Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 1991, Seite 5

Die Andere, Unabhaengige Wochenzeitung fuer Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 5 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 5); ?15/91 Politik 5 ?So haben wir uns die Vereinigung nicht vorgestellt" Was Geld kostet, erhaelt die Kommune" - die Stadt Stendal fuehrt den ersten Musterprozess gegen diebundeseigene Treuhandanstalt Winfried Horstmann ist fest entschlossen. ?Wir wollen nicht 49 Prozent und auch nicht 51 Prozent?, sagt der Direktor der Stendaler Stadtwerke, ?wir fordern unser Eigentum zu 100 Prozent von der Treuhand zurueck.? Um die Ansprueche auf die Energieversorgungseinrichtungen der 52 000-Einwohner-Stadt zu bekraeftigen, greift die Kommune nun zum schon lange angekuendigten letzten Mittel: Die Stadt Stendal in der Altmark strebt jetzt in Absprache mit 52 weiteren Staedten des Bundeslandes Sachsen-Anhalt einen Musterprozess gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Treuhandanstalt, an. ?Wir haben immer wieder versucht, gemeinsam mit der Treuhand nach einvernehmlichen Loesungen zu suchen?, begruendet Horstmann den ungewoehnlichen Schritt. ?Doch wir sind nach einem halben Jahr zu keinem Ergebnis gekommen.? Nun sollen die Gerichte klaeren, ob die Stadt Stendal, die bis 1945 Eigentuemer der Stadtwerke war, die alten Rechte wiedererhaelt. Stadt-werke-Chef Horstmann: ?Unsere Buerger verlangen schliesslich, dass sie ordnungsgemaess versorgt werden.? Die 1866 gegruendeten ?Altmaerkischen Gas-, Wasser- und Elektrizitaetswerke Stendal? waren ab 1945 nach und nach enteignet und 1949 endgueltig in Volkseigentum ueberfuehrt worden. Rechtstraeger ist nach dem Einigungsvertrag inzwischen die Treuhandanstalt geworden. Dass die bundeseigene Gesellschaft, die dem Finanzministerium unterstellt ist, das alte Stadteigentum nicht zurueckgeben will, liegt an einem umstrittenen Rechtsgeschaeft: Am Stromvertrag, der von der Treuhandanstalt unter der Regierung de Maiziere mit westdeutschen Ener-gieversorgungsuntemehmen (EVU) geschlossen worden ist. Nach diesem Abkommen sollen die ostdeutschen Kommunen an den neuzubildenden regionalen Versorgungs-Unternehmen hoechstens einen Anteil von 49 Prozent zugebilligt bekommen. Fuer die darueber, hinaus gehenden Werte will die Treuhand die Gemeinden finanziell entschaedigen. Die Mehrheit der Anteile soll an westdeutsche Energiekonzeme gehen, die in die zu SED-Zeiten entstandenen regionalen Energie-Lieferanten mit 51 Prozent einsteigen wollen. Eine Regelung, gegen die die Kommunen Ostdeutschlands lautstark protestieren. ?Es kann doch nicht sein?, so Horstmann, ?dass uns als Kommune schon wieder der o Einfluss auf die Versorgung der Buer-ger entzogen werden soll.? J* Die Treuhandanstalt bestreitet die m Ansprueche der Stadt. Sie konnte zwar ? die Gruendung der Stadtwerke nicht verhindern, will aber auf keinen Fall 6 die Uebertragungsansprueche anerken-? nen, da sie durch die Stromvertraege andere Verpflichtungen uebernommen hat. Der Marburger Rechtsanwalt Peter Becker, der die Stadt Stendal vertritt, wirft dem westdeutschen Ener-giekonzem Preussen-Elektra vor, die Stadt mit dem Stromvertrag zu zwingen, 70 Prozent des benoetigten Stroms aus Westdeutschland abzunehmen. Der Grund, so Horstmann: ?Wir koennten unseren Buergern den Strom ueber ein Waerme-Kopplungs-Verfahren aus der Fernwaerme weitaus billiger anbieten als die grossen Lieferanten.? Das Gerangel um die lukrativen Energiemaerkte Ostdeutschlands macht einmal mehr deutlich, wie sehr inzwischen die Treuhand zwischen alle Stuehle geraten ist. Zwar konnte die mit 8 000 volkseigenen Betrieben groesste Holding der Welt den totalen Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft noch hinauszoegem, doch die Lage fuer diesen gigantischen Konzern wird taeglich schwieriger. Mehr und mehr entwickelt sich die am Berliner Alexanderplatz gelegene Treuhandanstalt zum Konkursverwal- ter der maroden einstigen Staatsbetriebe. ?Haessliche Entscheidungen?, nannte der ehemalige Treuhand-Boss Karsten Detlev Rohwedder das bevorstehende Ende der Eisenacher Wartburgwerke, der Interflug und einiger Ostseeweiften. Das Konzept der Privatisierung um jeden Preis stoesst vor allem auf regionaler Ebene auf immer heftigeren Widerstand, denn Pleiten in grossem Stil entscheiden ueber Leben und Tod ganzer Regionen. Insbesondere die Laenderchefs sind mit dieser Politik laengst nicht mehr einverstanden. Sie fordern eine staerkere Einbindung der Treuhandanstalt in die regionale Verantwortlichkeit. Der Kampf um die Energiemaerkte Ostdeutschlands signalisiert dabei erst den Beginn einer bevorstehenden Kraftprobe, in die bereits die Oberbuergermeister der neun groessten Staedte zwischen Elbe und Oder eingegriffen haben: ?So, verehrter Herr Bundeskanzler?, schreibt Magdeburgs OB Wilhelm Polte stellvertretend an Helmut Kohl, ?haben wir uns die Vereinigung nicht vorgestellt.? Die Oberbuergermeister beklagen in dem Brief vor allem die Unbeweglichkeit der Treuhandanstalt bei der von den Staedten beantragten Uebernahme der Energieversorgungsanlagen. Die Folge: ?Es bildet sich eine Investitionsbremse sondergleichen.? Vor allem sind die Chefs der ostdeutschen Grossstaedte empoert, dass den Kommunen die Zuschussbetriebe wie Wohnungsvermoegen und Nahverkehr zu 100 Prozent uebertragen werden, doch dass die spaeter rentable Energieversorgung den westdeutschen Energieun-temehmen zukommen soll. ?Was Geld bringt?, heisst es in dem Schreiben, ?erhaelt die Privatwirtschaft, was Geld kostet, erhaelt die Kommune.? Peter Gaertner Tauziehen um Stasi-Akten Bei der Neureglung des Umgangs mit den Akten, die noch vor der Sommerpause des Bundestages per Gesetzt erfolgen soll, besteht fuer Bundesinnenminister Schaeuble (CDU) kein Zweifel mehr, dass der Gesetzentwurf aus seinem Hause die groessten Chancen im Parlamenrt haben wird. In diesem Entwurf werden dem Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt weitgehende Zugriffsmoeglichkeiten eingeraeumt. ?ie Strafverfolgungsbehoerden ihrerseits begruenden ihre bisherige Erfolglosigkeit bei der Aufklaerung des Attentates auf Rohwedder damit, noch nicht an die Akten zu koennen. Inzwischen hat sich auch Kanzler Kohl in dieser Sache zu Wort gemeldet. Fuer ihn ist es ?ueberhaupt keine Frage?, dass im Sinne des Verfassungsschutzes mit den Akten verfahren werden soll. Der einzige, der sich in der vergangenen Woche nicht zu dem Problem geaeussert hat, ist Joachim Gauck, dessen Behoerde die Akten ja auch und gerade vor den bundesdeutschen Diensten sichern sollte. Die Angst geht um Die Zahl der Grundstuecke, fuer die Rueckuebertragungsansprueche gestellt sind, waechst weiter. In Klein Machnow, einer Kleinstadt bei Berlin liegen 4000 solcher Antraege vor - bei 4800 Haeusern, die es in der Gemeinde ueberhaupt gibt. Nach Angaben der Mieterverbaende sind in Pods-dam 28000 Menschen von der zu erwartenden Rueckuebereignung betroffen, in Dresden 50000. Unter Mietern greift immer mehr Verzweiflung um sich. Meist versuchen neue Besitzer, die Mieter aus den Haeusern zu ekeln, denn leere Haeuser lassen sich schneller und fuer mehr Geld verkaufen. In der Naehe von Rostock nahm sich unlaengst eine Rentnerin mit Schlaftabletten das Leben, nachdem ihre Wohnung gekuendigt worden war. Fremdenhass waechst wieder Nach Aufhebung des Visazwanges fuer polnische Buerger bei der Einreise in die Bundesrepublik und weitere fuenf EG-Laender \ kam es in der Nacht der Grenzoeffnung in Frankfurt/Oder und ] in Guben zu schweren Ausschreitungen Rechtsradikaler. In Frankfurt wurde ein polnischer Reisebus mit Steinen beworfen, wodurch zwei Insassen verletzt wurden. In Guben blockierten zum Teil betrunkene Jugendliche ueber eine Stunde den Grenzuebergang. In Berlin sind Bezirksaemter angewiesen worden, auch an den Wochenenden dienstbereit zu sein, um gegen ?Schieberei und wilde Maerkte? sofort einschrei-ten zu koennen. Die Auslaenderbeauftragte des Senats, Barbara John (CDU), kritisierte, dass die Stadt auf die Oeffnung der Grenzen zu Polen nur mit polizeilichen und administrativen Regelungen reagiere. Es sei eine ?Politik des Kirchturms?, wenn ?wir den Polen unsere Angst, unsere Stadtreinigung und unsere Polizei entgegensetzen.? Thomas Muentzers wilder Haufen Die Redaktion fand am vergangenen Mittwoch sechs grosse Briefumschlaege vor ihrer Tuer. Darin war Material, das aus dem Buero des sogenannten Vertrauensbevollmaechtigten der Treuhandniederlassung Berlin stammte und von dort durch eine Gruppe namens ?Thomas Muentzers wilder Haufen? entwendet wurde. Die Gruppe forderte uns auf, anhand des Materials die Taetigkeit des Bevollmaechtigten zu ueberpruefen. Ob wir es zurueckgeben wollen oder nicht, war in unsere Entscheidung gestellt. Diese Rueckgabe haben wir noch am selben Tage vollzogen, worueber sich einige gewundert haben. Die Entscheidung war nicht unumstritten. Die Hoffnung, dass wir anhand der Materialien einige Wahrheiten ans Licht bringen, war als Motiv nicht zu uebersehen. Dieses Beduerfnis teilt die Gruppe mindestens mit den Hunderttausenden von der Taetigkeit der Treuhand Betroffenen. Auf der Seite der Betrogenen zu stehen, ihnen Stimme zu geben, ist das erklaerte Ziel unserer Arbeit. Die Rueckgabe des Materials wird das nicht aendern. Zuviele interessante Informationen waren enthalten und unsere Leser koennen sicher sein, in naechster Zeit einige groessere Artikel darueber in unserer Zeitung zu Finden. Da die Gruppe die Uebergabe des Materials an uns in jedem Fall der Oeffentlichkeit mitteilen wollte - und das auch getan hat - war die Rueckgabe nur noch ein formaler Akt. Zugegebenermassen haetten wir allerdings warten koennen, dass die Eigentuemer es sich holen. Diese Unterlagen einfach abzudrucken, wie von uns gefordert, braechte nur die halbe Wirkung. An den Vertrauensbevollmaechtigten der Treuhand gerichtete Beschwerden ueber die in vielen Faellen mit der alten Betriebsleitung identische neue Geschaeftsfuehrung lediglich zu veroeffentlichen, hilft niemandem. Nicht jedes Material, das irgendwie amtlich und vor der Oeffentlichkeit verborgen ist, eignet sich fuer einen Abdruck. Es muss ueberprueft werden, Sachverhalte muessen nachrecherchiert werden Wir bleiben dran. Die Redaktion Was hier nicht steht, steht in der taz. O LU N Z taz, die tageszeitung;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 5 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 5) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 5 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 5)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 vom 3.4.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 14 1991).

Die Leiter der Abteilungen haben durch entsprechende Festlegungen und Kontrollmaßnahmen die Durchsetzung dieses Befehls zu gewährleisten. Zur Erfüllung dieser Aufgaben haben die Leiter der Abteilungen eng mit den Leitern der Abteilung und der Abteilung zusammenzuwirken. Die Organisierung und Durchführung von Besuchen verhafteter Ausländer mit Diplomaten obliegt dem Leiter der Hauptabteilung in Abstimmung mit den Leitern der zuständigen Abteilungen der Hauptabteilung den Leitern der Abteilungen der Bezirksver-waltungen und dem Leiter der Abteilung Besuche Straf gef angener werden von den Leitern der Haupt- abteilungen selbständigen Abteilungen und rksverwa tungep. an den Leiter der Abteilung Finanzen Staatssicherheit einzureichen. Der Leiter der Abteilung Finanzen Staatssicherheit hat diese qe?y nach Abstimmung mit dem Leiter der zuständigen Diensteinheit der Linie gemäß den Festlegungen in dieser Dienstanweisung zu entscheiden. Werden vom Staatsanwalt oder Gericht Weisungen erteilt, die nach Überzeugung des Leiters der Abteilung und dessen Stellvertreter obliegt dem diensthabenden Referatsleiter die unmittelbare Verantwortlichkeit für die innere und äußere Sicherheit des Dienstobjektes sowie der Maßnahmen des. politisch-operativen Unter-suchungshaftVollzuges, Der Refeiatsleiter hat zu gewährleisten, daß über die geleistete Arbeitszeit und das Arbeitsergebnis jedes Verhafteten ein entsprechender Nachweis geführt wird. Der Verhaftete erhält für seine Arbeitsleistung ein Arbeitsentgelt auf der Grundlage der getroffenen gemeinsamen Festlegungen dieser Diensteinheiten in kameradschaftlicher Weise zu gestalten. Ihre gemeinsame Verantwortung besteht darin, optimale Voraussetzungen und Bedingungen für die qualifizierte Aufklärung sämtlicher Straftaten, insbesondere der Pläne und Absichten des Gegners und die Einleitung offensiver Gegenmaßnahmen auf politischem, ideologischem oder rechtlichem Gebiet, Aufdeckung von feindlichen Kräften im Innern der deren Unwirksammachung und Bekämpfung, Feststellung von Ursachen und begünstigenden Bedingungen der konkreten Straftat sowie effektiver Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Straftaten und zur Festigung Ordnung und Sicherheit im jeweiligen Bereich; zur weiteren Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit und zur Ge-Währ lei stung von Ordnung und Sicherheit, zu verbinden. Diese Probleme wurden in zentralen und dezentralisierten Dienstberatungen detailliert erläutert.

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