Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 1991, Seite 6

Die Andere, Unabhaengige Wochenzeitung fuer Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 vom 3.4.1991, Seite 6 (And. W.-Zg. Ausg. 14 1991, S. 6); ?6 Politik 14/91 Nicht der Mensch ist das Mass aller Dinge Zum Demokratieverstaendnis in islamischen Laendern / Von Lutz Rzehak In der Tat, die Frage, warum demokratisches Denken und Handeln in islamischen Laendern bisher nur wenig Verbreitung gefunden habe, geht von einem eurozentristischen Ansatz aus. Man moechte ihr mit dem berechtigten Hinweis darauf entgegentreten, dass ein bestimmtes Demokratiedefizit nicht nur den islamischen Kulturbereich kennzeichnet, sondern eine Weise ihres Zusammenlebens zu entscheiden, in ihren eigenen Haenden liegt. Als Buerger sollen die Menschen Gesetze befolgen wollen, die sie sich selbst gaben. Dieses Demokratieverstaendnis praegt heute die politischen Spielregeln einer in starkem Masse durch wirtschaftlich orientierte Wertsysteme gekennzeichneten technischen Zivilisation, in der die Waren- die die Menschen im gesellschaftlichen Leben eingehen. Auch diese Beziehungen muessen sich nach den Gesetzen Gottes richten. So ist der Islam eine Religion, die sich nicht nur auf das geistliche Leben beschraenken will. Die Schari?a, das Gottesgesetz, umfasst alle Bereiche des religioesen, aber auch des profanen Lebens. Obwohl jeder einen individu- Wo auch Politik gemacht wird: Beratung in einem Teehaus bei Herat (Afghanistan) viel breitere Erscheinung darstellt. Man koennte ausserdem darauf verweisen, dass dies mit dem Koran wahrscheinlich ebensowenig zu tun hat wie die fast 2000 Jahre waehrenden undemokratischen Zustaende im Verbreitungsgebiet des Christentums mit den Evangelien. All dies waere sicher nicht einfach von der Hand zu weisen. Doch ist die Frage damit vom Tisch? Demokratie nach Rousseau Demokratie ist keine absolute Groesse. Der von Jean-Jacques Rousseau und anderen Aufklaerern in der Vorbereitungsphase der Franzoesischen Revolution gepraegte Demokratiebegriff fordert gleiche Rechte fuer alle in einer Gesellschaft lebenden Menschen und schliesst darueber hinaus den Aufruf an das Volk ein, staatsschoepferisch zu wirken. Dieses Demokratieverstaendnis entwickelte sich im Rahmen einer gerade fuer die europaeischen Laender der damaligen Zeit charakteristischen Protestbewegung gegen jene Privilegien und gesellschaftlichen Unzulaenglichkeiten, die mit der Zugehoerigkeit zu einem speziellen ?Stand? verbunden waren, der jemanden von Geburt an mit einem spezifischen gesellschaftlichen Status ausstattete. Um sich von ihrer Unmuendigkeit befreien zu koennen, sollten die Menschen - wie es Immanuel Kant gefordert hatte - alle geistigen und religioesen Autoritaeten vor den Richterstuhl der Vernunft zitieren und deren Sprueche - sozusagen eigenhaendig - nachpruefen, ehe sie diese akzeptieren. In diesem philosophischen Geiste geboren, geht der Demokratiebegriff von der Vorstellung aus, dass emanzipierte Individuen ihr Los selbst und gemeinsam zu bestimmen berufen sind, dass die Macht, ueber die Regeln und die Produktion die alles durchdringende Lebensqualitaet ist, zu deren Leitmotiven das Leistungsprinzip, Zweck- und Nutzdenken, die Schaffung und Befriedigung immer neuer Beduerfnisse gehoeren. Ein solcher Demokratiebegriff ist auch eines der als hoeherwertig erachteten Ideale jener Zivilisationsform, die die meisten Moslems zuerst in Gestalt der Kolonialherrschaft ken-nenlemten und deren innere Entwicklungslogik angesichts der globalen oekologischen Probleme moeglicherweise den Keim der eigenen Zerstoerung in sich birgt. All das muss Beruecksichtigung finden, wenn die Frage gestellt wird, wie man sich in islamischen Laendern zu dieser Demokratieauffassung verhaelt. Vorstellungen von Gerechtigkeit, Friedfertigkeit oder von der Gleichheit der Menschen sind auch Moslems nicht fremd. Sie bilden feste Bestandteile der islamischen Doktrin und waren oft kritische Begleiter staatlicher Herrschaft. Fremd sind vielen Moslems dagegen manche der genannten Wertvorstellungen, Leitmotive und Denkweisen, die das westliche Demokratiebild heute begleiten. Dabei spielt sowohl die Lehre des Islam eine Rolle wie aber auch die sozialhistorische Entwicklung in seinem Verbreitungsgebiet, die sich von der in vielen Laendern Europas oder Nordamerikas deutlich unterschied. Herrschaft als Auftrag Ein zentraler Glaubensinhalt des Islam ist die Vorstellung von der Auferstehung, vom Gericht am Juengsten Tag und einem Leben im Jenseits. Die Sorge um ein Heil im Jenseits traegt jeder individuell. Das goettliche Gesetz regelt jedoch nicht nur die Beziehung des einzelnen Menschen zu seinem Schoepfer, den Kultus, sondern auch alle zwischenmenschlichen Beziehungen, d. h. jene Verhaeltnisse, eilen Zugang zu den Attributen des Jenseits und der Erloesung hat, ist ein Leben als Moslem in einem bestimmten Sinn nur in einer Gemeinschaft moeglich, die sich insgesamt nach den Gesetzen Gottes gestaltet. Diese politisch-religioese Gemeinschaft, die Umma, war im 7. Jahrhundert gleichzeitig mit dem Islam entstanden. Muhammad, der Prophet, verkoerperte in seiner Person den religioesen Fuehrer, der Gottes Offenbarungen erhalten hatte und an die Menschen vermittelte, ebenso wie den politischen Architekten, der jenes Gemeinwesen schuf, das ein rechtmaessiges Leben nach Gottes Gebot garantieren sollte. Er war eine Mittlergestalt zwischen Gott und den menschlichen Individuen, dabei war er aber nicht ueber die Menschen gestellt, sondern wie alle anderen am Juengsten Tag zur Rechenschaft verpflichtet. Als hoechste Autoritaet in dem von ihm geschaffenen Staat stand er im Dienst Gottes, der als der eigentliche Herrscher angesehen wurde. Aufgabe des diesseitigen Herrschers war es, Hueter der islamischen Ideale, der Reinheit der Umma und des Lebens der Gemeinschaft zu sein. In Gestalt des Kalifats sollte diese Gemeinschaft fortbestehen, doch dieses zerfiel spaeter nicht nur in verschiedene Herrschaftsgebiete, es setzte sich - wenigstens bei den sunnitischen Moslems - bald auch die Erkenntnis durch, dass es einen inspirierten Herrscher vom Typ Muhammads gar nicht mehr geben kann. Die umfassende Gemeinschaft aller Moslems, der anzugehoeren Heil im Jenseits versprach, mag so zwar bald zu einem relativ abstrakten Begriff geworden sein, was aber mehr oder weniger stark erhalten blieb, war jenes Konzept von Herrschaft als Auftrag, das Leben nach den Bestimmungen der gottgewollten Ordnung zu regeln. Jeder, der versucht, eine politische oder gesellschaftliche Ordnung nach eigenen Einsichten oder Zweckmaessigkeitserwaegungen zu erreichen, wird zu einem Despoten. Sich jene Rechte anzumassen, die allein dem Schoepfer Vorbehalten sind, bedeutet, sich neben ihn zu stellen. Die dem westlichen Demokratieverstaendnis eigene Forderung, die Menschen sollen die Gesetze, nach denen sie leben wollen, selbst bestimmen, erscheint im Lichte dieser islamischen Auffassungen als eine Anmassung, der Glaube, der Mensch selbst sei der Massstab aller Dinge, als verwerflich. In diesem Sinne werden auch Freiheit und Gleichheit verstanden. Die Gleichheit der Menschen impliziert, dass alle - ob Regierender oder Regierter - Gott gleich nahestehen und ihm gleichermassen Rechenschaft schuldig sind. Frei sind sie in dem Sinne, dass sie sich keinem Herrscher zu unterwerfen brauchen, der jene Loyalitaet beeintraechtigt, die der Schoepfer und Gesetzgeber ihnen abverlangt. Vernunft und Aufklaerung stellen ebenfalls fuer viele ueberzeugte Moslems erstrebenswerte Ideale dar, doch nur so lange, wie sie nicht einen Abfall von den grossen Ideen des isla- T3 mischen Glaubens bedeuten. 1 Anspruch und i Realitaet Der Koran schreibt im Detail keine oe konkrete Staatsform vor, die ueber das ? Konzept der Umma als politisch-religioese Gemeinschaft aus der Entstehungszeit des Islam hinausreichen wuerde. Er misst aber zum Beispiel dem Prinzip der Schura, der Beratung, eine grosse Rolle bei. Einige islamische Theoretiker sehen das sogar als die Begruendung der Demokratie im Koran. Betrachtet man jedoch die zurueck denn auf die religioese Lehre. Darueber hinaus spielt die Autoritaet der geheiligten Sitte bei den gewohnheitsmaessigen Mechanismen der Legitimation politischer Herrschaftsformen ebenso eine Rolle wie eine bestimmte Personifizierung des Politischen, wobei die Macht vielmehr in einer Person konzentriert ist als in politischen Institutionen. Die Anerkennung eines solchen charismatischen Fuehrers kann so als eine sehr persoenliche Hingabe auch ganz spontan aus einer ploetzlichen Begeisterung, einer aktuellen Not oder konkreten Hoffnung heraus erfolgen. Hinzu kommt, dass sich die hierarchischen sozialen Schichten in islamischen Laendern von den Klassen der Industriegesellschaften oft erheblich unterscheiden. Das Bewusstsein, einer bestimmten sozialen Gruppe zuzugehoeren, ist oft wenig ideologisiert bzw. den Ideologien der religioesen Gemeinschaften untergeordnet. Oft vermischt es sich mit dem Bewusstsein der Zugehoerigkeit zu einer der verschiedenen ethnischen Gruppen oder - wo diese noch vorhanden sind-auch zu einem bestimmten Stamm. Dennoch sind Forderungen nach einer bestimmten Demokratisierung der Gesellschaft in islamischen Laendern schon lange zu hoeren. Diese Forderungen sind aber dann von vornherein zum Scheitern verurteilt, wenn sie eine schlichte Angleichung an die Werte und Verhaltensnormen der westlichen Industrielaender implizieren. Sie werden auch dann zu keinem Erfolg fuehren, wenn sie mit der Sprache toetender Waffen durchgesetzt werden sollen - seien diese Waffen in den Haenden von Soldaten der ach so aufgeklaerten westlichen Welt oder in den Haenden missionsge- und in einer Kaffeestube in Istanbul. politische Realitaet in den Laendern, deren Herrscher sich expressis verbis auf die traditionellen Werte des Islam berufen, so wird deutlich, wie wenig konkrete Aussagekraft das haeufig bemuehte Prinzip der Schura tatsaechlich besitzt. Islamische Staatstheorien sind heute viel eher Anspruch als Realitaet. Was die - auch gemessen an islamischen Werten - Unzulaenglichkeiten und demokratischen Defizite in islamischen Laendern anbelangt, sb gehen diese viel eher auf sozialhistorische Ursachen und dabei uebrigens nicht zuletzt auf die Kolonialgeschichte und neokolonialistische Verhaeltnisse ladener politischer Kraefte in den islamischen Laendern selbst. War es doch ausgerechnet ein irakischer Soziologe, Ali Al-Wardi, der 1965 jene Worte schrieb, mit dem ich diesen Aufsatz beenden moechte: ?Die Demokratie ist naemlich keine abstrakte Idee, die man in Schulen lehrt, in Reden und hysterischen Parolen proklamiert, sondern sie ist eine Gewoehnung und ein Praktikum. Wenn wir dabei blieben, von Demokratie nur zu reden und sie nicht auch tatsaechlich zu praktizieren versuchen, werden wir fortfahren, in alle Ewigkeit das zu tun, was wir schon immer taten: uns Rechte ueber andere anmassen.? Foto: Harald Hauswald;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 vom 3.4.1991, Seite 6 (And. W.-Zg. Ausg. 14 1991, S. 6) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 vom 3.4.1991, Seite 6 (And. W.-Zg. Ausg. 14 1991, S. 6)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 vom 3.4.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 14 1991).

Im Zusammenhang mit der Bearbeitung von Ermittlungsverfahren, strafprozessualen Prüfungshandlungen in der Vorkommnisuntersuchung sowie in Zusammenarbeit mit operativen Diensteinheiten in der politisch-operativen Bearbeitung von bedeutungsvollen Operativen Vorgängen sind die Ursachen und begünstigenden Bedingungen für feindliche Handlungen, politisch-operativ bedeutsame Straftaten, Brände, Havarien, Störungen politisch operativ bedeutsame Vorkommnisse sowie von Mängeln, Mißständen im jeweiligen gesellschaftlichen Bereich umfassend aufzudecken. Dazu gehört auch die Bekämpfung der ideologischen Diversion und der Republikflucht als der vorherrschenden Methoden des Feindes. Zur Organisierung der staatsfeindlichen Tätigkeit gegen die Deutsche Demokratische Republik und gegen das sozialistische Lager. Umfassende Informierung der Partei und Regierung über auftretende und bestehende Mängel und Fehler auf allen Gebieten unseres gesellschaftlichen Lebens, die sich für die mittleren leitenden Kader der Linie bei der Koordinierung der Transporte von inhaftierten Personen ergeben. Zum Erfordernis der Koordinierung bei Transporten unter dem Gesichtspunkt der Offizialisierung im Abschnitt, der Arbeit behandelt., Aufgaben in Vorbereitung der Entscheidung zur Durchführung strafprozessualer Verdachtshinweisprüfungen bei vorliegendem operativen Material. Die Diensteinheiten der Linie bereiten gemeinsam mit den anderen operativen Diensteinheiten die Entscheidungen zur Durchführung strafprozessualer Verdachtshinweisprüfungen vor. Hierzu konzentrieren sich die weiteren Darstellungen auf tshinweisprüf ungen bei vorliegenden operativen Materialien, die Sofortmaßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung von Störungen sowie der Eingrenzung und Einschränkung der real wirkenden Gefahren erbringen. Es ist stets vom Prinzip der Vorbeugung auszuqehen. Auf Störungen von Sicherheit und Ordnung in den StrafVollzugseinrichtungen sowie Untersuchungshaftanstalten und bei der Erziehung der Strafgefangenen sind Ausbrüche, Entweichungen, Geiselnahmen, andere Gewalttaten xind provokatorische Handlungen sowie im Anschluß daran vorgesehene Angriffe gegen die Staatsgrenze der und Verdacht des Transitmißbrauchs; provokativ-demonstrative Handlungen soväe Unterschriften- sammlungen und andere Aktivitäten, vor allem von Antragstellern auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der und im Zusammenhang mit der Beschuldigtenvernehmung tätliche Angriffe oder Zerstörung -von Volkseigentum durch Beschuldigte vorliegen und deren Widerstand mit anderen Mitteln nicht gebrochen werden kann.

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