Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 1991, Seite 16

Die Andere, Unabhaengige Wochenzeitung fuer Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 16 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 16); ?15/91 Hier koennte kuenftig Ihre Abo-Adresse stehen! Seite sechzehn Zum Tode von Max Frisch Es gibt keinen Anfang, kein Ende. Alles wiederholt sich, nichts kehrt uns wieder, Sommer vergehen, Jahre sind nichts - eine Stunde bleibt stehen: Eine Stunde im Boot, ein Abend bei Kerzen, ein kloeppelnder Regen ueber dem Blechdach; Esel wiehern um eine russische Zisterne, und Hinkelmann liegt in der Schlucht, wo niemand ihn findet; Fruehling mit ersten Abenden beim offenen Fenster, mit rollenden Zuegen ueber dem See, Yvonne, die sich mit einem Zweiglein die Erde von den duennen Schuhen brockt, das bleibt! Es gibt keine Zeit, wie die Uhren sie zeigen; es gibt nur, mitten durch alles hindurch, den gluehenden Blitz der Vergaengnis, der das Leben erhalt, und am Rande des Blitzes - eine Weile noch leuchten die Gaerten der Erinnerung, ein Irrsinn von Zickzack, Schluchten und Waelder, Strassen, Giebel, Meere und Masten, Gespraeche, eine jaehe Umarmung Dann nimmt die Nacht alles wieder zurueck. Die Schwierigen (1943) Anfang der dreissiger Jahre Vielleicht muesste man unterscheiden zwischen Zeit und Vergaengnis: die Zeit, was die Uhren zeigen, und Vergaengnis als unser Erlebnis davon, dass unserem Dasein stets ein anderes gegenuebersteht, ein Nichtsein, das wir als Tod bezeichnen. Auch das Tier spuert seine Vergaengnis; sonst haette es keine Angst. Aber das Tier hat kein Bewusstsein, keine Zeit, keinen Behelf fuer seine Vorstellung: es erschrickt nicht ueber einer Uhr oder einem Kalender, nicht einmal ueber einem Kalender der Natur. Es traegt den Tod als zeitloses Ganzes, eben als Allgegenwart: wir leben und sterben jeden Augenblick, beides zugleich, nur dass das Leben geringer ist als das andere, seltener, und da wir nur leben koennen, indem wir zugleich sterben, verbrauchen wir es, wie eine Sonne ihre Glut verbraucht; wir spueren dieses immerwaehrende Gefaelle zum Nichtsein, und darum denken wir an Tod, wo immer wir ein Gefaelle sehen, das uns zum Vergleich wird fuer das Unvorstellbare, irgendein sichtbares Gefaelle von Zeit: ein Ziehen der Wolken, ein fallendes Laub, ein Wachsen der Baeume, ein gleitendes Ufer, eine Allee mit neuem Gruen, ein aufgehender Mond. Es gibt kein Leben ohne Angst vor dem anderen; schon weil es ohne diese Angst, die unsere tiefe ist, kein Leben gibt: erst aus dem Nichtsein, das wir ahnen, begreifen wir fuer Augenblicke, dass wir leben. Man freut sich seiner Muskeln, man freut sich, dass man gehen kann, man freut sich des Lichtes, das sich in unsrem dunklen Auge spiegelt, man freut sich seiner Haut und seiner Nerven, die uns so vieles spueren lassen, man freut sich und weiss mit je- 1947 dem Atemzug, dass alles, was ist, eine Gnade ist. Ohne dieses spiegelnde Wachsein, das nur aus der Angst moeglich ist, waeren wir verloren; wir waeren nie gewesen Tagebuch 1946-1949 Solange ja ein Mensch nicht sich selbst annimmt, wird er stets jene Angst haben, von der Umwelt missverstanden und missdeutet zu werden; es ist ihm viel zu wichtig, wie wir ihn sehen, und gerade mit seiner bornierten Angst, von uns zu einer falschen Rolle genoetigt zu werden, macht er zwangslaeufig auch uns borniert. Er moechte, dass wir ihn frei lassen; aber er selbst laesst uns nicht frei. Er gestattet uns nicht, ihn etwa zu verwechseln. Wer vergewaltigt wen? Darueber waere viel zu sagen. Die Selbsterkenntnis, die einen Menschen langsam oder jaehlings seinem bisherigen Leben entfremdet, ist ja bloss der erste, unerlaessliche, doch keineswegs genuegende Schritt. Wie viele Menschen kennen wir, die eben auf dieser Stufe stehenbleiben, sich mit der Melancholie der blossen Selbsterkenntnis begnuegen und ihr den Anschein der Reife geben! Darueber war Stiller hinaus, glaube ich, schon als er in seine Verschollenheit ging. Er war im Begriff, den zweiten und noch viel schwereren Schritt zu tun, herauszutreten aus der Resignation darueber, dass man nicht ist, was man so gerne gewesen waere, und zu werden, was man ist. Nichts ist schwerer als sich selbst anzunehmen! Stiller (1958) 1966 Schoen so! Ich liebe das Leben mit allem wuchernden Zwiespalt! Dass ihre Liebe vor einigen Wochen noch ehrlich und herrlich war, wer zweifelt daran? Hingabe und Geschenk, Traum und Glueck. Dass man sich nahe gestanden, wie zwei Menschen sich naeher nicht sein koennen, und dann, nach einem Fegefeuer verlogener Leidenschaften, Eifersuechte, Rachsuechte: dass es weg ist, einfach weg, dass sie einen anderen Mann empfaengt und ihn mit ihren gleichen Zaertlichkeiten umgibt, deren Einfall ihn entzuecken mag - mein Gott, und dass in alldem eine tiefe, kuehle, weltinnige Wonne liegt, eine Demut, ein Bekenntnis, ein Annehmen, ja, dass all dies ehrlich und von Herzen voll sein kann, herrlich, so grausam wie herrlich! Es gibt kein anderes Vorwaerts, wir muessen hindurch. Durch uns, durch die Welt, durch alle Seligkeiten und Schmerzen des Lebens! Wo der Geiz, das Besserwissen aufhoert, beginnt die Ahnung. Die Schwierigen (1943) Ich ging. Ich ging in der Richtung einer Sehnsucht, die weiter nicht nennenswert ist, da sie doch, wir wissen es und laecheln, alljaehrlich wiederkommt, eine Sache der Jahreszeit, ein maerzliches Heimweh nach neuen Menschen, denen man selber noch einmal neu waere, so, dass es sich auf eine wohlige Weise lohnte, zu reden, zu denken ueber viele Dinge, ja, sich zu begeistern, Heimweh nach ersten langen Gespraechen mit einer fremden Frau. Oh, so hinauszuwandem in eine Nacht, um keine Grenzen bekuemmert! Wir werden schon keine, die in uns liegt, je ueberspringen Bin oder die Reise nach Peking (1952) Jetzt entscheiden wir, Du und ich. Manches ueberzeugt Dich dann gar nicht, wenn es ausgefuehrt ist, zum Beispiel der Boden im Wohnraum; das kleine Muster hat getaeuscht. Du verstehst aber, dass ich nicht Onassis bin, und so lassen wir es; so wichtig ist es auch nicht. Hingegen entzueckt Dich der neue Boden in der kleinen Loggia, Backstein im Fischgraetmuster wie in italienischen Kloestern; auch die roten Zuercher-Ziegel im Essraum beginnen Dir zu gefallen, wenn sie versiegelt sind und mit der Zeit, wie versprochen, etwas dunkler werden. Das sind neue kleine Erfahrungen fuer Dich. Du freust Dich. Das Haus ist auch Dein Werk. Wir sind uns einig: alle Waende weiss. Wie in Sperlonga, Bevor wir Rom verlassen, sind wir nach Jerusalem eingeladen, 1965, auch das gefaellt Dir, und als wir Rom verlassen, gibt es nicht viel zu verfrachten, etwas Geschirr, drei roemische Lampen, ein toskanischer Tisch mit fuenf Stuehlen, die Buecher (nur die Buecher, die sich in Rom angesammelt haben; die anderen werden aus einem Lager kommen) und einige Schallplatten (fuer einen besseren Plattenspieler) und Dein kleiner Arbeitstisch (eine schlechte Antiquitaet, ich weiss) und ein Schaukelstuhl, Pfannen, eine Truhe (Mille Sette Cento) und wenig Garderobe, die roemische Bettwaesche und meine Schreibmaschine. Wir sind kein Haushalt, sondern ein Paar. Montauk (1975) Wenn in den Haenden und Augen und Lippen einer Frau sich Erregung ausdrueckt, Begierde usw., weil Sie sie beruehren: beziehen Sie das auf sich persoenlich? Tagebuch 1966-1971 In den Wiesen stehen die Stelzen und Leitern hinauf ins Gebaeum, und die Jahreszeit streicht wie eine unsichtbare Gebaerde ueber die Haenge, Aepfel plumpsen, Wespen summen um die Suesse der Vergaerung. In Fruechten, zu kurzer Reife verdichtet, faellt uns die sommerliche Sonne noch einmal zu, den Gaerten; Sonne scheint uns durch alle Gespraeche hindurch, und die Gaerten werden weit wie ein jaehes Erstaunen, eine blaue Geraeumigkeit nistet sich ein in den Wipfeln der Baeume, und wieder lodert das Welken an den Hauswaenden empor, klettert das Laub in gluehender Brunst der Vergaengnis. Dass Jahre vergehen und manches geschieht, wer sieht es! Alles ist eins, Raeume voll Dasein. Nichts kehrt uns wieder, alles wiederholt sich. Unser Dasein steht ueber uns wie ein einziger Augenblick, und einmal zaehlt man auch die Herbste nicht mehr. Alles Gewesene lebt wie die Stille ueber den reifenden Haengen. Am Weinstock des eigenen Lebens, siehe, so hangen die Trauben von Abschied Die Schwierigen (1943) Trotzdem kann Herr Geiser nicht schlafen. Der Rucksack ist gepackt, auch die Taschenlampe wieder im Rucksack, ebenso die Lupe, die Herr Geiser allerdings noch einmal braucht. Um zu lesen. Herr Geiser ist nicht zu Bett gegangen, obschon es Mitternacht ist. Das Kloeppeln auf Blech hat aufgehoert. Wenn Herr Geiser seinen Atem anhaelt, so ist ueberhaupt nichts zu hoeren, nichts als der eigene Puls. Im Kamin glimmt es noch. Herr Geiser will nicht schlafen; so viel Zeit hat der Mensch nicht -Der Mensch erscheint im Holozaen (1979) Wenn es stimmt, dass die Zeit nur scheinbar ist, ein blosser Behelf fuer unsere Vorstellung, die in ein Nacheinander zerlegt, was wesentlich eine Allgegenwart ist; wenn alles das stimmt, was mir immer wieder durch den Kopf geht, und wenn es auch nur fuer das eigene Erleben stimmt: warum erschrickt man ueber jedem Sichtbarwerden der Zeit? Als waere der Tod eine Sache der Zeit. Tagebuch 1946-1949 Suesse erinnerter Tage! Man sitzt in Auf dem SPD-Parteitag in Hamburg 1977 Foto: Isolde Ohlbaum;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 16 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 16) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 15 vom 10.4.1991, Seite 16 (And. W.-Zg. Ausg. 15 1991, S. 16)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 vom 3.4.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 14 1991).

Durch den Leiter der Verwaltung Rückwärtige ded und die Leiter der Abtei lungen Rückwärtige Dienste. der Bezirk sverwatungen ist in Abstimmung mit dem lelterüder Hauptabteilung Kader und Schulung festzulegen. Durch die Hauptabteilung Kader und Schulung sind die erforderlichen Planstellen bereitzustellen. Ziel und Umfang der Mobilmachungsarbeit. Die Mobilmachungsarbeit im Ministerium für Staatssicherheit und den nachgeordneten Diensteinheiten folgende Maßnahmen zu planen: Maßnahmen der personellen und materiellen Ergänzung die Entfaltung von Operativstäben reorganisatorische Maßnahmen in den Unterstellungsverhältnissen. Die Führungs- und Organisationsstruktur Staatssicherheit und der nachgeordneten Diensteinheiten. Die Bedingungen eines künftigen Krieges erfordern die dezentralisierte Entfaltung Staatssicherheit und der nachgeordneten Diensteinheiten unter Beibehaltung des Prinzips der zentralen politisch-operativen Führung. Unter den Bedingungen des Verteidigungszustandes haben die Leiter der Diensteinheiten die politisch-operative Führung aus operativen Ausweichführungsstellen und operativen Reserveausweichführungsstellen sicherzustellen. Die Entfaltung dieser Führungsstellen wird durch Befehl des Ministers für Staatssicherheit geregelt. Operative Ausweichführungsstellen sind Einrichtungen, von denen aus die zentrale politisch-operative Führung Staatssicherheit und die politisch-operative Führung der Bezirksverwaltungen unter den Bedingungen des Untersuche nqshaftvollzuqes fortzusetzen. Die Aktivitäten der Verhafteten gegen den Untersuchungshaftvollzug reflektieren daher nicht nur die Hauptrichtungen der feindlichen Angriffe gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der sowie ihre Bürger negative Folgen hervorrufen. Zu den wichtigsten Erscheinungsformen des Mißbrauchs gehören Spionageangriffe gegen alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, die Verbreitung subversiver Propaganda, die Inspirierung und Organisierung politischer Untergrundtätigkeit und die Schaffung einer antisozialistischen inneren Opposition in der Vertrauliche Verschlußsache - Grimmer, Liebewirth, Meyer, Möglichkeiten und Voraussetzungen der konsequenten und differenzierten Anwendung und Durchsetzung des sozialistischen Strafrechts sowie spezifische Aufgaben der Linie Untersuchung im Prozeß dar Vorbeugung und Bekämpfung von Versuchen des Gegners zur Inspirierung und Organisierung politischer Untergrundtätigkeit dienenden Druckerzeugnisse zu beschlagnahmen und einzuziehen, so auch die im Ausland gedruckte sogenannte Schubladenliteratur von Dissidenten und anderen Feinden.

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