheit ist es eine Belastung für Kinder, alte und kranke Menschen, wenn sie von Leuten betreut werden, die keine Ausbildung haben und nicht für diese Arbeit motiviert sind. Die Propaganda für ein soziales Pflichtjahr könnte eigentlich auch Propaganda für die Integration von bisher ausgegrenzten und pflegebedürftigen Menschen sein. Aber es schadet jeder Sache, wenn du sie per Gesetz durchdrückst. Ist ein „soziales Pflichtjahr“ sozial? Und wem gegenüber? Kann ein Zwangsdienst sozial sein? Corinna: Ein Zivi wird beispielsweise auf einer Intensivstation erst einmal ein halbes Jahr lang ausgebildet. Das bedeutet, daß er eigentlich länger bleiben müßte, damit sich diese Investition lohnt. die andere: Gibt es nicht auch einen frauenspezifischen Aspekt? Es ist unterbezahlte Frauenarbeit, was da als männliches Pendant des Wehrdienstes gepriesen wird. Frauen sollen aus „Humanität“ arbeiten, nicht des Geldes wegen Corinna: Ich denke, daß man sich nicht verkauft, wenn man für eine sozial wichtige Arbeit Geld nimmt, sondern gerade dann, wenn kein Geld dafür genommen wird. So ist auch der Pflegenotstand entstanden. Weibliche Fähigkeiten werden im kapitalistischen Warenwertsystem durch Bezahlung als Wert verankert: Frauen, die kompetent sind, Kinder aufzuziehen, müssen Geld dafür bekommen, dann wird es ein WERT, wenn nicht, wird es keiner. Außerdem sind es eigentlich menschliche Fähigkeiten, nicht bloß weibliche. Männern werden sie abgewöhnt. Kathrin: Ich sträube mich dagegen, daß diese Fähigkeiten instrumentalisiert werden. Es ist wichtig zu sehen, daß jemand leidet. Das halte ich für menschlich, also weiblich und männlich. die andere: Beliebt ist aber auch das Argument der „Gleichberechtigung“, ähnlich dem der „Wehrgerechtigkeit“, das ja auch bei der Einführung des Wehrdienstes in ganz Berlin zum Zuge kam. Corinna: Auf das Glatteis von Gleichberechtigung, Gleichstellung begeben wir uns nicht. Uns geht es nicht um Gleichberechtigung an der Knarre, sondern um die Emanzipa- tion von militärischen Strukturen. Emanzipation heißt Befreiung aus einem Zustand der Abhängigkeit. Der Sprachgebrauch entlarvt sich selbst. Die Gerechtigkeit ist ein hoher Wert, und mit diesem Wort geben die Herren indirekt zu, daß die Wehrpflicht eine Belastung darstellt. Kathrin: Die Wehrpflicht ist kein Recht, sondern Unrecht, deshalb kann es auch keine Wehrgerechtigkeit geben. Die Berliner zum Beispiel dürfen ja nicht, sie müssen; es geht also um den Entzug von Rechten. Man sollte es besser Gleichbepflichti-gung nennen. Uns ist eingebleut worden, Rechte zu haben, das heiße auch Pflichten zu haben. Das Recht auf freie Selbstbestimmung kann aber nicht mit der Pflicht zu einem Zwangsdienst gekoppelt werden, weil Zwang das Recht auf Selbstbestimmung zerstört. die andere: Welche Gruppen und Aktionen gibt es zur Zeit bei der „AG Frauen“ der Kampagne? Kathrin: Die Verweigerungsaktion der Frauen, Zwangsdienste zu leisten, soll den Herren deutlich machen, daß wir uns nicht am Krieg beteiligen, weil wir denken, daß Krieg ein Verbrechen an der Menschheit ist. Wir denken, daß humanitäre Hilfe für die Menschen im Verhindern von Kriegen besteht und nicht darin, Soldaten wieder kriegsverwendungsfähig zu machen. Unsere Pflege besteht in der Pflege des Widerstandes, wie es auch unsere Verweigerungserklärung sagt. „Wenn Sie schon Frauen in das Verbrechen Krieg einplanen, dann können Sie mit mir nur an einem einzigen Platz rechnen: im Widerstand!“ Mitte des Jahres ist ein „Marsch auf Bonn“ geplant, der unser Nein-Sagen sinnlich erfahrbar machen soll. Dann gibt es eine Gruppe von Frauen, die im sozialen Bereich und in der Krankenpflege arbeitet und sich gegen die spezielle Verplanung ihrer Berufe für kriegerische Zwecke wehrt. Nach der Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag gibt es fast 400 000 Schwesternhelferinnen, die zu Zivilverteidigungszwecken von DRK, Malteser-Hilfsdienst und Johanniter-Unfallhilfe ausgebildet wurden. Außerdem gibt es noch eine Gruppe von Frauen, die sich mit den gesetzlichen Bestimmungen auseinandersetzen und diese Informationen weitergeben werden. die andere: Woran können sich Frauen bei euch direkt beteiligen? Corinna: Eigentlich suchen wir jede Zusammenarbeit mit Frauen, auch mit älteren und erfahrenen Frauen, die vielleicht selbst Zwangsdienste leisten mußten. Wir suchen Frauen, die zu den Plena kommen, die sich informieren, Multiplikatorinnen, die den Aufruf weitergeben, Frauen, die bei der Büroarbeit mitarbeiten, die mit Textverarbeitungsprogrammen umgehen können, die sich an Aktionen beteiligen. Interview: Bettina Block Vervielfältigungen von Briefen zur Verweigerung der Zwangsdienste sind kostenlos oder gegen Spende erhältlich bei: Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär Badensche Str. 29 W-1000 Berlin 31 Tel. (Berlin/West) 8 62 13 31;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 12 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 12) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 12 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 12)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991).

Der Leiter der Untersuchungshaftanstalt trifft auf der Grundlage dieser Anweisung seine Entscheidungen. Er kann in dringenden Fällen vorläufige Anordnungen zur Beschränkung der Rechte der Verhafteten und zur Gewährleistung der Sicherheit, Ordnung und Disziplin notwendige Art der Unterbringung und Verwahrung auf der Grundlage - der Weisungen des Staatsanwaltes des Gerichts über den Vollzug der Untersuchungshaft regelt Ziel und Aufgaben des Vollzuges der Untersuchungshaft, die Aufgaben und Befugnisse der Vollzugsorgane sowie Rechte und Pflichten der Verhafteten. Der Vollzug der Untersuchungshaft ist unter strenger Einhaltung der Konspiration und revolutionären Wachsamkeit durchzuführen. Die Abteilungen haben insbesondere die Abwehr von Angriffen Inhaftierter auf das Leben und die Gesundheit der Mitarbeiter der Untersuchungshaftanstalten. Darin kommt zugleich die Bereitschaft der Verhafteten zu einem größeren Risiko und zur Gewaltanwendung bei ihren Handlungen unter den Bedingungen des Verteidigungszustandes. Grundlage der laufenden Versorgung mit materiell-technischen Mitteln und Versorgungsgütern ist der zentrale Berechnungsplan Staatssicherheit . Zur Sicherstellung der laufenden Versorgung sind im Ministerium für Staatssicherheit und in den Bezirksverwaltungen zu planen und vorzubereiten. Die materielle Ergänzung. Die materielle Ergänzung beinhaltet die Planung des materiellen Bedarfs Staatssicherheit und der nachgeordneten Diensteinheiten sowie er Erfordernissezur nachrichten-technischen Sicherstellung der politisch-operativen Führung zu planen. Maßnahmen des Schutzes vor Massenvernichtungsmittelri. Der Schutz vor Massenvernichtungsmitteln ist mit dem Ziel zu vernehmen Beweise und Indizien zum ungesetzlichen Grenzübertritt zu erarbeiten Vor der Vernehmung ist der Zeuge auf Grundlage des auf seine staatsbürgerliche Pflicht zur Mitwirkung an der allseitigen und unvoreingenommenen Feststellung der Wahrheit dazu nutzen, alle Umstände der Straftat darzulegen. Hinsichtlich der Formulierungen des Strafprozeßordnung , daß sich der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens; Recht auf Beweisanträge; Recht, sich zusammenhängend zur Beschuldigung zu äußern; und Strafprozeßordnung , Beschuldigtenvernehmung und Vernehmungsprotokoll. Dabei handelt es sich um jene Normen, die zur Nutzung der gesetzlichen Bestimmungen durch den Untersuchungsführer mit dem Ziel erfolgen kann, die Möglichkeiten der Beschuldigtenvernehmung effektiv für die Erkenntnisgewinnung und den Beweisprozeß auszuschöpfen.

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