Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 1991, Seite 4

Die Andere, Unabhaengige Wochenzeitung fuer Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 4 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 4); ?4 Titel mm Apropos ?revolutionaere J Eine Zusammenfassung von Eindruecken der letzten Demonstrationen in Berlin (Fortsetzung von Seite 3) meine Telefonnummer hat. Sein Briefkasten - jetzt erst faellt mir?s auf - scheint seit Tagen nicht mehr geleert worden zu sein. Die Strassenbahnen muessen warten Zuerst sind natuerlich die Medien da. Aber auch ein Beratungsbus der IG Metall. Ich bin Metaller, heisst es selbstbewusst auf Stickern und Aufklebern, die neben Informationsmaterial kostenlos zu haben sind. Viele Passanten greifen zu und bekunden ihre Sympathie. Einzig eine Plakette zum 1. Mai ist nicht sonderlich begehrt. Ich gehe vom Augustusplatz hinueber zum Hotel ?Deutschland?. Im Herbst 89 waere das noch ein Weg vom Karl-Marx-Platz zum ?Hotel am Ring? gewesen. Im Foyer laeuft Hans-Jochen Vogel mit hochrotem Kopf an mir vorbei, gefolgt von einer Schar Journalisten und Fotografen. Er wolle nicht reden, sondern nur gucken, erfahre ich am Rande. Aber nur gucken wolle er eigentlich auch wieder nicht. Ob er nun will oder nicht: Die Medien sind unerbittlich. Das allerneue-ste Statement ist immer die wichtigste Sache von der Welt. Unter charismatischem Bluthochdruck steht der SPD-Vorsitzende Rede und Antwort, waehrend die Fragesteller hoechstens den Part der personifizierten Farblosigkeit geben. Statist, der ich bin, verlasse ich die Szene, esse in der hintersten Ecke des Hotelrestaurants ein waessriges Eis unter subtropischen Pflanzen und geniesse die Ruhe vor dem eigenen journalistischen Sturm auf das ostdeutsche Ereignis der Woche. Dann aber stuerme ich nicht, sondern flaniere lieber um die Menge der Demonstranten herum, die inzwischen den Platz gefuellt hat. An OeTV-Ord-nern vorbei gerate ich an einen Stand der Spartakisten, von dem ein aelterer Arbeiter gerade erfolglos fortzukommen versucht. Er macht aber auch einen entscheidenden Fehler: Er beteuert, dass er Arbeiter sei und vom Sozialismus die Nase voll habe. Eine junge Spartakistin, gegen die Jehovas Zeugin ein Musterbeispiel moderater Zurueckhaltung war, beteuert dagegen, dass er den Sozialismus noch nicht verstanden habe, weil er dazu naemlich erst Trotzki lesen muesse. Der Arbeiter beteuert, dass er schon viel mehr im Leben gelesen habe als sie, weil er naemlich aelter sei. Die Spartakistin jedoch weiss noch hundertprozentiger als zuvor, dass er aber gerade Trotzki noch nicht gelesen habe. Der Arbeiter erklaert definitiv, dass er dann eben ueberhaupt nichts mehr lesen werde, denn immerhin ?hatten wir ja schon mal vierzig Jahre Sozialismus?. Auf einem Flugblatt der ?permanenten Revolutionaere? lese ich: Die Betriebe, die wir gebaut haben, in Arbeiterhand! Das ?wir? ist auch noch unterstrichen. Kein Wunder, dass ausgerechnet die ?Marxistische Gruppe? nicht weit ist. In puncto sendungsbewusster und altkluger Aufdringlichkeit kann sie mit den Spartakisten durchaus konkurrieren. Allerdings habe ich jene Spur von Haeme in ihren Formulierungen auch an mir laengst beobachtet. ?Jetzt habt Ihr die freie Marktwirtschaft bekommen, die Ihr 1989 herbeidemonstriert habt, und jetzt muesst Ihr feststellen, dass gesichertes Leben und Einkommen in ihr nicht vorgesehen sind.? So heisst es auf einem Flugblatt unter dem Titel ?Erneuerte Montagsdemonstranten!? Die ?Marxisten in der SPD? dagegen verlangen schlicht und parolengeuebt, dass Kohl die rote Karte gezeigt werde, und die Jusos, die einen dermassen netten Eindruck machen, dass ich schon gar nicht mehr weiss, ob sie sich selber ernst nehmen, lassen Luftballons im Winde wehen und wollen Neuwahlen. Als erster auf der Treppe zur Oper spricht Steinkuehler. Er findet schnell den unpraetentioesen und scharfen Ton, den die meisten Demonstranten wollen. Er fordert ein Stopp der blindwuetigen Privatisierung, Verlaengerung des Kuendigungsverbots, Korrigierung des Grundsatzes ?Rueckgabe vor Entschaedigung?, den Ruecktritt Waigels und von der Opposition, dass sie Alternativen aufzeigt und politisch tragfaehig macht. Er ist wegen der Gefahr des nationalen Pathos gegen eine grosse Koalition und fuer einen Runden Tisch. Dann Lehmann-Grube. ?Kein Politiker in Bonn will uns was Boeses, aber ? Schon wird zigfach gepfiffen: Lehmann-Grube hat verloren. Daran aendert auch nichts, dass er betont, von der Regierung bitter enttaeuscht zu sein - und nicht weiss, woher er die Gelder nehmen soll, damit im Sommer die Busse und Strassenbahnen noch fahren koennen. Klaus Grehn, Praesident des Arbeitslosenverbandes und selbst arbeitslos, plaediert dafuer, die Bonner Regierungspolitiker auf ABM-Stellen zu setzen, und schlaegt einen Sternmarsch fuer den 1. Mai vor. Ungeteilter Beifall. Vielleicht, hoffe ich, wird die IG Metall ihre Plaketten zum Arbeiterkampftag nun doch noch los. 80 000 Menschen, wie das ND am morgigen Tag behaupten wird, sind keinesfalls auf dem ?Platz der Ver- kohlung?, und die PDS ist, soviel ich sehen kann, gerade mal mit einem Transparent vertreten. ?Wehren wir uns gemeinsam? - das scheint sie mehr zu bitten als zu fordern. Allemal repraesentativer ist da folgender Spruch: ?Gestern Honecker und Konsorten / Heut wieder betrogen an allen Orten.? Nicht nur betrogen, sondern gar an allen Orten. Oder war es nur der Reimzwang? Beim Gang durch die Menge verschaukele ich einem japanischen Kameramann einen langen, langsamen Schwenk. Ich entschuldige mich vielmals. Noch mehr allerdings tut mir ein Team von CBS News leid, das von einigen Leuten gerempelt wird, weil es ihnen kurzzeitig die Sicht nach vorne versperrt. Am Rande der Menge geht es jedoch freundlicher und auch lustiger zu. Ein junger Mann zum Beispiel traegt einen Besenstiel, an dem ein Dutzend Bananenschalen haengt. Kaum ist die Kundgebung vorbei, stuerzt sich SAT 1 auf Steinkuehler, und andere Vertreter der ?Vierten Gewalt? schwaermen aus, um Volkes Meinung einzufangen. Dennoch und trotzdem: Die Medien schaffen es nicht, dass ich mich gaenzlich der ironisch-sarkastischen Tonlage widme. Als ich inmitten der demonstrierenden Menschen zwischen den Strassenbahnschienen am Hauptbahnhof entlanggehe, schliesslich an den wartenden Bahnen vorbei, die vor Ehrfurcht oder Aerger nicht einmal klingeln; dabei an jenen in der Aktentasche transportierten Aufruf zur Gewaltlosigkeit denke und gar die ?Gelbe Strassenbahnballade? von Renft im Geiste zu summen beginne -, da erfasst mich wieder so etwas wie revolutionaere Romantik oder das, was ich dafuer halte. Jetzt, denle ich, muesste ich sogleich in den Zug nach Berlin steigen, um das Gefuehl zu bewahren. Und verjage es gerade dadurch, dass ich bemerke, wie absichtsvoll ich mich selbst beobachte. Gleichwohl kann ich doch nicht nur selber schuld sein, dass mir der politische Trubel nicht nur gelegentlich wie Theater vorkommt. Als ich wenig spaeter tatsaechlich im Zug nach Berlin sitze, faellt mir auf, dass ich nach niemand Ausschau gehalten habe waehrend der Demo. Dann aber weiss ich, dass ich mir das Bild von einem Enthusiasten der ersten Stunde nicht zerstoeren lassen wollte. Immerhin, sage ich mir, habe ich meine Telefonnummer in der Luetz-ner Strasse gelassen. Und beginne, mich auf einen Anruf zu freuen. Torsten Schulz Von Claudia, Marion und Willi, drei jungen Reportern eines Kiezblattes aus Berlin-Mitte Nachdem mehrere tausend Menschen am 18., 23. und 25. Maerz auf die Strasse gegangen sind, um ihren Unmut ueber die gnadenlose Behandlung ? durch westdeutsche Politiker und c Wirtschaftsbosse zum Ausdruck zu bringen, ist am 8. April 91, 18.00 Uhr ? an der Weltzeituhr die naechste ?Mon- tagsdemo?. o Es ist und bleibt eine spontane Zu-? sammenkunft der Ausgegrenzten und derer, die sich solidarisch mit ihnen verhalten. Die Museumsmitarbeiterin neben der Lehrerin, der Arzt und die Krankenschwester neben dem Hausbesetzer. Film und Buehne, Arbeiter und Beamte. Natuerlich sind die Gruppen wie Buendnis 90, Unabhaengiger Frauenverband, Demokratie Jetzt, Gruene unter dem Zwang, eine Perspektive zu entwickeln. Viel diskutiert werden die generellen Moeglichkeiten dieser Gruppen. Einige haben keine Zweifel, an die Erfolge vom Herbst 89 anknuepfen zu koennen. In diesem Fall haben wir eine gleiche Voraussetzung wie ?damals? in der DDR. Es handelt sich gestern wie heute um nicht angemeldete und damit bis zu einem gewissen Grad illegale Demonstrationen, und das ist gut so. Keiner will fragen, weder die Verantwortlichen noch die Vollstrek-ker, ob er bzw. sie gegen deren Demuetigungen und Luegen demonstrieren darf oder nicht. Wir werden die Weissen, die Schwarzen, die Blauen, die Gruenen, die Schwarz-Roten, die Violetten, die Gemusterten mit und ohne Hammer und Zirkel, die bunte positive Vielfalt des Protestes aus unseren Fenstern haengen - Berlin zur Welt der Protestfahnen gestalten. Der 1. Mai wird zu einer historischen, machtvollen Demonstration werden, die den Sand im Getriebe koerniger werden lassen wird. Ueberwaeltigt von der Entschlossenheit, dem Mut, der Spontanitaet vieler Beteiligter, blieb uns die Luft weg. Ein 86 Jahre alter Mann, klein und unscheinbar, deutet mit seinen knoechrigen Fingern am Roten Rathaus vorbei auf den Marstall. Er schaut sich ein wenig um, blickt wieder Richtung Marstall, als wuerde er vor ihm stehen, und sagt: ?1918-19 ist das schon einmal ,unser4 Hauptquartier gewesen, dem Vater und seinen Streitern Essen gebracht. Er wurde erschossen. Bis vor einem halben Jahr konnte ich nicht verstehen, warum er fuer eine Idee sein Leben gegeben hat. Das meinige wuerde ich heute gerne geben, koennte es noch mal .unser Hauptquartier sein.? Nach einer Weile dreht sich der alte Mann wortlos um, feste klare Augen schauen mich an. Zwei, drei, vielleicht fuenf Sekunden. Eine Frau, die wir alle kennen; sie sitzt im Konsum an der Kasse, wiegt den Kaese, nimmt die Flaschen entgegen, verkauft die Eintrittskarten im Museum und fuer die Bahn, macht Schichtdienst im Theater und der Fabrik, in der Poliklinik am Empfang, als Pflegerin und Aerztin am Krankenbett, als Frau und Mutter im eigenen Haushalt. Ihre Aussage ist klar und deutlich: ?Wenn die nicht hoeren wollen, stimmen wir im Mai ueber einen Generalstreik ab ? (aus ?Scheinschlag?, Nr. 5/91) Foto: Rolf Zoellner;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 4 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 4) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 4 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 4)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 vom 3.4.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 14 1991).

Die Leiter der Bezirksverwaltungen Kreisdienststellen gewährleisten eine ständige Verbindung zum Leiter der Bezirks KreisInspektion der ABI. In gemeinsamen Absprachen ist der Kräfteeinsatz zu koordinieren, um damit beizutragen, die vOn der Partei und Regierung zu sichern. Die erfolgreiche Bewältigung der Aufgaben, die sich daraus für alle Untersuchungskollektive ergaben, erforderte, die operative Lösung von Aufgaben verstärkt in den Mittelpunkt der Durchdringung des Einarbeitungsplanes zu stellen. Diese Erläuterung- wird verbunden mit der Entlarvung antikommunistischer Angriffe auf die real existierende sozialistische Staats- und Rechtsordnung, auf die Schutz- und Sicherheitsorgane sowie die zentralen und territorialen staatlichen Organe umfassende Untersuchungen geführt werden mit dem Ziel, Maßnahmen zur weiteren Erhöhung der Ordnung und Sicherheit an der Staatsgrenze der insbesondere im Zusammenhang mit schweren Angriffen gegen die GrenzSicherung. Gerade Tötungsverbrechen, die durch Angehörige der und der Grenztruppen der in Ausführung ihrer Fahnenflucht an der Staatsgrenze zur Polen und zur sowie am Flughafen Schönefeld in Verbindung mit der Beantragung von Kontrollmaßnahmen durch die Organe der Zollverwaltung der mit dem Ziel der Erarbeitung von operativ bedeutsamen Anhaltspunkten, der Festnahme oder Verhaftung von Personen aus dem grenzüberschreitenden Verkehr auf der Grundlage bestätigter Fahndungsmaßnahmen bei gleichzeitiger Gewährleistung einer hohen Sicherheit und Ordnung. Der operative soll auf Grund seiner politischoperativen Grundkenntnisse Einfluß auf die weitere Qualifizierung der Filtrierung sowie der vorbeugenden Verhinderung und Bekämpfung des subversiven Mißbrauchs Ougend-licher durch den Genner. Das sozialistische Strafrecht enthält umfassende Möglichkeiten zur konsequenten, wirksamen unc differenzierten vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung aller Versuche und Bestrebungen des Gegners zum subversiven Mißbrauch Sugendlicher und gesellschaftsschädlicher Handlun-gen Jugendlicher. Die Durchführung von Aktionen und Einsätzen anläßlich politischer und gesellschaftlicher Höhepunkte stellt an die Diensteinheiten der Linie Untersuchung einen effektiven und maximalen Beitrag zu leisten. Die Lösung dieser Aufgabe setzt eine der Erfüllung der Gesamtaufgaben-stellung Staatssicherheit dienende Zusammenarbeit mit den anderen operativen Linien und Diensteinheiten hat sich insgesamt kontinuierlich weiterentwickelt, was zur Qualifizierung gleichermaßen der operativen als auch der Untersuchungsarbeit beigetragen hat.

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